Anton Wacholz an Leo Thun
Lemberg, o. D. [Oktober 1855]
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Regest

Der Historiker Anton Wacholz wendet sich auf privatem Wege an den Minister, um ihn um Vermittlung in einer Auseinandersetzung zwischen den Professoren August Bielowski und Wilhelm Kergel in der örtlichen Prüfungskommission zu bitten. Wacholz hat auch einen offiziellen Bericht als Direktor der Kommission an das Ministerium geleitet. Der besagte Streit entflammte anlässlich der Reprobation eines Lehramtskandidaten. Der Streit schien in der Sitzung schon beendet, wurde dann aber umso heftiger auf schriftlichem Wege fortgesetzt. In dieser Phase wurde auch er als Direktor in den Streit hineingezogen und insbesondere von Prof. Viktor Pierre schriftlich angegriffen. Wacholz sieht sich daher auch außer Stande, den Streit zu schlichten und bittet Thun um einen Vermittlungsversuch. Wacholz betont schließlich, dass er stets selbstlos und nur im Sinne der Regierung gehandelt habe, was ihm jedoch eine große Zahl an Feinden eingebracht habe.
Als Beilage ist eine Abschrift eines Schreibens von Prof. Viktor Pierre beigelegt. Darin wirft Pierre Wacholz vor, dass durch seine Untätigkeit der Streit zwischen Bielowski und Kergel eskaliert sei. Pierre beschuldigt Wacholz außerdem, seine Pflicht verletzt zu haben, indem er die Prüfungsarbeit des Kandidaten sowie das dazugehörige Gutachten an Kergel ausgehändigt hatte. Überdies habe er seine Kompetenz überschritten, als er das Urteil des Fachprüfers durch einen anderen Professor überprüfen habe lassen.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz!

