Johann Mikulas an Leo Thun
Pest, 16. Juli 1853
|

Regest

Schulrat Johann Mikulas informiert Leo Thun über die problematische Situation der Gymnasien in Ungarn. Die Ursachen für die geschilderten Probleme liegen aus der Sicht von Mikulas insbesondere in den Streitigkeiten zwischen der magyarischen und slowakischen Bevölkerung sowie in der hohen Zahl der privaten und vorwiegend evangelischen Lehranstalten. Zunächst bittet der Schulrat daher, dem evangelischen Gymnasium in Nagykörös das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen: damit könnte man nämlich die Reform in Ungarn vorantreiben und den Besuch von privaten Lehranstalten nach und nach eingrenzen. Private Gymnasien, so schreibt Mikulas, seien schwer zu überwachen und dort herrsche oft eine negative Stimmung gegenüber der Regierung. Mikulas berichtet dann, dass die Gemeinde in Miskolc Geld für die Einrichtung eines öffentlichen Obergymnasiums zur Verfügung stellen will. Leider seien die Mittel begrenzt und daher benötige man auch die Unterstützung des Staates. Mikulas hofft, dass diese Unterstützung gewährt werde. Er begründet dies mit seiner oben erwähnten Ansicht, dass der Besuch von privaten Lehranstalten möglichst einzuschränken sei. Dementsprechend bittet er auch, das Gesuch der reformierten Kirchengemeinde von Kecskemét, dem dortigen Gymnasium zu gestatten, die Maturitätsprüfungen abzuhalten, abzulehnen. Schließlich bittet Mikulas noch um eine Reorganisation der Schulbehörden und einige Mitarbeiter, um seinen zahlreichen Aufgaben gerecht werden zu können. Abschließend teilt Mikulas dem Minister mit, dass er bisher noch keine geeignete Person für die Regelung der Angelegenheiten der evangelischen Kirchen in Ungarn finden konnte: Möglichen Kandidaten fehle es entweder an den nötigen Sprach- und Sachkenntnissen oder am Willen, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Herr Graf!

Die am 12. dieses Monates erfolgte Unterbreitung meines Berichtes über die nunmehr vollständige Reorganisation des 8-klassigen Gymnasiums in N[agy] Körös hat mir nicht nur den Anlaß geboten, sondern auch die Pflicht auferlegt, mich mit einigen dringenden Bitten an Euere Excellenz zu wenden.
Die baldige Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes für das Köröser Gymnasium liegt mir, der ich die Umstände jetzt schon genau zu kennen meine, sehr am Herzen. Die braven Köröser haben von vielen Seiten verleumdet, angefeindet und durch falsche Gerüchte – z. B. durch das weitverbreitete Gerücht, das k.k. Unterrichtsministerium werde einem evangelischen Obergymnasium das Recht der Öffentlichkeit nie zuerkennen, – geängstigt, dennoch keinen Augenblick gezweifelt, den Wünschen der Regirung nachzukommen. Nun bietet sich Euerer Excellenz eine erwünschte Gelegenheit dar, diejenigen Lügen zu strafen, welche behaupten, daß die neuen Bestimmungen über den Unterricht die Vernichtung der evangelischen Schulen bezwecken. Das Köröser Gymnasium ist – wenn ich nicht sehr irre – den Staatsgymnasien ganz analog eingerichtet, und ich sehe keinen Grund, warum dasselbe nicht sogleich für eine öffentliche Schule erklärt werden könnte. Da nun die erwähnten Verleumdungen alle meine Schritte hemmen, so läge es in der That im Interesse der erwünschten Schulenreform, wenn Euere Excellenz die Gnade hätten die schnelle Erledigung des unter 391/Ev.Sch. vorgelegten Berichtes anzuordnen. Es ist ganz überflüssig, daß der Herr Referent die Masse von magyarischen Beilagestücken studire. Sollten Euere Excellenz die Entscheidung zu treffen geruhen, daß mindestens einer der compromittirten Professoren beseitigt werden müsse, so wäre eher Jánosi zu entfernen als Szász, welcher äußerst geschickt ist und eine wirkliche Reue an den Tag gelegt hat. Der zum Director vorgeschlagene Varga besitzt wenig Bildung, aber umso mehr Prätensionen; er wurde zum Rector gewählt, weil er sonst nicht ermüden würde, seine Collegen bei den Landesstellen zu verdächtigen. In 2–3 Jahren können sich aber die Individuen minder correcter Gesinnung so sehr zu ihrem Vortheil ändern, daß es wirklich schade wäre, den Varga an dem Posten noch ferner zu belassen. Der zur Führung des Rectorates geeigneteste Lehrer wäre Ludwig Kiss, einer der ausgezeichnetesten Pädagogen in Ungarn. Es ist allerdings wahr, daß ich mit dem Geiste, welcher an vielen Schulen herrscht, sehr unzufrieden bin und genöthigt sein werde, behufs einer strengeren Überwachung im Wege der Schulbehörde Anträge zu stellen. Allein Körös ist in dieser Beziehung verhältnismäßig noch eine rühmenswerthe Ausnahme. Man hat mir vor einigen Tagen geschrieben, daß das Köröser Consistorium beschlossen habe, eine Deputation an Euere Excellenz zu senden. Der Führer dieser Deputation ist der Ortsprediger Gabriel von Báthori, welcher schon im Monate März diesen Jahres um eine Audienz bei Euerer Excellenz ansuchte, aber nicht vorgelassen werden konnte. Sollten Euere Excellenz jetzt Muße finden die Deputation zu empfangen, so erlaube ich mir zu bemerken, daß Báthori ein sehr redlicher und der Regierung ergebener Mann sei, dessen Bemühungen die schöne Dotirung des Köröser Gymnasiums zu verdanken ist.
