Der Priester und Professor Alois Flir informiert Leo Thun über seine
wissenschaftlichen Forschungen und seinen Aufenthalt in Rom.
Zunächst dankt Flir dem Minister für dessen Förderung. Flir will
demnächst eine Arbeit zur christlichen Ästhetik herausgeben. Aus
seiner Sicht ist eine solche dringend notwendig, da die bisherigen
Versuche, eine Ästhetik auf christlicher Grundlage zu schreiben,
gescheitert seien. Daher dominiere derzeit die schädliche Ästhetik
des Hegelianers Friedrich Theodor Vischer. Der Aufenthalt in Rom –
mit seinen zahlreichen Kunstschätzen und den hier anwesenden
Künstlern – bietet Flir die besten Voraussetzungen für ein solches
Unterfangen.
Anschließend informiert Flir Thun über den Zustand
des Kollegs Santa Maria dell'Anima und seinen Besuch beim Papst.
Flir berichtet außerdem, dass er oft mit den in Rom anwesenden
deutschen und österreichischen Künstlern verkehre. Bei diesen habe
er den Wunsch vernommen, es möge einen Mentor geben, der junge
Künstler bei ihrem Aufenthalt in Rom betreue. Für ein solches Amt
schlägt Flir den Vorarlberger Künstler Gebhard Flatz vor.
Euer Excellenz!
Hochgeborner Graf!
Die huldvollen Decrete vom 30. December vorigen Jahres und vom 17. Jänner dieses
Jahres durchdringen mich mit einem Dankgefühle, welches ich mit Worten nicht
auszudrücken vermag. So nützlich auch für meine Verhältnisse die mir freigebigst
verliehenen Zeit- und Geldmittel sind, so gereicht mir die Gnade Seiner Majestät
und die Huld Euer Excellenz doch zur unvergleichbar größeren Wonne als die
äußerliche, großmüthige Gabe. Eine Ermunterung dieser Art muß mein Streben,
welches von selbst mir einwohnt, zum unermüdlichsten Eifer steigern und ich
wünsche mit heißer Sehnsucht, diese Versprechung durch ein reelles Resultat
rechtfertigen zu können.
Eine Ästhetik, von christlicher Philosophie und
empirischer Sachkenntniß organisch zusammengesetzt, ist ein dringendes Bedürfniß
unserer Zeit. Die Versuche von Dursch und Deutinger
drangen nicht durch. Vischers Ästhetik dominirt. Gelehrsamkeit und Genialität spreche
ich diesem Hegelianer nicht ab, aber die Schädlichkeit des Pantheismus grassirt
vielleicht gegenwärtig nirgends so wie gerade in diesem Werke. Wir Katholiken
müssen daher fortfahren, wissenschaftliche Opposition zu machen, und zwar nicht
bloß kritisch, sondern schaffend. Die Kunst des Katholicismus zeigt nach allen
Seiten ihren Sieg; die katholische Kunstwissenschaft hat noch kaum den Kampf
begonnen. Ich gestehe übrigens, daß ich meine Kräfte und meine Vorbildung für
eine zeitgemäße Leistung dieser Art so unzulänglich fand, daß mein Vorsatz schon
schwankte, aber die Munificenz und Gnade, welche sich mir überraschend
zugewendet hat, übt auf mich einen moralischen Zwang; ich betrachte dieses
Ereigniß zugleich als ein Zeichen der Vorsehung – es steht also meinerseits
unerschütterlich fest – ich schreibe eine Ästhetik. Habe ich hiezu von Gott
einen Beruf, so bekomme ich sicher wie die äußerliche, so auch die innere
Hülfe.
Ich bitte Euer Excellenz um die Gnade, diese Erklärung und meinen
unaussprechlichen Dank vor der Stufe des erhabenen Kaiserthrones niederzulegen
und zugleich persönlich die Versicherung entgegenzunehmen, daß meine Ergebenheit
keine Gränzen kennt.
Meine hiesigen Verhältnisse sind so angenehm, als ich
sie nur wünschen kann. Die Congregation behandelt mich mit größtem Wohlwollen;
im Hause herrscht Ordnung und die beste Stimmung. Der Gottesdienst wird eifrig
besucht. Ich habe das Glück, mit ausgezeichneten Männern von Zeit zu Zeit zu
conversiren. Die Kunstwerke und Antiquitäten sind zahllos. Das Studium ist ein
Schöpfen aus einem Meere. Die Flüchtigkeit der Zeit ist hier das einzige
Kreuz.
Am 18. Februar wird zur Danksagung für die wunderbare Rettung unsres
glorreichen Kaisers in unserer Kirche ein feierlicher
Gottesdienst gehalten.
Am 2. Februar hatte ich als Rector die Ehre,
Seiner Heiligkeit eine beinahe 6 Schuh
lange Prachtkerze zu überreichen. Etwa zweihundert Vorstände von Kirchen
Roms waren in den Zimmern des Vatican zu gleichem Zweck versammelt.
Im
Verkehre mit Künstlern nehme ich öfter den Wunsch wahr, daß die hohe Regierung
den jungen Künstlern, welche aus Oesterreich zeitweilig hier sich bilden, einen Mentor anweisen
möchte, welcher mit Rath und Tath in Allem ihnen an die Hand gehen könnte. Nach
dem einstimmigen Urtheile, welches ich höre, und nach meiner eigenen vollen
Ueberzeugung läßt sich zu einem solchen Zwecke kein geeigneterer Mann wünschen
als Gebhart Flatz. Ein musterhafter
Charakter, Anstand und Ordnung in Allem, einer der allerangesehensten Künstler
Roms, tactvoll und fein in der Kritik,
umsichtig und gewandt für die mannigfaltigsten Beziehungen der Bedürfnisse eines
jungen Künstlers, liebreich und einnehmend und voll Aufopferung – das sind
Eigenschaften des Herrn Flatz, welche
hier von allen, die ihn kennen, bestätigt würden.
Wollen Euer Excellenz mir
meine Weitläufigkeit und Freimüthigkeit gütigst nachsehen und huldvoll
genehmigen, daß sich mit tiefster Ehrfurcht unterzeichne
Euer
Hochgeboren
unterthäniger, dankerfüllter Diener
Alois Flir
Rom, den 6. Februar 1854