Der Historiker Johann Baptist Weiß äußert sich neuerlich über Cornelius Bock und zitiert dazu umfangreich aus Briefen von Bock an ihn. Die Briefe befassen sich insbesondere mit dem Leben von Bock und dessen Schwierigkeiten, als Katholik in Preußen und Baden eine Stelle als Universitätsprofessor zu erlangen. Außerdem schildert Bock darin viele seiner Erfolge und Leistungen. Weiß hingegen glaubt nach all dem, was er über Bock erfahren hat, dass Bock ein Opportunist sei und sich je nach Bedarf katholisch oder liberal gebe. Weiß glaubt auch, dass Bock in der Vergangenheit nie eine feste Stellung erhalten habe, weil er stets intrigiere. Anschließend schildert er die Vorgänge bei der Dekanswahl in Graz. Über den Einfluss Bocks auf diese Wahl kann Weiß nichts sagen, er wisse nur, dass Bock und Schreiner ein enges Verhältnis pflegten. Weiß schreibt weiter, dass Bock sich zuletzt eines jungen Redakteurs der Österreichischen Blätter für Literatur bediente, um gegen ihn und andere zu agitieren. Zuletzt berichtet Weiß von seiner Lehrtätigkeit. Aus seiner Sicht sei es am wichtigsten, die Studenten den Umgang mit Quellen zu lehren. Das richtige Verständnis derselben sei der einzige Weg, die Studenten vor gefährlichen Einseitigkeiten zu bewahren. Weiß wünscht sich jedoch, dass er öfter zu den Staatsprüfungen zugezogen werde, dann wäre sein Einfluss auf die Studenten noch größer. Der Professor schließt seinen Brief mit einem Dank für die zugesandten Bücher für die Universitätsbibliothek.
Der Brief ist im Nachlass von Thun gemeinsam mit weiteren Briefen, die
diese Thematik betreffen, abgelegt:
Franz Gustav Schreiner an Joseph Alexander Helfert. Graz, 29./30.
Juli 1855.
Johann Baptist Weiß an Leo Thun. Graz, 6. August
1855.
Leo Thun an Johann Baptist Weiß. Wien, 8. August
1855.
Johann Baptist Weiß an Leo Thun. Graz, 9. August
1855.
Ottokar Maria von Attems an Leo Thun. Graz, 10. August
1855.
<8/8 1855>1
Excellenz Herr Minister!
Hochgebietender gnädiger Herr Graf!
An die gestrige von Ihro Excellenz befohlene vertrauliche Mittheilung2 über Bock und die Decanatswahl habe ich die
Ehre anmit noch Folgendes anzuschließen, was zur Ergänzung dient.
Nach
langem Suchen fand ich einen Brief, in dem sich Bock über seine frühere
Geschichte also ausspricht (das Original kann ich Ihro Excellenz nöthigenfalls
einsenden): „Auf den Rath Hugs
ging ich von Freiburg über
München, wo ich Gerhard kennen lernte, nach Italien, verlebte
dort archäologischen Studien gewidmet drei volle Jahre. Zurückkehrend hatte ich
die Absicht in Freiburg zu bleiben. Unmöglich erschien
mir die Ausführung dieses Vorhabens deßhalb: Hug hatte mich in Kenntnis der schnödesten Umtriebe der
Wessenbergischen Partei gesetzt, mit der Bitte diese durch Vermittlung des
sächsischen Gesandten Platner
dem römischen Hofe vorlegen zu lassen. Ich that es, in der Meinung, Hug verfolge nur katholische, nicht
egoistische ehrgeizige Zwecke, was doch der Fall war. Meine Correspondenz blieb
in Carlsruhe kein Geheimnis, ich erfuhr
dieß auf das Bestimmteste, aber niemals wer der Verräther gewesen. Die Liberalen
Rotteck, Welker [sic!], Baumstark und Comp. zogen sich vor mir
zurück als sie einsahen, daß meine conservativen Grundsätze ganz
unerschütterlich waren. Im Rotteckschen Haus wohnend hatte ich das revolutionäre
Getriebe gründlich kennen gelernt, es hat mein unbefangenes jugendliches Gemüth
mit Abscheu erfüllt.“ – „Von Radowitz empfohlen ward ich für die von
Kurhessen und Nassau projektirte
gemeinsame katholisch-theologische Facultät zum außerordentlichen Professor
ernannt. Das Projekt zerschlug sich, Nassau zog sich zurück.