In kurzer Zeit werde ich eine Bitte oder Anfrage der Miskolczer Gemeinde, welche ebenfalls ein Obergymnasium organisirt, vorzulegen die Ehre haben. Die Miskolczer haben Beiträge gesammelt, sich selbst besteuert, ja sogar eine Predigerstelle eingehen lassen, kurz, sie haben alles gethan, um imstande zu sein, 12 ordentliche Professoren zu besolden. Trotz allen Bemühungen gelang es denselben aber nicht mehr zusammenzubringen, als Fonds für 10 ordentliche Professoren und für 2 Supplenten, deren Honorar allerdings sehr karg ausfallen wird. Die Anfrage ist nun die, werden Euer Excellenz einem Gymnasium mit 10 ordentlichen Lehrern und 2 Supplenten das Öffentlichkeitsrecht zugestehen? Ich würde es nicht wagen diese Frage zu stellen, wenn ich nicht mächtige Gründe hätte zu wünschen, daß jenes Gymnasium ein öffentliches werde. Diese Gründe sind: Gibt man der Bitte der schon ganz erschöpften Gemeinde keine Folge, so ist sie entschlossen, auch dasjenige rückgängig zu machen, was bis jetzt zustande gebracht worden. Ferner liegt in der Nähe Sárospatak eine Schule, worin seither ein bedenklicher Geist herrschte. Diese Schule gehört zu dem Kaschauer [Košice] Districte, obwohl sie sowie auch das Szarvaser Gymnasium zum Rayon der hiesigen Schulbehörde zu gehören wünschte. Es wäre also zu wünschen, daß die Studirenden von Sárospatak, deren Zahl sich außerordentlich mehrt, nach Miskolcz gezogen würden. Dies kann aber nur dadurch bewirkt werden, wenn man das Öffentlichkeitsrecht den Miskolczern zugesteht, den S. Patakern einstweilen noch vorenthält. Endlich bin ich fest überzeugt, daß nur an öffentlichen Gymnasien ein guter Geist in Bälde einkehren kann. Aus diesen Gründen muß ich wieder bitten, auch die Vorlagen betreffend Miskolcz schleunig erledigen zu lassen.
