Der Akt enthält Notizen für die Verhandlungen für ein Konkordat zwischen
dem Hl. Stuhl und Österreich. Darin befinden sich mehrere Entwürfe für
gesetzliche Regelungen mit eh. Korrekturen von Leo Thun. Zentrale
Bedeutung in den Entwürfen kommt dem Verhältnis von Zivilehe und
kirchlicher Ehe sowie den verschiedenen Ehehindernissen zu. Die
österreichische Regierung ist grundsätzlich bereit, auf die Forderungen
des Vatikans einzugehen. Gerade für Katholiken würde dies bedeuten, dass
der Staat der Kirche größere Rechte im Bereich der Ehegesetzgebung
zuerkennt.
Georg Binder, evangelischer Superintendent in
Siebenbürgen, spricht sich in einem Schreiben an das MCU massiv dagegen
aus, in der Ehe einen bloß bürgerlichen Vertrag zu sehen. Aus seiner
Sicht ist die Ehe ein feierliches Bündnis vor Gott, ein Naturzustand, in
dem sich zwei Liebende vereinen. Würde man die Ehe jedoch nur als eine
bürgerliche Ehe ansehen, ginge der feierliche und heilige Charakter der
Ehe verloren, was auch zu einem moralischen Relativismus und schließlich
auch zu einem Verlust an gesellschaftlicher Stabilität führen würde. Die
Folge wären massenhafte Scheidungen. Außerdem ist er überzeugt davon,
dass nur die christliche Ehe auch die gemeinsame und liebevolle
Erziehung der ehelich gezeugten Kinder garantieren könne.
Ein
anonymer Schreiber setzt sich dann in einem Memorandum mit dem Einfluss
des Staates auf die Ehegesetzgebung und den historischen Hintergründen
der Zivilehe auseinander. Deren Ursprung sieht er in den englischen
Kolonien in Nordamerika und der dort herrschenden Religionsfreiheit. Von
dort aus habe sie sich nach Holland und Frankreich verbreitet.
Österreich stehe nun vor der Entscheidung, ob es sich dieser Entwicklung
anschließe oder die kirchliche Ehe stärke. Im letzten Abschnitt geht er
auf die Anhänger der Freien hristlichen Gemeinden (Rongeaner) ein, denen
er – da sie aus seiner Sicht eine bloße Sekte sind – keine
Zugeständnisse in Ehefragen machen möchte.
Mit eigenhändigen Notizen und Anmerkungen von Leo Thun.
Hier wurden nur zwei Dokumente transkribiert:
Georg Binder an das Ministerium für Kultus und Unterricht, o.
D.
Anonymes Memorandum über den
Einfluss des Staates auf die Ehegesetzgebung.
Z 17/850
Einem Hohen k.k. Cultus und Unterrichtsministerium
Daß die Ehe kein bloß bürgerlicher Vertrag sey.
In den neuen Zeiten ist nicht nur bei vielen Einzelnen, sondern auch in
ganzen Gesetzgebungen die Vorstellung herrschend geworden, daß die Ehe nur
ein bürgerlicher Vertrag sey und daß auch die Ehegatten nur so
zusammentreten wie zwei andere Menschen in der Gesellschaft, welche sich
gegenseitig verpflichten, Vortheil und Schaden gleichmäßig zu theilen und
eben deswegen den ersten gewissenhaft zu fördern, den zweiten nicht minder
gewissenhaft abzuwenden. Durch was für Vorzüge und Übertreibungen diese
Vorstellung allmälig herbeigeführt und empfohlen werde, kann ich jetzt nur
andeuten, indem auch das sittliche Leben der Menschen auf Erden nothwendigen
Schwankungen unterliegt und, wie die Magnetnadel, bald auf die eine, bald
auf die andere Seite von den Angelpunkten des Rechten und Wahren abweicht.
Die mir aus hoher Gewogenheit gewordene Aufgabe verlangt nur, daß ich mich
in möglichster Kürze darüber ausspreche, warum ich die Ehe für keinen bloß
bürgerlichen Vertrag halte.
