Der Professor für Philosophie Hermann Leonhardi empfiehlt den Mannheimer Naturforscher Karl Friedrich Schimper für eine Professur in Österreich und begründet diesen Vorschlag ausführlich. Schimper sei als Begründer der biologisch morphologischen Richtung der Naturforschung geeignet, den auszubildenden Lehrern eine Auffassung der Natur zu vermitteln, die nicht rein mechanistisch und materialistisch sei. Schimper sei außerdem nicht nur eine wissenschaftliche Kapazität, sondern wisse seine Kenntnisse auch klug zu vermitteln, was seine Physica pauperum beweise. Der beste Ort für Schimpers Wirken wäre Prag, denn dort könnte er mit ihm selbst zusammenarbeiten. Die Berufung Schimpers und damit auch die Neuausrichtung der Kanzel für Naturgeschichte könnte auch für die Studenten der Medizin nicht nur vom wissenschaftlichen, sondern vor allem von einem ethischen Standpunkt förderlich sein. Schimper könnte als ehemaliger Theologe damit auch zum Bindeglied zwischen den auseinanderstrebenden historisch-philologischen und den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern der philosophischen Fakultät avancieren. Dass er dazu fähig sei, beweise der illustre Kreis seiner Zuhörer in München in den 1820er und 1830er Jahren. Die Größe von Schimper zeige sich auch in seinen berühmten Schülern. Dass Schimper bisher keine Professur erhalten hat, erklärt Leonhardi vor allem mit dem Neid und der Kleingeisterei seiner Kollegen. Allerdings müsse man eilig handeln, da derzeit mehrere Professuren in Baden verwaist seien, so dass eine Berufung von Schimper auf eine derselben möglich sei.
Das Promemoria war ursprünglich wohl dem Brief von Hermann Leonhardi an Leo Thun. Prag, 7. März 1855, beigelegt. Bei der Ordnung des Nachlasses wurde es wahrscheinlich als eigenständiges Schreiben gedeutet und daher fälschlicherweise unter einer eigenen Signatur abgelegt.
Hochgeborner Graf!
Dr. phil.
Karl
Schimper aus Mannheim
– (nicht zu
verwechseln mit dem abessinischen Reisenden und
Statthalter in Ubis, seinem Bruder, noch mit dem Preßburger Professor der Geologie
und Botanik, seinem Vetter) – der berühmte Gründer der neuen
biologisch morphologischen Richtung der Naturforschung, insbesondre
auch der Botanik, ist der einzig lebende Mann, der geeignet ist,
nicht nur wie sein berühmter botanischer Mitforscher Professor
Alexander Braun in Berlin
für Botanik, sondern zugleich für Physik und für die gesammte
Naturwissenschaft Schüler zu bilden in dieser neuen, bessern, dem
geistig-ethischen und religiösen, sowie dem darauf zu stützenden pädagogischen
Interesse harmonischen, Richtung.
Wenn es, wie nicht zu
zweifeln, die Absicht des hohen k.k. Unterrichtsministeriums ist, den Realschul-
und Gymnasiallehrern der Naturwissenschaften im Kaiserstaate nicht
bloß eine geeignete Anleitung geben zu lassen in
der, heute noch vorherrschenden, abstrakt-mechanischen, meist zugleich
materialistischen, gegen das Geistige wenn nicht feindlichen, doch meist
gleichgültigen Naturgelehrsamkeit – wozu, aber zu nichts
Mehrem, die bisher bestehenden praktischen naturwissenschaftlichen
Kurse für Lehramtskandidaten ausreichen –; sondern wenn zugleich die Absicht
ist, dafür Sorge zu tragen, daß die künftigen Lehrer auch über die Einseitigkeit
dieser Moderichtung und über die so leicht sich dazu gesellende
himmelstürmerische Einbildung hinausgebracht und von der
Geltung noch anderer als der materiellen Interessen und dessen was menschlicher
Eitelkeit schmeichelt, wissenschaftlich und zwar vom
naturwissenschaftlichen Boden selbst aus überzeugt werden, so ist
Karl
Schimper
ein für Oesterreich, der durch
eine zeitgemäße Höherbildung des Universitätswesens im Geiste der Einen
Wissenschaft ganz Deutschland
voranzuleuchten berufen scheint, unentbehrlicher Mann.
