Johann Purkinje teilt dem Minister mit, dass er von der medizinischen Fakultät der Universität Prag für den Lehrstuhl der Physiologie an der dortigen Universität vorgeschlagen worden ist. Die Fakultät teilte ihm mit, dass sie sich von seiner Berufung die Errichtung eines physiologischen Instituts in Prag erhoffe. Ein solches Institut hatte er bereits an seiner jetzigen Wirkungsstätte in Breslau aufgebaut. Er wurde außerdem aufgefordert, im Ministerium einen entsprechenden Antrag zu deponieren. Zunächst betont Purkinje daher, wie sehr es ihn freut, dass die Stellung der Naturwissenschaften und damit auch die Physiologie durch die Reform verbessert worden sei. Schließlich ergreift er die Gelegenheit, um Leo Thun die Wichtigkeit der Physiologie für die wissenschaftliche Ausbildung der Studenten auf der Grundlage von Anschauung und Erfahrung und nicht nur als "diskursiver Gegenstand" darzulegen. Dabei kommt er auch ausführlich darauf zu sprechen, was für die Errichtung eines physiologischen Instituts erforderlich sei: An erster Stelle nennt er ein eigenes Gebäude und das nötige Personal, sodann die entsprechenden wissenschaftlichen "Apparate". Abschließend weist er aber darauf hin, dass ein physiologisches Institut nur dann gute Arbeit leisten könne, wenn es großzügig ausgestattet und mit der nötigen finanziellen Sicherheit versehen sei. Andernfalls würde es nur geringe Fortschritte machen, so wie es in Breslau der Fall sei.
Hochgeborner Herr Graf!
Hochgebietender Herr Minister!
Eure Excellenz!
Es ist mir zu Anfang dieses Monats durch Dr.
D’Hamerník in Prag die Mittheilung
geworden, daß der Lehrkörper der dortigen medicinischen Facultät mich bei Eurer
Excellenz zum Professor der Physiologie an der Prager Hochschule in Vorschlag gebracht hat, mit der Andeutung
des Wunsches der dortigen Collegen, daß mit meiner etwaigen Berufung die
Errichtung eines physiologischen Instituts in Prag
verbunden werde, wobei ich aufgefordert wurde die Gelegenheit zu ergreifen und
deshalb an Eure Excellenz meine Anträge zu richten. Wenn ich es nun wage dieser
Anregung zu folgen und Eurer Excellenz in Betreff der Errichtung eines
physiologischen Instituts einige Motive und Vorschläge vorzutragen, so thue ich
es nur in der Überzeugung, daß Euere Excellenz in einer Sache, welche die
Belebung des wissenschaftlichen Geistes und die Verherrlichung der Universität
angeht, mich gnädig anhören werden.
Die physiologische Wissenschaft und
Lehre hat auf einer Hochschule eine zweifache Wichtigkeit, einmal eine
allgemeinere philosophisch-pädagogische, sodann eine speciellere medicinische.
Letztere sei hier blos genannt.
Nöthiger erscheint es, einiges über die
allgemeinere philosophisch-pädagogische Wichtigkeit der Physiologie zu
erwähnen.
Aus dem Erlaß Eurer Excellenz über die Prüfungen der Candidaten
des Gymnasiallehramts1hab ich mit großer Freude ersehen, daß
von nun an eine möglichst universelle Bildung von den Aspiranten des höheren
Lehramts gefordert werden solle. Neben der früheren einseitig
philologisch-historischen wird nun auch die mathematisch-naturwissenschaftliche
Bildung in ihre Rechte treten.
Die Physiologie, als die Wissenschaft des
organischen Lebens, steht mit allen specielleren Naturwissenschaften, der
Physik, Chemie, Zoologie u.a. in den engsten Beziehungen und ist am meisten
geeignet, die einzeln erworbenen besondern Doctrinen im Geiste zu einer höheren
Einheit zu verbinden und sich von der Einseitigkeit derselben zu einem
universelleren Standpunkte zu befreien, was für die Entwicklung des künftigen
Lehrens zu wissenschaftlicher Reife, für die richtige Bemessung des Speciellen
im Vortrage, für die Weckung eines allgemein wissenschaftlichen Geistes von
hoher Wichtigkeit ist.
