Der Erzbischof von Wien, Joseph Othmar Rauscher, berichtet von den Konkordatsverhandlungen in Rom. Rauscher schreibt, dass die Verhandlungen mittlerweile wieder besser voran gingen, wenngleich er durch diverse Verpflichtungen etwas in Zeitnot geraten sei und die Frage der Verwaltung der Religionsfonde bisher mehr Schwierigkeiten bereite als zunächst erwartet wurde. Als größtes Problem schildert Rauscher jedoch, dass der Fürstprimas von Ungarn, Ján Scitovský, weiterhin gegen den Abschluss des Konkordats Stimmung mache. Dieser sei mit seiner Kritik sogar bis zum Papst vorgedrungen und Rauscher musste dazu Stellung nehmen. Scitovský wolle besonders die angestammten Vorrechte des Primas von Ungarn sichern. Rauscher glaubt jedoch, dass diese Frage vor allem eine politische und daher nicht Verhandlungsgegenstand des Konkordats sei. Rauscher empfiehlt deshalb, zumal Scitovský sich aus Eigeninteressen gegen die Interessen Österreichs stelle, auf dessen Wünsche nicht einzugehen. Rauscher will in wenigen Tagen von den weiteren Entwicklungen berichten.
Rom, am 11. Jänner 1855
Hochgeborner Graf!
Ich erwartete, die Verhandlungen würden nach vollendeter Weihnachtsfeier
lebhafter werden; es ist dieß aber noch während der Weihnachttage geschehen.
Ich kam mit der Zeit um so mehr in’s Gedränge, da ich abgesehen von den
kirchlichen Functionen des Weihnachtfestes, am 31. December und 1. Jänner ein
Hochamt hielt, welches mit dem, was daran hieng, den halben Tag wegnahm, und am
6. Jänner predigte. Die Verhältnisse stellten sich so, daß ich es nicht für klug
hielt, abzulehnen: denn aus Simor’s
Mittheilungen werden Euer Excellenz wohl entnommen haben, welchen schwierigen
Boden ich hier getroffen habe, wie wenige Rücksichten man für Österreich hat, und wie sehr ich darauf
angewiesen bin, mir persönlich, mit Gottes Hilfe, einiges Vertrauen und Gewicht
zu verschaffen. Was den Kardinal Szitovsky betrifft, so hat Simor ein Actenstück, in welchem er einlenkte, mit Augen gesehen
und ich habe durch einen Kardinal eine übereinstimmende Nachricht erhalten.
Demungeachtet hat Szitovsky mündlich
seine Bemühungen gegen das Concordat fortgesetzt und noch bei den
Abschiedsvisiten die Kardinäle beschworen, die ungarische Kirche vor dem
Unglücke zu bewahren, die vollkommene Freiheit, deren sie sich gegenwärtig
erfreue, einzubüßen. Auch von anderen ungarischen Bischöfen sind schriftliche
Vorstellungen gegen das Concordat an den Papst gelangt. Der Papst
wollte die Unterschriften, welche Szitovsky und die anderen ungarischen Metropoliten ihrer im März
1853 über das Concordat ausgestellten Erklärung beigesetzt, mit eigenen Augen
sehen, und er hat sie gesehen. Ich mußte für ihn eine schriftliche
Zusammenstellung der früheren ungarischen Gesetze in Kirchensachen machen, und
er hat sich an derselben nicht sonderlich erbaut. Szitovsky betrieb überdieß die Anerkennung seines Primates und
zwar in ganz Ungarn und den Nebenländern. Ich
muß auch hierüber verhandeln. Ich bleibe dabei, daß der Primat ein politischer
sey, daß der Erzbischof von Gran über den
einzigen Erzbischof von Erlau thatsächlich
einige Acte der Jurisdiction geübt hat, daß aber Erlau nach der Errichtungsbulle unmittelbar dem heiligen Stuhle
unterordnet sey und Gran den Beweis zu
führen habe, daß diese Bestimmungen der päpstlichen Bulle eine rechtskräftige
Abänderung erfahren habe. Da Szitovsky
in der Concordatsfrage dem Heile der österreichischen Kirche und dem
ausgesprochenen Willen des Kaisers auf
das offenste entgegentritt, so scheint es mir weder in der Würde noch in dem
Vortheile des Staates zu liegen, seinen Anmaßungen Rücksichten zu bezeigen, und
ich überlasse es Euer Excellenz Ermessen, ob es nicht zweckmäßig wäre, Alles
sorgsam zu vermeiden, was sich dahin auslegen ließe als erkenne man ihm vor den
übrigen ungarischen Metropoliten einen anderen Vorzug zu als den des ersten
Platzes, welcher zwar in Rom den
Titularprimaten keineswegs zugestanden wird, wie die letzten Versammlungen
augenscheinlich bewiesen haben, aber in Ungarn
durch eine lange Gewohnheit mir allerdings begründet scheint: denn cuique
suum.
Über die Concordatsverhandlungen werde ich binnen acht Tagen etwas
Bestimmteres sagen können. Die Congregation und der heilige Vater haben noch keine Erklärung gegeben; sonst würde
ich sagen, daß wir der Vereinbarung sehr nahe stehen. Nur macht die Frage über
die Verwaltung des Religionsfondes größere Schwierigkeiten als ich besorgte; man
hält an dem Euer Excellenz bekannten Entwurfe fest. Ich kann mich aber zu nichts
herbeilassen als zu dem Anerbieten, die Sache Seiner Majestät vorzutragen.
Indessen kann auch in dieser Beziehung noch eine Wendung eintreten. Vielleicht
begnügt man sich mit der allgemeinen Zusicherung einer von den Bischöfen zu
übenden Aufsicht über die Fondesverwaltung, hinsichtlich deren Formen sich Seine
Heiligkeit mit Seiner Majestät einverstehen würde.
Ich hoffe, daß Euer
Excellenz Sich vollkommen wohl befinden. Ich habe bis jetzt das römische Klima
gut bestanden. Ich empfehle noch einmal den provisorischen Rector Flir, welcher für die Kirche dell’anima, an welche sich
viel anknüpfen läßt, schwer zu ersetzen wäre. Übrigens erneuere ich den Ausdruck
der vollkommensten Verehrung, womit ich verharre,
Euer Excellenz gehorsamster Diener
J. Rauscher