Franz Thun an Leo Thun
Venedig, 21. Juli 1853
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Regest

Franz Thun bittet seinen Bruder Leo um Verlängerung seines Urlaubs. Er befindet sich mit seiner Familie zur Kur in Italien und hat vom Arzt seiner Frau erfahren, dass der Zustand seiner Gattin eine Verlängerung des Kuraufenthaltes nötig mache. Er versichert seinem Bruder, dass eine längere Abwesenheit von Wien sich nicht negativ auf seine Arbeit auswirken werde. Insbesondere in der Angelegenheit der Votivkirche werde ein zweiwöchiger Aufschub nicht schaden. Gleichzeitig ist Franz Thun zuversichtlich und hofft, noch einige Arbeiten vor Ort erledigen zu können, wie etwa die Ausarbeitung des Plans zur Reform des Zeichenunterrichts sowie der Architektenausbildung an den Akademien der Künste in Venedig und Mailand. Für die Reform der letzteren ist es nach Ansicht von Thun notwendig, neue Professoren zu gewinnen. Franz erwähnt auch, dass er während seiner Inspektionsreise in Lombardo-Venetien zahlreiche interessante Bekanntschaften gemacht habe, die für die Reform noch förderlich sein könnten. Abschließend schreibt er, dass sie Leo Thuns Frau Caroline besucht haben, die sehr heiter wirkte und bei der die Kur sehr gut anzuschlagen schien. Franz hofft, dass dies auch bei seiner Frau der Fall sein wird.

