Abschrift eines Artikels aus der serbischen Zeitung Wojwodjanka
Semlin, 22. Mai 1851
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Regest

Der nicht genannte Schreiber bespricht in dem Zeitungsartikel ein Buch des Archimandriten Nikanor Grujić. Dieses ist ein Lobrede auf den serbischen Patriarchen von Karlowitz. Der Rezensent findet das Lob allerdings so stark übertrieben, dass es in seiner Dreistigkeit dem Gelobten in Wirklichkeit wohl letztlich mehr schaden als nützen werde. Der Rezensent glaubt, dass niemand die Lobeshymne ernst nehmen werde, zumal Grujić den Patriarchen unter anderem mit Helden der Antike gleichsetzt.

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Edierter Text

Aus der serbischen Zeitung Wojwodjanka, Semlin, 22. Mai [1]851, Nr. 37

„In meiner Extase sagte ich: Jeder Mensch ist ein Lügner.“ Psalmist David.

Vor einigen Tagen erhielt ich das Buch, welches der Herr Kuvezsdiner [Kuveždin] Archimandrit Nicanor Gruics [Grujić] verfaßt hat. Zufälligerweise schlug ich heute es zwischen der Seite 44 und 45 auf; der Name „Bigga“ machte mich neugierig und ich fing es zu lesen an. Ich las von Seite 45–48, hielt aber nicht aus, es weiter zu lesen und nie mehr werde ich dieses Buch in die Hand nehmen können. Ich glaube nicht zu fehlen, wenn ich über das gelesene Wenige hier ein Wort sage. Das Vergnügen, das ganze Werk zu kritisiren, überlasse ich jenen, welche soviel Geduld haben, um solch‘ übertriebene Märchen zu lesen. Ich legte das Büchlein auf die Seite und dachte mir: „Deine Worte klären die Säuglinge auf.“ Nie las ich so etwas. Daß ein Schriftsteller, der über die Gegenstände seiner Zeit spricht oder schreibt, welche der ganzen Welt vollkommen wohlbekannt sind, solchermaßen übertreiben kann, daß er historische Sachen nach Art von „Tausend und einer Nacht“ erzählt, daß dieser Schriftsteller niemand anderer ist als Herr Archimandrit Gruics, das riß mich wahrlich in ein Wunder hinein.
Allgütiger Schöpfer, was für Aufsätze sind das, was für Belege, was für Logik! – Ich gestehe es, daß mich das, was ich von der erwähnten Lobrede gelesen habe, bezauberte; denn so was erschien in der serbischen Literatur nicht bald. – Mein Gott! Ist das wirklich jener freie, jener stürmische, alles niederdonnernde Redner vom 1.–3. Mai 1848 in Carlovicz [Karlowitz]? Viele dachten sich zu jener Zeit: Dieser Mann kann ein serbischer Mirabau [sic!] werden! – Jetzt aber sieht man, daß er der frömmste in der Hirtenherde sei! Ich meine: Der kann nie ein Mirabau werden, welcher kriechen kann.
Ich lasse zu, daß Herr Nicanor dem Herrn Patriarchen mehr sagen kann, als es glaubwürdig ist, denn die Dankbarkeit knüpft ihn an denselben – das kann man ja aber commod unter vier Augen thun; doch verschweigen kann ich es nie, daß man so offen wider die Gerechtigkeit, wider alle historische Wahrheit schreiben und im Publicum Einbildungen und Erdichtungen als glaubwürdige und allgemein bekannte Wahrheit verbreiten kann!
Herr Nicanor konnte den Herrn Patriarchen und unsere verdienten Helden würdig beloben; wenn er aber die Gränzen der Wahrheit überschreitet, dann – Hand aufs Herz – muß er bekennen, daß jeder Wahrheit liebende Mensch diese Rede bewundern und – auslachen muß. Soweit ich Herrn Nicanor persönlich kannte und von ihm hielt, konnte ich nie denken, daß sich dieser Geist so erniedrigen wird können, um das, was er in einer Zelle hat reden können, zu veröffentlichen.
Hören wir auf zu schmeicheln! Der Patriarch ist ein verdienter Mann, den die Geschichte einen würdigen Platz anweisen, aber auch seine Schwachheiten der Welt entdecken wird. Ebenso wird der Historiker unsere Helden beschreiben, ich bin aber überzeugt, daß Bigga kein Leonidas – der Major Milskics kein Falke [?] – ? – kein heiliger Apostel Paul weder war noch sein wird. Wahrlich, diese Vergleichung muß jeder Lebende auslachen. Wozu Einbildungen, wo Wahrheit ist? Was sind das für Seegen Heilige? Wir sind doch nicht in dem Jahrhunderte, da man glaubte:

