Franz Thun an Leo Thun
Castelfondo, 12. August 1853
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Regest

Franz Thun berichtet seinem Bruder von einer Inspektionsreise in das Königreich Lombardo-Venetien. Franz Thun erklärt zunächst, dass die Vorschriften zur Reorganisation des Zeichenunterrichts an den Elementar- und Realschulen sowie an den Gymnasien in Lombardo-Venetien falsch verstanden wurden. Daher sollten Inspektoren die Durchführung der Reform – ähnlich wie Schulräte – überwachen, wie dies von ihm und Christian Ruben für andere Provinzen bereits angeregt worden war. Schließlich weist Franz Thun noch auf das Gesuch eines Mannes hin, der bereits als Jugendlicher Geistlicher werden wollte, dies aufgrund des Widerstandes seiner Eltern aber nicht durfte. Dieser möchte nun mit 40 Jahren seinen Wunsch erfüllen und bittet den Minister um die Bewilligung, zur Maturitätsprüfung zugelassen zu werden.
Leopold Moll, Kreishauptmann von Rovereto, empfiehlt in den beigelegten Briefen Giuseppe Cis dem Wohlwollen Guidobald Thuns. Cis möchte die geistliche Laufbahn einschlagen und muss dazu die Maturitätsprüfungen nachholen. Moll erklärt, dass Cis österreichisch gesinnt sei und jener überaus glücklich wäre, wenn Minister Leo Thun seinen innersten Herzenswunsch erfüllen könnte. Abschließend entschuldigt sich Moll bei Guidobald Thun, ihn wegen dieser Empfehlung belästigt zu haben und hofft, dass er ihn bald besuchen werde.