Wenn nun die Physiologie schon als abstracte Lehre
für Medicin und universelle Bildung von Wichtigkeit ist, so läßt sich wohl
denken, daß ein physiologisches Institut in beiden Beziehungen nur noch
wichtiger sein müßte, als in ihm durch Beobachtungen und Versuche die Grundlage
zu echter Erfahrungswissenschaft gelegt werden könnte. Ich werde mir daher
zunächst erlauben, in kürzester Weise, die Berechtigung und die Nothwendigkeit
der Errichtung physiologischer Institute darzuthun.
Die Physiologie, als
specielles Fach, gehört, wenn gleich schon lange cultivirt, dennoch mehr zu den
neueren Formationen der Wissenschaft. Es scheint in der Natur der Dinge zu
liegen, daß das Höhere, Geistigere, immer erst auf der Basis des Niederen,
Materiellen sich entwickeln muß. So die Pflanze auf der Grundlage der
elementaren Stoffe, das Thier auf dem Boden der Pflanze, die individuelle
Intelligenz auf dem des thierischen Lebens.
So konnte auch die Physiologie
nicht eher zu einem selbständigen Leben sich entwickeln, bis alle von ihr
vorauszusetzenden Doctrinen, Physik, Chemie, Botanik, Zoologie, vergleichende
Zootomie, denjenigen Grad der Reife erreicht hatten, wo ihre geistigen Elemente
von selbst einen höheren Organismus, den der allgemeinen Lebenswissenschaft,
erzeugen konnten. In früheren Zeiten wurde die Physiologie noch von der Anatomie
getragen und ausschließlich zu Diensten der Medicin verwendet. Als sie anfing
sich selbständiger zu gestalten, gewann sie doch nur erst eine mehr abstracte
Existenz in Compendien, war Gegenstand mühsamer Sammlung und Gelehrsamkeit und
als academischer Lehre, war ihr nur der mündliche Vortrag und die schriftliche
Darstellung gestattet. So konnte es nicht bleiben. Der physiologische Geist
drängte darnach sich durch einen Körper zu organi-,
realisiren und in reelle Verhältnisse mit den schon früher verleiblichten
speciellen Fächern der Naturwissenschaft zu gelangen.
Der Anfang dieser
Stellung der Physiologie ist durch die neuerliche Stiftung physiologischer
Institute eingetreten. Ich darf mir es zum Verdienst anrechnen, daß durch meine
Bemühungen das allererste normalmäßig dotirte mit eigenem Gebäude versehene
physiologische Institut hier zu Breslau ins Leben getreten ist, was seitdem zu Stiftung mehrerer
an verschiedenen Hochschulen die Veranlassung gab.
Bei meinem hiesigen
Eintreffen übernahm ich das Lehrfach der Physiologie von meinem Vorgänger
Prof. Bartels als einen meist
discursiven Gegenstand, mit Übergehung aller Anschaulichkeit, höchstens mit
bloßen Berufungen auf die Erfahrungen und Experimente anderer, von denen
gelegentlich referirt wurde. Es war eine bequeme Lehrkanzel, man konnte mit
richtiger Lectüre und Notizensammlung auskommen und es dem Zufall oder einzelnen
Experimentatoren und den beiläufigen Resultaten anderer naturwissenschaftlicher
Fächer überlassen das physiologische Material anwachsen zu machen, allenfalls
konnte man auch seine eigenen Gedanken hegen und mittheilen oder irgend ein
Lieblingsfach bearbeiten und einen zufälligen Beitrag liefern, endlich, wenn es
zum höchsten kam, ein eigenes, neusystematisirtes Lehrbuch in die Welt
entlassen. Ich fühlte bald, daß es dabei nicht bleiben könne, daß die durchaus
auf Erfahrung gegründete Wissenschaft auch Erfahrungen möglichst allseitig
machen, die Schüler aber Erfahrungen machen lehren müsse, daß die
physiologisch-propädeutische Erfahrung auch wohl geeignet sei als Grundlage der
klinischen therapeutischen und chirurgischen zu dienen. Bei dieser Gesinnung
gelang es mir allmählig mit Unterstützung des Universitätskurators, bei der
bekannten Munificenz des damaligen Ministers von
Altenstein, das hiesige physiologische Institut so weit zu
realisiren, daß es alle Organe der materiellen Beziehungen der Wissenschaft und
die keiner weiteren Entwicklung in sich enthält und auch eine nach Außen
ostensible Existenz zu behaupten im Stande ist. Eure Excellenz können sich wohl
denken, daß auch hier nicht alle Blüthenträume reiften und daß meine Idee, wie
das in der Natur liegt, immer die Wirklichkeit überstreben wird.
