Der Kunsthistoriker Johann Kreutz möchte sich an den Planungen der Votivkirche beteiligen und mit seinen Überlegungen zum Kirchenbau zum Erfolg dieses Projekts beitragen. Kreutz hat sich seit Jahren mit dem Markusdom in Venedig beschäftigt und bereitet derzeit ein Manuskript über den Dom zum Druck vor. Die Beschäftigung mit dem Markusdom hat ihn zu allgemeinen Fragen der Architektur und zur Frage der Rolle der Architektur geführt. Sein Anliegen ist es nun, einen zeitgemäßen Baustil zu entwickeln, der sowohl die Kunstgeschichte und die Geschichte der katholischen Kirche, als auch die aktuellen Ansichten der Philosophie und den Anspruch der Kirche reflektiere und zum Ausdruck bringe. Er bittet Thun daher um Erlaubnis, seine Ansichten darüber noch weiter und ausführlicher klarlegen und ihm ein Modell für den geplanten Kirchenbau in Wien zusenden zu dürfen. Sollte sein Vorschlag beim geplanten Kirchenbau nicht berücksichtigt werden, so bittet er, dass Thun sein Schreiben mit dem Modell an ihn zurücksende.
Eure Excellenz!
Entschuldigen, daß ich mit vorliegenden Zeilen mir erlaube, Hochdero fördernde
Kunstliebe in Anspruch zu nehmen.
Schon bei Bekanntmachung, daß zur
Verewigung der glücklichen Rettung Seiner k.
Majestät eine Kirche und dieselbe im gothischen Styl erbaut
werden soll, war ich entschlossen, Eurer Excellenz eine Ansicht über den
Kirchenbau, die ich jahrelang gepflegt und ausgebildet, mitzutheilen, doch
Mangel an Zeit (denn ich schreibe diese Zeilen, während ich mit einem Theil der
nun im Druck erscheinenden Fortsetzung der Markuskirche1 beschäftigt bin) und eine gewiße
Ängstlichkeit hielten mich stets davon ab.
In Bezug der Letzteren wissen
Eure Excellenz zu gewiß, daß es Gedanken giebt, die, um im Gewande der Formung
ihren vollkommensten Ausdruck zu gewinnen, bis auf die letzte Gränze an
durchdacht und dargestellt werden müssen, hierdurch erst richtig durchgebildet,
aber zur Gewöhnlichkeit etwas sonderbar, ja heterogen erscheinen.
Dies ist
der Fall umso gewisser in der Frage, wie soll man Kirchen bauen, wenn die
Beantwortung nicht wie bisher in verbrauchter Weise bloß vorzeitlicher Formungen
unerreichbar bleiben sollte.
Liegt es ja in der Möglichkeit, hierin eine
Norm aufzustellen, so kann dieselbe, indem es sich hierbei absolut nicht von
einer in der Zeit werdenden Reife technischer Ausbildung, sondern direckt um
Erfassung, Aufstellung eines Gedankens handelt, nur in gänzlich
entgegengesetzter Bahn als einer bisher gepflogenen Nachahmung
geschehen.
Nach mehreren Jahren in der Zeit der Anfertigung meiner
Zeichnungen aus der Markuskirche2, im Bestreben,
die Gesetze im Grunde ihrer Tendenz zu erfassen, welche das Ganze in der
Ausbildung der Bauform und deren dekorationellem Schmucke überwalten, ward
natürlicher Weise in meinem Geiste und Gemüthe besondere Hinneigung zu
Kunstwerken, die der Religion dienen, vorherrschend.
Dieses und die
unaustilgbare Originalität bei wahrhafter Kunstbestrebung ward Ursache, daß in
mir ein Gedanke mit erkeimte und ich mich unvermuthet in das Labyrinth, in
welchem Styl man Kirchen bauen soll, hineingezogen fand und seit 8 Jahren in
allen meinen freien Stunden mit ernstem Eifer eine Lösung dieser Frage zu
fördern suchte.
