Der Gymnasiallehrer Josef Krauss bittet um eine außerordentliche
Professur für klassische Philologie an der Universität Wien: Er will
seine Fähigkeiten ganz in den Dienst Österreichs stellen und ist zum
sofortigen Eintritt bereit. Er betont außerdem, nicht an einer
protestantischen Universität wirken zu wollen, da dies seinen
Grundsätzen als Katholik widerspräche.
Im beiliegenden Promemoria
setzt Krauss seine Ansichten zu den wichtigsten Aufgaben einer
zeitgemäßen Philologie in Österreich auseinander. Eine solche Philologie
müsse sich demnach auf der Grundlage der norddeutschen Philologie
eigenständig entwickeln. Dabei sollte sie die historisch-kritische
Methode anwenden und gleichzeitig dazu beitragen, Österreich zu einer
antirevolutionären Macht zu etablieren. Die Philologie sollte das
gesamte geistige Leben der Monarchie positiv beeinflussen. Krauss selbst
war Schüler der bekannten Philologen Gottfried Hermann in Leipzig und
Friedrich Ritschl in Bonn und möchte deren kritisch-grammatische
Richtung der Philologie nun auch in Österreich etablieren. Nach der
Ansicht von Krauss muss es nämlich das vorrangige Ziel sein, den
zukünftigen Gymnasiallehrern eine solide Ausbildung in der Grammatik zu
bieten. Abschließend schildert Krauss seinen beruflichen Werdegang. Als
Erklärung für seine Entscheidung, anstelle der universitären Laufbahn
jene des Gymnasiallehrers eingeschlagen zu haben, nennt er private
Gründe. Er hofft jedoch, in Österreich nun die Möglichkeit zu bekommen,
an einer Universität wirken zu können.
Kaiserliches Königliches Hohes Ministerium des Cultus!
Der unterzeichnete Dr. Joseph Krauss in Bonn bittet unterthänigst um eine außerordentliche Professur der klassischen Litteratur an der Universität Wien.
Da bei der Reorganisation der Universität
Wien die kritisch-grammatische Seite der Philologie, von der ganz
vorzüglich die Blüthe der Gymnasien abhängt, bis jetzt durch keine geeignete
Persönlichkeit vertreten ist, so bitte ich ganz unterthänigst um eine
außerordentliche Professur der klassischen Litteratur an derselben Universität unter Hinweisung auf die im
anliegenden Promemoria in den flüchtigsten
Skizzen entworfenen Grundsätze.
Griechische und römische Dichter, antike
Metrik, griechische und lateinische Grammatik, Encyklopädie, Kritik und
Hermeneutik würden hauptsächlich den Kreis meiner Vorlesungen ausmachen.
Zum
sofortigen Eintritt bereit ist es mein sehnlichster Wunsch, dem Kaiserstaate und dem katholischen
Deutschlande meine Kräfte zu weihen und für das hohe Ziel
beider keine Mühe und Arbeit zu scheuen; auf einer protestantischen Universität
zu wirken entspricht nicht meinen Grundsätzen als Katholik.
Indem ich um die
möglichst schnelle Entscheidung meines Wunsches unterthänigst bitte, bin ich
Eines hohen Ministeriums
unterthänigster
Dr. J. Krauss
Hünfeld in Kurhessen, den 14. Oktober 1851
Unterthänigstes Promemoria zum Gesuche des Dr. phil. Joseph Krauss in Bonn um eine außerordentliche Professur der klassischen Litteratur an der Universität Wien
Wenn ich, ein Unbekannter, es wage, Euer Excellenz mein Anliegen vorzutragen,
so bewegt mich dazu einerseits der Wunsch, mir selbst eine passende Laufbahn
für die Zukunft zu eröffnen, andererseits aber die zuversichtliche Hoffnung,
durch Vereinigung der mir verliehenen Kraft mit den zu erwartenden
Leistungen anderer es zu bewerkstelligen, daß im Laufe einiger Dezennien
Österreich eine philologische
Wissenschaft aufweisen kann, wie es seiner hohen Stellung würdig und für die
zukünftige Aufgabe des Kaiserstaates unumgänglich nötig ist. Um diese
Aufgabe näher zu bestimmen, erlaube ich mir Hochdenselben meine Ansicht
hierüber in gedrängter Kürze vorzulegen.
Die zu schaffende
österreichische Philologie muß meiner Einsicht nach ein zwiefaches Ziel
haben:
1. muß sie die Vorzüge der norddeutschen philologischen
Wissenschaft so in sich vereinigen, daß sie auf derselben sicheren Basis der
Kritik ruhend, mit derselben Schärfe gehandhabt, nach Ausscheidung der
absolut feindlichen Elemente – der Halbheit und Willkür – sich eine
selbstständige unüberwindliche Stellung erwerbe.
2. aber muß sie, von
jener gänzlich verschieden, dahin ihre Anstrengungen richten, daß sie auf
soliden positiv-kritischen Grundlagen ruhend Hand in Hand gehe mit der von
mir als Österreichs zukünftige Aufgabe
betrachteten antirevolutionären Richtung in staatlicher wie in kirchlicher
Entwickelung und zugleich diese aufs eifrigste fördere.
