Johann Purkinje an Leo Thun
Breslau, 22. Oktober 1849
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Regest

Johann Purkinje teilt dem Minister mit, dass er von der medizinischen Fakultät der Universität Prag für den Lehrstuhl der Physiologie an der dortigen Universität vorgeschlagen worden ist. Die Fakultät teilte ihm mit, dass sie sich von seiner Berufung die Errichtung eines physiologischen Instituts in Prag erhoffe. Ein solches Institut hatte er bereits an seiner jetzigen Wirkungsstätte in Breslau aufgebaut. Er wurde außerdem aufgefordert, im Ministerium einen entsprechenden Antrag zu deponieren. Zunächst betont Purkinje daher, wie sehr es ihn freut, dass die Stellung der Naturwissenschaften und damit auch die Physiologie durch die Reform verbessert worden sei. Schließlich ergreift er die Gelegenheit, um Leo Thun die Wichtigkeit der Physiologie für die wissenschaftliche Ausbildung der Studenten auf der Grundlage von Anschauung und Erfahrung und nicht nur als "diskursiver Gegenstand" darzulegen. Dabei kommt er auch ausführlich darauf zu sprechen, was für die Errichtung eines physiologischen Instituts erforderlich sei: An erster Stelle nennt er ein eigenes Gebäude und das nötige Personal, sodann die entsprechenden wissenschaftlichen "Apparate". Abschließend weist er aber darauf hin, dass ein physiologisches Institut nur dann gute Arbeit leisten könne, wenn es großzügig ausgestattet und mit der nötigen finanziellen Sicherheit versehen sei. Andernfalls würde es nur geringe Fortschritte machen, so wie es in Breslau der Fall sei.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Herr Graf!

Hochgebietender Herr Minister!

Eure Excellenz!

