Leo Thun bedankt sich bei Julius Ficker für die Informationen aus Innsbruck und tritt zugleich mit einem neuen Anliegen an Ficker heran. Thun schildert Ficker, dass die Lehrbücher für den Geschichtsunterricht an den Gymnasien von Wilhelm Pütz seinen religiösen Ansprüchen nicht genügen. Daher hatte Thun Johannes Bumüller mit der Abfassung neuer Lehrbücher betraut. Die Redaktion der Gymnasialzeitschrift hat nun allerdings ein schlechtes Urteil über den ersten Band von Bumüllers Buch abgegeben. Thun ist daher in einer misslichen Situation. Er bittet Ficker deshalb, dass auch er eine Rezension des Buches verfasse. Thun möchte nämlich das Urteil eines weiteren Fachmanns, um entscheiden zu können, ob das Buch als offizielles Lehrbuch anerkannt werden soll.
Wien den 19. März 1855
Werther Herr Professor!
Indem ich Ihnen meinen verbindlichen Dank für Ihr Schreiben vom 8. des
[Monats]1 sage,
erscheine ich schon wieder mit einem neuen Anliegen.
Der
Geschichtsunterricht an den Gymnasien ruht bisher hauptsächlich auf den
Lehrbüchern von Pütz
2. Sie lassen manches, namentlich
in Beziehung auf die religiöse Auffassung zu wünschen übrig, und haben mir in
dieser Beziehung bereits an mehreren Orten Verlegenheit bereitet. Sehr günstige
Urtheile3 über Bumüllers Weltgeschichte 4 ließen mich hoffen, in
ihm den rechten Mann zu finden, der besseres leisten könne. Ich habe ihn
aufgefordert, zunächst ein Lehrbuch für Untergymnasien zu schreiben. Das
Manuskript des ersten die alte Geschichte behandelnden Theiles wurde von einem
sehr tüchtigen, im historischen Fache bewanderten Gymnasialdirektor sehr günstig
beurtheilt. Ich habe infolgedessen dem Verfasser zugesichert, dieser Band werde
für ein allgemein zugelassenes Lehrbuch erklärt werden, und es ist nun bei
Gerold erschienen, der
gleichzeitig eine ungarische und eine italienische Übersetzung auflegt. 5 Inzwischen ist mir das Manuskript für die
Fortsetzung eingesendet worden. Der Beurtheiler des 1. Bandes hat Anstände
dagegen erhoben, und ich fand schon deshalb eine gründlichere Prüfung
nothwendig, um welche ich Sie demnächst in amtlichem Wege ersuchen werde.
Inzwischen hat die Redakzion der Gymnasial Zeitschrift eine Anzeige des gedruckten
ersten Theiles geben wollen. Ihr Urtheil ist leider in jeder Beziehung ein sehr
ungünstiges. Sie hält die Arbeit für eine in wissenschaftlicher Beziehung sehr
ungenügende, findet überdies aber auch den löblichen Zweck einer christlichen
Auffassung der Geschichte des Altherthums in einer Weise angestrebt, welche
nicht zu billigen sei, sondern die Gefahr einer umgekehrten Wirkung enthalte,
indem es an gerechter Würdigung fehle.
Ich habe auf die Redakzion der Zeitschrift keinen positiven Einfluss, Rücksichten
die in der Natur der Sache gegründet sind, haben sie aber veranlasst, mir das
Peinliche der Lage, in welcher sie sich in diesem Falle befindet, darzustellen.
Sie kann es natürlich nicht umgehen, ein solches Buch zu besprechen und es
versteht sich, daß ich selbst nicht wünschen kann, daß es anders als mit ernster
Wahrhaftigkeit beurtheilt werde. Ist das Buch schlecht ausgefallen, so thut es
mir sehr leid, weil ich große Hoffnungen darauf gesetzt hatte. Aber ich selbst
muß dann wünschen, es bewiesen zu sehen und dem Verfasser beweisen zu können.
Eben deshalb muß ich aber wünschen, daß wenn die Zeitschrift eine ungünstige
Kritik bringt, diese in einer Weise und von einem Mann verfasst sei, welche und
dessen Name keinen Zweifel einer vom Verfasser des Buches, seiner anerkannt
katholischen Gesinnung wegen abgeneigter Stimmung kaum gebe, vielmehr jeden
solchen Verdacht ausschließt. Das habe ich der Redakzion gesagt und die
Andeutung beigefügt, daß es mir sehr erwünscht wäre, wenn Sie um eine kritische
Besprechung angegangen würden. Ich zweifle nicht, daß es geschehen wird,
vielleicht schon geschehen ist und Sie würden mich zu herzlichem Dank
verpflichten, wenn Sie sich dieser, wie ich wohl einsehe – in mehr als einer
Beziehung nicht angenehmen Arbeit freundlich und mit Ihrer erprobten
Gründlichkeit und Unpartheilicheit unterziehen wollten.6
Mit aufrichtiger Hochachtung
Ihr ergebener
Thun