Ministerpräsident Felix Schwarzenberg bittet Leo Thun zu entscheiden, ob
und in welcher Weise ein Aufsatz von Generalkonsul Joseph Grüner über
die Deutschkatholiken in Wien zu veröffentlichen sei. Diese
Religionsgemeinschaft hatte beim Kultusministerium die Anerkennung als
Religionsgemeinschaft beantragt, was in Deutschland durch Zeitungen
bekannt gemacht worden ist. Grüner hatte daraufhin einen Bericht
verfasst, den Schwarzenberg Thun hiermit vorlegt. Schwarzenberg stellt
die Entscheidung über die Veröffentlichung des Berichts Thun anheim, er
wünscht jedoch über die Entscheidung informiert zu werden.
In der
Beilage ist besagter Bericht von Generalkonsul Grüner an Felix
Schwarzenberg enthalten. Darin spricht sich der Konsul dagegen aus, die
so genannten freichristlichen Gemeinden als Religionsgemeinschaft
gesetzlich anzuerkennen. Grüner betont dabei, dass die freichristlichen
Gemeinden, der Deutschkatholizismus im Allgemeinen ihren Ursprung in
radikalen politischen Ideen hätten, was sich unter anderem darin zeigt,
dass auch Robert Blum der Kirche angehörte. Dies sei ein Grund die
Anerkennung abzulehnen. Grüner glaubt zudem, dass die gesetzliche
Anerkennung als christliche Gemeinschaft auch deshalb nicht statthaft
sei, weil die Deutschkatholiken wesentliche Dogmen der christlichen
Lehre ablehnen.
Beilage: an . , . Darin enthalten ist ein Bericht Grüners zum Deutschkatholizismus.
Der kaiserliche Consul in
Leipzig hat mit dem angeschlossenen Bericht vom 30. vorigen Monats 57.B. aus Anlaß der in
den öffentlichen Blättern verbreiteten Nachricht über die von der sogenannten
„freichristlichen Gemeinde“ in Wien an das kaiserliche Cultusministerium
überreichte Eingabe, womit sie um sofortige Anerkennung als
Religionsgenossenschaft gebeten hat, den hier zuliegenden Aufsatz zur Aufnahme
in eine österreichische Zeitung hieher gesendet.
Indem ich die
Schlußfassung, ob und in welcher Weise dieser übrigens allerdings sehr
empfehlenswerthe Aufsatz weiter benützt werden könne, Euer Excellenz anheimgebe,
erbitte ich mir nur, bei Rückschluß des Eingangs bezogenen Berichts, die
gefällige Bekanntgebung des diesfalls zu Verfügenden.
Wien, den 5. Juni 1850
F. Schwarzenberg
Nr. 57 Litt.B.
Leipzig, den 30. Mai 1850
Durchlauchtig Hochgeborener Fürst,
Euerer Durchlaucht erlaube ich mir einen, aus Anlaß der in den öffentlichen
Blättern verbreiteten Nachricht über die von der sogenannten
„freichristlichen Gemeinde“ in Wien an das k.k. Ministerium des Cultus
und Unterrichtes überreichten Eingabe, womit sie um sofortige
Anerkennung als Religionsgenossenschaft das Ansuchen gestellt haben sollen,
verfaßten Aufsatz, mit der ehrfurchtsvollen Bitte vorzulegen, wegen dessen
Aufnahme in eine österreichische Zeitung die weitere gnädige Verfügung
treffen zu wollen.
Genehmigen Euere Durchlaucht die Versicherung meiner
tiefen Ehrfurcht.
