Franz Thun, Bruder von Leo Thun, berichtet über den Zeichenunterricht am Theresianum. Er hat mehrere Klassen besucht und auch dem Unterricht beigewohnt. Dabei konnte er sowohl Mängel bei den Räumlichkeiten, dem Unterrichtsmaterial als auch der Unterrichtsmethode feststellen. Auf diese Mängel geht er in Folge genauer ein: Zunächst herrsche keine Einheitlichkeit in der Aufstellung der Zeichenpulte sowie bei der Beleuchtung derselben, was für das Augenlicht der Schüler schlecht sei. Die Anzahl der Zeichenstunden sei mit zwei Wochenstunden außerdem zu gering. Ein weiteres Übel sei, dass die Klassen auf zwei Lehrer aufgeteilt seien, und der Lehrer somit im Laufe einer Schullaufbahn mehrmals wechsle. Thun beurteilt außerdem die Leistungen der beiden Lehrer. Zur Verbesserung des Unterrichtes empfiehlt Thun die Einrichtung eines eigenen Zeichensaals, in dem die nötigen Materialien und Zeichenpulte vorhanden seien. Die Zahl der Stunden soll erhöht werden, wenn dies nicht möglich sei, sollten zumindest die bestehenden Stunden zusammengelegt und eine Kollision mit anderen Freifächern verhindert werden. Ein Lehrer sollte eine Klasse möglichst bis zum Schulabschluss begleiten. Der Unterricht soll stufenweise aufgebaut werden. Als allgemeines Vorbild für die Organisation des Zeichenunterrichtes empfiehlt Thun die Akademie in Venedig.
Euere Excellenz!
Infolge des erhaltenen mündlichen Auftrages habe ich nicht ermangelt, mich in das
Theresianum zu
begeben und dem Zeichnungsunterricht in verschiedenen Cameraten
beizuwohnen.
Ich kann nicht umhin zu gestehen, daß ich bei demselben nach
allen Richtungen hin, wie rücksichtlich der Lokalitäten und Vorrichtungen, in
und mit welchen er ertheilt wird, und der ihm zugewiesenen Zeit wie nicht minder
rücksichtlich der befolgten Methode, die wesentlichsten Mängel und Übelstand
gefunden habe, ohne deren Beseitigung ein auch nur einigermaßen entsprechender
Erfolg dieses Unterrichtes geradezu unmöglich ist und bei deren Existenz man
sich nur wundern muß, daß wenigstens einzelne Zöglinge noch so erträglich
zeichnen, als es der Fall ist!
Diese Übelstände sind folgende:
1. Der
Zeichenunterricht wird nicht nur, was ganz lobenswerth wäre, an Schülern jeder
Camerate extra, sondern in jeder Camerate, und zwar so ertheilt, daß jeder
Zögling in seinem Verschlage, seiner Schlafkammer, an seinem Schreibtische, auf
seiner Kommode oder sonst auf einem disponibeln Meubel [sic!] zeichnet. Es
geschieht dieß je nach der zufälligen Stellung dieser Meubeln, bald mit links
einfallendem Lichte, bald gegen die Hand, bald mit dem Gesichte, bald mit dem
Rücken gegen das Fenster! Und zum Theile auf so kurzen Schreibtischchen, daß die
Aufstellung des Original in einer dem Zwecke entsprechenden, einer Übersicht
gestattenden Entfernung absolut unmöglich ist, das Original dem Zeichner
sozusagen auf der Nase klebt.
Unter solchen Bedingungen läßt Prof. Maier, was sonst ganz lobenswerth wäre, auch
Schreibzeuge, Leuchten und andere Gegenstände nach der Natur zeichnen. Keiner
dieser Gegenstände war natürlich perspektivisch nur einigermaßen richtig
gezeichnet, ja bei der Zeichnung nach einem kleinen Kruge sogar Auf- und
Untersicht zugleich (der Deckel von oben und der Boden von unten!) zu sehen, was
nebstbei auf eine unverantwortliche Unterlassung der Erklärung der allerersten
perspektivischen Regeln von Seite des Lehrers schließen läßt. Von Reißbretern,
Einrahmung der Originale etc. ist natürlich gar keine Rede!!