Und das thue ich als Protestant nicht sowohl
in dem besonderen historischen als vielmehr in dem allgemeinen,
philosophischen Sinn des so oft missdeuteten, weltgeschichtlichen Wertes, d.
h. als ein Mann, der in Sachen des Glaubens und des Gewissens nun einmal
kein menschliches Ansehen maßgebend anerkennt, und zwar weil er dieses nicht
kann, indem der Glauben und das Gewissen nicht unter seiner, sondern im
Gegentheil er mit seinem ganzen Denken und Wollen unter ihrer unabweislichen
Botmäßigkeit und Oberhoheit steht. Als Protestant sehe ich nur nach dem
Begriffe, welchen meine Kirche von einem Sacrament festgestellt hat, die Ehe
zwar nicht für ein Sacrament an, zunächst schon deswegen, weil sie nicht
erst von dem Herrn ist gestiftet worden; darum steht sie mir jedoch
unendlich höher als ein gewöhnlich bürgerlicher Vertrag und das:
Zuerst
schon wegen des Antriebes oder Beweggrundes, welcher die
Menschen in den Naturstande zur Schließung der Ehe drängt. „In den
Naturstande“ sage ich, denn daß in unserer durch Verbildung und Überbildung
so vielfältig der Natur entfremdeten Zeit laufend Ehen aus bloß selbstischen
Antrieben und Absichten geschlossen werden, wer will das läugnen? Wo aber
noch die Natur in ihrer göttlichen Urkraft waltet, da werden die Ehen aus
Liebe oder aus jenem geheimnisvollen Naturtriebe geschlossen, welcher die
eigene Person großmüthig einsetzt, um dafür einer anderen theilhaftig zu
werden und so durch den edlen Wetteifer der Hingebung und Selbstverläugnung
am Ende sich doppelt wieder zu gewinnen. Daß aber dieser Antrieb sich nicht
mit irdischen Zahlen und Waagen messen lasse und überhaupt nicht in den
sinnlichen Bereich und Verkehr des Bürgerthums falle, das sieht jeder
Verständige, der ungeachtet der vorgeschrittenen Entwicklung und
Versteinerung des Verstandes in der Reihe der sichtbaren Natur auch noch an
unsichtbare Geister und an ihre Einwirkungen glaubt. Wenn aber der
ursprüngliche Antrieb zur Schließung wahrhaft naturgemäßer Ehen kein bloß
bürgerlicher ist, sondern einem höheren Reiche, dem Reiche des
Übersinnlichen und Geistigen anheimfällt, so kann schon deswegen der
Vertrag, welcher die Ehegatten bindet oder zeitlebens binden und festhalten
soll, kein bloß bürgerlicher seyn, sondern muß in eine Region fallen, wo
sich das Sinnliche und Geistige gegenseitig durchdringen und heiligen, und
diese Region ist aber die Kirche.
Ja eine wahre oder christliche Ehe
wird naturgemäß nicht nur durch den geheimnisvollen Trieb und Geist der
Liebe zusammengeführt und verbunden, sondern auch während ihrer längeren
oder kürzeren Dauer fort und fort von diesem Geist genährt und getragen. So
wird sie in der That das erste und noch immer vorzüglichste und
augenfälligste Sinn- und Vorbild des Reiches Gottes unter den Menschen,
welches die christliche Kirche in allen ihren abweichenden Färbungen, sobald
sie sich recht versteht, dieser selbstsüchtigen Sinnwelt nahe bringen will;
denn da überall kommt und ist das Reich Gottes, da überall hat sich der
Mensch seines Eigen- und Einzelwillens begeben, wo er nicht sucht und will
was sein, sondern was des Andern ist, wo er sich nur in dem Glück des Andern
auch selber glücklich, überhaupt im Geben seliger fühlt als im Nehmen und
erst in seiner willigen und freudigen Abhängigkeit von dem heiligen Willen
Gottes seine wahre Freiheit ahnt und erkennt. Kann nun aber ein bürgerlicher
Vertrag mit allen seinen Zeugen und Unterschriften und Siegeln zwei Menschen
verpflichten, sich gegenseitig zu lieben, zu beglücken, die Freuden des
Lebens zu verschönern und die Leiden desselben zu mildern und mit einem
Worte nur ein sittliches Leben zu haben und zu führen, kann überhaupt die
Macht der bürgerlichen Gesetzgebung und die Vollstrecker derselben je bis in
dieses Reich vollkommener, geistiger und gemüthlicher Freiheit
hineinreichen?