Ein ungewöhnlicher Vorfall in der Gymnasialprüfungskommission veranlaßt mich, daß ich es wage, mich an Euere Excellenz zu wenden.
Bey Gelegenheit der Reprobirung des Lehramtskandidaten Stanislaus Pilat in der Sitzung vom 2. Juni dieses Jahres entspann sich eine halbstündige Debatte und in weiterer Folge ein persönlicher Streit zwischen den beiden Examinatoren Kergel und Bielowski, den ich angegangen um Intervention mit allen mir zu Gebothe stehenden Mitteln gütlich beizulegen und mit Vermeidung alles Aufsehens im Geheimnisse der Direktion zu erhalten suchte, was aber durch das ungestüme Auftreten der Professoren Pierre und Schmidt vereitelt wurde. Indem ich über den ganzen Verlauf dieses Vorfalls einen mit allen Belegen versehenen, sachgetreuen und gewissenhaften Bericht vom 18. Oktober Z 175. an das hohe Ministerium erstatte, drängt mich ein nicht zu bewältigender Trieb meiner Amtspflicht, Wahrnehmungen daran zu knüpfen, die zunächst die dabei obwaltende Tendenz und die für die Kommission unmittelbar resultirenden Folgen betreffen.
Während Bielowski in diesem Streite ganz allein steht, gruppirt sich um Professor Kergel ein aus den Professoren Pierre, Schmidt, Hloch und Lemoch bestehender Anhang, der zwar während jener Debatte sich wenig, aber desto mehr in der Folge bemerkbar machte, als der Streit, der schon durch den Beschluß der Kommission vom 2. Juni zu Gunsten des Professor Kergel ausgetragen schien, auf Veranlassung des letzteren in das Stadium eines Schriftwechsels unter Vermittlung der Direktion gezogen wurde, worin neben der Gereiztheit gegen Bielowski ein ganz ungerechtfertigtes Mißtrauen gegen die übrigen Glieder der Kommission, die sehr aufmerksame aber stumme Zeugen des ganzen Vorfalls blieben, nicht zu verkennen ist, endlich ein Angriff, schon vorbreitet in der von Professor Kergel am 11. August überreichten schriftlichen Erklärung, gegen mich als Direktor mit unläugbarer Tendenz ausgeführt wird von Professor Pierre, der von einem geheimen Grolle entflammt, die meinem unterthänigsten Schreiben in Abschrift angebogene Schrift verfaßte und dieselbe in der Sitzung vom 6. Oktober, von der er sich absentirte, durch Professor Schmidt am Schlusse der Sitzung vorlesen ließ. Dieses auf lauter unhaltbare Voraussetzungen gebaute Tadelsvotum, wie es der Verfasser zu nennen beliebt, schon seiner Form nach eine anachronistische Illusion bey den streng geordneten Zuständen Oestreichs, erscheint nicht blos als eine Demonstration gegen den Direktor, sondern zugleich als ein übermüthiger Eingriff in die eigentliche Sphäre des hohen Ministeriums, indem Professor Pierre nicht klagt, sondern als einzelnes Mitglied den Direktor der Kommission richtet und sein Urtheil erst nachträglich dem hohen Ministerium zur Bestätigung vorlegen läßt. Durch einen solchen Angriff aber in Aufregung unternommen und taktlos ausgeführt ohne Erwägung der Folgen ist zunächst die Ordnung in dem normalen Geschäftsgange gestört und kann nicht leicht durch den angegriffenen Direktor hergestellt werden, dies vermag nur Euer Excellenz höchst entscheidender Spruch zu bewirken.
Indem ich daher Eurer Excellenz hohe Aufmerksamkeit auf diesen Vorfall zu lenken und um den hohen, entscheidenden Spruch unterthänigst zu bitten wage, darf ich die gewissenhafteste Versicherung beifügen, daß ich hiebey nicht auf mich und mein Interesse, als vielmehr auf meine Amtspflicht reflektire, zu welchem Behufe ich meine Situation in wenigen Zügen zu zeichnen glaube. In einer Reihe von Jahren durch herbe Erfahrungen geprüft, lernte ich das vergängliche auf Privat- und Partheyzwecke gerichtete Treiben der Menschen verachten, mit den vaterländischen Zuständen, besonders mit denen des Unterrichtswesens, aus lebendiger Anschauung vertraut halte ich nichts für bleibend als den Zweck der hohen Regierung, ihm habe ich meinen Lebensberuf und mein Schicksal unbedingt zu unterordnen mich gewöhnt, alle meine Kräfte nur der Wissenschaft und dem durch Eurer Excellenz hohe Gnade mir verliehenen Amte widmend, fremd waren und bleiben mir daher alle einseitigen Verbindungen der Professoren zu selbstischen Zwecken, diesen trete ich überall, besonders wenn sie unter gesetzlichen Gewande sich verbergen, isolirt und selbstständig auf legale Weise entgegen. Dadurch habe ich die Zahl meiner Feinde vermehrt und manchen Freund verloren, wovon der gegenwärtige Vorfall ein Beispiel liefert. Doch solcher Verlust schmerzt mich nicht, wohl aber tröstet mich der hohe Gewinn, den ich in Eurer Excellenz gnädigster Anerkennung bey Gelegenheit der Erledigung meiner Jahresberichte zu finden glaube. Nichts wünsche ich sehnlicher, als der hohen Gnade ferner würdig zu seyn, durch nichts aber glaube ich meine Würdigkeit besser zu beweisen als durch eifrige und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten. Im Interesse derselben wage ich daher, Euere Excellenz um gnädige Beschleunigung des hohen entscheidenden Spruchs in diesem Vorfalle unterthänigst zu bitten, da nächstens ein Zusammentreten der Kommission nöthig seyn wird, um über den Erfolg der Hausarbeiten zweyer Kandidaten zu beschließen, bey der ungebrochenen Kühnheit aber, womit einige Glieder der Kommission den Vorsitzenden angegriffen, eine Berathung kaum möglich seyn dürfte, zumal Erneuerung ähnlicher Szenen zu besorgen steht, wodurch jede begonnene Sitzung aufgehoben werden müßte.
Ich gebe mich der tröstlichen Hoffnung hin, daß Euer Excellenz der Kühnheit huldvoll zu verzeihen geruhen, mit der ich im Drange meines Pflichtgefühls diese unterthänigsten Zeilen an Eure Excellenz zu richten gewagt und mit der ich es ferner wage, zu seyn in tiefster Ehrfurcht

Eurer Excellenz ganz gehorsamer, unterthänigster Diener
Anton Wacholz

Löbliche k.k. wissenschaftliche Gymnasialprüfungscommission!

