Johann Baptist Weiß an Leo Thun
Graz, 8. August 1855
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Regest

Der Historiker Johann Baptist Weiß äußert sich neuerlich über Cornelius Bock und zitiert dazu umfangreich aus Briefen von Bock an ihn. Die Briefe befassen sich insbesondere mit dem Leben von Bock und dessen Schwierigkeiten, als Katholik in Preußen und Baden eine Stelle als Universitätsprofessor zu erlangen. Außerdem schildert Bock darin viele seiner Erfolge und Leistungen. Weiß hingegen glaubt nach all dem, was er über Bock erfahren hat, dass Bock ein Opportunist sei und sich je nach Bedarf katholisch oder liberal gebe. Weiß glaubt auch, dass Bock in der Vergangenheit nie eine feste Stellung erhalten habe, weil er stets intrigiere. Anschließend schildert er die Vorgänge bei der Dekanswahl in Graz. Über den Einfluss Bocks auf diese Wahl kann Weiß nichts sagen, er wisse nur, dass Bock und Schreiner ein enges Verhältnis pflegten. Weiß schreibt weiter, dass Bock sich zuletzt eines jungen Redakteurs der Österreichischen Blätter für Literatur bediente, um gegen ihn und andere zu agitieren. Zuletzt berichtet Weiß von seiner Lehrtätigkeit. Aus seiner Sicht sei es am wichtigsten, die Studenten den Umgang mit Quellen zu lehren. Das richtige Verständnis derselben sei der einzige Weg, die Studenten vor gefährlichen Einseitigkeiten zu bewahren. Weiß wünscht sich jedoch, dass er öfter zu den Staatsprüfungen zugezogen werde, dann wäre sein Einfluss auf die Studenten noch größer. Der Professor schließt seinen Brief mit einem Dank für die zugesandten Bücher für die Universitätsbibliothek.

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Schlagworte

Edierter Text

<8/8 1855>1

Excellenz Herr Minister!
Hochgebietender gnädiger Herr Graf!

