Julius Ficker an Leo Thun
Innsbruck, 20. Oktober 1860
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Regest

Der Historiker Julius Ficker äußert sein Bedauern über den Rücktritt Leo Thuns vom Amt des Unterrichtsministers. Er ist überzeugt davon, dass dies zu Änderungen im Bereich des Unterrichtswesens führen wird. Zudem ist er sich sicher, dass niemand Thun in dem Amt vollständig ersetzten können wird. Ficker bedankt sich außerdem für das Vertrauen und die Förderung Thuns, die mehrfach ausschlaggebend für seinen Verbleib in Österreich gewesen ist. Ficker betont, dass er sich an die Versprechen, die er Thun gegeben hat, auch weiterhin gebunden fühlt und er weiterhin im Sinn des Ministers wirken will. Ficker spricht zuletzt seinen Wunsch aus, sich weiterhin an Thun wenden zu dürfen. Zudem möchte er sein eben fertig gestelltes Werk "Vom Reichsfürstenstande. Forschungen zur Geschichte der Reichsverfassung zunächst im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte" Thun widmen.

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Edierter Text

Innsbruck, 1860 Oct. 20.

Eure Excellenz!

Tief hat es mich ergriffen, daß Eure Excellenz selbst in den Tagen so hochwichtiger Entscheidung der geringen Dienste zu denken mochten, durch welche ich die Erreichung des hohen Zieles der Neugestaltung der wissenschaftlichen Verhältnisse des Kaiserstaates, welches Eure Excellenz sich gesetzt hatten, zu unterstützen bemüht war, so weit das im Bereiche meiner Kräfte liegen konnte. Konnte ich meinen geringen historisch-politischen Anschauungen nach allerdings nur mit Befriedigung vernehmen, daß Seine Majestät sich entschlossen, die Weiterentwicklung unserer staatlichen Verhältnisse an die historischen Grundlagen anzuknüpfen, so darf ich wohl kaum bemerken, wie allgemein in den betreffenden Kreisen die Freude dadurch getrübt war, daß gleichzeitig in der Leitung der Unterrichtsangelegenheiten eine Änderung eintrat, von welcher wir uns Gutes nicht versprechen können. Selbst dann nicht, wenn der günstigere Fall einträte, daß es nicht in der Absicht läge, die von Eurer Excellenz vorgezeichneten Bahnen zu verlassen; wir fühlen nur zu wohl, wie viel davon abhängt, ob ein und dasselbe System von dieser oder jener Hand geleitet wird; und die Ansicht, daß Eure Excellenz in dieser Richtung nicht zu ersetzen seien, ist eine so weitverbreitete, von so verschiedenen Seiten ausgesprochene, daß wir uns über die Bedeutung des Schlages, welcher unsere Unterrichtsverhältnisse selbst in jenem günstigsten Falle getroffen, schwerlich einer Täuschung hingeben.
Daß Eure Excellenz beim Scheiden aus der Amtsführung mir den Wunsch aussprechen, Oesterreich treu zu bleiben, ist ein Beweis des Vertrauens, welchen ich, wie so viele andere, stets in dankbarster Erinnerung treu bewahren werde. Seien Eure Excellenz versichert, daß ich, was in meinen geringen Kräften steht, thuen werde, um in Hochderen Sinne weiterzuwirken, zu hindern, daß nach dem Abtreten des Meisters der Bau selbst ins Stocken gerathe und in Verfall und ich hoffe doch immer, daß dem aufopfernden Streben Eurer Excellenz ein besserer Lohn beschieden sei als das bloße Bewußtsein, das Beste gewollt zu haben, daß dieses Streben auch nachwirkend die besten Früchte bringen wird. Das Scheiden Eurer Excellenz trifft allerdings meine Aussichten auf gedeihliches Weiterwirken besonders hart, da ich mich so mancher unmittelbarer Förderung zu erfreuen hatte und ich läugne nicht, daß der jetzt eingetretene Fall immer als ein solcher betrachtet