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Edierter Text

Castel di Castelfondo, am 12. Aug. 1853

Lieber Leo,

acht Tage sind wir bald hier und noch immer habe ich dir nicht geschrieben! Die Ursache liegt aber sehr nahe – trotz meines Asthmas konnte ich dir nicht schreiben, weil ich überhaupt nicht schreiben konnte. Es hat sich nämlich auf der Herreise von Riva am Garda See, wo uns der gute Guido abholte, eine Furunkel an meinem rechten vorderen Arm und eine am kleinen Finger ausgebildet, welche mich gleich nach der Ankunft hier sehr leiden machte, mir Fieber verursachte und mich sogar fast im Bette hielt. Du kannst dir denken, wie mich dies gerade hier in der schönen Gegend, wo ich so gerne viel Bewegung gemacht hätte, geärgert hat. Schreiben war absolut unmöglich und geht auch jetzt, wo die Geschichten seit zwei Tagen offen sind, noch schwer; und doch will ichs nicht länger hinausschieben.
Die Hauptursache ist ein Vorschlag behufs der endlichen Durchführung der Reorganisirung des Zeichenunterrichtes in den italienischen Realschulen, Elementarschulen und Gymnasien (in den letzteren besteht er noch als freier Gegenstand, und wird nach meinem später zu unterbreitenden Vorschlage, für die, die dann die mathematische Fakultät der Universität (= unsere Technik) besuchen, wohl obligat werden müssen). Ich habe in allen diesen Zeichenschulen eine große Confussion gefunden, welche vorzüglich davon herrührte, daß die in den Bestimmungen für die Reorganisirung der Realschulen enthaltenen Vorschriften über das Zeichnen gar nicht verstanden worden sind. Meistens (im Lombardischen) wird der Unterricht in Freihandzeichnen nach Geometrischen Körpern gar nicht ertheilt, obwohl man überall von dieser Idee, als ich sie erklärt hatte, sehr entzückt schien. Auch wo er nie in Venedig ertheilt wird, fehlt das Organische Zusammengreifen des Zeichenunterrichts und seine Abstufung, sein Fortschreiten in den verschiedenen Jahren. Meiner Meinung nach wird das nicht besser werden und eine Gleichartigkeit in den verschiedenen Schulen gar nicht herzustellen sein, wenn nicht für das Fach Inspektoren (den Schulräthen gleich) wenigstens zur Durchführung der Reform und erste [?] angestellt werden. Auch für die anderen Provinzen ist das von Ruben und mir bereits angeregt worden. Für die Lombardei und Venedig, wo noch die Nothwendigkeit der Übersetzung aller Anordnungen dazu kommt, ist es absolut nothwendig, wenn etwas erreicht werden soll. Nicht minder nothwendig scheint mir dann, daß die zu ernennenden Inspektoren auf Ende September nach Wien bestellt werden, damit sie sich die Wiener Realschule ansehen und dann dieselben Grundsätze zu Hause durchführen. Zwei Inspectoren würden genügen, einer für Venedig, der 2. für die Lombardei.
Als ersteren schlage ich Marchese Pietro Estense Selvatico, Sekretär und [?] President der venetianischen Academie vor, als letzten Giuseppe Mongeri, Beamter der [?] zu Mailand – eigentlich aber ein sehr tüchtiger Künstler und ausgezeichnet tüchtiger Mann (Zeichner und Aquarellmaler) von den gediegensten Kunstansichten. Ich habe mit ihm viel verkehrt.
Kannst du diese Anstellungen und Ernennungen wenigstens zeitweilig, etwa für die Einrichtung der Reform, veranlassen, so bin ich überzeugt, die Früchte, auf die man sonst vergeblich warten würde, zeigen sich schon im nächsten Jahre. Freilich müßten die Herren wohl zumal für die Reise entschädigt werden. Wünschenswerth wäre es, wenn sie, falls es überhaupt geht, die Decrete mit der Einberufung nach Wien bald, etwa noch in dem Monate bekämen. Mongeri müßte sie wohl durch seine oberste Behörde (Generalrechnungs Direct. Lombardei[?]) zugestellt werden. Von der Möglichkeit seiner Übernahme habe ich mich überzeugt.
Ich muß aber schließen, mein Arm thut mir zu wehe. Es ist herrlich hier und da gibts Familienerinnerungen!! Und empfangen sind wir worden, als kämen wir in unser Eigenthum hier buchstäblich mit [?], Freudenfeuern und Triumphbögen an. Im Castel Brughier hat uns die Wittwe des Arbogast Thun ihre eigenen Zimmer abgetreten!
Heute, wenns geht, reite ich mit Guido nach Castell Thun. Und Dienstag, denke ich, reisen wir ab.
Verzeihe dies Geschmier, aber ich kann mit meiner Wunde nicht anders!

Von ganzer Seele

Dein
Franz

General Vaccani, der mich, ehe ich nach Mailand ging, mit Höflichkeit und seinem Geplausch fast tödtete, hat mich, als er hörte, daß ich mit der Mailänder Academie eigentlich nicht zufrieden war, am lichten Tage in Venedig mit exemplarischer Grobheit behandelt, mir gesagt, ich habe meine Vollmacht, dadurch daß ich dortige Zeichenschule getadelt habe, vollkommen überschritten und er glaube mir gar nicht, daß Graf Nava eine solche Anregung freundlich aufgenommen habe!! Kurz, der alte Esel war so rabiat, daß mir nichts übrig blieb, als ihm den Rücken zu kehren und ihn stehen zu lassen!

Beifolgend noch das Gesuch eines Mannes, der schon in seiner Jugend Geistlicher werden wollte, es damals wegen des Widerspruchs der Ältern nicht werden konnte und jetzt, 40 Jahre alt, endlich diesem innersten Berufe folgen kann, wenn du die Bewilligung zu den Prüfungen gibst. Er soll ein ausgezeichneter Mann sein. Die bei[de]n an Guido Thun gerichteten Briefe sind von Baron Moll, Bruder dessen, der bei Erzherzog war und den du kennst – ein höchst ehrenhafter Mann.
Guido läßt gegen die Trient. Realschule erinnern.

