Stellungnahme von unbekannter Hand zur Frage der Mitwirkung der Bevölkerung an der Verwaltung
[1851/52]1
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Regest

Der nicht genannte Schreiber äußert seine Bedenken zur Einrichtung der Bezirksämter. Aus seiner Sicht würden diese neuen Verwaltungseinheiten zum Ausschluss der Bevölkerung bei der Verwaltung ihrer Angelegenheiten führen. Seines Erachtens sollten diese neuen Behörden daher nur behutsam errichtet werden und gleichzeitig müssten zusätzliche Institutionen geschaffen werden, die mit Beteiligung der Bevölkerung die lokale Verwaltung übernehmen sollten. Außerdem müsse auf die verschiedene Traditionen der einzelnen Länder Bedacht genommen werden, wenn man die Verwaltung neu organisiert. Ferner betont er, dass auch der Unterschied zwischen Stadt und Land bei der Reform der Verwaltung nicht übersehen werden dürfe.

Anmerkungen zum Dokument

Das Dokument ist in einer Abschrift außerdem in der Sammelakte zur Frage der Einrichtung der Bezirksämter enthalten, Sign. A3 XXI D85.

Ralph Melville verzeichnet unter der Signatur D147 eine Denkschrift von Karl Wolkenstein über die Zukunft des grundbesitzenden Adels in Österreich. Diese Denkschrift konnte allerdings nicht gefunden werden. Vgl. Ralph Melville, Adel und Revolution in Böhmen. Strukturwandel von Herrschaft und Gesellschaft in Österreich um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Mainz 1998, S. 362–366.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DC25-4