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Edierter Text

Vendig, am 21. July 1853

Lieber Leo,

Vorgestern abend hierher zurückgekehrt, hat sich heute unser Schicksal entschieden. Schon Jaksch, Schroff und Oppolzer haben 6 Wochen als die kürzeste Zeit des Gebrauchs des Seebades angegeben und beigesetzt, wir sollen bleiben, solange als nur [?] möglich – dann aber jedenfalls zur Stärkung der Nerven die Rückreise durch Tirol machen. Die 8 Wochen seit unserer Ankunft sind nun Sonntag den 24. d. aus – eine Woche davon konnte aus natürlicher Ursache nicht gebadet werden. Heute erklärte mir nun der Arzt, er fände es bei dem wirklich nicht undenklichen Zustande von Lenas Nerven absolut nothwendig, daß wir unseren Aufenthalt um 2 Wochen verlängern – d. i. bis zum 7. August. Das würde dann auch unsere Rückkunft um 2 Wochen hinausschieben, so daß wir, statt Mitte, erst Ende August zurückkehrten! Da muß ich nun vor Allem deine Bewilligung erbitten! Ich gestehe dir, daß mir viel daran liegt, da bei Lenas Nervenzustand kann ich sie mit den Kleinen allein nicht reisen lassen. Kann ich also nicht solange ausbleiben, so bliebe nichts übrig, als nach dem Ende der Kuhr durch Tirol, statt etwas in der Gebirgsluft zu verweilen, nach Hause zu eilen! Rücksichtlich der Ministerialgeschäfte glaube ich wird eine etwas längere Abwesenheit nicht viel schaden – die italienische Sache läßt du mir wohl bis dahin liegen – ich komme dann wenigstens vollkommen instruirt und mit meinen Projecten ganz im Reinen zurück. Auch hoffe ich hier noch meinen Bericht auszuarbeiten und dann ihn vielleicht vor meiner Rückkunft einzuschicken! Die einzige Sache, die vielleicht Schwierigkeit macht, scheint mir mein Präsidium in dem Comite zum Entwurf des Concurs[?] für die Votivkirche. Zugleich bin ich aber überzeugt, daß gerade in dieser Angelegenheit ein Aufschub von 14 Tagen gar nichts schaden wird. Sollte selbst Anfang August die Sache so weit gediehen sein, so könnte ja der Erzherzog den Erlaß um die paar Tage aufschieben! Mit der Arbeit sind wir dann so in wenigen Tagen fertig und das Unternehmen selbst wird so Jahre brauchen, bis es vollendet ist. Könntest du nicht mit dem Erzherzog sprechen?
Ich hoffe von dieser Reise unendlichen Gewinn für meine Stellung überhaupt und für die Behandlung der italienischen Angelegenheiten insbesondere! Fleißig war ich fast über meine Kräfte, sodaß ich ganz erschöpft hierher zurückkehrte und ein paar Tage zur körperlichen Erholung brauche. Ich glaube aber alles, was die Academie, den Zeichenunterricht und die Architectenbildung betrifft, ganz gründlich kennengelernt zu haben und habe überdies ganz kostbare persönliche Bekanntschaften gemacht und mich auch in dieser Beziehung für alle Fälle vorbereitet. Ich hoffe schon hier mein Project für die Reorganisirung des Zeichenunterrichts und die Architectelbildung [sic!] an der Academie wie an der Universität auszuarbeiten. In letzterer Beziehung ist vor Allem ein ganz tüchtiger Professor an der Academie nothwendig – den von Nava und der Academie vorgeschlagenen Besia halte ich für durchaus unfähig, der Architectur einen neuen Aufschwung zu geben – ich habe mir alles, was er ausgeführt und projektirt hat zu allen Arbeiten seiner Schüler zeigen lassen. Er kann gar nichts als ewig die Säulenordnungen Palladios kopieren – was gerade der Grund des Verfalls der Architektur bis zu ihrem jetzigen elenden Standpunkte ist und hat von den einzig wahren Prinzipien der Baukunst wohl die fernste Idee. Es ist allerdings hart für ihn, wenn er nach 35jährigem Adjunktendienst nicht den Professorengehalt erhalte – aber ich halte es für eine Gewissenssache, die Zukunft der Jugend solchen Händen anzuvertrauen! Freilich ist noch ein Mittel, denn der Statthalter trägt an, zwei Professoren zu ernennen, einen für den Ingenieur-Architecten (Besia), einen für den Künstlerarchitekten (Cavallari). Diese Abtheilung ist ganz unmotivirt. Dagegen wäre es erwünscht, einen Professor für die Construction (i. e. alles, was Stabilität bedingt) und einen für den künstlerischen Theil zu haben. Für den ersteren Theil wäre Besia ganz gut – ob aber der Finanzminister 2 Professoren passiert, ist etwas anderes!
Verzeihe diese 2 Blätter – die [?] hat mir aber auf die 2. Hälfte des 1. Blatts Dinte gegossen, so daß ich nicht fortschreiben konnte, sondern ein anderes Blatt nehmen mußte.
Beifolgende Bittschrift hat mir der Director des Veterinarinstituts in Mailand übergeben – er bittet dich um [?] seine Angaben nachtragen zu lassen. Da ich wohl erst nach deiner Abfahrt nach Carlsbad ankomme, so schicke ich sie lieber. Der Umstand: Bruder des Ministers zu sein, hat mir hie und da geholfen – mich aber auch [?] Augenblicke gekostet. Als ich in Pavia war die Architekturschule zu besuchen, ließ der Rector Magnificus in der Aula alle 40 Professoren in großem Kostüm ausrücken und stellte mir in Circle (wie dem Kaiser!) nach einer langen Anrede jeden einzeln vor!
Über mein Gesuch um verlängerten Urlaub läßt du mir wohl etwa durch [?] Antwort zukommen?
Caroline habe ich gestern früh besucht, aber waren wir mit ihr im Mondschein in den zauberhaften Gallerien des Dogenpalastes! Sie ist sehr heiter, von allem entzückt und die Kuhr scheint ihr gut anzuschlagen! Gebe der Himmel, daß dies auch bei meiner Frau der Fall sei!
Meinen herzlichen Dank für deine Freundlichkeit für meine Buben – du hast mit der Nachmittagstour nicht nur sie, sondern auch uns – besonders meine liebe, gerade nicht verwöhnte Lena ganz glücklich gemacht, da der Gedanke, daß – wenn sie nicht wär – die Kinder mehr Liebe fänden, nur zu oft eine Quelle des Kummers ist.

Von ganzer Seele

Dein

Franz