Es ist mir zu Anfang dieses Monats durch Dr. D’Hamerník in Prag die Mittheilung geworden, daß der Lehrkörper der dortigen medicinischen Facultät mich bei Eurer Excellenz zum Professor der Physiologie an der Prager Hochschule in Vorschlag gebracht hat, mit der Andeutung des Wunsches der dortigen Collegen, daß mit meiner etwaigen Berufung die Errichtung eines physiologischen Instituts in Prag verbunden werde, wobei ich aufgefordert wurde die Gelegenheit zu ergreifen und deshalb an Eure Excellenz meine Anträge zu richten. Wenn ich es nun wage dieser Anregung zu folgen und Eurer Excellenz in Betreff der Errichtung eines physiologischen Instituts einige Motive und Vorschläge vorzutragen, so thue ich es nur in der Überzeugung, daß Euere Excellenz in einer Sache, welche die Belebung des wissenschaftlichen Geistes und die Verherrlichung der Universität angeht, mich gnädig anhören werden.
Die physiologische Wissenschaft und Lehre hat auf einer Hochschule eine zweifache Wichtigkeit, einmal eine allgemeinere philosophisch-pädagogische, sodann eine speciellere medicinische. Letztere sei hier blos genannt.
Nöthiger erscheint es, einiges über die allgemeinere philosophisch-pädagogische Wichtigkeit der Physiologie zu erwähnen.
Aus dem Erlaß Eurer Excellenz über die Prüfungen der Candidaten des Gymnasiallehramts1hab ich mit großer Freude ersehen, daß von nun an eine möglichst universelle Bildung von den Aspiranten des höheren Lehramts gefordert werden solle. Neben der früheren einseitig philologisch-historischen wird nun auch die mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung in ihre Rechte treten.
Die Physiologie, als die Wissenschaft des organischen Lebens, steht mit allen specielleren Naturwissenschaften, der Physik, Chemie, Zoologie u.a. in den engsten Beziehungen und ist am meisten geeignet, die einzeln erworbenen besondern Doctrinen im Geiste zu einer höheren Einheit zu verbinden und sich von der Einseitigkeit derselben zu einem universelleren Standpunkte zu befreien, was für die Entwicklung des künftigen Lehrens zu wissenschaftlicher Reife, für die richtige Bemessung des Speciellen im Vortrage, für die Weckung eines allgemein wissenschaftlichen Geistes von hoher Wichtigkeit ist.
Wenn nun die Physiologie schon als abstracte Lehre für Medicin und universelle Bildung von Wichtigkeit ist, so läßt sich wohl denken, daß ein physiologisches Institut in beiden Beziehungen nur noch wichtiger sein müßte, als in ihm durch Beobachtungen und Versuche die Grundlage zu echter Erfahrungswissenschaft gelegt werden könnte. Ich werde mir daher zunächst erlauben, in kürzester Weise, die Berechtigung und die Nothwendigkeit der Errichtung physiologischer Institute darzuthun.
Die Physiologie, als specielles Fach, gehört, wenn gleich schon lange cultivirt, dennoch mehr zu den neueren Formationen der Wissenschaft. Es scheint in der Natur der Dinge zu liegen, daß das Höhere, Geistigere, immer erst auf der Basis des Niederen, Materiellen sich entwickeln muß. So die Pflanze auf der Grundlage der elementaren Stoffe, das Thier auf dem Boden der Pflanze, die individuelle Intelligenz auf dem des thierischen Lebens.
So konnte auch die Physiologie nicht eher zu einem selbständigen Leben sich entwickeln, bis alle von ihr vorauszusetzenden Doctrinen, Physik, Chemie, Botanik, Zoologie, vergleichende Zootomie, denjenigen Grad der Reife erreicht hatten, wo ihre geistigen Elemente von selbst einen höheren Organismus, den der allgemeinen Lebenswissenschaft, erzeugen konnten. In früheren Zeiten wurde die Physiologie noch von der Anatomie getragen und ausschließlich zu Diensten der Medicin verwendet. Als sie anfing sich selbständiger zu gestalten, gewann sie doch nur erst eine mehr abstracte Existenz in Compendien, war Gegenstand mühsamer Sammlung und Gelehrsamkeit und als academischer Lehre, war ihr nur der mündliche Vortrag und die schriftliche Darstellung gestattet. So konnte es nicht bleiben. Der physiologische Geist drängte darnach sich durch einen Körper zu organi-, realisiren und in reelle Verhältnisse mit den schon früher verleiblichten speciellen Fächern der Naturwissenschaft zu gelangen.
Der Anfang dieser Stellung der Physiologie ist durch die neuerliche Stiftung physiologischer Institute eingetreten. Ich darf mir es zum Verdienst anrechnen, daß durch meine Bemühungen das allererste normalmäßig dotirte mit eigenem Gebäude versehene physiologische Institut hier zu Breslau ins Leben getreten ist, was seitdem zu Stiftung mehrerer an verschiedenen Hochschulen die Veranlassung gab.