An die gestrige von Ihro Excellenz befohlene vertrauliche Mittheilung2 über Bock und die Decanatswahl habe ich die Ehre anmit noch Folgendes anzuschließen, was zur Ergänzung dient.
Nach langem Suchen fand ich einen Brief, in dem sich Bock über seine frühere Geschichte also ausspricht (das Original kann ich Ihro Excellenz nöthigenfalls einsenden): „Auf den Rath Hugs ging ich von Freiburg über München, wo ich Gerhard kennen lernte, nach Italien, verlebte dort archäologischen Studien gewidmet drei volle Jahre. Zurückkehrend hatte ich die Absicht in Freiburg zu bleiben. Unmöglich erschien mir die Ausführung dieses Vorhabens deßhalb: Hug hatte mich in Kenntnis der schnödesten Umtriebe der Wessenbergischen Partei gesetzt, mit der Bitte diese durch Vermittlung des sächsischen Gesandten Platner dem römischen Hofe vorlegen zu lassen. Ich that es, in der Meinung, Hug verfolge nur katholische, nicht egoistische ehrgeizige Zwecke, was doch der Fall war. Meine Correspondenz blieb in Carlsruhe kein Geheimnis, ich erfuhr dieß auf das Bestimmteste, aber niemals wer der Verräther gewesen. Die Liberalen Rotteck, Welker [sic!], Baumstark und Comp. zogen sich vor mir zurück als sie einsahen, daß meine conservativen Grundsätze ganz unerschütterlich waren. Im Rotteckschen Haus wohnend hatte ich das revolutionäre Getriebe gründlich kennen gelernt, es hat mein unbefangenes jugendliches Gemüth mit Abscheu erfüllt.“ – „Von Radowitz empfohlen ward ich für die von Kurhessen und Nassau projektirte gemeinsame katholisch-theologische Facultät zum außerordentlichen Professor ernannt. Das Projekt zerschlug sich, Nassau zog sich zurück. Hassenpflug hielt mich in Cassel fest, beschäftigte mich in wichtigen politischen Angelegenheiten, ich hatte Gelegenheit dem Prinzregenten die wesentlichen Dienste zu leisten, ja ich kann sagen, daß ich bei einer ernsten Veranlassung ihn vom Untergang rettete. Dadurch nämlich, daß der mich väterlich liebende französische Gesandte in Kassel, Herr von Cabre, mir Kenntnis von einer Depesche des französischen Gesandten in Wien, Marschall Maison, ertheilte, worin die Verhandlungen zwischen Oestreich und Preußen enthalten waren, die darauf abzweckten, den unfähigen sittenlosen Prinzen von der Regierung zu entfernen. Ich habe Tag und Nacht mit Hassenpflug gearbeitet, um die zürnenden Großmächte zu beschwichtigen. Der Prinz ließ mir die Stelle eines Legationsraths versprechen!!“ – „Der Haß der Liberalen gegen mich steigerte sich aufs höchste. Als Hassenpflug zum ersten Male gestürzt wurde, nahm ich meine Entlassung und kehrte nach Aachen zurück. Die Stadt verdankt mir die Einführung der barmherzigen Schwestern. Vom Domcapitel wurde ich ersucht, einen Plan zur Wiederherstellung des Domes zu entwerfen, nebst einer Denkschrift, weil die preußische Regierung ihn der protestantischen Gemeinde überliefern wollte. Ich arbeitete aufs rüstigste, um die Kirche den Katholiken zu erhalten, was auch gelang. Deßungeachtet sandte mir der König von Preußen den rothen Adlerorden.“
Ahrens begegnete mir letzthin und fragte: „Was macht Bock?“ „Ich kümmere mich Nichts mehr um ihn, er spielt den Liberalen und schilt über meinen Ultramontanismus.“ „Das ist sonderbar, meinte Ahrens, ich habe in Belgien seiner Zeit Alles gethan, ihn nach Löwen zu bringen, weil ich der Überzeugung war, daß Bock zu gar keiner Partei gehört.“ In Baden-Baden warf mir Bock im letzten Spätjahr vor, daß ich mit dem bekannten Laubis an einem Tisch gesessen. Es war in einem Gasthof, alle Plätze besetzt, Laubis und zwei andere Professoren, die alle meine Lehrer am Gymnasium gewesen, standen auf und begrüßten mich freudig. Ich glaube, daß es roh gewesen wäre, den Gruß der alten Lehrer nicht zu erwiedern.
Alles in Allem erwogen kann ich jetzt nur sagen, dieser Bock hat zwei intriguant geschnörkelte Hörner, auf dem einen steht Katholicismus, auf dem andern Liberalismus.
