Der Priester und Philologe Wilhelm Gärtner schildert die Situation an der Pester Universität. Gärtner wurde im Jahr 1852 zum außerordentlichen Professor der deutschen Sprache und Literatur an dieser Universität bestellt. Die Studenten weigerten sich jedoch anfangs, seine Kollegien zu besuchen. Nur einige Schüler des Seminars besuchten auf Druck des Primas von Ungarn seine Vorlesungen. Gärtner war als Weltgeistlicher außerdem zum akademischen Prediger ernannt worden, allerdings mieden die Studenten auch seine deutschen Predigten, die nach einer längeren Krankheit durch lateinische bzw. ungarische ersetzt wurden. Gärtner führt diese Krankheit auch auf seine schwierige Situation in Ungarn zurück. Er sieht seine Aufgabe dort allerdings auch als Auftrag, die deutsche Sprache zu verbreiten. Daher hatte er beim Ministerium beantragt, seine Vorlesungen als obligate geschichtliche Kollegien für die Juristen anerkennen zu lassen. Das Ministerium hatte diesen Wunsch erfüllt. Seither hat er ein zahlreicheres Auditorium. Um seine Stellung und die der deutschen Sprache im Allgemeinen noch weiter zu stärken, bittet er darum, seine Professur in eine ordentliche umzuwandeln.
Abschrift eines Promemorias von Wilhelm Gärtner.
Die Anrede
"kaiserliche Hoheit" am Beginn des Promemorias lässt es als möglich
erscheinen, dass dieses an Erzherzog Albrecht, den Generalgouverneur von
Ungarn, gerichtet war.
Als Beilage ein
anonymes Begleitschreiben.
Auszug aus einem Promemoria.
Mich in allertiefster Veneration fertigend, habe ich die Ehre Höchstdenenselben
nachstehendes unterthänigstes Promemoriale tiefehrfürchtigst zu unterbreiten,
und die huldvolle Aufmerksamkeit Kaiserlicher Hoheit auf das Interesse meiner
Lehrkanzel für deutsche Sprachwissenschaft und Literaturgeschichte, sodann aber
auch auf meine persönliche Existenz und Lebensaufgabe zu lenken.
Im Jahre
1852 an vorbemerkte Lehrkanzel der Universität zu Pest berufen, brachte ich für
meine wissenschaftliche und deutsche Mission ein volles Maß
von Liebe und Begeisterung mit, und wenn schon ich bald gewahrte, daß ich auf
harte Kämpfe gefaßt sein müsse, schöpfte ich doch gern aus den sich darbietenden
Bedingungen ganz besonders aber aus den herablassungsvollen, allergnädigsten
Äußerungen Eurer Kaiserlichen Hoheit, als ich damals das Glück hatte, mich
Höchstdenenselben vorzustellen, die Hoffnung auf ein fröhliches
Gelingen.
Daß ich nicht ruhte und nicht rastete, bis das Gelingen endlich in der Hauptsache sich einstellte, daß dasselbe aber
kaum mehr ein fröhliches, sondern ein bitter errungenes war, und ich, ohne alle
höhere Handreichung (die göttliche ausgenommen) schmerzlichster Verlassenheit
preisgegeben blieb, dürfte aus Nachfolgendem hervorgehen:
Bei meinem
Antritte hier sprachen mir sogar Wohlwollende die Hoffnung ab, meine Vorträge
auch nur eröffnen zu können; der Herr Decan selbst wagte es nicht, mich in meine
Zuhörerschaft einzuführen, aus Furcht, es werde überhaupt gar
keine solche da sein.
In der That eröffnete ich meine Vorträge in
Gegenwart eines Redakteurs, eines Literaten, einiger Professoren und mehrerer
mir einstweilen zugesendeten Alumnen; kein
einziger Studierender der anderen drei Fakultäten war anwesend. Der
hochwürdigste Herr Fürsterzbischof und Primas zu
Gran [Esztergom] hatte mir zugesagt, den Alumnen zu erlauben, ja sie
aufzufordern, meine Vorträge zu besuchen; er sagte mir acht Tage später in
Pest über letztere Schmeichelhaftes, und äußerte mir,
Anordnungen im Sinne jenes Versprechens gemacht zu haben. Seltsamerweise blieben
am Tage seiner Rückreise nach Gran [Esztergom] zum ersten
Male die Alumnen sammt und sonders aus meinem Kollegium weg. Sie waren mir,
wiewohl sich deren 17 zu einem fortlaufenden Besuche meiner Vorträge enschlossen
hatten, durch eine Maßnahme, die einem Verbote gleichkam, entzogen worden.