wurde, welcher bei gegebener Gelegenheit auf meine Entscheidung über Verbleiben oder Gehen den größten Einfluß üben würde. Aber Eure Excellenz wissen auch, daß ich mit ganzem Herzen an Oesterreich hänge, daß ich nur von da eine günstige Wendung der Geschicke meines deutschen Vaterlandes erwarte und daß ich gern bereit bin, dieser Gesinnung auch persönliche Opfer zu bringen. Es könnten sich aber freilich die Dinge auch so wenden, daß ich darauf verzichten müßte, hier noch Ersprießliches zu wirken, daß ich mich überzeugte, durch eine Thätigkeit im Auslande den österreichischen Interessen mehr nützen zu können. Jedenfalls dürfen Eure Excellenz versichert sein, daß ich bezüglich der Aussichten auf eine Berufung nach Außen auch jetzt zunächst in der passiven Stellung verharren werde, welche ich in meinem letzten Schreiben 1bezeichnete, und daß ich eintretenden Falles das größte Gewicht auf den in so gnädiger Weise geäußerten Wunsch Eurer Excellenz legen würde. Ich darf damit vielleicht die Bitte verbinden, daß beim Eintreten eines solchen Falles Eure Excellenz mir auch jetzt noch gestatten möchten, mich vertrauensvoll an Hochdieselben um Rath wenden zu dürfen.
Noch zu einer andern Bitte ermuthigt mich das gnädige Vertrauen, womit Eure Excellenz mich beehrten. Schon im sechsten Jahre beschäftigt mich eine größere Arbeit unter dem Titel: „Vom Reichsfürstenstande; Forschungen zur Geschichte der Reichsverfassung zunächst im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte“2; der erste Band derselben ist jetzt bis auf wenige Bogen gedruckt. Längst hätte ich gewünscht, dieses Werk, die Frucht eines guten Theiles meiner besten Arbeitsjahre, Eurer Excellenz widmen zu dürfen, da ich mich nächst meinem verehrten Lehrer und Gönner, dem Dr. Böhmer, welchem ich meine Erstlingsarbeit widmete, Niemanden bezüglich meiner wissenschaftlichen Thätigkeit so verpflichtet fühle als gerade Eurer Excellenz; aber wenn ich auch nicht befürchten mußte, daß Hochdieselben selbst die Motive einer solchen Bitte verkennen würde, so mußten doch nächstliegende Bedenken mich abhalten, eine solche Bitte an den höchsten Vorgesetzten zu richten. Diese Bedenken sind nun fortgefallen und Eure Excellenz würden mir eine große Freude durch Gewährung der Bitte bereiten, Hochderen Namen dem Werke vorsetzen zu dürfen. Meine Arbeiten bewegen sich freilich so sehr im Kreise der speziellsten Nachuntersuchungen, daß das Werk seinem Inhalte nach schwerlich darauf rechnen kann, ein näheres Interesse Eurer Excellenz zu erregen; einigen Anspruch darauf dürfte es vielleicht nur in so weit haben, als es während Hochderen Amtsthätigkeit entstand und von einem Verfasser herrührt, welchen Hochdieselben in seiner wissenschaftlichen Thätigkeit so wesentlich gefördert haben. Sollten Eure Excellenz mir demnach nicht eine andere Weisung zukommen lassen, so würde ich mich berechtigt halten, anzunehmen, daß Hochdieselbe die Widmung gestatten; es ist das Einzige, was in meiner Macht liegt, um meine tiefgefühlte Verehrung und Dankbarkeit auch äußerlich zu zeigen und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Eure Excellenz die geringe Gabe nicht verschmähen werden.
Indem ich die Gelegenheit ergreife, für das erwiesene Vertrauen, für die mannichfache Förderung, welche Eure Excellenz mir angedeihen ließen, aufrichtigst zu danken und mich dem gnädigen Wohlwollen Eurer Excellenz auch fernerhin zu empfehlen, verbleibe ich
in tiefster Verehrung und Dankbarkeit

Eurer Excellenz
ganz gehorsamster und ergebenster
J. Ficker