Guidobald Thun, ein Vetter des Ministers, äußert sich zu den innenpolitischen Zuständen Österreichs und geht dabei besonders auf Tirol und Lombardo-Venetien ein. Die österreichische Bevölkerung sei unzufrieden mit den Verhältnissen, vor allem die hohe Erbtaxe, das neue Militärergänzungsgesetz sowie die Grundentlastung empfände sie als drückend. Guidobald zufolge sollten all diese Gesetze aufgehoben bzw. verbessert werden. Seines Erachtens sei diese Unzufriedenheit der Bevölkerung künstlich, d. h. von oben durch die Regierung, hervorgerufen worden. Durch diese Maßnahmen habe die Regierung das Vertrauen der Völker des Reichs verloren. Ohne dieses Vertrauen und ohne die Treue der Untertanen könne Österreich aber nicht groß und mächtig bleiben. Guidobald schließt mit der Bitte, seine Hinweise zu bedenken und der Aufforderung, Thun möge sich, gemeinsam mit anderen konservativen Männern, an der Rettung der Monarchie beteiligen.
Lieber Freund und Vetter!
Die Unzufriedenheit bei allen Völkern der Monarchie ist so allgemein und so groß und leider muß man
bekennen, daß der Grund hiezu, unerklärbarer Weise genug, von Oben immer mehr
gegeben wird, daß selbst die Treuesten die Achsel zucken müssen, wenn sie
besonders unsere innern Umstände und auch die uns von außen werdende Mißachtung betrachten, daß ich meiner
tiefgefühlten Anhänglichkeit zu meinem Herrn und
Kaiser folgend nicht umhin kann, mich an Dich zu wenden, der Du
einer der Ersten Räthe der Krone bist und an welchen mich wahre Anhänglichkeit
bindet und welchem ich als Ehrenmann, im ganzen Sinne des Wortes, trauen kann,
um Dir zu helfen über unsere Umstände immer mehr die Augen zu öffnen, um damit
Du dann mit Rath und That dem Allerhöchsten Herrn wieder die Augen
öffnest?!
Das Verhältnis zweyer Minister (dies ist die allgemeine
Anschauung), wovon einer die Administration des Reiches immer mehr compliciert,
immer neue und kostspielige Stellen kreirt, er der ehemals so antibourocratisch
war, aber keinem der gerechten Wünsche der Unterthanen
entspricht, Stellen, welche die Ausgaben des Staates auf eine so große Art
steigern, und welche den Unterthanen eher schaden als nützen, Gesetze genehm
halten macht, welche sämmtliche Familien hart berühren (z. B.
das neue Militairergänzungsgesetz). Während der andere die Geldmittel hiezu
schafft und, um dies zu können, die Unterthanen, auf eine in Österreichs Geschichte nicht einmahl während der
Napoleonischen Kriege unerhörten und unpolitischen Weise, mit Steuern und Taxen
aller Art erdrückt. Das Staatseigenthum, welches theilweise mit sehr großen
Geldopfern geschaffen wurde, um lächerlich geringe Preisen veräußert. Ein
dritter
weiß auch von außen keine Achtung
zu verschaffen.
Alles dies zusammen genommen hat in der ganzen Monarchie, ich spreche durch eigene Anschauung
besonders von Tirol und der Lombardei und
Venedig, die Unzufriedenheit und den Mißmuth in den
letztern, und die Propaganda macht hier mit großem Profit das Ihrige, und das
Zagen und Verzweifeln bei uns und überall, auf einen so hohen Grad gebracht, daß
wenn die Sache so fortfährt, in Italien uns das äußerste zu
erwarten steht und dies Mal ist der ostensible Grund die wirkliche
Unzufriedenheit nicht wie 48 die Nationalität allein! Selbst die so
treuen Tiroler murren ganz offen. Die Deutschtiroler haben 1848 alles für den
Kaiser gewagt und wie ward ihnen vergolten? Durch äußern Flitter, in
Wirklichkeit wurden ihnen ihre kleinsten Wünsche, aber auf welche sie sehr
hielten, Privilegien genommen (z. B. die Pflanzung der Tabackes für den [sic!]
Thierkrankheiten) und so ihnen vor den Kopf gestoßen. Dazu kamen noch die so
schlechten Jahre und dabei werden die Auflagen, die Taxen immer höher, immer
drückender. Dann wird im so schlechten Augenblick, ohne einen Vorrath der
nöthigen Bauernschaft und bei so drückenden Umständen das neue Wehrungsgesetz
erlassen, alle Monopolgegenstände hiedurch sehr gesteigert und das gelieferte
Material verschlechtert. Um allen diesen dann die Krone aufzusetzen, wird
endlich das neue Militairergänzungsgesetz erlassen, welches
in aller Herzen und Beutel schneidet,
während es niemanden zu Guten kömmt. Früher war wenigstens hierzuland erlaubt,
daß die Militairpflichtigen unter sich das No wechselten und da vereinigten sich
mehrere oder ein einzelner, gab demjenigen, welcher die Zahl wechselte, 600–800
fl und der hiedurch Getroffene hatte gleich ein Handgeld und, als er den Dienst
geendigt, ein verfügbares Capital: Dies hat nun alles aufgehört! Man hört schon
über den Allerhöchsten Herrn murren, man sagt Er lasse sich blauen Dunst
vorspiegeln und, um sich nicht in Seiner Ruhe stören zu lassen, begnüge Er sich
mit den rosenfarbenen Vorspiegelungen und sich damit beruhigt?!