Unter solchen
Bedingungen kann offenbar kein Zeichnen, sondern nur ein Vorzeichnen gelernt
werden, und müssen nebst dem Formensinne, wenn derselbe vorhanden ist, auch die
Augen (die Sehkraft) der jungen Leute wesentlich leiden – ganz abgesehen davon,
daß ein Lehrer 10–20 junge Leute, davon jeder in einem Verschlage getrennt für
sich arbeitet, weder gehörig corrigiren noch auch genügend überwachen
kann.
2. Jeder Camerate sind nur zwei Zeichenstunden wöchentlich (je eine an
zwei verschiedenen Tagen) zugewiesen. Wenn dieß schon an sich sehr wenig ist, so
kollidiren die Zeichenstunden noch dazu mit anderen freien Gegenständen (dem
Tanzen, dem Französischen etc.), so daß für viele Schüler nur eine Stunde
wöchentlich – in ein und dem andern Jahre auch gar jede Stunde für das Zeichnen
entfällt – und der so dürftige und unzweckmäßig ertheilte Unterricht noch dazu
mitunter ein ganzes Jahr lang unterbrochen wird!
3. Der Unterricht ist unter
die zwei Lehrer Mayer und Steiner so vertheilt, daß derselbe
von
Mayer in der I., II., IV. und VI.
Camerate,
von Steiner in der III., V. und VII. Camerate
und an die Juristen ertheilt wird, die Zöglinge daher während der Dauer ihrer
Studien bald in der Hand des einen, bald in der Hand des andern Lehrers sind,
ein Übelstand, der umso größer ist, als die Prinzipien und die Methode der
genannten Lehrer wesentlich voneinander abzuweichen und sie miteinander weder
conferiren noch auch besonders zu harmoniren scheinen.
Es ist daher sehr
schwer, über die Erfolge des einen und des andern mit einiger Zuverläßigkeit zu
urtheilen, weil jeder, und mitunter von einer Seite wenigstens, wie es scheint,
vielleicht nicht ganz ohne Recht, die Mängel, die an seinen Schülern bemerkt
werden, dem im vorhergegangenen Jahre von dem andern ertheilten Unterrichte
zuschreiben kann.
Demohngeachtet scheint mir Steiner der Bessere und Gewissenhaftere; die unter seiner
Leitung gemachten Zeichnungen zeigen doch ein Streben nach einer gewißen Strenge
der Contouren und Sorgfalt der Ausführung, die beim Zeichnen, zumal beim Beginn
desselben, jedenfalls eine Hauptsache ist.
4. Die geniale
Schluderhaftigkeit, mit der dagegen die meisten Schüler Mayers zeichnen, ist wahrhaft erstaunlich.
Schon die Vorlageblätter, zumal die Handzeichnungen, die als solche dienen, sind
meistens schlecht, skizzenhaft und manirirt; sie werden eben, wie dieß oben
bereits von den natürlichen Gegenständen erwähnt wurde, auch nur sehr liederlich
copirt.
Überdieß scheint die Wahl der Vorlageblätter in einem höheren Grade,
als dieß mit einem geregelten Unterrichte vereinbar ist, und selbst in den
untersten Klassen, lediglich der Willkühr der Zöglinge überlassen.
Um nun
einen entsprechenden Erfolg des Zeichenunterrichtes am Theresianum zu sichern,
scheinen mir folgende Einrichtungen für das nächste Schuljahr ganz
unerläßlich:
1. Die Herrichtung eines (oder mehrerer) mit den nöthigen
Utensilien (Zeichentischen, Reißbrettern etc.) versehenen, das Licht von der
linken Seite empfangenden Zeichensaales, in welchem die Zöglinge einer Classe –
(oder getheilt selbst die Zöglinge mehrerer Classen) – gemeinschaftlich zeichnen
und von dem Lehrer die ganze Zeit über überwacht, corrigirt und geleitet werden.