Bezzecca, 29.7.[1]853

Lieber Freund!

Eigene Verhältnisse, deren Aufzählung zu weit führen würde, machen für meinen Kandidaten Theologiae eine schnelle Entscheidung wünschenswerth. Nachdem Du schon die Gnade gehabt, Deine gütige Fürsprache hoffen zu lassen, bittet er Dich durch meine Wenigkeit, diesem Gesuche ein Paar empfehlende Zeilen beizugeben, und dasselbe alsbald abgehen zu lassen. Ich muß wiederhohlen, daß ich als Bischoff den Mann ohne viele Cerimonien ordinieren würde, so gewiß als nicht Griechisch und Latein, sondern der evangelische Geist den guten Priester machte. Da aber die Förmlichkeiten nicht zu umgehen sind, so können alle Erleichterungen, welche die gegenwärtige Studienordnung zuläßt, kaum zu einem bessern Zwecke gewährt werden, als in diesem Falle, da Gius. Cis, einer wohlhabenden Familie angehörig, in frühern Jahren durch seine schwächliche Gesundheit in den Studien aufgehalten, später von den dem Dir bekannten reichen Giacomo Cis, seinem Onkel, zu einer vortheilhaften Heirath gedrängt, stets, mit dem ihm inwohnenden Hange zum geistlichen Stande im Herzen, diesem Ansinnen beharrlich widerstand, und nun, in seinem 40. Jahre, sich den Prüfungen aus den Gymnasialgegenständen unterwirft, um zu den theologischen Studien zu gelangen, ein Entschluß, der den entschiedensten Beruf bethätiget. Er ist auch bei der hiesigen Bevölkerung sehr geschätzt, und man würde ihn als Frühmessner und Schullehrer besonders gerne angestellt wissen: bei der jetzt so sehr beschränkten Zahl von Geistlichen immer ein Gewinn für die Diöcese. Daß er es vorzieht, die Maturitätsprüfung an einer venetianischen Anstalt zu bestehen, erklärt sich aus der bei den hiesigen Gymnasien gegenwärtig waltenden, übrigens sehr löblichen Strenge, welche ihn zu einem nähern Eingehen in für seinen Beruf weniger nöthigen Studienfächer zwingen, und einen Zeitverlust bedingen würde, der bei seinem Alter nicht gleichgültig sein kann.
Vergib mir, theuerer Freund, die Weitläufigkeit dieser Einbegleitung, die mir gleichwohl zweckdienlich erscheint, vergib mir überhaupt diese Behelligung, die ich deshalb nicht abweisen konnte, weil der Mann aller Empfehlung würdig ist; lasse mich bald wissen, daß wir die Freude haben werden Dich zu sehen, empfehle uns auf das Verbindlichste Deinen liebenswürdigen Damen, und sei herzlich umarmt

von Deinem aufrichtigen Freunde

Moll

Meine Frau und Carolina wollen Dir besonders erinnert sein.

Lieber Freund!

Du hast hundertmal Recht, wenn Du mich mit meiner Empfehlung zum Kuckuck schickst; ich konnte es aber nicht über mich bringen, den braven Menschen, dessen unüberwindliche Neigung für den schwarzen Rock wirklich respektabel ist, abzuweisen. Gelingt es ihm Priester zu werden, so hat der Minister einen glücklichen Menschen, und, was mehr ist, einen sehr würdigen Geistlichen gemacht. Leider habe ich im beiliegenden Briefe vergessen, der erprobten loyalen österreichischen Gesinnung des Cis zu erwähnen, die zwar in diesem Thale nichts seltenes ist, die aber gerade unseren Clerus, wie Dir bekannt, nicht sehr auszeichnet.
Noch einmal wollen uns bei den lieben Deinigen in Erinnerung bringen, erfreu uns bald mit Deinem Besuche und gedenke

Deines Freundes

Moll

Bezzecca, 29.7.[1]853