Daß diese beiden
Punkte das Ziel einer wahrhaft gesunden Philologie sind, die zugleich auf
das gesammte Geistesleben, auf alle Zweige der historischen Wissenschaft
belebend und erhaltend wirkt, werden Euer Excellenz nach Ihrer hohen
vielfach bewiesenen Einsicht am klarsten verstehn. Es ist dieses nichts
Unerhörtes und Neues, sondern vielmehr eine offene Wahrheit, für welche die
erste Hälfte unseres Jahrhunderts ein Tausendfaches unsterbliches Zeugnis
gibt.
Als am Ende des vorigen Jahrhunderts die Seichtigkeit und
Plattheit französischer Philosophen alle Zweige der historischen
Wissenschaft dergestalt unterwühlt hatte, daß an einer Heilung gradezu
verzweifelte, war es der große Philolog Gottfried Hermann in Leipzig, der zuerst und vor allem auf die Quellen der
Überlieferung hinwies, die Wahrheit vom Truge wieder unterscheiden lehrte
und beim Mangel unbedingter Evidenz auf die Grade der Probabilität
aufmerksam machte, der an grammatisch-kritischen Stoffen die Denkkraft
seiner Schüler übend, sie mit scharfem Urteile und einfacher Präzision den
Sinn der Classiker zu ergründen lehrte, und indem er ihnen so Schritt für
Schritt das Alterthum erschloß, sie – um es mit einem Worte zu sagen – fähig
machte productiv zu werden. Unsterblich sind Hermanns Verdienste nicht allein um
die Philologie, sondern um jede Wissenschaft, die mehr oder weniger mit ihr
in Verbindung steht; durch ganz Europa erscholl der Ruf
der Leipziger Schule, und jeder Philolog, jeder Schulmann von einigem Namen
hat seine Disciplin genossen. Aber nicht jeder seiner Schüler hatte wiederum
didaktisches Talent, nicht jeder derselben ist befähigt gewesen eine Schule
zu gründen; nur einer ist es, der die Vorzüge der Hermannschen Schule zusammenfassend,
ihre Mängel, denn auch von ihnen war Hermann nicht frei, ausgleichend den philologischen Ruhm von
Leipzig nach dem Rheine verpflanzte, es ist der
erste Meister in seinem Fache, - Friedrich Ritschl. Und wie die Blüthe der sächsischen und
preußischen Gymnasien auf Hermann zurückfällt, so ist es jetzt Ritschl, der jährlich
zahlreiche und wohlgereifte Jünglinge aus seiner Schule entläßt, auf daß sie
segensreich wirken, wo immer die Vorsehung sie hinführt. Aber solch tüchtige
Gymnasiallehrer können auch nur in einer Schule gebildet werden, die man
nach ihrer Richtung eine kritisch-grammatische zu nennen pflegt. Nicht
scharf genug kann ich diese Wahrheit hervorheben. Schon zu Hermanns Zeiten und noch heute sitzen
auf den Lehrstühlen der deutschen Universitäten ausgezeichnete Philologen:
Böckh in Berlin, Lobeck in Königsberg, Bernhardy in Halle, K[arl] Friedr[ich] Hermann in
Göttingen, aber die
Schüler, die sie bilden, ohne ihnen im Entferntesten die Tüchtigkeit
absprechen zu wollen, sind doch keineswegs diejenigen, welche die Blüthe der
Gymnasien begründen, die Masse der Einzelheiten, die Fülle der Erudition
sind mehr oder weniger das Ziel der Meister wie ihrer Jünger. Aber da die
Gymnasialbildung nicht Vielwisserei bezweckt, sondern Festigkeit im
Einzelnen, und da die klassischen Studien, welche immer den Mittelpunkt des
Gymnasiallebens bilden werden, vorzüglich auf der sicheren Kenntnis der
Grammatik beruhn, so ist es klar, daß nur ein Gymnasiallehrer, der eine
tüchtige kritisch-gammatische Schule durchgemacht hat, in dieser Hinsicht
allen Erfordernissen entsprechen kann, nur ein solcher kann Leben in die an
sich trockene Materie bringen, Freude an dem spröden Stoff erwecken, und
indem er den Schülern zeigt, daß klares Denken die Grundbedingung aller
Wissenschaft ist, beseitigt er auf die einfachste Art alle Ungewißheit und
Halbheit, allen Dünkel. Gleichwohl ist es nicht meine Ansicht, als müßten
alle Gymnasiallehrer in diesem Sinne ausgebildet werden und wirken, die
ausschließliche Herrschaft dieser Richtung würde schädlich sein, auch der
Stoff hat sein Recht, vielmehr geht meine Ansicht dahin, und die Erfahrung
hat sie bestätigt, daß ein Gymnasiallehrer in dieser
kritisch-grammatischen Richtung erzogen einer Schule
genügt, um Geist, Form und Stoff ins gehörige Gleichgewicht zu bringen; und
zur Heranbildung methodisch tüchtiger Lehrer muß eine Universität zum
wenigsten einen Professor aufweisen können, der seine
Richtung mit Gründlichkeit und Schärfe vertritt, der im vollen Besitze der
Methode ist, die man sich heutzutage einzig und allein in
Bonn
erwerben
kann.1
Erfüllt er dann auch den zweiten Punkt, bildet er
Jünglinge heran, welche ihre geistigen Waffen nicht den revolutionären
Dämonen, dem Atheismus und Skepticismus leihen, nicht in blinder
Zerstörungswuth die geheiligten Überlieferungen zertrümmern, sondern
vielmehr ihre historischen und philologischen Kenntnisse dem christlichen
Staate und dem christlichen Glauben zu Diensten stellen und den Endzweck
ihres Wissens darein setzen Träger, des Christenthums zu sein, dann wird
nicht, wie es in Norddeutschland der Fall ist, ein offener und unheilbarer
Riß entstehn zwischen Gelehrsamkeit und Volkssitte, zwischen Wissenschaft
und Glauben, es wird eine Einheit und Harmonie entstehn, die der Segen des
Himmels begleitet.