„Sobald das Geld im Kasten klingt,
sobald die Seel' in Himmel springt.“

Diese Zeiten sind vorüber; ich denke, wir leben im 19. Jahrhunderte. Sicher haben diese Seegen Bacs und Banat nicht gerettet. Vergessen wir nicht, daß der Herr Patriarch den in Titel gegen die Tscheikisten und gegen die Banater ausgesprochenen Fluch noch bis heute nicht zurückgenommen habe, was in der Ordnung gewesen wäre. Dies erwähne ich blos im Vorbeigehen. – Mischen wir Einbildungen und gottfürchtige Gedanken nicht in das materielle Leben hinein.
Herr Nicanor! Was für Thermopyl ist Szent-Tamás [Szenttamás]? Was für Leonidas ist Bigga? Wo sind da jene Aufopferungen? Jene Heldenthaten? Jene Denkmähler? „Wer bin ich, um mir anzumaßen von Pericles, Epaminondas und Demosthenes, Scipio, Cato, Marc-Aurel, Leonidas und Armenius zu sprechen?, sagt Rottek [Rotteck]; Herr Nicanor aber mir nichts dir nichts findet den Leonidas in Szent-Tamás [Szenttamás] und den heiligen Paul – ich weiß nicht wo! – ja findet sie, zieht sie wie ein rostiges Messer aus dem Gürtel heraus und präsentirt sie als solche der Welt. Bigga wird, insoweit ich ihn kenne, wenn er aus Langweil‘ aus dem erwähnten Büchlein die S. 45–48 durchliest, lächelnd sagen: „Lassen Sie meine Leut' von Tändeleien ab“; denn Bigga ist sicher zu überzeugt, daß er bis jetzt kein so „berühmter Feldherr“ nicht gewesen ist als Herr Nicanor es glaubt, daß er ist. Da guckt was heraus! Wird es nicht eine besondere Freundschaft oder eine Sippschaft sein?! Über den Apostel Paul braucht man nicht viel zu reden; denn, wenn ich, – den ich besser kenne als Herrn Nicanor – reden wollte, könnte da wer sagen: „O Gott! Es ist doch ein überaus großes Wunder!“ Darüber aber zu reden, ist hier der Ort nicht; soviel sage ich nur, daß Herr Nicanor besser gethan hätte, wenn er ihn, statt mit dem heiligen Apostel Paul mit dem Stojan Jankovics [Janković] verglichen hätte – das wäre viel ähnlicher gewesen.
Wenn Herr Nicanor voraussetzt, daß Werschecz [Werschetz] nur darum erobert wurde, weil Herr Milckics dem Herrn Patriarchen versprach: „Am heiligen Johannestage in Werschecz [Werschetz] die Epistel in der Kirche zu lesen“, so muß jeder Serbe bedauern, daß dieser brave Held – ?– nicht was Besseres versprochen habe, was sicher in Erfüllung gegangen wäre. O der wunderlichen Philosophie, o der wunderlichen Logik! So was kann sich nur der Schriftsteller in der klösterlichen Einsamkeit einbilden! Eins muß ich aber doch dem Herrn Nicanor billigen: wenn er nämlich gedenkt eine serbische Iliade zu schreiben, so hat er in dieser seinen prosaischen Epopoe blos den „Gedankenzunder“ dem Serbthume zeugen wollen für seine Kalchase, Nestore, Agamemnone, Achylle, Ulisse, Diomede und Ajase. Wenn er das beabsichtigte, so wäre es besser gewesen, daß er alsogleich zu singen angefangen hätte, statt mit der Prosa die Menschen zu betrügen.
Diese Lobrede des Herrn Nicanor wird einen jeden Wahrheit liebenden Menschen – welche das Kriechen nicht verstehen, welche die Erdichtungen und Übertreibungen nicht leiden können – in Zorn versetzen, doch nein, sie werden nicht der Mühe werth halten es zu lesen. Ich glaube es nicht, daß irgend jemand von solchem Charakter die erwähnte Lobrede durchlesen könnte – außer er wünscht sich von der Dreistigkeit des Herrn Verfassers völlig zu überzeugen.
Den Herrn Verfasser empfiehlt dieses Produkt nicht im Mindesten.
Lieben wir die Wahrheit; man schmeichle niemanden. Was bewog den Herrn Nicanor, den Herrn Patriarchen so übertrieben zu beschreiben, in den Himmel zu heben – weiß ich nicht; glaube aber, ihm sagen zu können:

Nullus argento color est, avaris
Abdito terris, inimice lamnae,
– – nisi temperato splendeat usu.
Horat.
Cz.