Sollte mir
nun das Glück werden durch die großmüthige Vermittlung Euerer Excellenz auf der
Hochschule in Prag in neue
Wirksamkeit einzutreten, so liegt es in meiner Existenz und in dem, was die
wissenschaftliche Welt von mir erwartet, daß ich in der Organisation des
physiologischen Instituts weitere Fortschritte mache. Gerne will ich das hiesige
anderen Händen zu fernerer Pflege überlassen, hab auch zum Theil durch Ernennung
eines neuen tüchtigen Assistenten dafür gesorgt, wenn ich die Aussicht haben
darf in eine neue, vielleicht noch günstigere Wirkungssphäre in meiner geliebten
Heimath einzutreten.
Wenn ich nun Eurer Excellenz die, aus dem Inhalt der
physiologischen Doctrinen hervorgehenden motivirten Anträge für die Requisite
eines physiologischen Instituts machen wollte, so fürchte ich die Zeit und
Aufmerksamkeit Eurer Excellenz mehr in Anspruch zu nehmen, als vielleicht die
relative Wichtigkeit dieser Angelegenheit erlauben möchte. Ich stelle als [sic!]
Eurer Excellenz anheim solche motivirte Anträge, wenn die Sache überhaupt
Billigung finden sollte, später von mir zu erfordern, wozu ich gehorsamst mich
empfehle, und beschränke mich von jetzt blos in wenigen Punkten die
Haupterfordernisse anzugeben. Zu einem physiologischen Institut gehört:
1.
ein eigenes selbständiges Gebäude mit eigener zweckmäßiger Einrichtung, wozu
gehören: Hörsaal, anatomische, microscopische, chemische Arbeitslocale, Räume
für Sammlungen und Apparate, Wohnungen des Lehr- und Dienstpersonals, Hof,
Gartenraum, Ställe
2. in Bezug auf Realitäten:
a. die Requisite zur
Einrichtung vergleichend anatomischer, anthropologischer, microscopischer
Sammlungen, Sammlung von Modellen, Abbildungen, Büchern, soweit sie eine mehr
werkzeugliche Bedeutung haben, eine Sammlung anatomisch-chirurgischer
Instrumente.
b. eine Anzahl Microscope, freilich nach Bedürfnis der Zahl der
Arbeiten, zum Anfange etwa 6 große und wenigstens 10 kleinere.
Der Realetat
für a und b, für Erhaltung und Vermehrung der Sammlungen, für Instandhalten der
Microscope und Bereitung von Hülfsapparaten dazu, dürfte etwa auf 600 fl CM zu
bestimmen sein.
c. eine Sammlung physicalischer Instrumente zum Gebrauch bei
Versuchen und Demonstrationen bestehend in mechanischen, hydraulischen,
pneumatischen, optischen, acustischen, dynamischen Apparaten. Der Etat dafür
könnte auf 200 fl CM festgestellt werden.
d. Apparate, Werkzeuge und
Geräthschaften für physiologische Chemie.
Realetat dafür gleichfalls 200
fl.
Der gesamte Realetat = 1.000 fl CM
3. zum Lehr- und Dienstpersonale
des physiologischen Instituts gehören folgende Personen:
a. der Direktor,
der zugleich ordentlicher Professor der Physiologie und Professor der
vergleichenden Anatomie ist. Er hat eine Amtswohnung im Institut.
b. der
physiologisch-anatomische Assistent, der absolvirter Doctor der Medicin und
Chirurgie sein muß. Er leitet die physiologischen, anatomischen und
microscopischen Übungen und Untersuchungen, sorgt für Vermehrung,
Vervollständigung und Erhaltung der anatomischen, physiologischen,
microscopischen Sammlungen, Werkzeuge, Materialien u. dgl.
Die Wahl des
Assistenten ist zunächst vom Direktor abhängig, das Engagement erfolgt auf
halbjährige Kündigung von einer oder der andern Seite, die Jahre der Dienstzeit
sind unbestimmt und hängen von dem wissenschaftlichen Werthe und seiner
anderweitigen Anstellung ab. Es ist erwünschlich, daß er sich der ärztlichen
Praxis möglichst enthalte. Seine Besoldung wäre auf wenigstens 500 fl CM
anzuschlagen.