Mit Hacker, der eine durch und durch edle Natur und für den Kaiser und Oestreich hochbegeistert ist, sprach ich über Bock in Baden-Baden, fragte ihn, warum er seiner Zeit, als er durch seinen Einfluß auf den Großherzog Leopold allmächtig gewesen, nicht für Bocks Anstellung in Freiburg gewirkt? „Weil mir gesagt worden, daß er gegen die Katholiken seyn wolle.“ Ich redete es ihm aus und drang in ihn, bis er den Gedanken fahren ließ; ja als Bock mir etwas für Oestreich höchst Wichtiges mittheilte, schrieb ich es dem nach Wien reisenden Hacker, um ihn davon zu überzeugen, daß die Acquisition dieses Mannes für Oestreich ein Gewinn wäre.
Trotz der Zweideutigkeit dieses Mannes und der schmählichen Art, wie er sich gegen mich benahm, muß ich doch sagen, es ist Jammerschade, wenn dieses seltene Wissen unbenutzt verloren geht. Klar ist mir aber auch, warum er nie in seinem Leben zu einer entsprechenden Stellung kam, und warum er stets über Intriguen, die man gegen ihn spinne, klagt. Der Grund liegt rein in ihm selber. Wenn man ihn verwenden wollte, so müßte man ihn in eine Stellung bringen, wo er keine Intriguen machen oder tödtlich compromittirt werden könnte, wie Napoleon sagte, „ich habe meinen Franzosen ein Loch durch einen Felsen gezeigt, dort müßt ihr hindurch, wo nicht so seid ihr des Todes, dort aber ist Ruhm und Reichthum.“
Noch komme ich an die Frage von Ihro Excellenz wegen Bocks Antheilnahme an der Dekanatswahl. Ich habe mich genau erkundigt, habe aber nur Folgendes erfahren. Weinhold steht intimst mit Schreiner, Schreiner intimst mit Bock. Dieser nannte, ehe er abreiste, Schreiner noch „seinen Gott“. In letzter Zeit war ein gewisser Dr. Ilwof, Lehramtspraktikant, viel bei Bock. Derselbe ist ein fleißiger junger Mann, aber ohne Talent. Obschon Weinhold gegen mich wie gegen Gabriel sich früher geäußert, Ilwof capire die einfachsten Sachen nicht, so gab ihm doch Weinhold letztes Spätjahr eine Empfehlung an Karajan mit, die zur Folge hatte, daß Ilwof Mitarbeiter der literarischen Beilage zur Wiener Zeitung wurde. Vielleicht gehört es zu den von Bock prophezeiten Nadelstichen, daß dieser Ilwof in einem Bericht über die Sitzung des hiesigen historischen Vereins alle Vorträge lobte, namentlich Weinhold zu den Sternen hob, von dem meinen nur bemerkte, ich hätte ihn gelesen (Ich las ihn vor, weil auf vorhergehende Anfrage, ob frei vorzutragen Usus wäre, erklärte wurde, nein) und nicht einmal das Thema über das ich sprach, richtig anzuführen für gut fand. Mein Vortrag war übrigens unterbrochen von den lauten Beifallsbezeugungen des Erzherzogs und die Versammlung verlangte einstimmig den Druck. Solche und andere Nadelstiche tödten nun noch nicht. Diesem Ilwof scheint Bock vor Kurzem den Aufsatz über Auer’s Julian3 in die Feder dictirt zu haben, denn Bock äußerte im Mai als wir über dieses Buch sprachen, beinahe wörtlich das Nämliche. Ilwof bearbeitet einen dato hier anwesenden Dr. Klun aus Laibach, daß Bock Ehrenmitglied des dortigen historischen Vereines werde und wird wahrscheinlich noch dazu benutzt werden, Bock zum Abschied in den Oesterreichischen Blättern für Literatur mit bengalischem Feuer zu illuminiren.
Von einer directen Betheiligung Bocks an der Wahl konnte ich Nichts erfahren, obschon ich mir gestern und vorgestern alle Mühe gab, Erkundigungen einzuziehen. Die Decanatswahl hing mit der Rectorswahl zusammen. Mir war zuerst angedeutet worden, ich sollte Rector, Weinhold Decan werden. Ich hielt dieses Angebot für einen Lockvogel und die Wahl Weinholds für eine heikliche, der Facultät wie dem Ministerium Schwierigkeiten bereitende Sache. Als Candidaten für die Rectorswahl traten dann auf Hruschauer und Gabriel. Für jenen gewann Schreiner die Stimmen der Juristen, für diesen waren die Philosophen; von den Theologen hing die Entscheidung ab. Nach dem ersten Scrutinium war klar, daß Gabriel nicht durchgehen könne, und nach nochmaliger Wahl ging Knar aus der Urne hervor.