Ohne Säumens eilte ich nach
Gran, solchen Vorgang dort persönlich zu
berichten. Ich fand den hochwürdigsten Herrn
Fürstprimas über solche Willkür indignirt. "Noch heute schreibe
ich deshalb nach Pest" rief er mir beim Weggehen zu. Ich
habe nie daran gezweifelt, daß der arglose, des guten Willens volle Kirchenfürst
Wort gehalten habe; aber ich merkte nichts davon. Vier Wochen später machte mir
der Herr Seminarrektor etwas gepreßt die Mittheilung : es sei aus
Gran [Esztergom] ein sehr nachdrückliches
Primatialschreiben – in Folge höchster Anregungen kaiserlicher Hoheit –
gekommen, das da wiederholt auf den Besuch meiner Vorträge von Seite des
Centralseminars dringe; zugleich proponierte mir der genannte Herr Rektor als
Ausweg (aus seiner angeblich peinlichen Verlegenheit) ob ich nicht wöchentlich
ein oder zwei Male im Seminar selbst für etwaige Alumnen
deutschen Sprachunterricht einzig und allein ertheilen wolle? Ich wies mit Entrüstung diesen jämmerlichen
Behelf tadelnswerther Renitenz zurück und bestand auf dem vollen Vollzuge hoher
und höchster Anordnung. Nach einigen Wochen abermaliger Erfolglosigkeit
erkrankte ich schwer und konnte erst nach halbjährigem Urlaub und gewonnener
Genesung auf meinen Missionsplatz zurückkehren.
Von einer
Rückkehr der Seminaristen in meine Vorträge war nie mehr die
Rede.
Kränkungen und Kämpfe von mancherlei Art hatten die vorbesagte
Erkrankung herbeigeführt. Vom hochwürdigsten Herrn
Fürstprimas zum deutschen akademischen
Prediger ernannt, hatte ich als solcher mit der akademischen Jugend mich in
Berührung gesetzt, und nicht nur ein Publikum in der Kirche, sondern auch ein
kleines inskribiertes für meine Kollegien gewonnen. Jenes
Erkranken aber ward schnell benützt, um hinfort nur
magyarisch predigen zu lassen. Da diese Einseitigkeit späterhin auf
Schwierigkeiten stieß, ward, zumal durch die Bemühungen des damaligen Referenten im hohen Ministerium (jetzt
Bischof in Raab [Györ]) bestimmt, daß die akademische
Predigt fortan ausschließlich in lateinischer Sprache
gehalten werde; und ich selber mußte es mitanhören, wie ein Bischof aus
Ungarn bei dem Angedeuteten für solche das deutsche Idiom beseitigende Einrichtung "Deo Gratias!" ausrief.
Nachdem dieser lateinische usus in kurzer Zeit alle Studenten bis auf den letzten aus der Kirche hinausgetrieben hatte, ward für
die Sonntage die ungarische Sprache, für die wenigen
Feiertage der zehn Studienmonate, sofern an diesem oder jenem die Predigt nicht
lieber unterblieb, die deutsche bestimmt, dies alles in einem
Zeitraume von nicht ganz 3 Jahren.
Der hochwürdigste Herr Fürstprimas hatte, meinem bescheidenen,
eingeholten Rathe zufolge, verordnet: daß der akademische Meßgesang in lateinischen Liedern bestehen solle; Dieselben hatten durch mich dem damaligen Herrn Spiritual N.g. im Seminar
(später k.k. Hofkaplan, sodann Domherr geworden) den Befehl zugesandt, ein
Büchlein solcher Lieder zusammenzustellen. Kurze Zeit darauf ward von diesem
Priester an die Alumnen (die übrigens aus der deutschen
Predigt, mithin auch unausweichlich aus der magyarischen – unter scheinbar
plausiblen Vorwande fortgeschickt wurden) während des akademischen
Gottesdienstes in der That ein solches Büchlein vertheilt; wie erstaunte ich
aber, als ich darin kein einziges lateinisches Meßlied, sondern nur eben lauter
ungarische erblickte.
Genug der tiefergebensten Andeutungen über meine
Stellung und Kämpfe.
Gleichwohl verlor ich nicht den Muth, und, in der That,
ich zählte im 3. Jahre bereits ein namhaftes
inskribiertes Kollegium, mit Einschluß der Nichtinskribierten aber gar oft – zumal in meinen Vorträgen über
Shakespeare, Schiller, Göthe, den Fechter von Ravenna, etc.
einen ganz vollen Hörsaal, von allerdings exzeptioneller Beschaffenheit; denn
die Mehrheit bestand aus reifen, sogar ergrauten Männern aller Klassen und
Branchen, den Beamten, Professoren, Künstler und Militair nicht
ausgenommen.
