Der Schriftsteller Ferdinand Marckwort berichtet Leo Thun von seiner Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika und Kuba. Zunächst hatte er die Südstaaten der USA besucht und sich dort besonders über Handel und Sklaverei informiert. Anschließend ist er nach Kuba gereist, das ja auf Grund von kriegerischen Auseinandersetzungen mit den USA in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten war. Er glaubt, dass der Konflikt nur durch die Errichtung einer selbständigen Monarchie auf Kuba und Schutz derselben durch die europäischen Mächte gelöst werden könne. Er ist außerdem der Meinung, dass man durch die Förderung des monarchischen Elementes in Nord- und Südamerika auch die Ausbreitung der Demokratie verhindern könne. Marckwort berichtet dann, dass er vor kurzem nach Washington zurückgekehrt sei, wo er einige bedeutende Politiker der USA kennenlernen durfte. Allerdings äußert er seine Ansicht, dass die politische Klasse dort derzeit über keine echten Staatsmänner verfüge. Auch sieht er die Macht der Politiker bedenklich eingeschränkt und den Schritt zur gefährlichen Alleinherrschaft des Volks nah. Insgesamt äußert er sich kritisch zu der Entwicklung des politischen Systems der USA. Kritisch spricht er sich auch über die kriegerische Expansion des Landes aus. Am Ende zieht er sogar einen Vergleich zwischen Russland und den Vereinigen Staaten, die bei aller Verschiedenheit sich in vielen Punkten ähneln würden.
Hochgeehrtester Herr Minister!
Der lebhafte Wunsch mir auch in der Ferne das mir von Euer Excellenz bewiesene
Wohlwollen zu bewahren, läßt mich einigermaßen übersehn, daß die Blicke der
Staatsmänner jetzt ausschließlich auf den Osten gerichtet sind und daß der
Augenblick, wo sich die Geschicke großer Staaten vollziehn, kaum geeignet ist
den Lauf eines einfachen Individuums zu verfolgen. Vielleicht sind aber Euer
Excellenz eben des Kontrastes wegen nicht abgeneigt mir einen Augenblick hieher
nach Westen zu folgen, wo eben ein Land in jugendlicher Kraft – aber freilich
auch in jugendlichem Uebermuthe – ersteht, während der Osten nur den Anblick
eines dem Untergange verfallenen Reiches bietet. Von Euer Excellenz Gewogenheit
bin ich es übrigens überzeugt, daß Sie die Freiheit, die ich mir nehme, mich
Ihrem freundlichen Andenken zurückzurufen, einigermaßen mit Nachsicht betrachten
werden, sowie auch hoffe, daß diese Zeilen Sie, Herr Minister, in vollkommener
Gesundheit antreffen werden.
Nachdem ich hier mehrere Monate in einigen
Haupthandelsstädten die vorherrschende Thätigkeit und Richtung des Landes und in
Virginia und Südcarolina besonders das Institut der Sklaverei studirt und
darüber dem hohen Ministerium des Auswärtigen berichtet, bin ich im December
nach Cuba gegangen, indem ich glaubte, daß die
frühern Vorgänge dieser Insel eine hinlängliche politische Wichtigkeit gegeben
hätten, und daß diese für das monarchische Europa so bedeutungsvolle Frage bei
den bekannten Annectionsgelüsten Amerikas in Kurzem leicht die höchste
Aufmerksamkeit der Diplomatie, selbst neben der orientalischen Frage, in
Anspruch nehmen könnte. Kurz vor dem Black Warrior Konflikte, einer an sich
höchst einfachen Zollangelegenheit, aus der, wie es Euer Excellenz bekannt ist,
die Nordamerikaner einen casus belli zu machen suchen, hatte ich dem hohen
Ministerium einen ausführlichen Bericht über die ganze dortige Lage gesendet und
darin auch einige Gedanken über die etwaige friedliche Lösung der Frage
geäußert, die ich nämlich nur in der Errichtung einer selbständigen Monarchie
sehe, garantirt gegenüber Nordamerika und den wenig loyalen Creolen durch einen
Europäischen Kongreß. Die amerikanischen Zeitungen schreiben in diesem
Augenblick, wo Lord Elgins Anwesenheit
die Blicke auf Canada geleitet, der Königin von
England einen ähnlichen Plan in Bezug auf diese Kolonie zu – für den Augenblick
indessen wol ohne Grund. Monarchische Elemente sind in beiden Kolonien
allerdings hinlänglich vorhanden und das Gedeihen Brasiliens zeigt die Möglichkeit einer prosperirenden Monarchie
auch in Amerika, welches meiner Ansicht gar nicht so fatalistisch der Herrschaft
der Demokratie verfallen ist, wie einige maßgebende Publizisten, wie Herr von
Tocqueville etc., es in Europa
glauben zu machen suchen. Eine Monarchie im Süden und Norden der Union würde wie
Wasser auf Feuer wirken und zur Konsolidirung der sich dort bereits evident
genug bildenden aristokratischen Elemente und Neigungen wesentlich beitragen,
während bis jetzt die große Republik durch die Reaktionskraft des verwandten
Princips alle kleineren Republiken zu sich herüber neigen macht und auch die
Kolonien, wo durch die fortwährende Abwesenheit des Souverains und den steten
Wechsel des Gouverneurs nur ein Schatten von Monarchie wie in
Kanada oder ihre Karikatur wie in Cuba besteht – ihrerseits unheilsvoll influenzirt.