Mit der soeben ausgesprochenen Überzeugung steht ein andrer Gegenstand in engem Zusammenhange. Es ist mir bekannt, zumal eine Deputation bei mir war, die Angelegenheit zu empfehlen, daß aus dem am 13. Juni hier in Pest abgehaltenen Superintendenzialconvente ein Gesuch an Euere Excellenz gerichtet wurde des Inhaltes, daß den Schülern des 8-klassigen Gymnasiums zu Kecskemét gestattet werde, die Maturitätsprüfung ohne Vorweisung von staatsgiltigen Zeugnissen abzulegen. Ich habe nicht nur die Verordnung vom 27. Juni 1850, sondern auch manche Erlässe, welche von diesem Gegenstande handeln, aufmerksam gelesen, um zu sehen, ob Euere Excellenz den Kecskemétern die Bitte gewähren können, und gewahrte mit wahrem Schrecken, daß die bisherigen Bestimmungen vielleicht eine für die Bittsteller günstige Entscheidung erheischen. Euere Excellenz wissen es wohl, daß ich eine unnöthige Strenge nie heuchlerisch in Schutz genommen habe; allein diesmal kann ich nicht umhin, aufs dringendste zu bitten, Euere Excellenz wollen die bisherigen Concessionen nur auf den häuslichen Privatunterricht beziehend den Bittstellern einen entschieden abschlägigen Bescheid geben. Denn was wäre die Folge einer günstigen Entscheidung? Die Schüler solcher Winkelgymnasien, wie in Kisujszállás, Karczag [Karcag] oder Aszód, würden bei einem oder zwei Lehrern 4 Klassen absolviren, dann nach Kecskemét gehen, weil dort weniger zu lernen wäre als an einem öffentlichen Gymnasium, und sich dann rebus quasi bene gestis einer Maturitätsprüfungscommission stellen, welche noch sehr lange und vielleicht immer ungeachtet der Verordnungen, eine wahrhaft sträfliche Nachsicht üben wird. Welchen Grund hätten dann noch die Privatlehranstalten, sich zu öffentlichen umzugestalten als einen Eifer für das Unterrichtswesen, welcher so selten zu finden ist, und die Furcht vor der Rekrutenstellung, welche die Gymnasiasten so selten trifft? Ich besorge in der That, daß das ganze mühsam begonnene Werk vernichtet wird, wenn die Kecskeméter eine günstige Entscheidung erhalten. Dann werden alle Gemeinden, die schon einiges leisteten, retractiren und es wird uns nie gelingen, den schlechten Geist in den Schulen auszurotten. Und warum will die Kecskeméter reformirte Kirchengemeinde ihr 8-klassiges Gymnasium um jeden Preis behalten, wo doch nach Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Czegléd bis Kecskemét, welche wahrscheinlich schon im nächsten Monate erfolgen wird, das benachbarte Körös mit seinem vollständig reorganisirten Obergymnasium nur 10 Minuten von Kecskemét entfernt sein wird? Weil Kecskemét und Körös seit etwa 25 Jahren dermaßen miteinander rivalisiren, daß sie sich einander in jeder Hinsicht stets überbieten wollen, weil es die Eitelkeit der Kecskeméter nicht verdauen könnte, daß Körös ein Gymnasium habe und Kecskemét „nur“ etwa eine Realschule, und weil der Superintendent Polgár, ein guter aber schwacher alter Mann, welcher zugleich Kecskeméter Pfarrer ist und somit von den Kecskemétern in steter Abhängigkeit gehalten wird, die Interessen der gesammten Superintendenz den Localinteressen von Kecskemét unterordnen muß und sich von seinen Söhnen, von den Professoren an der Kecskeméter theologischen Lehranstalt und von den Advocaten in Kecskemét regiren läßt. Alle Senioren der reformirten Superintendenz versuchten ungefähr in der Richtung zu wirken, welche ich selbst für die richtige halte; allein ihnen trat stets der Superintendent mit seinen Rathgebern in den Weg und vereitelte die besten Absichten. Der Superintendent ist aber, vermöge der ihm mit der Verordnung vom 10. Februar 1850 verliehenen Amtsgewalt, der alleinige Leiter der Superintendenz. Für alles, was ich hier sage, und noch mehr als ich sage, habe ich unumstößliche Beweise, nämlich die Protocolle des Superintendenten, in Händen. Ich wußte mir dieselben zu verschaffen. Wollte Kecskemét die bisher festgehaltenen unsinnigen Pläne aufgeben und eine Realschule errichten oder die theologische Anstalt vervollständigen, dann würde die ganze Superintendenz hilfreiche Hand zu diesem Bestreben reichen, während jetzt gegenseitige Erbitterung herrscht und die Verwirrung wächst.
