Leopold Neumann, Professor für Völkerrecht und Statistik an der Universität Wien, berichtet Leo Thun von seiner Unterredung mit dem türkischen Kommissär, Kemal Effendi, der sich über das österreichische Studienwesen informierte. Neumann hat ihm so weit als möglich die wesentlichen Elemente des österreichischen Bildungssystems erklärt. Neumann betont, dass Kemal Effendi an den Ausführungen Neumanns lebhaftes Interesse gezeigt habe. Effendi bat außerdem, die ihm versprochenen Gesetzestexte nach Konstantinopel nachzusenden, da er Österreich in Kürze verlassen müsse.
Excellenz!
Kiamil [Kemal] Effendi, welcher in Folge von Briefen, die er gestern aus Constantinopel erhalten hat, bereits morgen (Montag) seine Rückreise antritt, bedauert sehr aus diesem Grunde die hiesigen Cabinette und Collegien nicht mehr besehen zu können. Er erstattet seinen verbindlichsten Dank für die ihm von Eurer Excellenz gewidmete Aufmerksamkeit und bittet, die ihm versprochenen sämmtlichen Gesetze und Réglements über das österreichische Studienwesen der ottomanischen Bothschaft für ihn gefälligst übermitteln zu wollen. Ich hatte mit ihm eine sehr lange Unterredung, in welcher ich mich bemühte, so viel seine ziemlich oberflächliche Kenntnis der französischen Sprache und noch mehr seine trotz aller Reisen ganz eigenthümliche Anschauungsweise es mir möglich machten, ihm die Grundzüge unserer Schuleinrichtungen verständlich zu machen. Er schien lebhaftes Interesse an meinen Mittheilungen zu finden, machte mehrere Aufzeichnungen und bath mich, mir von Constantinopel aus durch seinen der französischen Sprache vollkommen kundigen Secretär in der Folge schreiben zu dürfen, worauf ich natürlich meine Bereitwilligkeit, ihm jede gewünschte Aufklärung geben zu wollen, erklärte. Schließlich stellte er mich noch dem Bothschafter vor, und wir schieden als die besten Freunde. Solchergestalt entledigte ich mich, so viel es die Umstände zuließen, des mir gewordenen Auftrages gegenüber von dem verehrlichen Herrn Inspecteur général des écoles de l’Empire ottoman und verharre dies berichtend
Euer Excellenz
ehrfurchtsvoll ergebenster Diener
L. Neumann
Wien, 13.4.1851