Seine Physica pauperum, eine Anleitung zum Studium
der Naturgesetze und Kräfte auch ohne kostspielige künstliche Apparate, zumeist
mit Benutzung der von der Natur selbst auf Weg und Steg eingerichteten
Beobachtungsgelegenheiten und -mittel, – zugleich eine Wiederanknüpfung der
heutigen abstrakten Physik an die ursprünglichere Forschungsmethode der alten
Griechen, welche die Grundlage und das befruchtende Element des messenden
Versuches zu bleiben hat, ist unter andern eine hier besonders erwähnenswerthe
in wissenschaftlicher und pädagogischer Hinsicht höchst wichtige neue Leistung.
Der geeignete Ort der Wirksamkeit für diesen in seiner
Art einzigen Mann wäre
Prag
. Ich gehe hiebei von der Voraussetzung aus, daß die philosophische
Pflanzschule, deren von mir früher entworfene Plan von Euer Excellenz
wohlgefällig aufgenommen wurde, – nachdem hinreichend lebensfähige Keime
derselben sich inzwischen herangebildet haben, nunmehr alsbald durch Euer
Hochgeboren schöpferisches Wort gleichfalls hier in Prag
förmlich ins Leben gerufen
werden wird.
Es gälte also zunächst der Wiederbesetzung
der, vor anderthalb Jahren einstweilen aufgelassenen, Professur
der allgemeinen Naturgeschichte und zwar im Sinne der bezeichneten höheren
und mit andern Forschungsgebieten harmonischen Naturerfassung – eine
Maßregel, die sich dazu noch auch ganz besonders mit Rücksicht auf Pflege des geistig-ethischen Interesses unter den Studierenden der Medizin
empfiehlt, wie ich bereits vor einiger Zeit so frei war, dem Herrn
Unterstaatssekretär
brieflich auszusprechen und zwar unter Anführung mehrerer erfreulicher Erfolge,
die schon ich mit meiner verhältnismäßig geringen Kenntnis der
biologisch-morphologischen Methode an, die Prager Universität besuchenden, von auswärtigen Professoren mir
empfohlenen, ausländischen Doktoren der Medizin gehabt habe. Ich kann
hinzufügen, daß diese Wiederbesetzung, wie ich mich inzwischen zu überzeugen
Gelegenheit hatte, selbst als ein naturwissenschaftliches und allgemeines
Bildungsbedürfnis bereits von den urtheilsfähigeren Lehrern einzelner
naturwissenschaftlicher Fächer empfunden wird.
Indem Karl Schimper, ursprünglich
evangelisch theologischen Studiums und diesem nur durch seinen angebornen
Naturforscherberuf entzogen, ein Mann gründlicher klassischer und literarischer
Bildung, wie sie jetzt selten sind, überhaupt ein Mann von dem umfassendsten
wissenschaftlichen Interesse und Überblick ist, eignet er sich
auch besonders ein, für einheitlichere Erfassung der Einzelwissenschaften
günstiges, Mittelglied zu bilden zwischen zwei, sich gewöhnlich
abstoßenden, Elementen der philosophischen Fakultät, dem
historisch-philologischen und dem mathematisch-naturwissenschaftlichen; wie dieß
die rege Theilnahme berühmter Professoren verschiedener Fächer, zugleich mit
strebenden Jünglingen, Künstlern, Beamten, Militärs, an seinen (im Ganzen
während eilf Jahren) zu München gehaltenen Lehrkursen
beweist.
Schelling, Thiersch, Oken,
Döllinger, Schubert, Martius, Zuckarini, Herrmann, Förster, Maßmann
und andere waren zu Ende der zwanziger und
Anfang der dreißiger Jahre seine regelmäßigen Zuhörer. Die gemeinsame Wohnung
der damaligen Studenten und jungen Doktoren: Karl Schimper, Alexander Braun und Agassiz, die daselbst mit dem Vortrage neuer
Ansichten und Entdeckungen wechselten, wurden mit ihren Bewohnern von jenen sie
besuchenden Münchner Akademikern „die kleine Akademie“ genannt, „bei der die
große in die Schule geht“. Aus jener Zeit stammen unter Andern als Schüler Schimpers
die, in der biologisch-morphologischen Richtung fortarbeitenden, dermaligen
Professoren der Botanik:
Wydler
in Bern,
Sendtner
in München,
Schnitzlein
in Erlangen.
Wie Dr.