Dieses drückt die heilige Schrift in ihrer anschaulichen
Weise so aus, daß das geheimnisvolle vor Gott geschlungene Band der Ehe aus
Zweien Ein Fleisch mache. Mögen immerhin auch die christliche Ehe, besonders
in unseren Tagen, allerlei Dinge begleiten, welche an einen bürgerlichen
Vertrag erinnern und nur in einen solchen gehören, darum ist sie doch nicht
bloß ein solcher, denn wo hebt je ein Vertrag, so zu sagen, die sich
vertragenden Persönlichkeiten auf, um aus Zweien, aus dem Mann und dem
Weibe, deren jedes für sich nur die Eine Hälfte der Menschengattung
vertritt, den ganzen Menschen oder das göttliche Urbild der ganzen Gattung
herzustellen? Wenn Plato in seinem Gastmahl den Dichter Aristophanes ordnend
einführt, um den Ursprung und das Wesen der Liebe zu erklären, so scherzt er
vielleicht nur in seiner geistreichen Art, indem er den Urmenschen in zwei
Hälften, eine männliche und eine weibliche, zerfallen und sich dann durch
jenen räthselhaften Zug der Liebe suchen und – finden läßt. In der wahren
Ehe ist dieses im Ernste so: hier haben sich Mann und Weib gefunden und
beide hören sofort auf, in ihren Wünschen und Genüssen, in ihren Antrieben
und Zwecken, in ihrer Freude und ihrem Leid zwei verschiedene, moralische
Personen zu seyn, ja sie hörten noch vor kurzem nach unserem Vaterländischen
Municipalgesetz auch auf, zwei verschiedene bürgerliche Personen zu seyn,
indem sie in die vollkommenste Gütergemeinschaft eintraten.
Doch noch
überzeugender und pflegender wird es einleuchten, daß die Ehe nicht nur ein
bürgerlicher Vertrag sey, wenn ich einen flüchtigen Blick auf die Zwecke werfe, welche der göttliche Stifter der Ehe in
derselben zu erreichen strebte. Natur sowohl als Offenbarung sagen, daß die
Ehe zur Fortpflanzung des Menschengeschlechtes und dann zur gegenseitigen
Hilfleistung bestimmt sey; und wenn der erste Naturzweck der Ehe auch nicht
immer und nicht nothwendig erreicht wird, so steht wenigstens dem Zweiten
nicht leicht ein natürliches Hindernis im Wege. „Aber das Menschengeschlecht
kann, wie tausend Erfahrungen bezeugen, auch außer der Ehe fortgepflanzt
werden“, wendet hier der frevelmüthige Zeitgeist ein. Ich entgegne: Wohl
geschieht dies mit dem sichtbaren Thiermenschen; aber der allseitige nicht
nur thierische und leibliche, sondern auch geistige und gemüthliche Mensch,
kurz der Mensch geschaffen und berufen zum Ebenbild Gottes, wird in der
Regel nur in der Ehe und zwar in der christlichen Ehe erzeugt und geboren,
und zwar nicht immer durch die wissende pädagogische Einwirkung liebreicher
geduldiger, selbstvergessener Ehegatten und Ältern, sondern gewöhnlich mehr
durch die unwillkürlich und bewußtlos wirkende Macht der väterlichen
Beispielgebung und Selbstverläugnung und der mütterlichen Liebe und
Zärtlichkeit, welche wie ein ädler Samen zu künftiger Entwicklung in die
offenen Herzen und Seelen der Kinder fallen. Läßt sich aber eine solche
Aussaat der Humanität, eine solche Vatertreue und Mutterliebe durch einen
bürgerlichen Vertrag auferlegen und erzwingen? – Sage Niemand: Was die
Natur, was das endliche und liebreiche Vater- und Mutterherz thue, das sey
eine freiwillige und dankenswerthe Zugabe zu dem bürgerlichen Ehevertrage,
sonst trete ich ihm mit der bescheidenen Frage entgegen: Welches von beiden,
ob der Buchstabe des Vertrages oder der Geist, welcher diesen Vertrag
beseelt, die Hauptsache und welches die Zuthat sey? Ist aber, wie ich nicht
zweifle, der Geist, welcher christliche Ältern erfüllt und zu tausend Opfern
antreibt und stärkt, um die von Gott nach seiner Weisheit ihnen anvertrauten
Thiermenschen zu – Gottmenschen zu erziehen, die Hauptsache: so wird man
zugeben müssen, daß die Ehe kein bloß bürgerlicher Vertrag sey, indem gerade
die Hauptsache oder der lebendige Kern der Ehe auch schon als bloßer,
göttlicher Fortpflanzungsanstalt des Menschengeschlechtes in dem vollen
Sinne des Wortes sich der stofflich bindenden und zwingenden Kraft
bürgerlicher Verträge entzieht.