Im Monat
Februar fand sich Herr von
Hulsemann veranlaßt, dem hohen Ministerium den Antrag zu machen
mich bei der Legation in Washington zu attachiren und die
Entscheidung hierüber abzuwarten bin ich seit einiger Zeit hieher zurückgekehrt.
Durch die Güte desselben Herrn habe ich außer den meisten Mitgliedern des
diplomatischen Korps, dem Präsidenten und den Ministern, auch bereits mehrern
Senatoren wie den Oberst Benton, der
soeben Thirty years in the Senate1 herausgegeben, General Cash, den treibenden
[?] Mann, Sumner von Boston und
Nachfolger Websters sowie dessen
Hauptgegner S[tephen] Douglas,
Urheber der die Sklaverei ausdehnenden Nebraska-Bill kennengelernt. Euer
Excellenz zu versichern, daß die Qualität aller hiesigen Staatsmänner, selbst im
Vergleich zu einem Calhovn, Clay und Webster, eine sehr gesunkene ist, wäre überflüßig – aber gewiß
ist es ein schlimmes Zeichen, wenn bedeutende Männer absichtlich von der Politik
ausgeschlossen werden oder freiwillig sich davon entfernen und es scheint mir
dieses System der hiesigen Demokratie auf das geheime Bewußtsein zu deuten von
der Unmöglichkeit ihre Macht lange behaupten zu können. Diese Macht, die nach
der weisen Absicht der Väter eine beschränkte sein sollte, nähert sich stets
mehr einer absoluten und eine absolute Demokratie ist wol immer eine
despotische. Die Garantien, welche ursprünglich die Konstitution gegen the
excesses of popular power enthielt, werden stets mehr beseitigt und bald ist das
allmächtige Volk fertig, während die gebildeten, wohlhabenden Klassen mehr und
mehr legislatorisch und social herabgedrückt werden. Von einem allmächtigen
Volke zu einer allmächtigen Centralgewalt ist aber freilich nur ein
Schritt!
Unter den legislatorischen Veränderungen bezeichne ich besonders
die schrankenlose Ausdehnung des Stimmrechts, wodurch die Natur der
Staatenlegislaturen und somit auch die des von jenen gewählten Unionssenats
wesentlich verändert worden ist, die Wählbarkeit und Absetzbarkeit der Richter
durch das Volk – bis jetzt freilich auf die Staatenrichter beschränkt – und dann
die Ausdehnung der Sklaverei durch die soeben angenommene Bill – alles
Maßregeln, wodurch der Buchstabe und der Geist der Verfassung bedeutend alterirt
wird. Die letzte Maßregel betrachte ich indessen nur als die äußerste Logik
einer maßloswerdenden Demokratie, die sich noch nie bereitgefunden zu sich
herauf zu nivelliren. Die vorherrschende kommerzielle, egoistische Richtung hier
erklärt außerdem vollständig die Beibehaltung und Vermehrung der Sklaverei, die
bekanntlich ja auch in England nur durch die Bemühungen der Aristokratie
aufgehoben werden konnte. Die Politik der alten Konstitution und der ersten
Kongreße war Nichtintervention in den Sklavenstaaten und Ausschließung der
Sklaverei aus allen neuen Territorien – das junge Amerika aber verhöhnt bereits
diese Politik und heißt einen Washington, Franklin und Adams old
foggies.