Schimper vor dritthalb Jahren die Versammlung der
deutschen Naturforscher zu Wiesbaden mit ganzen
Reihen neuer wichtiger, sowohl botanischer als physikalischer, Beobachtungen
aus bisher brachgelegenen Gebieten dieser Wissenschaften überraschte,
so hat sich sein vielseitig und mächtig anregender Geist allerneustens auch
wieder in
Jena
bewährt, wohin er sich
vor etwa dreiviertel Jahren in einer wissenschaftlichen Angelegenheit,
unterstützt vom Prinz Regenten von
Baden, begab und wo ihn noch das Interesse verweilen läßt, das
die dortige wissenschaftliche Welt an seinen naturwissenschaftlichen Forschungen
im allgemeinen und an seinen Bereicherungen der physischen Kenntnis der dortigen
Gegend insbesondre nimmt. Von verschiedenen Ehrenbezeugungen, die ihm dort zu
Theil wurden, erwähne ich nur die Übergabe einer nach einem Daguerrotyp
gefertigten Zeichnung, ihn selbst darstellend vor seiner zahlreichen und
gelehrten Jenaer Zuhörerschaft.
Dr.
Karl Schimper, ordentliches Mitglied der
leopoldinisch-carolinischen Akademie der Naturforscher und von den
Naturforschern aller Länder aufgesucht, vermochte bisher in seinem
engeren Vaterlande Baden
, dessen physischer
Erforschung er seit einer Reihe von Jahren mit besondrer Vorliebe oblag, keine
entsprechende Lehrstelle zu erlangen. Hauptsächlich weil er den kleineren
Geistern unter den Fachgenossen, die die Natur entweder zumeist nach Büchern
studieren, oder die bei jedem persönlichen Zusammentreffen mit ihm durch seine,
anerkanntermaßen außerordentliche – einseitigen Theorien gefährliche –
Beobachtungsgabe sich stets von neuem beschämt fanden, – als ein zu
unwillkommener Sauerteig erschien.
Nur ein Jahrgeld zur Aufmunterung seiner
Forschungen ward ihm von der badischen Regierung.
Seine dortigen Aussichten
dürften sich aber jetzt gebessert haben und die Abneigung badnischer
Zunftgelehrter ihm nicht lange mehr mit Erfolg entgegenwirken.
Es sind
nämlich augenblicklich drei Professuren in Baden erledigt, die sich für
Dr. Schimper eignen:
durch Bischoff’s Tod die
Professur der Botanik in Heidelberg, wo in den letzten Wochen auch der talentvolle
Privatdozent Dr. Höfle gestorben
ist; die gleiche Professur in Freiburg durch den nun beschlossenen Abgang Nägeli’s nach Zürich, und gleichfalls in Freiburg durch Frommherz Tod die geologische
Professur.
Dazu kommt, daß Professor
Schleiden
in Jena, der die biologisch-morphologische
Richtung solange unterschätzte, als er sie nicht näher kannte, nunmehr im
persönlichen Verkehr mit Dr.
Schimper eines Besseren belehrt, – als er kürzlich von Baden aus
um Empfehlung eines Botanikers für Heidelberg angegangen wurde, nicht auf irgend einen Andern,
sondern auf den bisher dort verschmähten Dr. Karl Schimper hinwies.
Auch von theologischer Seite interessiert man sich in
Heidelberg, wie ich direkt
weiß, für Schimpers
Anstellung an dortiger Universität. Verwirklicht sich diese, so
wird Schimper’s Berufung
nach Österreich sicher weit
bedeutendere Auslagen erfordern, als mit welchen sie dermalen noch möglich
ist, wo ihn wohl der systemisirte Gehalt eines Ordinarius befriedigen
würde.
Hiemit glaube ich Euer Hochgeboren hinreichende Gründe für eine
baldige Berufung Dr. Karl
Schimpers nach Oesterreich
und zwar an hiesige Universität dargelegt zu haben. Auch glaube ich nachgewiesen
zu haben, daß wenn dieser geniale Naturforscher und ausgezeichnete Lehrer ohne
größere Opfer für den Kaiserstaat gewonnen werden soll, bereits periculum in
mora ist.
Sehr geehrt würde ich mich fühlen, wenn Hochdieselben meiner
freimüthigen Darstellung Berücksichtigung zu Theil werden ließen, und vielleicht
mich selbst zu beauftragen geruthen, mit Herrn Dr. Schimper behufs seiner
möglichen Berufung an hiesige
Universität eine vorläufige Korrespondenz zu
eröffnen.
Genehmigen Euer Excellenz die Versicherung der ausgezeichneten
Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu zeichnen als
Euer Hochgeboren gehorsamst ergebenster
Dr. Hermann Frh. Leonhardi
k.k.
Professor
Prag, 8. März 1855