Agenor Goluchowski an Leo Thun
Lemberg, 20. September 1851
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Regest

Der Statthalter von Galizien Agenor Goluchowski dankt Leo Thun, dass die Errichtung eines dritten polnischen Gymnasiums in Lemberg weiter vorangetrieben wird. Goluchowski ist nämlich davon überzeugt, dass nur mit der Eröffnung desselben der Eindruck vermieden werden könne, die Regierung hege Germanisierungsabsichten. Befürchtungen in dieser Hinsicht sind nämlich sehr verbreitet. Goluchowski setzt sich daher erneut vehement für die Errichtung eines polnischen Gymnasiums ein. Er hatte diesbezüglich schon einen Bericht nach Wien gesandt, mit dem Thun jedoch nicht einverstanden war. Der Minister befürchtete nämlich, dass Polnisch als Unterrichtssprache nicht eingeführt werden könne, wenn es nicht gelänge, tüchtige, österreichisch gesinnte polnische Lehrer zu finden. Goluchowski glaubt jedoch, dass man etwas Geduld haben müsse, und es Zeit brauche, um die Lehrer zu wahren Schulmännern zu erziehen. Der Statthalter ist auch davon überzeugt, dass es besser sei, einheimische Lehrer, als solche aus fremden Provinzen, in Galizien anzustellen. Anschließend kommt der Statthalter auf die Abberufung des Bischofs von Przemysl zu sprechen. Goluchowski unterstützt hier vollkommen den Kurs des Ministers, er verurteilt das politische und damit unkatholische Verhalten des Bischofs und will diesem den Rücktritt nahelegen. Abschließend geht der Statthalter auf die Situation der Ruthenen in Galizien und deren politische Haltungen ein. Dabei betont er, dass zahlreiche Geistliche eine starke Anbindung an Russland und die russische Kirche suchen.

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Lemberg, am 20. September 1851

Lieber Freund!

So sehr ich es auch gewünscht haben würde, daß die Angelegenheit wegen Errichtung eines dritten Gymnasiums in Lemberg schon in diesem Jahre entschieden worden wäre, so kann ich unter den mir gütigst mitgetheilten Umständen Ihnen nur auf das wärmste danken, daß dieser Gegenstand bis auf spätere Zeiten ajourirt worden ist. Auf jeden Fall würde eine abweisliche Bescheidung auch auf die gut Gesinnten, die aber an ihrer Nationalität hängen, einen sehr niederschlagenden Eindruck gemacht haben. Schon jetzt lassen sich hin und wieder leise Stimmen hören, denen sich leider auch der Regierung unbedingt ergebene aber unüberlegte Männer beigesellen, daß die Staatsverwaltung bei Vornahme der Revision der Verfassung auch die den einzelnen Nationalitäten gemachten Concessionen zurücknehmen werde, und daß man die Germanisirung aller Stämme mit starrer Consequenz durchzuführen trachten werde. Heute liegt alles par terre und jeder wird sich in die Anordnungen der Regierung fügen, allein niemand wird läugnen, daß derley Wahrnehmungen und Redereyen, wenn solche auch nur auf Scheingründen beruhen sollten, die ihre Widerlegung im offenen Auftreten der Verwaltungsbehörden nicht finden, den stets thätigen Agitatoren, an denen es hierzulande gewiß nicht fehlt, zur Anfachung nationaler Gefühle in einem der Regierung verderblichen Sinne willkommenen Anlaß bieten werden. Meine Aufgabe wird es sein, bei sich ergebenden Gelegenheiten den Leuten, die sich um das dritte Gymnasium kümmern und die sich deßfalls bei mir anfragen, die Kostenfrage in den Vordergrund treten zu lassen und ihnen die mögliche Realisirung ihrer Wünsche in Aussicht zu stellen.
