Der Professor für diplomatische Staatengeschichte und europäisches Völkerrecht an der Universität Wien, Leopold Neumann, wendet sich in der Angelegenheit von Moritz Heyssler an Leo Thun. Der Lehrbeauftragte für Enzyklopädie, Methodologie und Rechtsphilosophie an der juridischen Fakultät der Wiener Universität muss wegen seiner hegelianischen Lehren die Universität verlassen und den Beruf eines Notars ergreifen. Neumann setzt sich für den Verbleib von Heyssler ein. Obwohl Hegelianer, so sei Heyssler ein selbständiger Denker und weit davon entfernt Hegel, blind zu folgen. Für die Universität würde der Abgang Heyssler einen schweren Verlust darstellen, da er hochbegabt und für die Wissenschaft und den Unterricht der Jugend ein Gewinn sei. Im Namen des juridischen Professorenkollegiums bittet er Thun wenigstens um eine außerordentliche Professur für Heyssler.
Eure Excellenz!
Die Wichtigkeit des Gegenstandes und das mir so oft bewiesene ehrende Vertrauen
ermuthigen mich, die von mir letzthin als Mitglied der Deputation des
juridischen Professorencollegiums vorgebrachten Bemerkungen neuerdings und
inständig Euer Excellenz ans Herz zu legen.
In Folge seiner Quiescirung und
des durch den Tod seines Vaters auf
einige Hundert Gulden reducirten Einkommens der von ihm zärtlich geliebten
Familie, ist
Dr.
Heyssler
, wie Euer Excellenz bekannt sein wird, zum
Entschlusse gelangt, sich um die Advocatur oder das Notariat zu bewerben. Ohne
Vorliebe, ja wohl gegen seine Neigung zu diesem Entschlusse gedrängt, würde der hochbegabte und grundhonette Mann sich
zweifelsohne bald eine ansehnliche Clientel verschaffen – für die Wissenschaft
aber und ihre Lehre zu ihrem und der Jugend Abbruche fortan verloren sein.
Gerade der wissenschaftliche Standpunct, den Dr.
Heyssler einnimmt, hat, wenn ich nicht irre, zu manchen Bedenken
Veranlassung gegeben. Ich bin kein unbedingter Verehrer Hegel’s, aber ich kann nicht
umhin zu bemerken, daß seine Lehre vom Absoluten von der
modernen Encyclopädie (der Rotteck-Welcker’schen)1verketzert worden
ist, während die Jung-Hegelianer unserer Tage aus derselben Lehre die tollsten
Umsturzideen abzuleiten bemüht sind. Es ist eben das Schicksal jedes
herrschenden philosophischen Systems, in den entgegengesetztesten Richtungen
ausgebeutet und gedeutet zu werden. Dr.
Heyssler, obgleich auf dem Systeme Hegels fußend, ist als
selbstständiger Denker weit entfernt, dessen blinder Nachbether zu sein. Er hat
das unbestreitbare Verdienst, durch seine ernste, tief eingehende Auffassung des
organischen Staates die alte und längst überwundene
Fiction des Naturzustandes, die mechanisch gelehrte und mechanisch von
studierenden Generationen nachgelernte Vertragstheorie, welche consequenter
Weise zum contrat social führen muß, aus den Hörsälen unserer Universität verbannt, die
erkünstelte und verderbliche Sonderung von Recht und Sittlichkeit beseitigt zu
haben. Ich glaube die Überzeugung aussprechen zu können, – und eine auch nur
flüchtige Durchsicht seiner Vorlesehefte wird sie bestätigen –, daß Dr. Heysslers Lehre vom Staatsrechte die
Jugend zum Nachdenken, zum gründlichen Studium auffordert und eben deshalb am
besten geeignet ist, sie vom seichten Räsonniren und anmaßlichen Weltverbessern
abzuhalten. Der ganze Character des von seinen Collegen und Allen, die ihn näher