Ebenso finde ich es auch bei dem
zweiten, vielleicht [?], wenigstens allgemeinsten und andauerndsten Zwecke
der Ehe, bei der gegenseitigen Hilfsleistung: denn ich kann unmöglich
zugeben, daß diese Hilfsleistung sich lediglich auf das Sinnliche und
Leibliche beschränke, sondern ich muß so zu sagen ihren eigentlichen
Schauplatz und Wirkungskreis eben auch in dem Gebiete des Geistigen und
Sittlichen finden. Christliche Ehegatten sollen sich nicht nur, wie es in
den natürlichen und einfacheren Lebensverhältnissen noch jetzt geschieht, in
ihrer Nahrung, bei ihrer Handthierung, in ihrem Hauswesen leiblich
gegenseitig unterstützen, sondern sie sollen sich auch einander zu ihrer
sittlichen Veredlung und Vervollkommnung behülflich seyn, sie sollen sich
beide durch gegenseitige Liebe und Nachsicht tragen und vertragen lernen und
sich so nicht nur untereinander gegenseitig besser und vollkommener machen,
sondern auch selbst durch den sittlichen Zwang, welcher die Liebe ihnen
auferlegt und erleichtert, immer weiser und besser, freier und vollkommener
und dem Ideal unserer Gattung näher gebracht werden. Wahrhaftig, wer die
christliche Ehe nur für einen gemeinen, bürgerlichen Vertrag ansieht, der
übersieht gerade das Wichtigste, wozu sie dienen soll, die Erziehung, und
zwar nicht nur die Erziehung des heranblühenden Geschlechtes, sondern auch
die derselben voraus und fort und fort zur Seite gehende, gegenseitige
Erziehung wohlgesinnter Väter und Mütter selbst, lauter Zwecke, welche
offenbar über das Treiben und Drängen des irdischen Bürgerthums in das reine
und höhere Reich der Kirche hineinragen.
Und dann gibt es irgend auf
Erden ein in Wahrheit und auf die Dauer glückliches Ehepaar, dessen Glück
nicht auf dem geistigen Grunde der Sittlichkeit und der daraus
hervorgehenden gegenseitigen Achtung ruhte und auch für das überdauernde
Feuer der Liebe immerfort aus jener, stillen Achtung von den sittlichen
Vorzügen und Tugenden, welche die Ehegatten gegen einander bethätigen,
Nahrung zöge? Fürwahr eine glückliche Ehe kann nur eine zufriedene seyn,
aber schon die Zufriedenheit ist eine Frucht des freien Geistes und fällt
nicht in den Kreis irdischer Berechnung und Zwangherrschaft.
Werfe ich
endlich auch noch auf die Personen einen Blick, welche
bei dem Ehevertrage betheiligt sind und betheiligt werden: so tritt derselbe
für mich noch höher und entschiedener aus der niederen Sphäre der bloß
bürgerlichen Verträge heraus. Wenn ich auch den Junggesellen und den
verheiratheten Mann als solchen kaum von einander unterscheide, wenigstens
in der bürgerlichen Werthschätzung derselben kaum einen Unterschied machen
sehe, so werden dagegen, ob mit Recht oder Unrecht will ich gegenwärtig
nicht untersuchen, die Jungfrau und die verheirathete oder verheirathet
gewesene Frau, sey sie auch nicht Mutter, im gewöhnlichen Leben auffallend
von einander unterschieden und die Jungfrau in ihrer Jugend- und
Tugendblüthe erfreut sich in der Regel eines höheren Werthes. Ist aber nun
die Ehe nur ein bürgerlicher Vertrag und steht es dem gewöhnlich nach
materiellen Maßstäben messenden und urtheilenden bürgerlichen Gerichten zu,
über die Fortdauer oder Auflösung dieser Verträge zu entscheiden, so frage
ich, wie mag namentlich der schwächere weibliche Theil in seinen früheren
anmuthigeren und werthvolleren Zustand zurückversetzt werden und ist
überhaupt bei der Unterbrechung oder Auflösung der Eheverträge, wie sonst
bei anderen bürgerlichen Verträgen von Hausmiethen, Verpachtung,
Handelsunternehmungen, Actiengesellschaften und dgl., eine wirkliche
Restitutio in integram möglich oder auch nur denkbar? Deswegen wage ich
unbedenklich die Behauptung, wie die Dinge bei der überhandgenommenen
Sittenverderbnis jetzt stehen, führen beiderlei Gesetzgebungen und
Gepflogenheiten nicht zum Ziele, weder die, wo die Eheverträge als bloß
bürgerliche angesehen und dann auch als solche oft mit tadelnswürdiger Eile
und Leichtfertigkeit gelöst werden, noch die, wo die Ehe für durchaus
unauflöslich gilt und die Ehegatten auch bei den gegründetsten
Beschwerführungen auf immer aneinander gefesselt bleiben und sogar aus dem
unwürdigsten und unverdientesten Bande nur von dem mitleidigen Tode Erlösung
hoffen dürfen. So lange die Menschen auf diesen immer nur halb vom
Sonnlichte bestrahlten und halb in Nacht verhüllten Planeten wandeln, müssen
sie auch bei der Handhabung der Gerechtigkeit zwar immer nach dem
Vollkommensten aufblicken und aufstreben, in der Wirklichkeit aber schon mit
den Mindervollkommenen sich begnügen.