Hassenpflug hielt mich in
Cassel fest, beschäftigte mich in
wichtigen politischen Angelegenheiten, ich hatte Gelegenheit dem Prinzregenten
die wesentlichen Dienste zu leisten, ja ich kann sagen, daß ich bei einer
ernsten Veranlassung ihn vom Untergang rettete. Dadurch nämlich, daß der mich
väterlich liebende französische Gesandte in Kassel,
Herr von Cabre, mir
Kenntnis von einer Depesche des französischen Gesandten in
Wien, Marschall
Maison, ertheilte, worin die Verhandlungen zwischen Oestreich und Preußen enthalten waren, die darauf abzweckten, den unfähigen
sittenlosen Prinzen von der Regierung zu entfernen. Ich habe Tag und Nacht mit
Hassenpflug gearbeitet, um die
zürnenden Großmächte zu beschwichtigen. Der Prinz ließ mir die Stelle eines
Legationsraths versprechen!!“ – „Der Haß der Liberalen gegen mich steigerte sich
aufs höchste. Als Hassenpflug zum
ersten Male gestürzt wurde, nahm ich meine Entlassung und kehrte nach
Aachen zurück. Die Stadt verdankt mir die Einführung
der barmherzigen Schwestern. Vom Domcapitel wurde ich ersucht, einen Plan zur
Wiederherstellung des Domes zu entwerfen, nebst einer Denkschrift, weil die
preußische Regierung ihn der protestantischen Gemeinde überliefern wollte. Ich
arbeitete aufs rüstigste, um die Kirche den Katholiken zu erhalten, was auch
gelang. Deßungeachtet sandte mir der König
von Preußen den rothen Adlerorden.“
Ahrens begegnete mir letzthin und fragte:
„Was macht Bock?“ „Ich kümmere mich Nichts mehr um ihn, er spielt den Liberalen
und schilt über meinen Ultramontanismus.“ „Das ist sonderbar, meinte Ahrens, ich habe in
Belgien seiner Zeit Alles gethan, ihn nach Löwen zu bringen, weil ich der
Überzeugung war, daß Bock zu gar
keiner Partei gehört.“ In Baden-Baden warf mir Bock im
letzten Spätjahr vor, daß ich mit dem bekannten Laubis an einem Tisch gesessen. Es war in einem Gasthof, alle
Plätze besetzt, Laubis und zwei andere
Professoren, die alle meine Lehrer am Gymnasium gewesen, standen auf und
begrüßten mich freudig. Ich glaube, daß es roh gewesen wäre, den Gruß der alten
Lehrer nicht zu erwiedern.
Alles in Allem erwogen kann ich jetzt nur sagen,
dieser Bock hat zwei intriguant
geschnörkelte Hörner, auf dem einen steht Katholicismus, auf dem andern
Liberalismus.
Mit Hacker, der eine
durch und durch edle Natur und für den Kaiser und Oestreich hochbegeistert ist,
sprach ich über Bock in
Baden-Baden, fragte ihn, warum er seiner Zeit, als er
durch seinen Einfluß auf den Großherzog
Leopold allmächtig gewesen, nicht für Bocks Anstellung in Freiburg gewirkt?
„Weil mir gesagt worden, daß er gegen die Katholiken seyn wolle.“ Ich redete es
ihm aus und drang in ihn, bis er den Gedanken fahren ließ; ja als Bock mir etwas für Oestreich höchst
Wichtiges mittheilte, schrieb ich es dem nach Wien
reisenden Hacker, um ihn davon zu
überzeugen, daß die Acquisition dieses Mannes für Oestreich ein Gewinn
wäre.
Trotz der Zweideutigkeit dieses Mannes und der schmählichen Art, wie
er sich gegen mich benahm, muß ich doch sagen, es ist Jammerschade, wenn dieses
seltene Wissen unbenutzt verloren geht. Klar ist mir aber auch, warum er nie in
seinem Leben zu einer entsprechenden Stellung kam, und warum er stets über
Intriguen, die man gegen ihn spinne, klagt. Der Grund liegt rein in ihm selber.