Daß aber diese Richtung in Österreich bisher sehr wenige Garantien für sich habe, daß
die aus dem nicht-österreichischen Deutschland dazu
berufenen Kräfte zum Theil ungenügend, weil abgelebt, zum Theil im
Gegensatze wirksam sind, ist eine Beobachtung, die sich jedem draußen
Stehenden und Sachverständigen leider gar bald aufdrängt. Sollten daher Euer
Excellenz geneigt sein, zur Anstrebung jener herrlichen Aufgabe die so
nötigen frischen Kräfte in Anspruch zu nehmen, so glaubt der Unterzeichnete,
sei es allein, sei es im Bunde mit Gleichgesinnten, ein nicht zu
verachtendes Scherflein beitragen zu können. Daß er den strengen
Anforderungen der heutigen Wissenschaft völlig gewachsen ist, beweisen die
beiliegenden Zeugnisse seines unvergeßlichen Lehrers.2 Über den bisherigen Gang seiner
Studien erlaubt er sich nachfolgende Notizzen anzuführen.
Kurz nach
Ostern des Jahres 1847 begab ich mich mit dem Zeugnisse der Reife auf die
Universität Marburg, wo
namentlich Prof. Bergk, ein
tüchtiger Schüler Gottfried
Hermanns die Hauptseiten der Philologie vertritt. Aber
obschon Bergk selbst im Besitze
einer tüchtigen Methode ist, so vermag er doch keineswegs seine Schüler
ebenfalls methodisch heranzubilden, statt selbstständiger Forschung herrscht
daselbst eine geistlose Compilation weitschüssiger Commentare. Auf Bergks eigenen Rath wanderte ich daher zu
dem ersten Philologen unserer Zeit, zu Friedrich Ritschl in Bonn. Hier wurde mir der ungeheure
Unterschied klar zwischen den früheren Collegien und denen, wo man das Beste
gibt, was die Wissenschaft bisher zu leisten im Stande war; hier erst lernte
ich den Weg der Forschung, den Weg, wie ich selber dahin gelangen konnte, wo
ich andere seither bewundert hatte. Im philologischen Seminar, wo Ritschl sein Haupttalent
entfaltete, war ich drei Jahre hindurch ordentliches Mitglied und leitete
schon im letzten Jahre als Senior desselben die Übungen. Aber weit mehr noch
als alles dies nützte mir das freundschaftliche Verhältnis, der persönliche
Umgang mit meinem Lehrer, täglich und stündlich konnte ich bei ihm sein und
in seine geistige Werkstätte schauen. Daher kam es auch, daß ich mich auf
dieselben Fächer warf, die er vertritt, und dasselbe Feld bebauen werde, auf
welchem er so glänzendes geleistet hat. Am Ende meiner akademischen Laufbahn
schrieb ich als Doktordissertation: Quaestiones Terentianae criticae3, welche im Druck erschienen und von der
philosophischen Fakultät recensirt wurden: docte, subtiliter atque
eleganter, und machte mein Doktorexamen magna cum laude.
Leider
gestatteten es aber meine häuslichen Verhältnisse nicht als Docent auf einer
Universität mich niederzulassen, mit schwerem Herzen gab Ritschl selber seine
Zustimmung dazu, daß ich das Preußische Oberlehrerexamen machte und am
Gymnasium in Bonn Beschäftigung erhielt, wo ich mich
bis jetzt befinde. Den persönlichen Umgang mit meinem Lehrer konnte ich
jetzt umso mehr fortsetzen, als ich ihn bei seinen Untersuchungen wesentlich
unterstützen konnte. Es reiften mir so unter der Hand zwei neue Abhandlungen
ebenfalls über den Terenz, die nächstens in den philologischen Zeitschriften
erscheinen werden. Seit einem Jahre ungefähr ist mir die Ausbildung Seiner
Durchlaucht des Prinzen Theodor von
Thurn und Taxis übertragen, die ich auch im künftigen
Semester fortsetzen werde, bis eine höhere Pflicht mich abruft.
Dr. Joseph Krauss