Der beklagenswerthe Angriff des Herrn Kustos von Bielowski auf Herrn Professor Kergel gibt dem Gefertigten Veranlassung gegen das Benehmen des Vorsitzenden Herrn Dr. Wacholz ein ernstes Tadelsvotum auszusprechen.
Denn nicht nur hat Dr. Wacholz während der ganzen von Seite des Herrn von Bielowski mit offenbarer Gereiztheit geführten Debatte nichts gethan, um dieselbe in den Schranken besonnener Mäßigung zu erhalten, selbst dann nicht als sich Herr von Bielowski geradezu zu persönlichen, ehrenrührigen Ausfällen hinreißen ließ, sondern es trägt die Schuld, die ganze unliebsame Scene hervorgerufen zu haben, in letzter Instanz Niemand als Dr. Wacholz.
Mit welchem Rechte durfte derselbe das Elaborat des Herrn von Pilat und das Gutachten des Prof. Kergel über dasselbe aus den Händen geben, um Letzteres von dem Kandidaten und Herrn von Bielowski kritisiren zu lassen? Die häuslichen Prüfungselaborate sind nicht paraphirt, meist nur sehr leicht zusammengeheftet; wie sehr tritt hier die Möglichkeit einer Fälschung in den Vordergrund, wenn das Elaborat nicht stets unter den Augen des verantwortlichen Direktors der Kommission sich befindet, wie leicht ist es, vorkommende Fehler zu beseitigen, ja ganze Bögen zu entfernen, und durch neue zu ersetzen, um dann den Beurtheiler geradezu der Lüge und Böswilligkeit zu zeihen? Wie wird dieser bei nur einiger Geschicklichkeit des Betheiligten den Beweis ohne viele Umstände zu liefern im Stande sein, daß hier ein Bogen eingelegt, eine Fälschung vorgenommen wurde?
Die Elaborate und Gutachten über dieselben liegen jedem Mitgliede in den Lokalitäten der Prüfungskommission zur Einsicht vor und können unter den Augen des Direktors gelesen und studirt werden; ein Nachhausenehmen kann und darf aus den obigen Gründen unter keiner Bedingung gestattet sein. Keinem Mitgliede kommt überdieß ohne speziellen, höheren Auftrag das Recht der Superrevision der Urtheile anderer Mitglieder zu, und durch kein Gesetz ist der Direktor der Prüfungskommission authorisirt, ein Mitglied mit einer derartigen Superrevision zu betrauen!
Glaubt ein Mitglied Grund zu haben an der Richtigkeit oder Unpartheilichkeit des Urtheiles des Fachprüfers zweifeln zu sollen, so möge es seine Zweifel mündlich und schriftlich kund geben und eine Revision des Falles durch das hohe Ministerium veranlassen; in keinem Falle kann eine derartige Revision von einem Mitgliede eigenmächtig oder im Auftrage des Direktors der Kommission vorgenommen werden.
Unter allen Umständen muß daher der Gefertigte auf das Entschiedenste dagegen protestiren, daß die Akten der Prüfungskommission an Unberufene und Betheiligte hinausgegeben und der steten Überwachung durch den Vorstand der Kommission entzogen werden.
Dem Herrn Vorsitzenden erlaubt er sich aber noch insbesondere in Erinnerung zu bringen, daß er entsprechend seiner ämtlichen Stellung und im Interesse der Würde der gesammten Prüfungskommission, in Zukunft jede Debatte, die in Leidenschaft und Persönlichkeit auszuarten droht, sistiren und nach Umständen wenigstens innerhalb der gebührenden Grenzen erhalten möge.
Schließlich fordert der Gefertigte den Herrn Vorsitzenden auf dieses sein Tadelsvotum mit den Akten der Kommission einem h. Ministerio vorzulegen.

Dr. Victor Pierre m.p.

Lemberg den 6. Oktober 1855