Wenn man ihn verwenden wollte, so müßte man ihn in eine Stellung bringen, wo er
keine Intriguen machen oder tödtlich compromittirt werden könnte, wie Napoleon sagte, „ich habe meinen
Franzosen ein Loch durch einen Felsen gezeigt, dort müßt ihr hindurch, wo nicht
so seid ihr des Todes, dort aber ist Ruhm und Reichthum.“
Noch komme ich an
die Frage von Ihro Excellenz wegen Bocks Antheilnahme an der Dekanatswahl. Ich habe mich genau
erkundigt, habe aber nur Folgendes erfahren. Weinhold steht intimst mit Schreiner, Schreiner intimst mit Bock. Dieser nannte, ehe er abreiste,
Schreiner noch „seinen
Gott“. In letzter Zeit war ein gewisser Dr.
Ilwof, Lehramtspraktikant, viel bei Bock. Derselbe ist ein fleißiger
junger Mann, aber ohne Talent. Obschon Weinhold gegen mich wie gegen Gabriel sich früher geäußert, Ilwof capire die einfachsten Sachen nicht, so gab ihm doch
Weinhold letztes Spätjahr eine
Empfehlung an Karajan mit, die zur
Folge hatte, daß Ilwof Mitarbeiter der
literarischen Beilage zur Wiener Zeitung wurde. Vielleicht gehört es zu den von
Bock prophezeiten
Nadelstichen, daß dieser Ilwof in einem
Bericht über die Sitzung des hiesigen historischen Vereins alle Vorträge lobte,
namentlich Weinhold zu den Sternen hob,
von dem meinen nur bemerkte, ich hätte ihn gelesen (Ich las ihn vor, weil auf
vorhergehende Anfrage, ob frei vorzutragen Usus wäre, erklärte wurde, nein) und
nicht einmal das Thema über das ich sprach, richtig anzuführen für gut fand.
Mein Vortrag war übrigens unterbrochen von den lauten Beifallsbezeugungen des
Erzherzogs und die Versammlung
verlangte einstimmig den Druck. Solche und andere Nadelstiche tödten nun noch
nicht. Diesem Ilwof scheint Bock vor Kurzem den Aufsatz über
Auer’s Julian3
in die Feder dictirt zu haben, denn Bock äußerte im Mai als wir über dieses Buch sprachen, beinahe
wörtlich das Nämliche. Ilwof bearbeitet
einen dato hier anwesenden Dr.
Klun aus Laibach, daß Bock Ehrenmitglied des dortigen
historischen Vereines werde und wird wahrscheinlich noch dazu benutzt werden,
Bock zum Abschied in den Oesterreichischen Blättern für Literatur mit
bengalischem Feuer zu illuminiren.
Von einer directen Betheiligung Bocks an der Wahl konnte ich Nichts
erfahren, obschon ich mir gestern und vorgestern alle Mühe gab, Erkundigungen
einzuziehen. Die Decanatswahl hing mit der Rectorswahl zusammen. Mir war zuerst
angedeutet worden, ich sollte Rector, Weinhold Decan werden. Ich hielt dieses Angebot für einen
Lockvogel und die Wahl Weinholds für
eine heikliche, der Facultät wie dem Ministerium Schwierigkeiten bereitende
Sache. Als Candidaten für die Rectorswahl traten dann auf Hruschauer und Gabriel. Für jenen gewann Schreiner die Stimmen der Juristen,
für diesen waren die Philosophen; von den Theologen hing die Entscheidung ab.
Nach dem ersten Scrutinium war klar, daß Gabriel nicht durchgehen könne, und nach nochmaliger Wahl ging
Knar aus der Urne
hervor.
Unmittelbar nachher war die Dekanswahl; dreimal wurde gewählt,
Knar, Tangl und ich stimmten beharrlich für Hummel, Czermak, Hofmann
[sic!] und Gabriel für Weinhold. Die Stimme Hruschauers entschied für Weinhold, dessen Wahl namentlich unter dem
Clerus das größte Aufsehen erregte. Gabriel war in der Frühe noch von einem Unbetheiligten
aufgefordert für Hummel zu stimmen,
erklärte aber bedauernd, daß er Weinhold schon das Wort gegeben habe. Ihn bestimmte der Vorgang
der Wahl von Ahrens, gegen den im
Ganzen der Clerus nicht übel gestimmt ist.
