Der klassische Philologe Gustav Linker berichtet dem Minister von der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Hamburg und erkundigt sich über seine Aussichten auf eine feste Anstellung an einer österreichischen Universität. Seine Eindrücke von der Philologenversammlung hat er in einem Bericht für die Gymnasialzeitschrift zusammengefasst, den er Thun mit diesem Brief vorlegt. Außerdem legt er dem Brief einige aktuelle Arbeiten bei, darunter ein Werk über Sallust, welches Frucht seiner mehrjährigen Forschungen ist. Anschließend erkundigt er sich beim Minister, wie es um seine Karriereaussichten in Österreich bestellt sei: er sei nun seit vier Jahren Privatdozent in Wien, diese unsichere Situation empfinde er aber zunehmend als Belastung. Zur Untermauerung seines Wunsches betont er, dass seine Vorlesungen und seine Veröffentlichungen lobenden Anklang bei Studenten und Kollegen fänden. Sollte er keine Aussichten auf eine feste Anstellung in Österreich haben, würde er entweder eine andere Laufbahn anstreben oder sein Glück in Deutschland versuchen. Er würde zwar gern weiterhin zum Aufschwung der Philologie in Österreich beitragen, er möchte aber nicht auf Dauer in Unsicherheit leben und arbeiten. Er hofft, dass Thun seine Frage gnädig aufnimmt.
Hochgebietender Herr Staatsminister,
Hochgeborner Herr Graf!
Wollen Euer Excellenz es dem gehorsamst Unterzeichneten huldvollst gestatten,
seine neuesten litterarischen Arbeiten ehrerbietigst zu überreichen und im
Anschluß daran eine bescheidene Bitte vortragen zu dürfen.
Vor Kurzem von
der diesjährigen Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu
Hamburg zurückgekehrt hatte es der gehorsamst
Unterzeichnete unternommen, die Resultate derselben in einem kurzen Bericht für
die „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“ zusammenzustellen. Er
glaubte sich dazu gegenüber diesem Organ der österreichischen Gymnasiallehrer um
so mehr verpflichtet, da er aus Österreich
der einzige Teilnehmer an jener Versammlung war. Es sei mir jetzt vergönnt, den
erwähnten Bericht Euer Excellenz zu hochgeneigter Kenntnisnahme
vorzulegen.
Ebenso nehme ich mir die Freiheit, Euer Excellenz eine vor
Kurzem vollendete Ausgabe des Sallustius
gehorsamst zu überreichen. Dieselbe erscheint als eine bloße Ausgabe des Textes:
doch erlaube ich mir beizufügen, daß in dem Versuche, diesen möglichst in seiner
ursprünglichen echten Gestalt herzustellen, die Ergebnisse mehrjähriger
Beschäftigung mit den Schriftstellen enthalten sind, welche soweit ich sie
bisher veröffentlichte, billigende Anerkennung gefunden haben. Die
Rechtfertigung dieser Texteskritik ist theils in dem ebenfalls anliegenden
Schriftchen aus den Sitzungsberichten der Kaiserlichen Akademie, theils in
einzelnen zerstreuten Aufsätzen versucht: eine zusammenfassende Arbeit darüber
wird in der Kürze erscheinen. Wenn auch vielleicht Einzelnes in Frage gezogen
werden kann, im Allgemeinen glaube ich hoffen zu dürfen, die Ausgabe werde dem
gegenwärtigen Standpunct der Forschung und namentlich der wirklich
philologischen Methode entsprechend befunden werden.
Gestatten Euer
Excellenz, daß ich diesen Anlaß ergreife, um zugleich eine für mein Leben
wichtige Frage so unumwunden wie ehrerbietig Euer Excellenz vorzutragen.
Es
sind nunmehr vier Jahre verflossen, seit Euer Excellenz durch Genehmigung meiner
Habilitation mir die Lehrwirksamkeit an der hiesigen k.k. Universität hochgeneigtest gestatteten und bald
darauf durch provisorische Verwendung bei der hiesigen Universitätsbibliothek
mir eine meinen Studien nicht eben fremde Beschäftigung anwiesen, deren
Remuneration einen Theil meines Lebensbedarfes deckt.