Bedenken wir noch gar die Kinder,
welche nach dem Rathschluß und der Einrichtung Gottes aus der Ehe
hervorgehen, wo gibt es im bürgerlichen Vertrag, welcher in sein Verhängnis
auch Wesen hineinzieht, welche bei Abschließung des Vertrages nicht zugegen,
ja nicht einmal vorhanden waren? Wohl sind die Ältern verpflichtet auf die
Kinder, welche sie in das Daseyn riefen und welche Gott ihnen anvertraute,
ihres Glaubens theilhaftig zu machen, damit sind sie aber keineswegs
berechtigt auch diese in ihr Zerwürfnis zu verwickeln und in dem Falle ihrer
leichtsinnigen Trennung, weil ja nur ein bürgerlicher Vertrag sie
zusammenhält und nur ein bürgerliches Gesetz und Gericht über ihren
Ehestreit urtheilt, den heranblühenden Söhnen und Töchtern es wie unmöglich
zu machen, das heilige Gebot Gottes an Vater und Mutter zugleich zu üben und
beide im gleichen Maaße zu ehren. Deswegen gehe ich auch als Vorstand eines
protestantischen Oberehegerichtes nur im äußersten Nothfalle und auf die
gegründetsten Klagen und nach langem Bedenken daran, eine Ehe zu trennen, in
welcher Kinder vorhanden sind, welche, ohne bei der einstigen Abschließung
des Ehevertrages ihre Zustimmung gegeben zu haben, nunmehr doch an den
schmerzlichen Folgen seiner Auflösung Theil zu nehmen gezwungen
sind.
Daß ich als Schlußfolge aus allen diesen Gründen vernünftigerweise
wünschen werde, die Ehestreitigkeiten auch für die Zukunft bei unseren
geistlichen Gerichten zu behalten, das geht schon aus dem bisherigen hervor.
Noch mehr und noch inständiger muß ich dieses aber wünschen und fordern,
wenn ich mich an das unselige Experiment erinnere, welches die 2.
Siebenbürgische Landesregierung im April 1798 mit unserer geistlichen
Gerichtsbarkeit und so dann auch mit unseren Ehegerichten machte. Sie
überwies die Eheprozesse an die bürgerlichen Gerichte und ließ in wenigen
Jahren nicht nur tausend Ehen auf die leichtfertigste Weise und auf die
unbedeutendsten Klagen trennen, sondern lockerte damit auch den heiligen
Grund der Sitte, auf welchem bis dahin die Ehe unter uns gestanden hatte.
Zum Glück ließ sich die Hohe Regierung schon zu Anfang des Jahres 1805 durch
die inzwischen gemachten bedauerlichen Erfahrungen eines Besseren belehren
und gab mit stillschweigender Anerkennung des begangenen Mißgriffs die
Ehesache wieder den geistlichen Gerichten zurück, nur den erschütterten,
sittlichen und christlichen Grund der Ehe konnte sie nicht wieder
befestigen.
Georg Binder
evang. Superintendent A. C. in Siebenbürgen
Die Ehe hat eine doppelte Seite. Das Christenthum, welches alle sittlichen
Beziehungen des Menschen umfaßt, hat das Geschlechterverhältnis den
Bestimmungen des Sittengesetzes durchgreifend unterworfen und die eheliche
Pflichterfüllung durch das Sacrament geheiligt.
Die Bedingungen einer
Verbindung, welche vor dem Gewissen die Geltung einer Ehe habe und die mit
der Ehe verbundenen Rechte und Pflichten begründen soll, werden für den
Katholiken durch das Kirchengesetz festgestellt. Die Ehe ist aber eine
Gesellschaft, welche im Staatsleben einen wichtigen Platz einnimmt und für
die Ansprüche, welche sie mit sich bringt, des Schutzes von Seite der
Staatsgewalt in mehrfacher Hinsicht bedarf. Die bürgerlichen Rechte der Ehe
und die Bedingungen, unter welchen sie erworben werden, gehören in den
Bereich der Staatsgesetzgebung.
Die österreichische Gesetzgebung kann
hinsichtlich der Ehe auf dem seit Joseph
II. eingenommenen Standpunkt nicht beharren und wird
andererseits von Einführung der Civilehe durch die dringendsten Rücksichten
abgemahnt.
Die Civilehe entstand in Nordamerika unter
ganz eigenthümlichen Verhältnissen. Die calvinischen Gemeinden entwickelten
in den Zeiten ihrer Kraft eine republikanische Richtung in Staat und Kirche.