Bei meinem hiesigen Eintreffen übernahm ich das Lehrfach der Physiologie von meinem Vorgänger Prof. Bartels als einen meist discursiven Gegenstand, mit Übergehung aller Anschaulichkeit, höchstens mit bloßen Berufungen auf die Erfahrungen und Experimente anderer, von denen gelegentlich referirt wurde. Es war eine bequeme Lehrkanzel, man konnte mit richtiger Lectüre und Notizensammlung auskommen und es dem Zufall oder einzelnen Experimentatoren und den beiläufigen Resultaten anderer naturwissenschaftlicher Fächer überlassen das physiologische Material anwachsen zu machen, allenfalls konnte man auch seine eigenen Gedanken hegen und mittheilen oder irgend ein Lieblingsfach bearbeiten und einen zufälligen Beitrag liefern, endlich, wenn es zum höchsten kam, ein eigenes, neusystematisirtes Lehrbuch in die Welt entlassen. Ich fühlte bald, daß es dabei nicht bleiben könne, daß die durchaus auf Erfahrung gegründete Wissenschaft auch Erfahrungen möglichst allseitig machen, die Schüler aber Erfahrungen machen lehren müsse, daß die physiologisch-propädeutische Erfahrung auch wohl geeignet sei als Grundlage der klinischen therapeutischen und chirurgischen zu dienen. Bei dieser Gesinnung gelang es mir allmählig mit Unterstützung des Universitätskurators, bei der bekannten Munificenz des damaligen Ministers von Altenstein, das hiesige physiologische Institut so weit zu realisiren, daß es alle Organe der materiellen Beziehungen der Wissenschaft und die keiner weiteren Entwicklung in sich enthält und auch eine nach Außen ostensible Existenz zu behaupten im Stande ist. Eure Excellenz können sich wohl denken, daß auch hier nicht alle Blüthenträume reiften und daß meine Idee, wie das in der Natur liegt, immer die Wirklichkeit überstreben wird.
Sollte mir nun das Glück werden durch die großmüthige Vermittlung Euerer Excellenz auf der Hochschule in Prag in neue Wirksamkeit einzutreten, so liegt es in meiner Existenz und in dem, was die wissenschaftliche Welt von mir erwartet, daß ich in der Organisation des physiologischen Instituts weitere Fortschritte mache. Gerne will ich das hiesige anderen Händen zu fernerer Pflege überlassen, hab auch zum Theil durch Ernennung eines neuen tüchtigen Assistenten dafür gesorgt, wenn ich die Aussicht haben darf in eine neue, vielleicht noch günstigere Wirkungssphäre in meiner geliebten Heimath einzutreten.
Wenn ich nun Eurer Excellenz die, aus dem Inhalt der physiologischen Doctrinen hervorgehenden motivirten Anträge für die Requisite eines physiologischen Instituts machen wollte, so fürchte ich die Zeit und Aufmerksamkeit Eurer Excellenz mehr in Anspruch zu nehmen, als vielleicht die relative Wichtigkeit dieser Angelegenheit erlauben möchte. Ich stelle als [sic!] Eurer Excellenz anheim solche motivirte Anträge, wenn die Sache überhaupt Billigung finden sollte, später von mir zu erfordern, wozu ich gehorsamst mich empfehle, und beschränke mich von jetzt blos in wenigen Punkten die Haupterfordernisse anzugeben. Zu einem physiologischen Institut gehört:
1. ein eigenes selbständiges Gebäude mit eigener zweckmäßiger Einrichtung, wozu gehören: Hörsaal, anatomische, microscopische, chemische Arbeitslocale, Räume für Sammlungen und Apparate, Wohnungen des Lehr- und Dienstpersonals, Hof, Gartenraum, Ställe
2. in Bezug auf Realitäten:
a. die Requisite zur Einrichtung vergleichend anatomischer, anthropologischer, microscopischer Sammlungen, Sammlung von Modellen, Abbildungen, Büchern, soweit sie eine mehr werkzeugliche Bedeutung haben, eine Sammlung anatomisch-chirurgischer Instrumente.
b. eine Anzahl Microscope, freilich nach Bedürfnis der Zahl der Arbeiten, zum Anfange etwa 6 große und wenigstens 10 kleinere.
Der Realetat für a und b, für Erhaltung und Vermehrung der Sammlungen, für Instandhalten der Microscope und Bereitung von Hülfsapparaten dazu, dürfte etwa auf 600 fl CM zu bestimmen sein.
c. eine Sammlung physicalischer Instrumente zum Gebrauch bei Versuchen und Demonstrationen bestehend in mechanischen, hydraulischen, pneumatischen, optischen, acustischen, dynamischen Apparaten. Der Etat dafür könnte auf 200 fl CM festgestellt werden.
d. Apparate, Werkzeuge und Geräthschaften für physiologische Chemie.
Realetat dafür gleichfalls 200 fl.
Der gesamte Realetat = 1.000 fl CM
3. zum Lehr- und Dienstpersonale des physiologischen Instituts gehören folgende Personen:
