Der Philologe Bernhard Jülg dankt Leo Thun für das Wohlwollen, das dieser ihm seit seiner Anstellung in Österreich entgegengebracht hat. Während dieser Zeit hat er mit Erfolg in Lemberg und Krakau gewirkt und mehrere tüchtige Gymnasiallehrer ausgebildet. Jülg betont seine Freude, am Aufschwung der österreichischen Wissenschaft beteiligt gewesen zu sein. Thuns Rücktritt stimmt Jülg nun jedoch sehr betrübt und er blickt besorgt der Zukunft entgegen. Der Grund hierfür ist die unsichere Zukunft für sein Fach nach dem Abgang von Thun. Er ist außerdem überzeugt, dass er bei einer bevorstehenden Umgestaltung der Universität Krakau seine Position verlieren werde. Auf eine Anstellung an einer anderen österreichischen Universität könne er indes nicht hoffen, da derzeit alle Lehrstühle besetzt seien. Jülg wäre daher auch mit einer Stelle als Bibliothekar sehr zufrieden. Als solcher könnte er ungestört seine Studien fortsetzen.
Das Schreiben befindet sich im Nachlass gemeinsam mit 39 weiteren Dankadressen unter der Signatur A3 XXI D623a.
Hochgeborner Herr Graf!
Mit tiefer Wehmuth ergreife ich heute die Feder, um beifolgende Zeilen an Eure
Excellenz zu richten. Eure Excellenz haben so oft während eines Zeitraumes von
fast 10 Jahren mich mit Ihrem Vertrauen beehrt, so daß ich es wohl auch
gegenwärtig wagen darf, mich an Hochdieselben vertrauensvoll zu wenden.
Hunderte, ja Tausende von Lehrern sind durch Ihren Rücktritt in tiefe
Trauer versetzt worden und daß unter diesen vielen vorzüglich mich tiefe Wehmuth
beschleicht, ist so natürlich, verdanke ich ja Eurer Excellenz allein meine
gegenwärtige Stellung. Und mit welcher Lust und Liebe, mit welcher Freudigkeit,
mit welchem Eifer habe ich unter Ihren Auspicien gewirkt in Lemberg und Krakau! Und ich glaube, ohne
unbescheiden zu sein, ich habe mit Erfolg gewirkt. Viele meiner Zöglinge wirken
schon lange als angestellte Gymnasiallehrer oder machen gegenwärtig die
Lehramtsprüfung. Nicht blos meine nächste Aufgabe, Lehrer für classische
Philologie zu bilden, hatte ich im Auge; ich suchte im slawischen Lande das
gemeinsame Band, das uns, den Slawen und Germanen sowie den Griechen und
Romanen, umschlingt in der Sprache, nachzuweisen durch sprachwissenschaftliche
Vorträge und ein gegenseitiges Verständnis anzubahnen zwischen den verschiedenen
Sprachstämmen, betrachtete ich als meine schönste Aufgabe. Und auch in diesem
Wirken sah ich Erfolge, was ich aus der großen Theilnahme an derartigen
Vorträgen schließen darf. Selbst im gegenwärtigen Semester noch sind meine
Vorträge über Sanskrit mit Vergleichung des Slawischen außerordentlich besucht.
Stets habe ich mich bemüht, nach allen Seiten hin mild und versöhnend
aufzutreten, worin, wie ich leider gestehen muß, manche meiner deutschen
Collegen nicht den rechten Weg gegangen sind. Ach ich war beglückt, unter den
Augen Eurer Excellenz nach meinen Kräften wirken zu können an dem geistigen
Aufblühen Oesterreichs, für dessen Größe
und Machtstellung ich mehr als manche Eingeborene begeistert bin. Ach und jetzt!
Mit dem Rücktritt Eurer Excellenz fühle ich den Boden unter meinen Füßen wanken,
es fehlt mir gleichsam die Lebensluft. Ich halte den Bestand der Philologie in
Oesterreich, den Bestand alles dessen,
was Eure Excellenz seit einem Decennium Schönes und Großes geschaffen, für
gefährdet. Ihr Wirken in dieser Richtung wird unsterblich in der Geschichte
sein!
Nur mit bangem Blicke sehe ich in die Zukunft. Abgesehen von dem Loos,
das die Philologie überhaupt nach meiner Ahnung treffen wird, was mich mit
tiefer Trauer erfüllt, bin ich auch noch für meine Person besorgt. Bei einer
Umgestaltung der Krakauer
Universität wird meines Bleibens schwerlich in Krakau sein können. Die Stellen an den
übrigen Universitäten des Reiches sind überall mit tüchtigen Kräften besetzt.
Deshalb ergreift mich auch in dieser Rücksicht tiefe Besorgnis. Stände ich
allein, so hätte das wenig zu bedeuten, aber mit Weib und Kindern ist eine
solche Lage wohl angethan den Blick zu trüben. Zwar werden auch andere in eine
solche Lage kommen, doch sind sie wohl meist im Lande zu Hause und können sich
leichter helfen. Doch ich bin, selbst wenn ich in die ehemalige Heimath zurückkehren wollte, durch die lange
Abwesenheit derselben völlig entfremdet, also auch in dieser Beziehung ist die
Aussicht trübe. Was ich bisher erübrigen konnte, habe ich alles zu
Bücherankäufen verwendet, um meinem Amte nach allen Richtungen zu genügen.
Aus allen diesen Gründen sehe ich nur mit bangem Blick in die Zukunft.
Meine einzige Hoffnung ist noch auf Eure Excellenz gerichtet. Wenn das
Schlimmste eintreten sollte, so bitte ich noch um die gütige Erlaubnis, daß ich
die Gnade Eurer Excellenz anrufen darf, vielleicht liegt es dann in Ihrer Macht,
mich in einer solchen Lage nicht sinken zu lassen, welches dann auch immer meine
Stellung werden sollte. Könnte ich an einer Universität nicht mehr wirken, so
würde meiner Neigung am meisten eine Bibliothekarstelle zusagen, die mir noch
Muße ließe meinen Studien mich ungestört hinzugeben.
Mag aber auch die
Zukunft werden wie immer,
"Semper honos nomenque Tuum laudesque manebunt."
und es wird für mich stets ein sicherer Hort sein, wenn ich das frohe Bewußtsein
hegen darf, daß das Wohlwollen Eurer Excellenz mir fortan auch in der Zukunft
bewahrt bleibe.
Aus tiefem Herzensgrunde bitte ich um Verzeihung, daß ich
Eure Excellenz mit diesen Zeilen belästigt; aber es war meinem Herzen ein
tiefgefühltes Bedürfnis.
Mit den Gefühlen der unbegränztesten Verehrung und
der innigsten Ergebenheit verharre ich unwandelbar
Eurer Excellenz
ewig dankbarer
Dr. B. Jülg
Krakau, am 2. Nov. 1860