Laurenz Hannibal Fischer, ehemals Regierungspräsident des zum Großherzogtum Oldenburg gehörenden Fürstentums Birkenfeld, legt – für den Fall, dass sein erster Antrag von Thun nicht bewilligt werden kann – ein neuerliches Gesuch um Verleihung einer Stelle in Österreich vor. In diesem Schreiben empfiehlt er sich für einen Lehrstuhl der Staatswissenschaften. Er hatte sich vor wenigen Jahren wieder akademischen Studien zugewandt, nachdem er durch die Revolution von 1848 seinen Posten verloren hatte. Schon damals hatten ihn Freunde aufgefordert, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Damals hat er dies jedoch nicht getan, um sich der Adelsfrage in einem wissenschaftlichen Werk widmen zu können. Dieses Werk ist abgeschlossen und kann als Bekenntnis seiner politischen Grundsätze angesehen werden. In dem Werk bekämpft er die politischen Irrlehren und Rechtsphilosophien der jüngeren Zeit, die Deutschland und seine Jugend ins Unglück gestürzt haben. Auf einem Lehrstuhl möchte er ebenfalls in diese Richtung wirken und zugleich durch seine lange Erfahrung als Staatsmann die Ausbildung der Jugend durch praktische Beispiele ergänzen.
Hochgeborner Graf
Hochzuverehrender Herr Staatsminister!
Um nicht geschäftsordnungswidrig heterogene Gegenstände in eine Verhandlung zu
bringen, erkühne ich mich Euer Excellenz auf den Fall, daß der in meinem
Schreiben 1ausgedrückte Wunsch einer Dienstverwendung sich der
Erfüllung nicht erfreuen könnte, einen anderweiten unterthänigen Antrag Euer
Excellenz gnädigen Protection zu unterwerfen.
Obwohl mein Lebensberuf mich
eine lange Reihe von Jahren in das Gebiet der praktischen Staatswissenschaften
verwiesen hat, so lag es doch in meiner Stellung und in der Bedingung meiner
Wirksamkeit, den Fortschritten der wissenschaftlichen Theorien in keiner Weise
fremd zu bleiben. Insbesondere benützte ich die ersten 3 Jahre, in welchen ich
mich durch die Revolution außer dienstlicher Activität befand, auf der Universität Jena, wo ich schon früher den
akademischen Doctorgrad beider Rechte erlangt hatte, mich dem theoretischen
Studium des allgemeinen Staats- und Völkerrechts ex professo zu widmen.
Der
Rath mehrerer sachverständigen Freunde, welche besonders von meinem Talent der
Klarheit im mündlichen Vortrage eine sehr günstige Meinung sagten, hatte mich
schon damals ermuthigt, in die akademische Laufbahn überzutreten. Besondere
Umstände veranlaßten mich jedoch, meine literarische Thätigkeit einer damals
sehr bewegten staatsrechtlichen Zeitfrage zuzuwenden, indem ich die damals von
der Demokratie sehr in Angriff genommene Adelsfrage durch die Herausgabe einer
Schrift unter dem Titel „Der deutsche Adel in seiner Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft“2 aus dem Gesichtspunkt der strengsten
Wissenschaftlichkeit zu beleuchten, mich aufgefordert fand. Diese Schrift dürfte
auch im Wesentlichen mein politisches Glaubensbekenntnis sowie meine standhafte
Verleugnung und Bekämpfung der staatsrechtlichen Irrlehren, welche zum Unheil
der Staaten eine erneuerungssüchtige haltlose Rechtsphilosophie hervorgerufen
hat, manifestiren. Auch noch jetzt finde ich mich bei der mir von Gott
verliehenen körperlichen Kräftigkeit noch in dem Besitz der Geistesfrische, um
als akademischer Lehrer im Fache der Staatswissenschaft die erforderliche
Thätigkeit zu beweisen. So selten es der Fall sein mag, daß ein Staatsmann aus
dem Bereich der Praxis in den der Theorie zurücktritt, so wenig möchte sich doch
daraus ein ungünstiges geschweige unzweckmäßiges Verhältnis deduciren lassen.
Wer mögte bezweifeln, daß genau bei der Jugend die Beleuchtung der Theorie durch
praktische Beispiele zur Erklärung und Erläuterung die zweckmäßigste Anwendung
findet? Ich mögte sogar die Behauptung wagen, daß die Irrleitung in dem Gebiete
des öffentlichen Rechts seit den Tagen der Wartburgfeier großen Theils jenen
Verlockungen der Jugend in das Reich unpraktischer phantastischer Ideale
beizumessen ist. Könnte daher mein sehnlicher Wunsch als Unterthan des
östreichischen Kaiserstaates gegen die Verfolgungen und den kränkenden Hohn eine
Zufluchtstätte finden zu können, sich der Erfüllung erfreuen, so würde ich mich
glücklich schätzen, wenn ich in der Zuweisung eines Lehrstuhles des öffentlichen
Rechtes oder der Staatswissenschaften Gelegenheit fände, durch Eifer und
erfolgreiche Thätigkeit im Lehrfache meine Dankbarkeit beweisen zu können. Dabei
liegt es in der Natur der Sache, daß ich auf eine Berücksichtigung der höheren
Rangverhältnisse, welche mir die Stellung in einem kleinen Staate eingeräumt
hatte, im Mindesten nicht Ansprüche mache.
Sollten daher Euer Excellenz auf
irgend einer deutschen Akademie des Kaiserstaates in den vorbezeichneten
Lehrfächern mir eine Beschäftigung zuzuweisen vermögen, so würde ich gewiß durch
die strengste Beflissenheit im Geiste der kaiserlichen Regierung ächte
Wissenschaftlichkeit mit treuem Vaterlandssinn den jugendlichen Gemüthern
anzubilden, dieses gnädigste Vertrauen zu verdienen wissen.
Geruhen Euer
Excellenz dieses alternative Gesuch Hochdero gnädigen Würdigung zu unterziehen
und wiederholt die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung zu genehmigen,
womit ich verharre
Euer Excellenz unterthäniger Diener
Dr. L. H. Fischer
Frankfurt, den 3. Dezember 1855