Der Historiker Karl Friedrich Stumpf-Brentano berichtet Leo Thun von seinen Recherchen in verschiedenen deutschen Archiven und Bibliotheken. Außerdem schildert er die gescheiterten Verhandlungen zwischen Johann Friedrich Böhmer und Georg Heinrich Pertz wegen der Herausgabe des "Codex diplomaticus imperii". Stumpf-Brentano hofft dennoch, dass das Werk vollendet werden wird. Er teil Thun außerdem mit, dass Böhmer im Herbst nach Wien kommen wird und Thun persönlich seine Aufwartungen machen möchte. Stumpf-Brentano hofft, dass ihm Thun auch weiterhin sein Vertrauen schenkt.
Euer Excellenz!
Ich hätte längst gewagt, wie es auch meine Pflicht gewesen wäre, ein
Lebenszeichen zu geben, hätte sich nicht mein Aufenthalt in den sächsischen,
thüringischen und fränkischen Archiven durch unerwartet reiche Ausbeute länger
hinausgezogen, als ich zur Zeit meiner Abreise aus Wien
vermuthen konnte. Ich kam erst Ende Augusts nach Frankfurt a. M., wo ich leider unsern trefflichen Böhmer nicht so vollauf in der
alten rüstigen Stimmung fand, wie ich ihn verlassen habe. Er mußte auch bald in
ein Bad eilen. Soviel konnte ich übrigens erschließen und theilweise erfahren,
daß eine Einigung über die Herausgabe des „Codex diplomaticus imperii“ mit
Pertz wenigstens für jetzt
nicht erzielt worden ist und eine Aufforderung an mich mußte schon darum
selbstverständlich unterbleiben. Da aber die ganze Angelegenheit gleichsam nur
privatim zwischen Böhmer und
Pertz verhandelt wurde, ist
zugleich mir jede weitere Besprechung wie auch jeder Antrag zur bereitwilligsten
Mitwirkung benommen. Das Scheitern dieses Lieblingsplanes mag indes zum Theil
auch die Ursache von Böhmers
Verstimmung sein. Es freut mich übrigens, daß Euer Excellenz wahrscheinlich
Gelegenheit haben den Mann, der mir seit Jahren ein Leitstern meines ganzen
Strebens ist und seines Gleichen in Deutschland wahrlich
nicht hat, persönlich kennen zu lernen. Noch beim Abschied sagte er mir, daß er
die Absicht hege, Anfangs Octobers in Wien einzutreffen,
wo er dann jedenfalls um die Auszeichnung einer Audienz bei Euer Excellenz
ansuchen wird. So sehr es mir leid thut, nicht jetzt gleich zu einem großen
Nationalwerke mit schwachen Kräften mein Weniges beitragen zu können, so leb'
ich doch immer noch in der Hoffnung, daß Böhmer diesen seinen Lebensplan
trotz aller Hindernisse früher oder später, wie es ihm auch gebührt und er vor
allen der Mann dazu ist, zur Ausführung bringen wird und die Bemerkung im
Allgemeinen, daß Euer Excellenz, falls er mich zu Arbeiten unter seiner Leitung
zu gebrauchen dachte, geneigt wären mich ihm abzutreten, dürfte ihm vielleicht
deshalb willkommen sein. Die Initiative ergreifen, wo jetzt auch die
unmittelbare Veranlassung fehlt, würde er wohl kaum wagen.
In meinen
Arbeiten bin ich übrigens nicht im Geringsten gestört; sie sind zum Theil
nothwendige Vorstudien zu jenen großen Unternehmen und ich schmeichle mir sogar,
daß ich mit ihrer Vollendung vielleicht Veranlassung zur schnelleren Erreichung
desselben werde geben können. Eine schönere Belohnung könnte ich mir freilich
kaum denken.
Gestern hab' ich in der hiesigen Bibliothek, der letzten
bedeutenden Deutschlands, die ich noch zu
besuchen hatte, Gottlob mit dem wirklich mühevollen und ermüdenden Sammeln
geschlossen und athme völlig freier auf. Jetzt kann ich endlich zur
Schlußredaction schreiten. Nur noch einen Sprung in die Archive zu
Hannover, Wolfenbüttel, Goslar, dann
Karlsruhe und Stuttgart und
ich bin fertig und hoffe dann bestimmt mein gegebenes Wort zur erstrebten
Zufriedenheit lösen zu können. Ich habe nur die eine Bitte, daß Euer Excellenz
das Vertrauen, womit Sie mich bisher gehoben haben, mir auch ferner, soweit ich
es rechtfertige, gnädigst schenken mögen und lege meine ganze Zukunft unverzagt
in Ihre Hände. Wie sich diese für den Professor in partibus gestalten werde,
wage ich freilich kaum zu errathen, lebe aber noch immer in der süßen Hoffnung,
daß mir die von Euer Excellenz huldreichst bewilligte freie Zeit unverkürzt
belassen bleibe. Ich werde sie redlich und gewißenhaft verwenden, damit mir
später eine sichre und erfolgreiche Wirksamkeit in der geliebten Heimat umso
gewißer werde. Den Entschluß Euer Excellenz bitte ich mir vielleicht durch
meinen alten Freund Karl Tomaschek
oder im Wege der hohen k.k. Bundesgesandtschaft kundgeben zu lassen, damit ich
dann sofort die nöthigen Schritte zu meiner Legitimation im Auslande thun
könne.
Mit dem innigsten Danke für das unverdiente Wohlwollen Euer Excellenz
und der Entschuldigung für die Belästigung mit diesen Zeilen, zeichne ich mich
in tiefer Ehrfurcht
Euer Excellenz
aufrichtigst ergebenster
Karl Friedrich Stumpf
Göttingen, den 19. September 1858