Was die Vorwürfe gegen meine
historischen Vorträge angeht, so muß ich Ihro Excellenz betheuern, daß ich stets
streng den Gang der Wissenschaft gegangen bin, streng ihren Gesetzen gefolgt
bin, nie die Geschichte zur Parteisache gemacht und zu provociren versucht habe.
Ich habe meine ganze Zeit den Vorbereitungen gewidtmet, statt der schuldigen 6
Stunden wöchentlich immer 10 oder 9 Stunden gelesen. Ich bin im Ganzen zufrieden
mit dem Erfolg; diesen Sommer hatte ich 61 inscribirte Zuhörer, mit deren Fleiß
ich sehr zufrieden war. Als ich am Anfang des Semesters in der römischen
Kaisergeschichte auf die Bedeutung des Suetonius hinwies und mich bereit erklärte, ihn mit den Herren
zu lesen, erklärten sich weitere 9 dazu bereit. 7 von diesen 9 sind treu
geblieben, und mit ihnen ist in diesem kurzen Semester der ganze Sueton
durchgenommen worden. Nachdem Julius
Caesar und Augustus gemeinsam
gelesen waren, mußte Jeder einen von den folgenden Cäsaren wählen und einen
Vortrag darüber halten. Tacitus und Dio Cassius wurden beigezogen. Die Studirenden
Boser, Lexer,
Radits, Sacher-Masoch haben sehr gut
gearbeitet, letzterer vor Kurzem in der Geschichte ein glänzendes Rigorosum
gemacht und wird, wenn ihm nicht ein Brustleiden einen frühen Tod bringt, einst
ein tüchtiger Historiker werden. Für den nächsten Winter, wo ich Geschichte des
Mittelalters und besonders für Juristen ausführliche römische Geschichte lesen
will, hat sich schon wieder eine Anzahl angemeldet zur gemeinsamen Lectüre
römischer Geschichtschreiber und daran sich knüpfende Disputationen. In Gratz galt immer Rotteck als das Ideal eines
Geschichtschreibers; dieser oberflächlichen, in allen großen Erscheinungen der
Geschichte nur das liberale oder antiliberale Element beachtenden, apriorisch
verfahrenden Geschichtsanschauung wirkt man bei der Jugend am besten entgegen,
dadurch, daß man sie auf die Quellen hinweist und dieselben gebrauchen lehrt.
Ich würde noch mehr Einfluß auf die Studenten gewinnen, wenn ich öfters zur
Staatsprüfung beigezogen würde; während alle andern mehr verwendet werden, bin
ich dieses ganze Semester nur einmal beigezogen worden. Die Studenten wundern
sich, warum der Mann vom Fach sie nie examinire.
Ich schließe dieses
Schreiben mit dem Ausdruck des Dankes für die schönen Bücher, die uns durch die
Verwendung Ihrer Excellenz aus England und
Belgien zugekommen sind; es ist ein
großartiges Geschenk und für mich um so mehr werth, als ich durch die aus
England gesandten Werke in Stand gesetzt
bin eine schon früher begonnene literarische Arbeit in Bälde zu vollenden. Durch
einen Artikel in der hiesigen Zeitung suchte ich in der hiesigen Bevölkerung ein
Interesse für unsere Universitätsbibliothek und ein Gefühl des Dankes für die
Gnade des Ministers zu erwecken. Ich lege ihn, wenn ich ihn noch vor
Postabschluß bekommen kann, bei, wenn nicht, so schließe ich ihn dem Bericht
über die Verwendung der letzten 500 fl bei, der diese Woche noch abgehen soll.
Der Bibliothekar erklärte, daß mit jedem Semester die Nachfrage nach
historischen Büchern sich steigere und diese jetzt von den Studirenden am
meisten verlangt würden.
Ich schließe mit dem Ausdruck der tiefsten
Verehrung und Ergebenheit.
Ihro Excellenz dankbarster
Dr. Weiß
Gratz 8. August 1855