Ich weiß es recht wohl, daß die Polen in den letzten 18 Jahren sich vieles zu Schulden haben kommen lassen, es ist daher kein Wunder, daß die Anhänger der kaiserlichen Regierung ihnen gram sind, und daß dieser Volksstamm stets mit scheelem Auge gesehen wird, die Polen zu vertheidigen würde eine müßige Arbeit sein, auch würde ich es nie über mich nehmen, ihnen Anwalt in Sachen, wo sie unrecht haben, abzugeben, aber ich halte es für meine Pflicht und glaube im Interesse der Regierung auszusprechen, daß man ihnen jene Concessionen unverkümmert zugestehe, wo sie im offenbaren Rechte sind, denn mit der Waffe der Wahrheit und der Unparteilichkeit wirkt man auf den unermüdeten Widersacher niederschlagend und bildet sich eine nüchterne thatkräftige Partey im Lande. Nun wird niemand läugnen, der jede Parteylichkeit bei Seite setzt, daß der polnische Volksstamm, der in Lemberg allein über 35.000 Seelen und im gleichnahmigen Kreise (ohne die benachbarten Kreise, wo keine Gymnasien bestehen und wo die polnische Bevölkerung stark vertreten ist) 45.000 Seelen zählt, das Recht besitze, eine höhere Bildungsanstalt mit polnischer Unterrichtssprache anzusprechen.
Sie werden es gerechtfertigt finden, wenn ich mich der Sache mit vollem Eifer annehme, vielleicht werden Sie es für angemessen finden dafür zu wirken, daß Seine Majestät während Höchstdessen Anwesenheit in Galizien den Bestand des 3. Gymnasiums in Lemberg ausspreche.
Czerkawski hat mir bei seiner Rückkehr gesagt, daß Sie mit der Art, wie die Relation in Betreff des dritten Gymnasiums letzthin erstattet worden ist, nicht einverstanden waren, zumal darin die Beweggründe des Sz[aszkewycz’schen] Referats ohne solche gerade zu zitiren, widerlegt wurden, ferner bemerkten Sie, daß die Darstellungsweise eher dazu geeignet war, angeregte Leidenschaften zu entzünden. Zur Aufklärung dessen muß ich bemerken, daß ich den Czerkawski, der Verfasser dieses Schreibens war, beauftragt habe, sich in die punktweise Erörterung einzulassen, mir schien Ihre Absicht gehe dahin, meine Ansichten über die einzelnen Bedenken des Sz[aszkewycz] zu vernehmen, und gleichzeitig sich auszusprechen, ob die Einführung eines dritten Gymnasiums mit polnischer Unterrichtssprache in Lemberg aus politischen Gründen angedeutet erscheine, ich glaubte somit ein verständliches pro memoria für Ihre Person hierüber verfassen zu lassen, ohne geradezu dieses Schreiben als ämtliche Pièce behandeln zu sollen, welche deßhalb sine numero abgelaufen ist. Wünschen Sie, daß hierüber ein besonderer Bericht, der lediglich die politische Frage berührt, verfaßt werde, so werde ich es über gegebenen Wink alsogleich thun. Ich gestehe, daß das fragliche Pro Memoria etwas scharf gestellt war, aber Sie werden es ebenfalls nicht läugnen, daß Sz[aszkewycz] in seinem Referate mir Verdrehungen Ihrer Aufträge vorwirft, was eine niederträchtige und boshafte Verdächtigung ist, die ich auf mir nicht habe ruhen lassen können, ich gestehe es offen, nicht immer bin ich mit den Verfügungen einverstanden, die ich bekomme, aber ich weiß, was ich der Oberbehörde schuldig bin, und die Vollziehung der mir gegebenen Aufträge ist mir heilig, denn nur durch eine unbedingte Pariterei [im Sinn von Gleichheit, Einheitlichkeit] der unteren Organe, kann ein angenommenes Regierungssystem gedeihlich entwickelt werden.