Grüner
Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ vom 27. Mai enthält Folgendes aus
Wien:
„Die hiesige freichristliche (deutschkatholische) Gemeinde hat dem Ministerium des Cultus und
Unterrichtes eine Eingabe sammt den eigenhändigen
Namensunterschriften ihrer Mitglieder überreicht. Sie fordert darin ihre sofortige Anerkennung als
Religionsgenossenschaft, da man ihr nicht zumuthen könne, daß sie
mit der Befriedigung ihrer heiligsten Interessen vielleicht jahrelang in
einer quälenden, ihr Gewissen, die Erziehung ihrer Kinder, die Entwickelung
ihres Geistes- und Gemüthlebens hemmenden Ungewißheit bleiben solle und
spricht die Erwartung aus, daß ihrem gesetzlichen Wunsche
diesmal auch gesetzliches Gehör gegeben und die
Bewilligung zur öffentlichen Ausübung ihres Cultus sowie die in den
Grundrechten den gesetzlich anerkannten Religionsgenossenschaften vor
anderen Vereinen eingeräumte bevorzugte Stellung auch den freichristlichen
Gemeinden in Wien durch provisorische Verfügung
sofort werde ertheilt werden.“
Abgesehen von dem wenig ehrerbietigem
Drängen der Mitglieder der Gemeinde, die sich die freichristliche nennt, auf
sofortige Anerkennung als Religionsgesellschaft
kommen bei der Frage, ob die Anerkennung gewährt werden solle oder nicht,
viele Rücksichten sowohl des Rechtes als der Angemessenheit zur
Erwägung.
Man mag zugeben, daß der Wunsch der freichristlichen Gemeinde
ein „gesetzlicher“ sei, in dem Sinne, daß er kein Gesetz verletzt, folglich
seine Aussprache zu den erlaubten Dingen gehört; nicht aber in dem Sinne,
daß irgend ein Gesetz diese Gemeinde berechtigt, die Erfüllung desselben als
ihr Recht zu fordern. Und wenn sie „gesetzliches Gehör“ verlangt, so kann
das nur den Sinn haben, daß man ihren Wunsch untersuche und über seine
Gewährung oder Nichtgewährung einen Bescheid gebe, nicht aber den Sinn, als
hätte die Regierung die Pflicht, einen gewährenden Bescheid zu
geben.
Daß die freichristliche Gemeinde als Grund der Gewährung anführt,
man könne ihr nicht zumuthen, jahrelang in einer quälenden, ihr Gewissen,
die Erziehung ihrer Kinder, die Entwickelung ihres Geistes- und
Gemüthslebens hemmenden Ungewißheit zu bleiben, kann für die Regierung,
gesetzt diese Behauptung verhielte sich wie angeführt, nur ein
Bestimmungsgrund sein, die Untersuchung über die Anerkennungsfrage zu
beschleunigen, ist aber an und für sich allein noch kein Grund die
Anerkennung zu gewähren. Aber die Behauptung verhält sich gar nicht wie
angeführt. Denn erstens gewährleistet § 1 der Grundrechte die häusliche
Ausübung des Religionsbekenntnisses, welche zwar kein so großes
Förderungsmittel des Geistes- und Gemüthslebens ist wie die öffentliche,
aber ganz gewiß ein sehr inniges und wirksames ist. Und da nach § 3 der
Grundrechte der häusliche Unterricht keiner Beschränkung unterliegt, wird
auch dieser Factor der Erziehung den Kindern der Genossen der
freichristlichen Gemeinde nicht fehlen. Allerdings finden sie in den
Volksschulen ihren Religionsunterricht nicht, diesen
findet aber auch der Katholik in Ortschaften, wo, wie in
Ungarn, so häufig die Meistzahl der Bevölkerung sich
zum Lutherthum oder Clavinismus bekennt, in den Volksschulen nicht. Wie das
„Gewissen“ der freichristlichen Gemeinde „gehemmt“ werden soll, ist
schlechterdings nicht einzusehen, da § 1 der Grundrechte „volle
Glaubensfreiheit“ gewährleistet.