Eine solche Versammlung war aber, zumeist und überhaupt noch
immer eine nur prekäre, während es mir um einen festen und nicht blos auf meine
individuellen, außerordentlichen Anstrengungen gegründeten Bestand der
Lehrkanzel zu thun sein mußte. Da nahm ich 1855 die neue Studienorganisation
wahr, um auf Grund derselben, nachdem ich zweimal schon ähnliche Bitten Einem
hohen Ministerium unterbreitet hatte, diesmal die ehrerbietigste Bitte
auszusprechen: Ein hohes Ministerium wolle verordnen, daß das Kollegium über
deutsche Literaturgeschichte (das ja seiner Natur nach vorzugsweise ein geschichtliches ist, weil es die Geschichte des
deutschen Geistes und Fortschrittes behandelt) doch auch im Lektionskataloge der
juridisch-politischen Hörer, welche zu zwei geschichtlichen
Kollegien verpflichtet sind, als ein obligates gelte, d.h.
daß es die Stelle des zweiten Kollegiums über Weltgeschichte vertreten
könne.
Ich hatte von der hohen Genehmigung dieser Bitte
meine Rückkehr auf die Lehrkanzel nach Pest abhängig gemacht und fühlte
mich für solchen Entsagungsmuth nicht wenig erfreut, als ich nach Verlauf von
kaum 4 Tagen von der hohen Verordnung, die im Sinne meiner ehrfürchtigen Bitte
erflossen war, Kunde erhielt. Seit solchem hohen Erlaß (vom 6. Oktober 1855) ist
der Bestand jener – hier in Pest im Herzen
Ungarns hochwichtigen Lehrkanzel ein gesicherter, und es
würde einer ausgezeichneten Ungeschicklichkeit bedürfen, um selbe wieder auf
jenen Stand zurückzuführen, in welchem ich sie bei meinem Antritte (sie bestand
nur nominell) vorgefunden.
In dem Augenblicke, da ich das Glück habe, diese
Worte Eurer Kaiserlichen Hoheit zu unterbreiten, sind für das eben begonnene
Semester bei mir inskribiert: für das Kollegium über neueste
Geschichte deutscher Lyrik: 16 Zuhörer, wovon 15 juridisch-politische Zuhörer
sind;
für das Kollegium über Geschichte des deutschen Drama: acht
Zuhörer;
für das Kollegium über deutsche Sprachwissenschaft zehn
Zuhörer.
An einigen Nachzüglern (mit Justifizierungszeugnissen) und vollends
an nicht inskribierten Besuchern (Gästen) wird es auch in diesem Jahre kaum fehlen. Ein Gelingen hat
sich also doch wohl eingestellt, – aber – mit brennenden Schmerz im Herzen
gestehe ich's: ich selber wäre darüber beinahe zu Grunde gegangen.
Von
Anbeginn an mußte ich das Nachtheilige erfahren, welches meiner Lehrkanzel aus
dem Umstande erwächst, daß sie eine "außerordentliche" ist. Man hat hier kein
Verständnis für derlei, und wirft es in ein Fach mit Docentenstellen. Bei
Abfassung des Lehrkatalogs muß der "außerordentliche" Professor mit den Stunden
Vorlieb nehmen, welche die "ordentlichen" übrig lassen. Der magyarische Student
springt über "außerordentliche" Kollegien in der Regel als über etwas ganz
Müssiges hinweg. Der "außerordentliche" Professor kann nicht die Würde des
Decano bekleiden, und jeder später ernannte, "ordentliche" Professor rückt an
der Tafel des Professorenkollegiums über ihn hinauf. Seit ich die Ehre habe, der
kaiserlich königlichen Pester
Universität anzugehören, wurden für die philosophische Fakultät
sechs "ordentliche" Professoren ernannt, darunter jugendliche Kräfte, und ich
bin nachgerade bis an die Thüre zurückgerückt.
Ein Geistlicher muß ungleich
Herberes verschmerzen können, aber bei dem Hinweis auf solchen Verhalt führt mir
ja nicht persönliches Interesse die Feder. Nein, ich hoffe zu
Gott, meine Zeit auf dieser Lehrkanzel werde bald ihr Ende erreichen!
Im Interesse dieser wichtigsten Lehrkanzel an der Pester Universität einzig und allein wage ich es, der hohen und höchsten Einflußnahme Kaiserlicher
Hoheit die Umwandlung dieses "außerordentlichen" Lehrstuhls in einen
"ordentlichen" aufs devoteste und flehentlichste
anzuempfehlen.
etc. etc. etc.