Sie sagen ferner in Ihrem gütigen Schreiben, daß die polnische Unterrichtssprache auch in jenen Orten sich nicht wird halten lassen, wenn es uns nicht gelingt, tüchtige österreichisch-gesinnte polnische Lehrer zu finden. Es hat mich wahrlich betrübt, gerade von Ihnen so etwas zu vernehmen, denn vor allem gestehe ich, daß die bisherigen Wahrnehmungen mich auf diesen Schluß nicht haben bringen können, denn die bis jetzt vorgekommenen Anzeigen treffen nur äußerst wenige Individuen, die sich schlechte Ansichten haben zu Schulden kommen lassen sollen, und die einzelnen Wahrnehmungen haben durchaus keinen gefahrdrohenden Character, meistentheils sah es Persönlichkeiten im Spiele, die sich durch politische Verdächtigungen Luft machen. Ich bin gewiß kein Optimist und bekenne gerne, daß im Allgemeinen unsere Gymnasiallehrer keine scharfe Critic, besonders in technischer Beziehung, zu bestehen im Stande sind, allein wie hat die Sache auch anders sein können. Vor den Märzereignissen ist für dieses Institut nichts geschehen, dann kam die Revolution, und nach Bewältigung derselben haben wir zu einem sehr bedeutenden Theile unser Lehrpersonale auf der Straße rekrutirt, wir müssen uns daher Zeit gönnen, bis wir die Lehrer zu wahren Schulmännern erziehen, jetzt schon über dieselben den Stab brechen zu wollen, wäre wahrlich zu voreilig und glauben Sie, daß wenn Lehrer aus anderen Provinzen herangeschickt werden sollten, die Jugend gesinnungstüchtiger werden wird? Ich glaube kaum, denn die Schüler des Jahres 1848 haben mir darüber jeden Zweifel benommen, und gerade weil ich die künftigen Direktoren für die westlichen Gymnasien in Lemberg habe groß ziehen wollen, lag es in meiner Absicht ein Gymnasium mit polnischer Unterrichtssprache in Lemberg zu haben.
Gegen den Bischof Wierzchleyski werde ich in Ihrem Sinne vorgehen, und ich würde es für eine Wohlthat ansehen, wenn er auf seinen Posten resigniren wollte, denn es wird nie gut thun, denn ist es ihm bereits unmöglich mit Rücksicht auf seine Antezedentien seinen verdorbenen Clerus zur Raison zu bringen. Das Schreiben, welches Sie an ihn richteten, habe ich mit vielem Interesse gelesen, denn es war meisterhaft redigirt, und Sie haben sich darin rein auf den katholischen Standpunkt gestellt, womit gerade sein unkatholisches Vorgehen am empfindlichsten berührt wurde, das gedachte Schreiben scheint auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht zu haben, wenige Tage nach Erhalt desselben kam er eigens nach Lemberg und wollte sich so gut es ging entschuldigen, ich meinestheils bemerkte ihm, daß es der kaiserlichen Regierung schmerzhaft sey, mit einem katholischen Oberhirten so weit gekommen zu sein, allein sein Benehmen sey lediglich daran schuld, welches die Regierung verdammen müsse, auch sagte ich ihm, daß ich nicht begreife, wie er noch etwas gutes unter diesen Umständen in seiner Diözese leisten könne, und wollte darauf kommen, daß es gerathener wäre von dem Schauplatze ganz abzutreten, allein er wich absichtlich diesem Entschlusse aus.
Endlich glaube ich einen Umstand nicht unberührt lassen zu sollen, dessen Sie in Ihrem verehrten Schreiben erwähnen und worin Sie bemerken, daß mein Urtheil über Sz[aszkewycz] nicht richtig sein mag, weil Ihnen durch längere Zeit Gelegenheit gebothen wurde, diesen Mann genau kennen zu lernen. Bei diesem bestimmten auf eigener Erfahrung beruhenden Urtheile bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als die Segel zu streichen. Damit Sie aber nicht glauben, daß meine gegen Sz[aszkewycz] ausgesprochene Ansicht lediglich in Folge meines augenblicklichen Unmuthes hervorgerufen worden sey, glaube ich meine Wahrnehmungen über die Rührigkeit der Ruthenen in Galizien Ihnen mittheilen zu sollen, ohne Ihnen geradezu meine Ideen aufdringen zu wollen. Vor allem zerfällt der ruthenische Volksstamm in zwey Theile1, das ist in die sogenannte Intelligenz und in die schlichten Landleute, die letzteren bilden die große Masse und sind gleich dem Makarischen Landvolke unbedingt ihrem Kaiser ergeben, jedoch werden sie nach Maßgabe