Die großen Veränderungen, die auch in der Praxis vorgehn, sind
nicht weniger ominös. Die aggressive propagandistische auswärtige Politik, von
Jackson begonnen, wird
systematisch und brutal fortgesetzt. Auf der einen Seite ertönt überall der Ruf
nach Annection Cubas, Canadas, Mexicos, etc. und
seeräuberische Expeditionen werden unter den Augen der Behörden ausgerüstet,
andererseits tritt General Cash, der besondere Freund des Präsidenten, mit der
Forderung auf, daß den A[merikanischen] Bürgern im Auslande ihre religiösen
Rechte auf diplomatischem Wege gesichert werden sollen.
Eine Hauptabsicht
der Konstitution, nämlich zu beweisen, daß die Duldung aller Sekten nicht zur
Gleichgültigkeit führe, erscheint mir bereits gänzlich verfehlt, indem auf 21
Millionen nur 8 Millionen als zu einer bestimmten Kirche gehörig vorkommen.
Durch das Freischulensystem mit Ausschluß des Religionsunterrichts wird die
folgende Generation nicht allein eine souveraine, sondern auch eine
nationalistische Demokratie werden, deren Unmöglichkeit die Geschichte beweist.
Die erwähnte Duldung besteht allerdings für alle Sekten, selbst die Mormonen und
Spiritualisten, nur nicht für die Katholiken, welche social wenigstens verfolgt
werden. Zu den neuen Prätentionen gehören besonders noch die Repräsentanten zu
Votivmaschinen und alle Beamte direkt wählen zu wollen sowie Vertheilung alles
disponiblen Landes an Nichtbesitzende.
Wie ich nirgends mehr Unzufriedenheit
gesehen habe als hier, so habe ich auch in keiner Hauptstadt, selbst in
London nicht, so viel von Camarilla und Patronage
gehört als in Washington. The Spoils to the Victor hat es
beim Antritt des Präsidenten geheißen, sodaß gemäß dieser Praxis die Stellen nur
der siegenden Parthei, zum Nachtheil des Staates, anheimfallen. Der materielle
Nothstand hier ist auch jedenfalls ein zu schneller, um solide zu sein, und
frühere Krisen möchten sich leicht wiederholen mit zahlreichem individuellen
Unglück. Nordamerika ist aber auch weniger mächtig, als es scheint und
Selbstüberschätzung hier ebenso charakteristisch wie in Rußland, welches überhaupt viel Parallelen mit Amerika bietet,
wie denselben kaufmännischen fast jüdischen Geist und somit Mangel an
Anhänglichkeit für Haus und Hof; dasselbe ausschließliche Streben nach Erfolg;
denselben höchst praktischen, nicht spekulativen, unphilosophischen Geist;
denselben Mangel an Romantik, weil ohne Mittelalter; dieselbe Verachtung des
Lebens; dieselbe Geringschätzung des Auslandes; dieselbe Apotheose ihrer
respectiven Staatsformen und Maximen; dieselbe oberflächliche journalistische
Richtung der Literatur – soweit dieses in Rußland möglich; dieselbe Eitelkeit ohne Stolz; dieselbe
Feindschaft gegen den Katholizismus und vor allem die Identität der Sklaverei,
in Rußland freilich ein zu lösendes Problem
hier aber eine Frage von Sein oder Auflösung!
Verzeihen Ew. Excellenz die
Länge und Unförmlichkeit dieses Schreibens und genehmigen Sie schließlich die
Versicherung, daß ich bei längerem Aufenthalte mich glücklich schätzen würde,
Ihnen in irgendeiner Weise angenehm sein zu können.
Ich habe die Ehre, mit
dem tiefsten Respekt zu verharren, hochgeehrtester Herr Minister,
Euer Excellenz
unterthänigster Diener
F. Marckwort
Washington, 27. Juni 1854
(Adr. Herr von Hulsemann)