Die schwierige Bahn
eines Privatdocenten wird von denen, welche sie erwählen, gewöhnlich in der
Absicht betreten, sich dadurch den Zugang zur festen Stellung an einer
Universität zu erwerben. Daß dieser Wunsch und diese Hoffnung mich beseelte, als
ich um die Habilitation nachsuchte, darf ich wohl kaum ausdrücklich erwähnen:
daß ich in den bisherigen vier Jahren mit Aufbietung aller Kräfte dahin
gearbeitet habe, mich der Erreichung dieses Zieles würdig zu zeigen, kann ich
mit aller Gewissenhaftigkeit versichern.
Die Vorlesungen, die ich an der
hiesigen Universität gehalten habe, dürften öfters geeignet gewesen sein Lücken
zu ergänzen, welche bei einer nur geringen Zahl philologischer Lehrkräfte nicht
immer zu vermeiden sind; für dieselben ist es mir gelungen, einen allmählich
erweiterten Wirkungskreis zu gewinnen: bei der Beurtheilung des Umfanges dieses
Wirkungskreises wird die Schwierigkeit nicht übersehen werden, welche besonders
in Nachwirkung bestandener Studienverhältnisse demjenigen entgegensteht, der
nicht das Gewicht einer öffentlichen Stellung oder einer Bevorzugung bei der
Lehramtsprüfung in die Wagschale legen kann. Für meine litterarischen Arbeiten,
soviel daran die in Rücksicht auf meine Subsistenz bisher erforderliche
Zersplitterung meiner Zeit auszuführen mir erlaubte, ist mir die aufmunterndste
Anerkennung competenter Fachmänner zu Theil geworden.
Mag ich indessen mit
diesem Versuche einer Selbstwürdigung das Richtige treffen oder verfehlen:
jedenfalls haben Euer Excellenz in Dero eindringender Aufmerksamkeit auf alle
Seiten des österreichischen Studienwesens dasjenige Urheil über meine
Leistungsfähigkeit gewonnen, welches über meine Zukunft Entscheidung gibt.
Wollen daher Euer Excellenz huldvollst gestatten, daß ich ehrerbietigst die
Frage zu stellen wage: ob für mich überhaupt eine gegründete Aussicht sei, zu
der festen Stellung einer Professur an einer österreichischen Universität zu
gelangen, und ob anderseits nach vierjähriger Privatdocentur und bei der
geringen Zahl philologischer Lehrkräfte an den österreichischen Universitäten
diese Aussicht nicht in zu weite Ferne gerückt erscheine.
So tief es mich
schmerzen würde, meinem Ziele entsagen zu müssen, für dessen Erreichung ich
mehrere Jahre hindurch alle Kräfte eingesetzt habe, so müßte es doch für mich
von größter Wichtigkeit sein, falls die bezeichnete Aussicht nicht vorhanden
ist, unerfüllbare Hoffnungen sogleich aufzugeben und eine andere Bahn zu einer
Zeit einzuschlagen, wo mein Lebensalter dies noch leichter macht und selbst der
Umstand mich unterstützen kann, daß an den Lehranstalten Norddeutschlands eben
jetzt kein Überfluß an philologischen Kräften ist. Und so glücklich es auf der
andern Seite mich machen würde, zu dem Aufschwunge der philologischen Studien,
welchen der österreichische Staat den Einrichtungen Euer Excellenz zu danken
hat, nach meinen Kräften beitragen zu dürfen, so ist dies doch auf die Dauer nur
möglich, wenn eine feste Stellung mit Zuversicht in die Zukunft blicken läßt und
die erforderliche Muße zu weiteren litterarischen Arbeiten gewährt.
Geruhen
Euer Excellenz die durch die Verhältnisse mir abgedrungene Frage huldvollst
aufzunehmen und zu befehlen, wenn ich eine Entscheidung darüber von Euer
Excellenz vernehmen solle.
In tiefster Ehrerbietung Euer Excellenz unterthänigster
Dr. Gustav Linker
Wien, den 4. November 1855