als dieselben die Civilisation annehmen, häufig in ihrem ursprünglichen Grundsätzen schwankend. Der zweite Theil des ruthenischen Volksstammes, der jedoch noch sehr wenig zahlreich ist, fällt der sogenannten Intelligenz zu, die hauptsächlichen Leiter der Intelligenz gehören dem Clericalstande zu und denken beinahe durchgehend mit schwermüthigem Herzen auf die geschehene Union mit der lateinischen Kirche, ihre Sympathien sind gegen Osten gerichtet und zwar nicht so sehr für den Kaiser von Rußland, der sich zum Kirchenoberhaupte der dortigen Staatskirche aufgeworfen hat, als vielmehr für die orientalische Kirche, selbst dessen Rechte sie meistens zu vindiziren hoffen. Die okulten Leute dieser Partey sind wie es auch in der abendländischen Kirche, wenn sie dominiren will, der Fall ist, ehrgeizig im höchsten Grade, intolerant und herrschsüchtig. Die Ereignisse des Jahres 1848 bothen ihnen einen sehr vollkommenen Anlaß ihre Thätigkeit zu entwickeln, weil sie aber ihre numerische Schwäche fühlten, hüllten sie sich in den Deckmantel des österreichischen Patriotismus, um auf diesem Wege das Landvolk, welches dem Kaiser wirklich ergeben ist, zu beherrschen und von der Regierung für treu geleistete Dienste Concessionen zu erlangen, ihre Hauptaufgabe ist aber, sich faktisch immer mehr von der lateinischen Kirche abzusondern und das Terrain der orientalischen Kirche, bei sich ergebenden politischen Differenzen mit dem Nachbarstaate, vorzubereiten, in diesem Sinne wirkt meiner innersten Überzeugung nach „utinam sim falsus vates“ Jachimowicz, Szaszkewicz, Kuziemski, Litwinowicz, Dutkiewicz, Łotocki, Kulczycki, Malinowski, Lancicki etc., wenn daher mit der Zeit diese Männer an die höchsten Würden der griechisch-unierten Kirche gelangen und nebstbey Differenzen zwischen uns und Rußland eintreten sollten, dann ist es um die Union geschehen, und Rußland wird, wenn diesem Staat unter veränderten Verhältnissen daran gelegen sein wird, davon Nutzen ziehen. Die ruthenischen Geistlichen, die wirklich der Union anhängen, sind nicht zahlreich, sie hängen jedoch an diesem kirchlichen Prinzipe mit voller Seele, ein solcher ist ohne allen Zweifel der Herr Metropolit Lewicki, dieser Mann ist aber beinahe in den Siechtum verfallen, weiß gar nicht was um ihn geschieht und beschwert sich, sobald ihm vom Treiben seiner Geistlichkeit nur eine weitere Erwähnung gemacht wird, über die Vorsehung, warum sie ihn zu sich nicht berufen wolle. Bemerkbar machen sich auch in katholischer Beziehung die Domherrn Barwinski, Izaak und Janowicz, dann der griechisch-katholische Przemysler Professor der Pastoral Lewicki, der den alten ruthenischen Geistlichen ein Dorn im Auge ist, weil er seine Ansichten darüber unumwunden ausspricht und ihnen schismatische Neigungen vorwirft, als etwas leidenschaftlicher Mann hat er das Przemysler Kreisamt in einer Eingabe vor etwa 8 Jahren verletzt und wurde hierfür zu einem rekollektiven Arreste verurtheilt, was die ihm feindliche Partey immer hervorhebt und ihn zu nichts kommen läßt – das geschah auch beim letzten Vorschlag zum Przemysler Domherrn. Domherr Izaak ist unter diesen Parteymännern der hervorragendste, wiewohl dies durchaus kein sehr gebildeter Mann ist, er hat aber Takt, besitzt ein anständiges Äußeres, ist vollkommen katholisch gesinnt, hat thatsächliche Beweise seiner unbedingten Anhänglichkeit an die Regierung geliefert in den Jahren 1848 und 1849, wofür er dekorirt wurde, und ist ein sehr eifriger Ruthene von ächten Schrott und Korn, es würde der Mühe werth sein, daß Sie ihn persönlich kennenlernen, trotz seiner mäßigen Bildung imponirt er dem hiesigen Kapitel, wiewohl die Zahl seiner Gegner numerisch größer ist, weil jeder fühlt, daß seine Ansichten rein, ehrlich und frey von jedem Truge sind. Das sind die Hauptparteyen der ruthenischen Intelligenz. Endlich erwähne ich der tristen Fraktion, die ins sogenannte polnische aber richtiger gesagt ins revolutionäre Lager übergingen, diese jedoch zähle ich keiner Nationalität bei, weil sie Weltbürger sind.

Ihr aufrichtiger Freund
Goluchwoski