Man kann nicht behaupten, daß die
Regierung die Verpflichtung habe, jeden Verein, welcher religiöse Zwecke in
einer von den anerkannten Religionsgenossenschaften abweichenden Form
verfolgt, ein eigenthümliches Bekenntnis oder einen eigenthümlichen Cultus
hat, auch wenn er weder staatsgefährlich noch sittengefährlich wäre,
nothwendig anzuerkennen. Gäbe es eine solche Verpflichtung, so müßte sie
entweder aus der Verfassung oder aus den ihr für gewisse Kronländer
beigefügten sogenannten Grundrechten oder aus der früheren Gesetzgebung
nachgewiesen werden können. Die österreichische Rechtsverfassung vom 4. März
1849 enthält keine andere Bestimmung, als daß die Verhältnisse des Staates
zur Kirche Reichsangelegenheiten sind. Die Grundrechte gewähren jedermann
volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des
Religionsbekenntnisses und fügen die Beschränkung bei, daß durch dasselbe
den staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschehen darf. Sie bestimmen
ferner die Rechte „jeder gesetzlich anerkannten Kirche und
Religionsgesellschaft“, verfügen aber schlechterdings nichts in Bezug auf
die Verwandlung separatistischer Gemeinden in staatlich anerkannte
Religionsgesellschaften, legen also in dieser Beziehung weder der Regierung
Verpflichtungen auf, noch gewähren sie den Unterthanen Rechte. Noch weniger
ist dies in der früheren Gesetzgebung der Fall. Die Regierung hat also keine
Verpflichtung, separatistische Gemeinden in „gesetzlich anerkannte
Religionsgesellschaften“ zu verwandeln, noch haben besagte Gemeinden diese
Verwandlung als ein ihnen gewährtes Recht zu fordern. Die Bitte allein ist es, zu der die Separatisten berechtigt
sind.
Wenn es demnach unzweifelhaft feststeht, daß die Gewährung der
Anerkennung oder ihre Verweigerung in das freie Ermessen der Regierung
gestellt ist, so werden die allgemeinen Grundsätze, welche in dieser
bedenklichen Frage die Staatsklugheit aufstellt, allein die Entscheidung
geben. Abgesehen, daß in jedem einzelnen Falle die Untersuchung, ob eine
solche sogenannte „Gemeinde“ staatsgefährlich ist oder nicht, mit der
größten Sorgfalt geführt werden muß, dürfte als oberster Grundsatz zu gelten
haben, daß man die Religionsgesellschaften so wenig als möglich vervielfältige, eine neue Anerkennung daher so selten als
möglich ertheile, sonst würde man die [sic!] Neuerungssucht und
theologischen Grübelei Thüren und Thore in das öffentliche Leben öffnen und
den Saamen des Unfriedens mit vollen Händen ausstreuen. Nur in dem Falle,
als einerseits die vollkommene Staatsungefährlichkeit eines neuen
Bekenntnisses mathematisch erwiesen ist und andererseits die zu diesem
Bekenntnisse sich Haltenden eine solche Zahl erreicht haben, daß man
schlimmere Dinge befahren müßte, wenn man die öffentliche Übung des
Bekenntnisses verweigert, als wenn man sie gestattet, würde dieselbe zu
bewilligen sein, aber noch nicht die vollständige comparative Freiheit, die
erst nach gemachten günstigen Erfahrungen hinzugefügt werden möchte. In
keinem Falle aber dürfte die der Religion der Meistzahl, mithin der
katholischen Kirche, gebührende Rücksicht aus den Augen gesetzt werden, denn
ein neues Bekenntnis, das, ganz abstract genommen, nicht staatsgefährlich
ist, könnte es sehr leicht werden, wenn diese Rücksicht unbeachtet gelassen
wird.
Ob die Deutschkatholiken, die sich in
Oesterreich freichristliche Gemeinde nennen, daselbst
in jener Anzahl, welche caeteris paribus die Anerkennung räthlich machen
würde, vorhanden sind, vermag ich, da mir die Data fehlen, nicht zu
entscheiden, glaube aber an eine so große Anzahl nicht.
