Der Jurist Leopold Hasner bittet Leo Thun darum, ihn für das kommende Semester von einem Teil seiner Lehrverpflichtung zu entbinden. Hasner möchte nämlich ein umfangreiches Überblickswerk zur politischen Ökonomie fertigstellen, an dem er schon seit längerer Zeit arbeitet. Zur Bekräftigung seiner Bitte betont Hasner, dass im vergangenen Semester nur wenige Studenten seinen Vorlesungen besucht hatten und mit Prof. Peter Mischler zudem ein zweiter Professor das Fach lehre.
Euer Excellenz!
Ich erlaube mir Euer Excellenz diesmal eine Bitte im eigenen Interesse
vorzutragen. Ich arbeite an einer umfassenden Schrift über politische
Ökonomie.2Mannigfache Umstände machen mich dringend
wünschen, dieselbe vor Beginn des nächsten Schuljahres veröffentlichen zu
können. Ich fürchte fast, daß, wenn Euer Excellenz den Umfang dieses Werkes
betrachten werden, Hochdieselben es auffallend finden möchten, daß ich zu diesem
Resultate fünfjähriger Vorbereitung noch einer weiteren Unterstützung bedürftig
war. Allein, einerseits ist die Arbeit eine schwierige; andrerseits ist sie nur
ein Theil der Resultate meiner seitherigen Bestrebungen, deren Umfang eben zu
ausgedehnt war, um rasch zu selbständigen Produkten führen zu können. Denn
zugleich bereite ich eine juristische Encykopädie vor, ein umfassendes Werk, dem
ich meine Thätigkeit selbst jetzt nicht ganz entziehe. Solchen Aufgaben aber ist
mein Körper nicht in der Weise gewachsen, daß ich mir unter allen Umständen ein
bestimmtes Ziel setzen könnte. Doch scheint mir gerade jetzt die Sachlage von
der Art, daß ich eine kleine Erleichterung, ohne wesentlichen Abbruch an meinen
sonstigen Aufgaben als Professor, wohl erbitten darf. Ich habe vorläufig für das
Sommersemester Finanzwissenschaft und juristische Encyklopädie angekündigt. Nun
aber hatten im ersten Semester ich und Mischler zusammen 12–14 Schüler. Im zweiten Semester hat noch
regelmäßig bisher die Zahl sich geringer gestellt. Da nun der Grund dieser
geringen Zahl ein nur in dem Sistemswechsel zeitweilig gelegener ist, so
erscheint es mir umso mehr rücksichtlich der Finanzwissenschaft fast als eine
Kraftverschwendung, wenn zwei Professoren je vor 4–5 Schülern lesen sollen, als
die Differenz der Standpunkte in dieser Wissenschaft ohnedieß weniger schroff
heraustritt. Wenn ich nun das Versprechen abgebe, meine Zeit nicht müßig
zuzubringen und den Beweis hiefür in einem literarischen Produkte nach Ablauf
der gleichen Zeit zu liefern, so glaube ich die Bitte wagen zu dürfen: Euer
Ecxellenz wollen mich von den Vorträgen über Finanzwissenschaft für das heurige
Sommersemester zu dispensiren geruhen. Ich habe mein Ansuchen, welches mir bei
dem Drucke materieller Verhältnisse und oft versagender Kraft des Körpers noch
immer eine schwere Aufgabe vorbehält, auf dieses Maaß eingeschränkt, einerseits,
weil ich glaubte, daß Euer Excellenz gerade im heurigen Jahre ein Unterbleiben
der Vorträge über Encyklopädie nicht gerne sehen würde, andrerseits, weil ich
auf die Emolumente aus den Doktoratstaxen zu resigniren nicht in der Lage bin.
An sich wäre mir ein Urlaub das fühlbarste Bedürfnis gewesen. Umso mehr darf ich
aber vielleicht von Euer Excellenz Gnade Gewährung meiner Bitte hoffen, welche
ich, falls ich nicht etwa durch Euer Excellenz selbst einstweilen davon
abgehalten werde, in den nächsten Tagen im amtlichen Wege einzubringen mir
erlauben werde.
Mit unbegrenzter Hochachtung
Euer Excellenz
unterthänigster Diener
L. Hasner