Schlagworte

Edierter Text

Man fühlt die Nothwendigkeit, der außer dem bureaukratischen Kreise stehenden Bevölkerung eine gewisse Theilnahme an ihren Angelegenheiten einzuräumen. Man hat nur diesen Intressenten das Berathen, dem Beamtenthume das Entscheiden und Handeln zugewiesen. Dieser Theilungsgrund scheint nicht durchwegs der angemessene. Zu keiner Zeit so wie in der unsrigen, in keinem Reiche so wie in Oesterreich, hat die Erfahrung so handgreiflich demonstrirt, daß es einen obersten entscheidenden Willen geben müsse. Durch lange Zeit hinaus wird diese oberste Authorität keine ernstliche Anfechtung erleben, wenn sie von sich selbst einen gerechten und einen sparsamen Gebrauch, wenn sie sich nicht vulgär macht. Es gibt weiter nicht nur große Fragen des allgemeinen Staatsintresses, sondern auch Fragen, die in das Privatinteresse eingreifen, bei welchen jede auch eine nur berathende Intervention ständischer oder quasi ständischer Körperschaften vom Übel ist. Wenn ein Strafgesetzbuch, eine Wechselgerichtsordnung – ja in den meisten Kapiteln ein bürgerliches Gesetzbuch – eine Zollordnung etc. zu Stande kommen oder reformirt werden sollen, so wäre eine solche Berathung im besten Falle unnütz. Es gibt aber andere Fragen und Intressen und sie bilden die Mehrzahl, welche der obersten Authorität und ihren nächsten Räthen so ferne stehen, daß es lediglich eine Fiktion und Täuschung ist, wenn man deren Entscheidung und Besorgung durch ein künstliches Gewebe von Mittelgliedern mit jener obersten Authorität in Verbindung setzen will. Diese fallen bei der bezeichneten Theilung in der That ganz und gar in die Hände jenes unübersehbaren Beamtenthumes. So wie es nun einerseits wider das Gesetz der Sparsamkeit läuft, ja eigentlich eine Profanation der obersten Authorität ist, wenn sie ihre Vollmachten so auf Diskretion ertheilt, so genügt anderen Theils in diesem Kreise von Fragen und Interessen die blos berathende Stellung für die Betheiligten nicht. Es sind nicht meine Worte, sondern die eines sehr erfahrenen und besonnenen Mannes, die ich hier anführe: „Man hüte sich wohl ähnliche Körperschaften rein berathend zu machen. Sie können dies nicht bleiben, müssen dann entweder zur leeren Form, zur Spielerey herabsinken, die das Geld und die Zeit nicht werth sind, welche sie kosten und gerade dadurch wieder das Begehren nach Besserem hervorrufen oder sie werden (was in unseren Tagen das wahrscheinlichere ist), bald übergreifen und der Tummelplatz maßloser und bedenklicher Schwätzerey werden auf welcher sich alles Gehetze, alle Unzufriedenheit und alle Utopien ablagern. Darum hat der praktische Sinn unserer Vorfahren den Ständen eine bestimmte Sphäre, aber in ihr auch möglichst volle administrative Thätigkeit zugewiesen, damit sie in eigenem Hause, in der eigenen, ihnen zunächst stehenden Sache sich selbst praktisch ausbilden, aber auch auf das Maß des praktisch Möglichen beschränken können.“ In einer weisen, den Zeitverhältnissen angemessenen Scheidung der Wirkungskreise liegt die Lösung, aber nicht darin, daß man in einem und demselben Bereiche zwei Potenzen aufstellt, die mit einander ganz incompatibel sind. Die Erlässe vom 31. Dezember vorigen Jahres lassen es noch offen, ob man den Weg gehen wolle, dessen Ausgangspunkte ich in den vorausgehenden Erörterungen besprochen habe. Sie schließen es nicht aus, daß man den entgegengesetzten, nach meiner Ansicht den rechten Weg gehe. Wir stehen am Scheidewege. Wenn die Konservativen von der lebhaften Besorgnis ergriffen sind, man werde die falsche Richtung einschlagen, so kann man dies nicht übel deuten. Sie folgen dem alten Erfahrungssatze: Fragt die Parteien nicht, wohin sie wollen – sie werden Euch täuschen. Sehet zu, woher sie kommen und Ihr wisst, wohin sie gehen. Wenn sie voraussehender als viele ihrer Genossen, sich und ihre Familie, wenn sie die sittlichen und materiellen Güter, die sie von ihren Vätern ererbten, nicht als unwürdige Nachkommen Preis geben wollen, wenn sie dem Ruine wehren wollen, der letztlich auf den obersten Träger ihres Prinzips, auf die Dynastie selbst zurück fallen wird, so thuen sie nur ihre Pflicht. Worte werden jene Besorgnisse nicht beschwichtigen, nur Thatsachen können es. Die erste dieser Thatsachen wäre die, daß man den Trägern jener echt konservativen Prinzipien die Möglichkeit gewähre, ihre Grundsätze bei der Durchführung der kaiserlichen Erlässe geltend zu machen. Wohin diese Erlässe führen werden, wenn sie in die Hände der Bureaukratie gelegt werden, kann man leicht voraus bestimmen. Wenn es mir gestattet ist, allgemeine unmaßgebliche Andeutungen zu machen, so würde ich jene Scheidung der Wirkungskreise nach Gegenständen zum Grunde legen, welche ich in dem vorhergehenden Absatz besprochen habe. Die Regierung möge sich und ihren Organen die streitige Justizpflege – die Ausübung des Strafrechtes bis inclusive der früheren sogenannten schweren Polizeiübertretungen –, sie möge sich die höhere Polizei (Polizeicommissariate), die leider in größerer Ausdehnung zur Nothwendigkeit wurde, sie möge sich Rekrutirung und Steuern – letztere nöthigenfalls bis inclusive der Grundsteuer –, sie möge sich in größeren Städten, wo das revolutionäre Element sowie zahlreichere administrative Bedürfnisse vorwalten, noch eingreifenderen Einfluß vorbehalten u. a. mehr. Auf dem flachen Lande aber wurden die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit – das Waisenwesen, das Vermittleramt –, wie schon jetzt die Erfahrung lehrt, von den Patrimonialämtern in weit fruchtbarerer und angemessenerer Weise verwaltet, als sie jemals durch kaiserliche Beamte besorgt werden können. In dem Lande, in welchem die Omnipotenz der Regierung bis zum Zerreißen angespannt ist – in Frankreich –, kennt man z. B. Verlassenschaftsabhandlungen, öffentliche Waisenpflege etc. gar nicht. Sollte die österreichische Regierung an Kraft verlieren, wenn sie selbe anderen überträgt? Der administrativen Bedürfnisse auf dem flachen Lande gibt es so wenige, sie sind für den bureaukratischen Mechanismus so fremdartig, die Schreiberei ist da so steril, daß man vernünftigerweise nicht zu begreifen vermag, wozu man Millionen verausgabt, Berge von Akten häuft, ohne daß die Dinge darum besser gingen, als wenn man jene Millionen erspart hätte und Papiere unbeschrieben geblieben wären. Aber jene administrativen Befugnisse sind so weit und dehnbar, daß sie in den Händen einer bureaukratischen Kaste zu einer Tiranney und einem Verderbnisse führen werden, an deren Vorzeichen es schon jetzt nicht fehlt. Ob man nun diesen auszuscheidenden Wirkungskreis einzelnen Patrimonialherren oder ob man ihn den Kreisständen und den von diesen bestellten und abhängigen Organen zur selbstständigen Verwaltung und Verantwortung übertragen solle, will ich hier nicht näher untersuchen. Es dürfte hier die Andeutung genügen, daß ein und der andere Weg offen stehe.