Er wohnt im Institutsgebäude.
c. der
chemisch-physiologische Assistent. Er muß vollkommene chemisch-practische
Ausbildung mitbringen, namentlich in der quantitativen Analyse organischer
Stoffe gewandt sein. Er kann Magister der Pharmacie oder auch Doktor der Chemie
oder Doktor der Medicin sein. Wesentliches Requisit ist eine tüchtige Kenntnis
der Physik. Seine Wahl und Anstellung geht gleichfalls zunächst vom Direktor
aus. Er führt die chemischen Arbeiten des Instituts aus und leitet die Übungen
im chemischen Laboratorium, über welches so wie über die physicalische Sammlung
er die Aufsicht hat.
Nebst Wohnung im Institut bezieht er eine Besoldung von
400 fl CM.
d. der Aufwärter des Instituts. Dieser hat theils für die
Reinigkeit und Bestand des Institutsgebäudes und dessen Mobiliarien zu sorgen,
theils die nöthigen Handleistungen zu machen, Aufträge, Bestellungen
auszuführen.
Sehr zu wünschen wäre es, daß er allerlei mechanische
Geschicklichkeit besitze, namentlich ein Metalldrechsler sei. (Der Aufwärter am
hiesigen Institut ist ein solcher). Seine Löhnung wäre etwa 300 fl CM, nebst
Wohnung, Licht und Feuerung. Ob noch ein Hülfsdiener nöthig wäre, würde von der
Größe der Anlage des Instituts abhängen.
e. Außerdem würde ein Zeichner, ein
Abschreiber, ein anatomischer Hülfsarbeiter immerfort Beschäftigung finden, die
aus einem Etatstheil von etwa 300 fl honorirt werden könnten. Gesamter
Personaletat = 1.500 fl CM.
Nachträglich muß noch bemerkt werden, daß zur
Erhaltung der Baulichkeiten, Licht, Feuerung und Bestreitung anderer
ökonomischer Bedürfnisse ad f. auch ein Etatstheil von 300–500 fl CM ausgesetzt
werden müßte.
Für die erste Ausstattung des Instituts, zur Anschaffung von
Microskopen, physicalischen und chemischen Apparaten und Geräthschaften,
Utensilien, Schränken, Tischen u. dgl. wären wenigstens 2.000 fl
erforderlich.
Da wahrscheinlich im Anfange ein eigenes zweckmäßiges Gebäude
nicht gleich hergestellt oder solches frei disponibles vorgefunden werden
könnte, müßte ein Haus, möglichst ohne fremde Mitbewohner, gemiethet werden, bis
indes anderweitig Rath geschafft würde.
Eure Excellenz ersehen aus diesen
Angaben, wie ein physiologisches Institut in großartiger Weise, wie es die
Culturlage Prags in Europa
wohl mit sich brächte, errichtet werden müßte. Außerdem gäbe es natürlich
mehrere Abstufungen des Preises und des Leistungswerthes physiologischer
Institute nach Maßgabe der Mittel, die zu ihrer Realisation verwendet würden und
der technisch-wissenschaftlichen Kräfte, die dabei in Anwendung kämen. Eine
äußerste Beschränkung wäre die, wo gerade so viel Hülfsmittel geboten würden,
als zur anschaulichen Erläuterung der theoretischen Vorlesungen durch
Experimente und Demonstrationen erfordert wird, ohne oder mit sehr beschränkter
Gewährung practischer Ausbildung, wie dies z. B. großentheils bei dem hiesigen
Institute der Fall ist. Noch größere Beschränkungen führen endlich zu der alten
Form des blos discursiven Vortrags, die allerdings am bequemsten und allenfalls
zur Begünstigung litterärischer Arbeiten geeignet wäre.
Indem ich nun in
vollkommenster Ergebung und Selbstbescheidung von Eurer Excellenz Entscheidung
hoffe und erwarte, für welche der angegebenen Formen der physiologischen Lehre
Eure Excellenz mich bestimmen werden und unter jeder meine möglichste
Wirksamkeit zu entwickeln verspreche, zeichne ich mich
in tiefster Verehrung
Eurer Excellenz
gehorsamster Diener
Johann Purkinje
Breslau, den 22. October 1849