Allein dem Gesagten zufolge würde ich sehr wünschen, daß in Körös und Miskolcz sobald als nur möglich öffentliche Obergymnasien bestehen. Dann wäre nach meiner Meinung ein energisches Auftreten von Seite der Regierung erforderlich. Es sollten alle evangelischen Gymnasialschulen in diesem Districte für bloße Privatanstalten erklärt und diese Erklärung auch in die amtlichen Blätter mit dem Bedeuten eingerückt werden, daß sich ein öffentliches Gymnasium unter keinerlei Vorwand unterfange, Zeugnisse von solchen Privatanstalten als giltig zu anerkennen. Wer staatsgiltige Zeugnisse erlangen will, soll an einem öffentlichen Gymnasium studiren oder sich der halbjährigen legalen Prüfung unterziehen. Ferner könnten Euere Excellenz die Gnade haben, baldigst den Befehl zu erlassen, daß über den Zustand der sämmtlichen evangelischen Gymnasien in diesem Districte, zumal betreffs der Qualification der Lehrer, so genaue Berichte vorgelegt werden wie die von N[agy] Körös. Auch sollten alle Mittelschulen und höheren Lehranstalten der Evangelischen gehalten sein, der Schulbehörde halbjährig erschöpfende Berichte über ihren Zustand vorzulegen, den Beginn des Schuljahres, den Termin der Prüfungen, den Erfolg im Unterrichte, die Klassification und jeden Wechsel in der Direction und den Personalstatus unter Androhung der Schließung der Schule im Falle der Weigerung oder wiederholter Versäumniße vorzulegen. Endlich, um auf eine Spezialität zu kommen, wäre es höchst wünschenswerth, die Streitigkeiten zwischen der hiesigen slavischen und deutschmagyarischen Gemeinde zum Abschluße zu bringen. Denn bis diese Frage betreffend des Mein und Dein nicht gelöst ist, kann hier in Pest wohl niemand eine große Lust verspüren, für das gemeinsame Gymnasium aus eignem Säckel beizusteuern. Man könnte diesen slavisch-magyarischen Knoten durchhauen, zu lösen wird er nie sein. Der Commissär Kubinyi hat die Sache nur noch mehr verwirrt. In Pest sollte vorerst ein Untergymnasium organisirt, später auch eine Unterrealschule errichtet werden. Untergymnasien könnten noch bestehen in Halas, Holdmezö-Vásárhely und Gyönk. Die übrigen mögen eingehen. Nur ist es etwas schwer, diese Scheingymnasien ganz aufzulösen und in bloße Volksschulen zu verwandeln, bevor das Gesetz über den Elementarunterricht erschienen ist. In Körös soll neben dem Gymnasium noch ein Schullehrerseminar errichtet werden.
Was unsern Geschäftsgang anbelangt, darüber mag ich gar nicht sprechen. Wir befinden uns in einer kläglichen Unordnung. Die Verordnung betreffend das Verbot gegen den Besuch unsrer Schulen von Katholischen, habe ich vorgestern zum ersten Mal zu Gesicht bekommen! Mit den Expeditionen geht es nicht besser. Da ich kein Amtssiegel habe und oft nicht warten darf, bis ein Stück die Revue passirt und expedirt wird, muß ich sehr häufig den Privatweg einschlagen. Das hat aber manche Inconvenienzen zur Folge. Nichts ist nothwendiger, als daß die Schulbehörde organisirt werde und, wo möglich, ein paar Abschreiber zu eigner Verfügung habe umso mehr, als sich die Geschäfte immer mehren. Auch ist es sehr unbequem, das Referat in Unterrichtsangelegenheiten zu führen, ohne auch die kirchlichen Angelegenheiten der Evangelischen zu referiren.
Am Schluße meiner ergebensten Mittheilungen kann ich nicht umhin, des Auftrages zu gedenken, welchen mir Euere Excellenz zu geben die Gnade hatten; obwohl ich immer verlegen bin, wenn ich dieser Angelegenheit gedenke. Ich würde es nicht verantworten können, Euerer Excellenz ein unbrauchbares Individuum aufgebürdet zu haben und muß offen gestehen, daß ich weder in Pest-Ofen noch im weiten Bereiche des Districtes bisher einen Mann gefunden habe, welcher mit der Kenntnis der Verhältnisse der evangelischen Kirche und Schule die Kenntnis der deutschen, magyarischen und slavischen Sprache verbindet und zugleich mäßige Ansprüche erhebt. Einige würden in Pest gerne dienen, scheuen aber den Aufenthalt in Wien. Die andern fühlen sich den an sie von Seite der höchsten Staatsbehörde zu stellenden Anforderungen nicht gewachsen. Wieder andre haben Familie und würden wohl jährliche 1.200 Gulden brauchen, um in der Residenz leben zu können. Calviner, die der deutschen und der slavischen Sprache gleich mächtig wären, gibt es in ganz Ungarn nicht. Endlich erlangt jeder Tüchtigere eine Professur mit der Besoldung von jährlichen 800–1.000 Gulden und die gesetzlichen Bestimmungen haben die Lehrerstellen am Gymnasium sehr annehmbar gemacht. Unter diesen Umständen weiß ich gegenwärtig keinen Rath, woher ein taugliches Individuum zu verschaffen wäre, vielleicht kommt der Zufall zu Hilfe.
Indem ich um Entschuldigung bitte, daß ich mich nicht kürzer gefaßt habe, verharre ich in tiefster Ehrfurcht und mit unbedingter Ergebenheit

Euerer Excellenz

unterthäniger Diener
Joh. Mikulás

Pest, am 16. Juli 1853