Mein Bestreben, wie schon bemerkt, war kein Bemühen, wie
sich ein zu fertigender Bau in einer oder andern Art des Styls wohl
kunstgefälliger, jedoch stets im gewöhnlichen Geleise herumdrehend darstelle,
sondern wie in Reflection zur Kunstgeschichte im Geiste des religiösen Kultus
und der Denkweise gegenwärtiger Philosophie sich beweisen ließe, wie zufolge der
Tendenz, welche die Kirche representirt, der Bau derselben in richtig und
einfachster Weise auszubilden sei, sonach in direckter Folgerung eines
Bautheiles aus und für den andern bei strengster Consequenz zur Tendenz ein
innigst verbunden abgeschloßenes Ganzes errungen werden könnte.
Die
Veröffentlichung eines solchen Programms könnte das beengte unstette Bestreben
bei Projecktionen für den Kirchenbau beenden und der Kunst einen weit
umfangreicheren Wirkungskreis und herrlicheren Impuls darbiethen.
Ist es
gleich für mich noch nicht an der Zeit, acktiv hierbei mitwirken zu können, so
wünsche ich doch innigst, Eurer Excellenz klaren Beurtheilung meine Ansicht
hierfür zu unterbreiten und bitte mir Hochdero Erlaubnis schriftlich hierüber
zukommen zu lassen.
Insoferne dann Eure Excellenz meinen Gedanken zu den
Kirchenbau erwidert, dem Zeitgeiste und sonstigen Verhältnissen angemessen
finden und das zusendende Model nach dessen Motiv und baulichen Anordnung einer
direckten Anwendung im Programme für den Conkurs bei vorhabenden Baue zuzusagen
geruhen können, überlasse ich mein Bemühen anspruchslos Dero weiteren Verfügung
zur Ausführung.
Im entgegengesetzten Falle aber erbitte ich mir zuzusichern,
daß Eure Excellenz mir versiegelt das übersendete Schreiben sammt Model durch das
hiesige Gubernium wieder zurückzusenden geruhen und das ganze Ergebnis im Sinne
des Eigenthumschutzes bewahren, bis ich selbst einst nach Vollendung meines
Werkes meine Ansicht mit Projektionen belegt veröffentliche. Möge durch die
Gesammtheit dann meinen Bemühen was immer für eine Beurtheilung werden, so wird
es in Bezug seiner Eigenthümlichkeit unwiederlegbar einer Umwandlung des
Kirchenbaues förderlich sein.
Zufolge dieses bitte ich Eure Excellenz, wenn
Hochdieselben für nöthig fänden, nebst Dero eigenen Beurtheilung anderseits eine
Ansicht über den Gehalt des Gedankens und dessen Ausführbarkeit erheben zu
wollen, die Wahl auf Gelehrte, Priester und in Bezug der Künstler nur auf
Individuen ausdehnen, welche, fern von eitlem Ehrgeitz, auch nicht mitwirkend in
der Conkurrenz der erbauenden Kirche erscheinen, indem es im Falle einer nicht
direckten Annahme nicht in der Macht Eurer Excellenz wäre, mir durch
Verschwiegenheit das Eigenthumsrecht zusichern zu können, welches ich mir von
Dero Gnade ohne Ausnahme erbitte.
Von jetzt über 3 Wochen hoffe ich mehr der
Freiheit genießen zu können, da die neue Ausgabe meines Werkes zur Verabfolgung
an die P.T. Subscribenten bereitet sein wird, dann könnte ich, im Falle Eure
Excellenz meine Ansicht über den Kirchenbau zu erhalten wünschen, die
gesammelten Notizen schriftlich zusammenstellen und sammt einen kleinen, jedoch
gänzlich schmucklosen Model, um in Beziehung zu jeder Stylweise neutral zu sein,
durch das hiesige k.k. Gubernium Eurer Excellenz ergebenst übersenden.
Mit
der Bitte, daß Eurer Excellenz Wohlwollen, welches Kunst und Wissenschaft stets
zu befördern strebt, dieses Schreiben entschuldigen, wage ich zugleich auch den
Ausdruck meiner innigsten Hochachtung beizufügen, mit welcher ich die Ehre habe
zu sein
Eurer Excellenz
unterthänigster Diener
Johann Kreutz
Venedig, den 24.6.1853
San Marco
Calle Larga Nr. 281/rosso