Unterdessen
aber bereitet sich hie und da unter der Asche der fürchterlichste Brand vor und
unter der Ägide Seines hohen Nahmens wird dies Feuer geschürt! Sollten denn die
Männer dies geflißentlich thun? So frägt man sich!
Die drückendsten Gesetze
sind:
I. Die so hohe Erbtaxe, von Vater auf Sohn und
unter den nächsten Verwandten und überhaupt die Höhe derselben. Diese Verfügung
bringt die ärmere Klasse auf dem Bettelstab (dadurch auch die Auswanderung aus
Deutschtirol). Der Wohlhabende verarmt, wird mit der Zeit der Arme und wandelt
so auch dem Bettelstabe zu. Ein jährliches Einkommen reicht oft nicht hin, eine
solche Taxe zu zahlen, da um sie zu bemessen, die auf dem
Vermögen haftenden Schulden und Giebigkeiten aller Art nicht in Abzug gebracht
werden.
II. Die so ungerechte und dem Wortlaute des
Grundentlastungsgesetzes wiedersprechende Besteuerung der bezüglichen Renten!
III. Das neue Wehrungsgesetz, besonders weil es in einem Augenblicke
eingeführt wurde, wo der nöthige Baarfond nicht vorhanden und der hiedurch
entstandenen Entwertung des ausländischen Geldes (da die Kaufleute, welche Herrn
der Situation sind, wie denn alles zu Gunsten der Industrie
geschieht und alles auf den Producenten drückt) und das fremde Geld nur
gar zu viel als Wahre ansehen!
IV. Das Militairergänzungsgesetz, welches
rein als eine Finanzmaasregel anzusehen ist, welches die früher freien einzigen
Söhne trifft – von den Studierenden fast das unmögliche fordert – und den
Wechsel der gezogenen Nr. unter den Militairpflichtigen verbietet.
Alle
diese Gesetze müssen aufgehoben oder verbessert werden. Was würde aus uns
werden, sollte ein auswärtiger Krieg entstehen? Was wird in
Italien, in Ungarn geschehen? Und wie
werden sich nach solchem Druck die andern Völker verhalten?________________
!!?
Soll Österreich groß und mächtig
bleiben, so kann es dies nur durch die Anhänglichkeit und Treue der Unterthanen
an seinem Herrscherhause sein! Was macht der Herr ohne die Herzen seiner
Unterthanen? Viribus unitis ist Sein Wahlspruch? Aber dies kann blos durch den
Druck von oben nicht bewirkt werden, wenn in einem zu bunten
Gemische von Völkern, wie bei uns, von einer gänzlichen Verschmelzung aller Interessen je die
Rede sein kann!
Die jetzige allgemeine Unzufriedenheit ist so zu sagen
künstlich hervorgerufen worden, durch die Kunst der Regierer
und wird hiedurch fast legitimiert! Uns treuen Unterthanen weint das Herz, aber
es mangelt uns die Kraft, die Maasnahmen der Regierung zu vertheidigen!! Kann
man sie überhaupt vertheidigen?!!!
Soll denn Österreich so arm an gutgesinnten und thatkräftigen Männern sein,
daß ein Advocat, ein Kaufmann und ein Diplomat nicht zu ersetzen seyen, welche
doch an all diesem Unfug die größte Schuld tragen? Wollten diese auch noch
umkehren, mit ihnen geht es durchaus nicht mehr, sie haben
das Vertrauen der Völker theilweise, aber nie ganz besessen, nun ist es ihnen
gänzlich verloren gegangen und sie sind selbst Schuld daran!!!
Durch
ämtliche Informationen kann das Gesagte nicht bewahrheitet werden, alles sieht
durch des betreffenden Chefs Brillen – Selbstanschauung allein
kann zum Ziele führen?!
Kaiser Joseph II. hätte sich ungekannt unter sein
Volk gemischt und hätte so die Wahrheit und die Menschen kennen
gelernt?!!!
Sollte es denn Kaiser Franz-Josef nicht auch wagen können? – ! – ! – ? Dadurch würde
Er sich überzeugen, daß Er nur durch andere Männer und durch
Ihnen erwünschte Gesetze bringend seinen Völkern Heil bringen
könne! Geschieht dies nicht, so erwährt sich Fürst Metternichs
Ausspruch: Après moi, le déluge!!!
Hier hast Du in kurzen Zügen das Bild
unserer jetzigen Situation, freilich von dem verschieden, welches uns die
österreichische Zeitung, Organ des Finanzministers, bringt: Mißmut, verlorenes Vertrauen,
Geldklemme und alles dies von außen und von innen geschürt, bringt zu der gänzlichen Umwälzung, um kein klareres
Nominativ zu gebrauchen!
Bedenke die Sache nur nicht zu lange, um damit es
nicht zu spät wird, und werde dann der Retter der Monarchie, mit andern conservativen Männern, von welchen ich Dir
mehrere nennen könnte!
Ich habe meinen Vorsatz Dir zu schreiben niemanden
mitgetheilt und solltest Du es besser meinen, so werd ich ihn als nicht
geschrieben ansehen, Du brauchst ihn blos zu verbrennen!
Von ganzen Herzen
Dein
aufrichtig ergebener Freund und Vetter
Guidobald v. Thun
Trient, 9.1.59