Unmittelbar nachher war die Dekanswahl; dreimal wurde gewählt, Knar, Tangl und ich stimmten beharrlich für Hummel, Czermak, Hofmann [sic!] und Gabriel für Weinhold. Die Stimme Hruschauers entschied für Weinhold, dessen Wahl namentlich unter dem Clerus das größte Aufsehen erregte. Gabriel war in der Frühe noch von einem Unbetheiligten aufgefordert für Hummel zu stimmen, erklärte aber bedauernd, daß er Weinhold schon das Wort gegeben habe. Ihn bestimmte der Vorgang der Wahl von Ahrens, gegen den im Ganzen der Clerus nicht übel gestimmt ist.
Was die Vorwürfe gegen meine historischen Vorträge angeht, so muß ich Ihro Excellenz betheuern, daß ich stets streng den Gang der Wissenschaft gegangen bin, streng ihren Gesetzen gefolgt bin, nie die Geschichte zur Parteisache gemacht und zu provociren versucht habe. Ich habe meine ganze Zeit den Vorbereitungen gewidtmet, statt der schuldigen 6 Stunden wöchentlich immer 10 oder 9 Stunden gelesen. Ich bin im Ganzen zufrieden mit dem Erfolg; diesen Sommer hatte ich 61 inscribirte Zuhörer, mit deren Fleiß ich sehr zufrieden war. Als ich am Anfang des Semesters in der römischen Kaisergeschichte auf die Bedeutung des Suetonius hinwies und mich bereit erklärte, ihn mit den Herren zu lesen, erklärten sich weitere 9 dazu bereit. 7 von diesen 9 sind treu geblieben, und mit ihnen ist in diesem kurzen Semester der ganze Sueton durchgenommen worden. Nachdem Julius Caesar und Augustus gemeinsam gelesen waren, mußte Jeder einen von den folgenden Cäsaren wählen und einen Vortrag darüber halten. Tacitus und Dio Cassius wurden beigezogen. Die Studirenden Boser, Lexer, Radits, Sacher-Masoch haben sehr gut gearbeitet, letzterer vor Kurzem in der Geschichte ein glänzendes Rigorosum gemacht und wird, wenn ihm nicht ein Brustleiden einen frühen Tod bringt, einst ein tüchtiger Historiker werden. Für den nächsten Winter, wo ich Geschichte des Mittelalters und besonders für Juristen ausführliche römische Geschichte lesen will, hat sich schon wieder eine Anzahl angemeldet zur gemeinsamen Lectüre römischer Geschichtschreiber und daran sich knüpfende Disputationen. In Gratz galt immer Rotteck als das Ideal eines Geschichtschreibers; dieser oberflächlichen, in allen großen Erscheinungen der Geschichte nur das liberale oder antiliberale Element beachtenden, apriorisch verfahrenden Geschichtsanschauung wirkt man bei der Jugend am besten entgegen, dadurch, daß man sie auf die Quellen hinweist und dieselben gebrauchen lehrt. Ich würde noch mehr Einfluß auf die Studenten gewinnen, wenn ich öfters zur Staatsprüfung beigezogen würde; während alle andern mehr verwendet werden, bin ich dieses ganze Semester nur einmal beigezogen worden. Die Studenten wundern sich, warum der Mann vom Fach sie nie examinire.
Ich schließe dieses Schreiben mit dem Ausdruck des Dankes für die schönen Bücher, die uns durch die Verwendung Ihrer Excellenz aus England und Belgien zugekommen sind; es ist ein großartiges Geschenk und für mich um so mehr werth, als ich durch die aus England gesandten Werke in Stand gesetzt bin eine schon früher begonnene literarische Arbeit in Bälde zu vollenden. Durch einen Artikel in der hiesigen Zeitung suchte ich in der hiesigen Bevölkerung ein Interesse für unsere Universitätsbibliothek und ein Gefühl des Dankes für die Gnade des Ministers zu erwecken. Ich lege ihn, wenn ich ihn noch vor Postabschluß bekommen kann, bei, wenn nicht, so schließe ich ihn dem Bericht über die Verwendung der letzten 500 fl bei, der diese Woche noch abgehen soll. Der Bibliothekar erklärte, daß mit jedem Semester die Nachfrage nach historischen Büchern sich steigere und diese jetzt von den Studirenden am meisten verlangt würden.
Ich schließe mit dem Ausdruck der tiefsten Verehrung und Ergebenheit.

Ihro Excellenz dankbarster
Dr. Weiß

Gratz 8. August 1855