Doch sie vereinigten damit schwärmerischen Eifer und seltene Sittenstrenge.
Die bischöfliche Gewalt war ein Gegenstand ihres Abscheues und obgleich ihre
Prediger großen Einfluss übten, so wurde doch alles, was einer
priesterlichen Funktion ähnlich sah, so viel als möglich fern gehalten.
Deshalb behauptete man auch, namentlich in Schottland,
daß man zu Eingehung der Ehe des Predigers nicht bedürfe. Im Interesse der
Ordnung wurde zuerst in Holland die Einrichtung
getroffen, daß die Erklärung der Einwilligung vor der bürgerlichen Obrigkeit
abgegeben wurde. Man hatte aber dabei keineswegs die Absicht, eine bloß
bürgerliche Ehe einzuführen. Die kirchlichen Ehegesetze wurden, in so weit
die calvinistischen Gemeinden dieselben beibehielten, strenge
aufrechtgehalten und jede Abweichung unerbittlich geahndet. In
Deutschland und Frankreich nahm
das Eherecht der Calviner allerdings eine andere Entwicklung, doch darauf
einzugehen, ist hier nicht der Ort. In den englischen Colonien von
Nordamerika bestand der Kern der Bevölkerung aus
Calvinern verschiedener Secten, welche in der neuen Welt vollkommene
Glaubensfreiheit suchten. Diese Leute hingen ihren zum Theil höchst
schwärmerischen Lehrsätzen mit solcher Entschiedenheit an, daß sie, um sich
zuerst wider Indianer und wilde Thiere, dann wider das Mutterland vereinigen
zu können, die Religion aus dem Spiel lassen mussten. So erklärte in
Amerika der Staat sich für gleichgültig gegen die
Religion, während und weil die Einzelnen (damals, jetzt ist eine sehr
merkliche Abkühlung eingetreten) ihren religiösen Ansichten und
Überzeugungen mit dem lebhaftesten Interesse zugewandt waren. Hieraus folgte
nothwendig, daß der Staat über die Ehe seine eigene Gesetzgebung aufstellte
und sich nicht darum kümmerte, in wie weit der Staatsbürger die ihm dadurch
gestattete Freiheit in Widerspruch mit seinem Gewissen benützte. Dies war
jedoch in den ersten Zeiten der Republik wenig zu besorgen und noch
gegenwärtig gilt es in Nordamerika für eine Schande, die
Pflichten der Religion, zu welcher man sich bekennt, zu
vernachlässigen.
Dieser nordamerikanischen Einrichtung bemächtigte in
Frankreich sich der Haß der Religion und der
sittlichen Ordnung. Man führte die Civilehe ein und sie wird seit dieser
Zeit von der Revolution als Eines ihrer Schooskinder angesehen. So viel des
Schlimmen sie aber in Frankreich gebracht hat, dennoch
wirkte sie dort nicht so verderblich, wie dies in Österreich der Fall seyn würde. Man führte die Civilehe ein,
doch man setzte auch die bekannte Göttin Vernunft auf den Altar von Notre
Dame. Als die Revolution in dem Blute, welches sie vergossen hatte,
untergegangen war und das Christenthum wieder das Haupt erhob, schieden sich
die Parteien. Viele bekannten sich offen zum Atheismus, welchen die
Revolution nicht hervorgerufen, sondern vorgefunden hatte. Die Christen
sahen aber in der „Jacobinerehe“ ein Überbleibsel der Zeit, in welcher man
das Christenthum geächtet hatte, und dies war ein Gegengift wider die
Anlockung, sich unter dem Banner des bürgerlichen Gesetzes über die
Gewissenspflicht hinauszusetzen.
Es ist für Kirche und Staat gleich
wünschenswerth, daß die Civilehe gänzlich vermieden werde. Dies kann auf
einem doppelten Wege geschehen.
Entweder
I. der Staat erklärt, daß die Gültigkeit der von Katholiken geschlossenen Ehe nach den Kirchengesetzen zu beurtheilen sey. Dadurch würde er nichts festsetzen, als was, um nur auf Nachbarländer hinzudeuten, in Baiern und mit einigen Modificationen auch in Preußen Rechtens ist. Es steht ihm frei, diese Erklärung an Bedingungen zu knüpfen, z. B. daß gewisse Hindernisse, welche der heilige Stuhl nicht wol geradezu aufheben kann, thatsächlich außer Kraft gesetzt werden, indem die geistliche Gewalt sich verpflichtet, in denselben ohne Ausnahme und Aufschub zu dispensieren. Ferner würde durch eine solche Gestaltung des Verhältnisses die Staatsgewalt keineswegs genöthigt seyn, auf eine eigene Gesetzgebung in Ehesachen zu verzichten. Sie könnte Hindernisse aufstellen, welchen sie zwar bloß die Wirkung von Eheverboten beilegt, welche sie jedoch durch strenge Maßregeln unterstützt. Napoleon untersagte, die kirchliche Trauung vor Abschluß des bürgerlichen Ehevertrages zu vollziehen. Er ließ sich in die Frage über die Gültigkeit der Ehe nicht ein, doch bedachte er den Übertreter dieser (tief eingreifenden) Anordnung mit der Deportation und dies reichte vollkommen hin, um den Erfolg zu sichern. Wenn auch solche äußerste Maßregeln dem Geist der österreichischen Regierung fern sind, so würde doch auch ohne sie ein Verbot sich wirksam machen lassen.