Ob die
freichristlichen Gemeinden staatsgefährlich an sich sind, hängt von ihrem
Bekenntnisse ab. Ist dieses nicht von der Art, daß es das Pflichtgefühl
schärft, so fehlt aller innerer Halt. Soweit mir dieses Bekenntnis
zugekommen ist, läßt sich behaupten, daß es die geoffenbarte
Religion beseitigt. Ein Bekenntnis, das lediglich auf negativen
Grundlagen schwebt, bietet nicht die geringste Bürgschaft der Stabilität,
denn selbst gar manche ethische Ansichten sind der Wandelbarkeit
unterworfen. Der Gehorsam gegen die Obrigkeit ist niemals religiös gefestet,
wenn er nicht ein Gebot des Himmels ist. Die Heiligkeit der Ehe ist dahin,
wenn sie nicht auf dem Felsengrunde des geoffenbarten göttlichen Willens
ruht. Ja selbst die Heiligkeit des Eigenthums ist hochgefährdet, wenn sie
nicht als Gebot von Oben erscheint, denn es giebt sehr scharfsinnige, sehr
rechtsgelehrte Beweise, daß namentlich das Erbrecht der Vernunft
widerspricht, ganz abgesehen von den Doctrinen der Socialisten und
Communisten. Das Religionswesen der Deutschkatholiken ist weiter nichts als
eine Carikatur auf die christliche Kirche und ihr Bekenntnis ist das des
vollständigsten christlichen Nihilismus.
Es entsteht weiter die Frage,
ob die Deutschkatholiken oder freichristliche Gemeinde, wie sie sich in
Wien nennen, nicht per contingens
staatsgefährlich sind? Ich glaube, daß diese Frage bejaht werden muß. Das
Entstehen des Deutschkatholicismus ist erwiesener Maaßen im Radicalismus
begründet und die scheinbar religiöse Bewegung diente nur zur Verhüllung der
politischen, wie dies in der vollen Revolutionszeit des Jahres 1848 von den
Koryphäen dieser Partei, namentlich von dem berüchtigten Dowiat, offen eingestanden worden ist.
Ein Blum, der wüthende Vertheidiger
der Pöbelherrschaft, ist einer ihrer Choragen gewesen. Noch fortwährend
gehören die Häupter des Deutschkatholicismus der revolutionären Partei an.
Sie haben sich jetzt zu Leipzig und schließlich zu
Köthen enge geeinigt mit den aus
dem Protestantismus hervorgegangenen freien Gemeinden, welche, wie Niemandem
verborgen ist, nur revolutionäre Brutöfen sind. Offen kann man nicht
conspiriren, wie 1848 und 1849, und so flüchtet man sich wie 1845 wieder
unter den Deckmantel der religiösen Bewegung.
Würde die Anerkennung der
Deutschkatholiken oder Freigemeinden in Oesterreich die Rücksicht auf die
ungeheuere Mehrzahl der katholischen Bevölkerung verletzen? Nicht nur der
katholischen, sondern auch, wenngleich in geringerem Grade, der Lutheraner
und Calvinisten. Denn wenn sie sich freichristliche
Gemeinden nennen und wenn die Staatsregierung sie als eine christliche Religionsgesellschaft anerkennen wollte, so würde eine
große Lüge anerkannt werden. Jesus heißt Christus als die
zweite Person der allerheiligsten Dreieinigkeit, als der
gleichwesentliche und gleichewige Sohn des allmächtigen Vaters, als das
Fleisch gewordene Wort, als Erlöser, als Überwinder des Todes und der Hölle.
Das ist allen in Oesterreich
anerkannten christlichen Religionsgesellschaften gemein; wie immer auch der
Glaube der Lutheraner und Calvinisten durch Rationalismus abgeschwächt
worden ist, es steht in ihrem Symbolum. Es würde also
eine Ungerechtigkeit sein, wenn man die Deutschkatholiken als christliche Religionsgesellschaft der katholischen Kirche, der
helvetischen und augsburgischen Confession gleichstellen wollte, denn ihr
Bekenntnis enthält nicht den Glauben an Jesus als an den
Christus, das menschgewordene Wort, den Logos, folglich sind sie keine Christen. Man denke in
Wien Versammlungshäuser der Deutschkatholiken
geöffnet, in denen von Christus als von einem bloßen Menschen gepredigt
wird! Welche Welt böser Folgen könnte, würde daran sich
knüpfen!
Es wird also den freichristlichen Gemeinden die Anerkennung als
gesetzliche Religionsgesellschaft wohl zu versagen sein.