a. der Direktor, der zugleich ordentlicher Professor der Physiologie und Professor der vergleichenden Anatomie ist. Er hat eine Amtswohnung im Institut.
b. der physiologisch-anatomische Assistent, der absolvirter Doctor der Medicin und Chirurgie sein muß. Er leitet die physiologischen, anatomischen und microscopischen Übungen und Untersuchungen, sorgt für Vermehrung, Vervollständigung und Erhaltung der anatomischen, physiologischen, microscopischen Sammlungen, Werkzeuge, Materialien u. dgl.
Die Wahl des Assistenten ist zunächst vom Direktor abhängig, das Engagement erfolgt auf halbjährige Kündigung von einer oder der andern Seite, die Jahre der Dienstzeit sind unbestimmt und hängen von dem wissenschaftlichen Werthe und seiner anderweitigen Anstellung ab. Es ist erwünschlich, daß er sich der ärztlichen Praxis möglichst enthalte. Seine Besoldung wäre auf wenigstens 500 fl CM anzuschlagen.
Er wohnt im Institutsgebäude.
c. der chemisch-physiologische Assistent. Er muß vollkommene chemisch-practische Ausbildung mitbringen, namentlich in der quantitativen Analyse organischer Stoffe gewandt sein. Er kann Magister der Pharmacie oder auch Doktor der Chemie oder Doktor der Medicin sein. Wesentliches Requisit ist eine tüchtige Kenntnis der Physik. Seine Wahl und Anstellung geht gleichfalls zunächst vom Direktor aus. Er führt die chemischen Arbeiten des Instituts aus und leitet die Übungen im chemischen Laboratorium, über welches so wie über die physicalische Sammlung er die Aufsicht hat.
Nebst Wohnung im Institut bezieht er eine Besoldung von 400 fl CM.
d. der Aufwärter des Instituts. Dieser hat theils für die Reinigkeit und Bestand des Institutsgebäudes und dessen Mobiliarien zu sorgen, theils die nöthigen Handleistungen zu machen, Aufträge, Bestellungen auszuführen.
Sehr zu wünschen wäre es, daß er allerlei mechanische Geschicklichkeit besitze, namentlich ein Metalldrechsler sei. (Der Aufwärter am hiesigen Institut ist ein solcher). Seine Löhnung wäre etwa 300 fl CM, nebst Wohnung, Licht und Feuerung. Ob noch ein Hülfsdiener nöthig wäre, würde von der Größe der Anlage des Instituts abhängen.
e. Außerdem würde ein Zeichner, ein Abschreiber, ein anatomischer Hülfsarbeiter immerfort Beschäftigung finden, die aus einem Etatstheil von etwa 300 fl honorirt werden könnten. Gesamter Personaletat = 1.500 fl CM.
Nachträglich muß noch bemerkt werden, daß zur Erhaltung der Baulichkeiten, Licht, Feuerung und Bestreitung anderer ökonomischer Bedürfnisse ad f. auch ein Etatstheil von 300–500 fl CM ausgesetzt werden müßte.
Für die erste Ausstattung des Instituts, zur Anschaffung von Microskopen, physicalischen und chemischen Apparaten und Geräthschaften, Utensilien, Schränken, Tischen u. dgl. wären wenigstens 2.000 fl erforderlich.
Da wahrscheinlich im Anfange ein eigenes zweckmäßiges Gebäude nicht gleich hergestellt oder solches frei disponibles vorgefunden werden könnte, müßte ein Haus, möglichst ohne fremde Mitbewohner, gemiethet werden, bis indes anderweitig Rath geschafft würde.
Eure Excellenz ersehen aus diesen Angaben, wie ein physiologisches Institut in großartiger Weise, wie es die Culturlage Prags in Europa wohl mit sich brächte, errichtet werden müßte. Außerdem gäbe es natürlich mehrere Abstufungen des Preises und des Leistungswerthes physiologischer Institute nach Maßgabe der Mittel, die zu ihrer Realisation verwendet würden und der technisch-wissenschaftlichen Kräfte, die dabei in Anwendung kämen. Eine äußerste Beschränkung wäre die, wo gerade so viel Hülfsmittel geboten würden, als zur anschaulichen Erläuterung der theoretischen Vorlesungen durch Experimente und Demonstrationen erfordert wird, ohne oder mit sehr beschränkter Gewährung practischer Ausbildung, wie dies z. B. großentheils bei dem hiesigen Institute der Fall ist. Noch größere Beschränkungen führen endlich zu der alten Form des blos discursiven Vortrags, die allerdings am bequemsten und allenfalls zur Begünstigung litterärischer Arbeiten geeignet wäre.
Indem ich nun in vollkommenster Ergebung und Selbstbescheidung von Eurer Excellenz Entscheidung hoffe und erwarte, für welche der angegebenen Formen der physiologischen Lehre Eure Excellenz mich bestimmen werden und unter jeder meine möglichste Wirksamkeit zu entwickeln verspreche, zeichne ich mich

in tiefster Verehrung

Eurer Excellenz

gehorsamster Diener

Johann Purkinje

Breslau, den 22. October 1849