Oder
II. die Staatsgesetzgebung stellt die Hindernisse auf, welche nicht bloß die
Wirkung von Eheverboten haben, sondern bei deren Vorhandenseyn man die
bürgerlichen Rechte der Ehe nicht erlangen kann, doch wird zugleich
ausgesprochen, daß keine Verbindung, welche nicht nach den Grundsätzen der
Religion, zu welchen die Ehewerber sich bekennen, eine vor dem Gewissen
gültige Ehe ist, die bürgerlichen Rechte der Ehe erlangen könne, das
Staatsgesetz fordert also niemals weniger, aber manchmal mehr als das
Kirchengesetz. Auf das jüdische Ehegesetz hat das österreichische Gesetzbuch
ohnehin sorgfältig Rücksicht genommen; die anerkannten protestantischen
Confessionen verlangen für die Gültigkeit der Ehe in keiner Beziehung mehr
als das bürgerliche Gesetzbuch: die Aufstellung des bezeichneten Grundsatzes
würde also nur für die Katholiken eine Änderung hinsichtlich der Bedingungen
einer bürgerlich gültigen Ehe hervorrufen. Übrigens wurde diese Richtung
thatsächtlich schon seit beinahe dreißig Jahren eingeschlagen, die
österreichische Gesetzgebung in Ehesachen erregte seit ihrem Entstehen
fortwährende Beschwerden. Die Bemühungen Pius
VI. sind bekannt. Auch Pius
VII. machte bei Gelegenheit der Reise, welche Seine Majestät
der Kaiser Franz nach
Rom unternahm, die entschiedensten
Gegenvorstellungen. Der Monarch suchte bei sich ergebenden Collisionsfällen
in der obersten Sphäre der Entscheidung nachzuhelfen und endlich wurde durch
Hofdecret vom 6. Februar 1823 das tirolische Gubernium angewiesen, die
Collisionen zu vermeiden, welche entstehen müssten, wenn Ehen, wogegen sich
die Überzeugung des Ordinarius sträubte, dennoch zu Einsegnung, ohne welche
katholische Ehen nicht geschlossen werden sollen, eingeleitet werden
wollten. Dadurch war mit einer dem damaligen Geschäftsgange entsprechenden
Wendung ausgesprochen, daß man die Eingehung einer vor der Kirche ungültigen
Ehe nicht gestatten solle und wiewohl jene Anordnung unmittelbar nur für
Tirol erlassen war, so wurde doch im Geiste derselben
gehandelt, wenigstens so oft als der betreffende Bischof sich an Seine
Majestät wandte.
Schlägt man den angedeuteten Weg ein, so muß die
Ungültigerklärung, welche das bürgerliche Gericht wider eine kirchlich
gültige Ehe ausspricht, als eine bloße Strafmaßregel erscheinen. Auch läßt
sich nicht vermeiden, daß bei Hindernissen, welche zugleich kirchliche und
bürgerliche sind, sowohl der Staat als die Kirche über die Gültigkeit
erkennen. Indessen wird sich das Vorhaben in den meisten Fällen vereinfachen
lassen. Man kann die Anordnung treffen, daß den Verhandlungen der
kirchlichen Ehegerichte erster, zweiter und dritter Instanz ein Abgeordneter
der entsprechenden Gerichtsbehörde mit einem votum consultativum beiwohnt
und die Acten vor Fällung des Urtheiles dieser Gerichtsbehörde zur
Begutachtung mitgetheilt werden. Ergibt sich keine Meinungsverschiedenheit
oder wird dieselbe ausgeglichen, so kann das Urtheil des kirchlichen
Ehegerichtes von der Gerichtsbehörde ohne weitere Verhandlung auf die
bürgerlichen Wirkungen ausgedehnt werden.