kennen, hoch geachteten Mannes ist ein würdiger, ein Gegensatz alles Frivolen
und Leichtfertigen. Aus eigener Erfahrung kann ich anführen, daß, als im April
des Jahres 1848 ganz Wien durch die deutsche Frage in
Aufregung versetzt ward, und die verhängnisvolle Distinction, ob Staatenbund, ob
Bundesstaat, Tausende in entgegengesetzte, feindliche Lager führte, Dr. Heyssler ohne Zaudern und laut sich als
Oesterreicher und vor allem als solcher bekannte, was ihm in seiner damaligen
Stellung wiederholt die Verfolgung des aufgehetzten Pöbels zuzog. Sein ruhiges,
würdevolles, jedes Buhlen um Popularität des Tages verschmähendes Benehmen,
welches er zur Zeit seiner, ihn moralisch und pecuniär so empfindlich
berührenden Quiescirung beobachtete, konnte die Achtung seiner Freunde für ihn
nur erhöhn. Da er von einer Art Ovation Kunde erhalten, mit welcher seine
Schüler – wahrscheinlich fremdem Impulse folgend – ihn bei seinem ersten
Wiedererscheinen nach jenem Ereignisse zu empfangen beabsichtigten, entzog er
sich alsbald der Ausführung dieses Planes und begann die Vorlesungen des zweiten
Semesters, als ob nichts vorgefallen wäre, zum Leidwesen der Skandalsuchenden.
Von gewisser Seite wäre man – wie mir genau bekannt ist – gar erfreut gewesen,
diese Veranlassung recht auszubeuten. Dr.
Heyssler zum Märtyrer zu stempeln, ihn zum Helden des Tages und
der Opposition zu machen, die Sache in Journalen zu besprechen. Ja, man erboth
sich, dem tüchtigen Gelehrten zur Erlangung einer Kanzel an einer ausländischen
Universität behülflich zu sein. Herr Heyssler verbath sich alle Journalartikel, alle Vermittelung für
eine auswärtige Kanzel. Er sei und bleibe ein Oesterreicher und wolle sein
Vaterland nicht verlassen. Zu gut, um sich zu Machinationen herzugeben, ist Herr
Heyssler zu stolz, um sich von
irgend einer Coterie als Werkzeug gebrauchen zu lassen. Freilich wäre es für
diese Coterie kein geringer Gewinn, einen Mann von so hervorragendem Talente,
von so eminenter publicistischer Kenntnis und Darstellungsgabe vollkommen für
ihre Sache in Beschlag zu nehmen. Ich befürchte nicht, daß ihr dieses bei dem
selbstständigen Character und patriotischen Sinne Herrn Heysslers je gelingen könne.
Der Zweck
dieses meines Schreibens ist, die Bitte des juridischen Professorencollegiums um
Verleihung einer – wenigstens außerordentlichen – Kanzel an Dr. Heyssler, so viel an meinem schwachen
Fürworte liegt, zu unterstützen. Ich kann und will nicht läugnen, daß auch
freundschaftliche Zuneigung für den mir sehr werthen Freund und mehrjährigen
Berufsgenossen mit meine Feder leitet; aber Eure Excellenz kennen mich zu gut,
um erst der Versicherung zu bedürfen, daß ich meinen eigenen Bruder in ähnlichem
Falle nicht anempfehlen würde, wenn ich die geringste Besorgnis für das
Interesse der Sache und des Staates hegen könnte. Ich würde mit vielen Andern es
für ein Glück erachten, wenn eine so bedeutende Persönlichkeit, ein Mann von so
tiefem Wissen und so respectablem Character wie Dr. Heyssler bleibend für die Wissenschaft und den Unterricht
der Jugend gewonnen würde.
Genehmigen Eure Excellenz den Ausdruck der
innigsten Anhänglichkeit und tiefsten Verehrung, mit der ich stets bin
Hochderselben
ergebenster Diener
L. Neumann
Wien, den 21. September 1850