Prof. Steiner sagte mir, diesen Antrag
bereits vor vielen Jahren wiederholt gestellt zu haben und der Director scheint
die Realisirung desselben jetzt nach Räumung des Theresianums durch die
Universität zu beabsichtigen.
2. Eine Vermehrung der dem Zeichnen
zugewiesenen Stundenzahl. Eine Vermehrung auf 4 oder wenigstens 3 Stunden
wöchentlich dürfte wünschenswerth und in diesem Falle wenigstens für die [?] die
Zusammenlegung dieser Stunden auf je 2 oder 1 ½ aufeinanderfolgende, an zwei
Tagen zweckmäßig sein, da bei einzelnen Stunden mit den bloßen Vorbereitungen
ein guter Theil der Zeit verlorengeht. Sollte dieß aber mit Rücksicht auf die
Überhäufung mit anderen Studien (etwa durch Zuhülfenahme der freien Tage) nicht
zu erreichen sein, so wäre wenigstens eine bessere Eintheilung der freien
Gegenstände zu dem Zwecke nöthig, damit sie nicht colidiren und doch wenigstens
die dem Zeichenunterrichte bisher zugewiesenen zwei Stunden durch alle Jahre
hindurch eingehalten würden und nicht bald die Reduktion auf bloß eine Stunde
wöchentlich, bald eine gänzliche Unterbrechung stattfinde.
3. Die
Einrichtung, daß entweder derjenige Meister, unter dem der Schüler das Zeichnen
beginne, sie auch durch die ganze Dauer ihrer Studien fortführe (in welchem
Falle am sichersten über die von jedem erzielten Resultate geurtheilt werden
könnte) oder wenigstens ein Lehrer sie bis zu einem gewißen Grade der
Entwicklung – etwa bis zum Schluße der IV. Camerate – ununterbrochen leite und
sie dann aber auch der bleibenden Leitung des andern übergäbe. Im letzten Falle
schiene mir – soweit ich die Lehrer nach dem wenigen Gesehenen zu beurtheilen
vermag – Steiner für die unteren
Klassen offenbar der Geeignetere, weil er gewissenhafter ist und
Schluderhaftigkeit bei der Grundlage gewiß noch schädlicher wirkt als
später.
4. Eine strenge Sichtung der Vorlagen und die Verwerfung der
entschieden schlechten sowie die Begränzung der freien Wahl der Schüler unter
derselben, die Bezeichnung der progressiven Methode des Vorganges und eine
Überwachung des Unterrichts durch eine competente Autorität (den Director der Academie
oder
einen tüchtigen Professor derselben, etwa Prof. Carl
Maier), wenn sich nicht vielleicht auch im Theresianum als Basis des
Unterrichts im Zeichnen das Zeichnen nach geometrischen Körpern verbunden mit
einem regulären Unterrichte in der Perspektive, wie es in dem 1. Jahre der
Unterrealschule besteht, einführen lasse, welches, wie die Erfahrungen an der
Academie von Venedig zeigen, sogar das unmittelbare
Übergehen zum Zeichnen nach den Drucken und die Beseitigung der gezeichneten und
lithographirten Vorlagen gestattet.
Ohne diese und ähnliche wesentliche
Aenderungen dürften die Zöglinge des Theresianums vom Zeichnen, mit sehr wenigen
Ausnahmen, wohl kaum irgendeinen Nutzen haben, wie in der Regel selbst
entschiedene Talente dort eher zugrunde gerichtet werden.
Franz Thun
Referent für Kunstangelegenheiten
Wien, am 14. July 1854