Sofern es für unmöglich sollte
gehalten werden, einen dieser beyden Wege einzuschlagen, so müsste als
letztes Auskunftsmittel für mögliche Collissionsfälle die Civilehe
aufgestellt werden. Doch ist die sehr große Mehrzahl der Bevölkerung
Österreichs noch weit von jenen
Zuständen entfernt, bei welchen die Civilehe sich als eine traurige
Nothwendigkeit darstellt, auch würde es dann unmöglich seyn, die
Ehegesetzgebung in der ganzen Monarchie nach derselben Richtschnur zu
gestalten. Denn in Ungarn verbieten die wichtigsten
politischen Rücksichten in Betreff der Entscheidung über die Gültigkeit der
Ehe eine Veränderung einzuführen. Überdies liegt es am Tage, daß bei den
nicht unierten Griechen eine solche Maßregel schlechthin unausführbar wäre
und an eine Bevorzugung derselben vor den Katholiken kann die kaiserliche
Regierung nicht denken.
Nach anderen Grundsätzen müssen unstreitig die
Rongeaner und (wofern sie in Österreich
sich zeigen sollten) die freien protestantischen Gemeinden so wie die
Reformjuden behandelt werden. Man kann den Rongeanern nicht zugeben, daß sie
eine Religionsgesellschaft sind: denn sie haben nicht nur kein gemeinsames
Glaubensbekenntnis, sondern stellen es auch als leitenden Grundsatz voran,
daß die Theilnahme an ihrem Vereine durch keinen bestimmten Inhalt der
religiösen Überzeugung bedingt sey. Der Anhaltsgrund ihrer Gemeinschaft
besteht in bloßen Verneinungen und diese Verneinungen sind so beschaffen,
daß sie nicht nur das Christenthum, sondern alles, was unter den Begriff der
Religion fällt, geradezu ausschließen. Ihre Häupter verfolgen politische
Zwecke und stellen in religiöser Beziehung sich die Verbreitung des
Atheismus zur Aufgabe, welcher jedoch ebenfalls nur Mittel zu Begründung der
sogenannten socialen Republik seyn soll. Manche sprechen mit aller Klarheit,
die man wünschen kann. Andere eignen sich die bekannten übelhaften Formeln
der Hegel’schen
Philosophie an. Wofern es Unwissende zu bethören oder der Polizei zu
entrinnen gilt, brauchen sie auch Redensarten, welche einen Schein des
Christenthums haben; doch es ist ein Schein, welcher nur Kurzsichtige
blenden kann. Was die Ehe betrifft, so fassen sie dieselbe ganz im Sinne der
Emancipation des Fleisches auf, wobei sie jedoch die Sprache des
Christenthums nachzuäffen suchen. Die wahre Ehe, sagen sie, ist ihrem Wesen
nach unauflösbar, weil die Liebe nimmer aufhört. Eine Ehe, welche nicht aus
ächter Liebe eingegangen wird, ist eine bloße Scheinehe und bedarf nicht der
Auflösung, sondern nur der Ungültigkeitserklärung. Hieraus folgt, daß sobald
ein Ehegatte die Auflösung der Verbindung wünscht, dieser Wunsch den
unumstößlichen Beweis herstellt, daß die Ehe vom Anfange her ungültig war.
Die Rongeaner werden zwar diese Lehre, sobald es nöthig ist, verläugnen und
es steht ihnen dabei die Ausflucht offen, daß jeder von ihnen seiner eigenen
Vernunft folge und die Ansichten ihrer Prediger für sie nicht bindend seyen,
indessen würden sie, wenn der Staat sich bereit erklären wollte, bei
Behandlung ihrer Ehe auf ihre angebliche Religion Rücksicht zu nehmen,
sogleich damit hervorrücken. In dieser und mancher anderen Beziehung dürfte
es gerathen seyn, zu erklären, daß die Rongeaner und alle freien Gemeinden
keine Religionsgesellschaft, sondern politische Vereine seyen, daraus ergibt
sich, daß ihre ehelichen Verbindungen nur vom Standpunkte der bürgerlichen
Rechte geordnet werden können und eben deshalb muß man sie zu Eingehung des
Ehevertrages vor die politische Obrigkeit weisen. Ist der Grund, aus welchem
dies geschieht, deutlich ausgesprochen, so wird das Beispiel ihrer Civilehe
auf das katholische Volk schwerlich eine schädliche Rückwirkung
üben.
Übrigens ist es billig, daß solange sie sich Deutsch- oder
Christkatholiken nennen, ihre Ehe vom Staate als unauflöslich behandelt und
die Trennung des Bandes nicht verstattet werde. Wollen sie in dieser
Beziehung den Protestanten gleichgestellt werden, so mögen sie aufhören, den
Namen von Katholiken als Köder zu gebrauchen.