Auf Anfrage Leo Thuns sendet der Bischof von St. Pölten, Ignaz Feigerle,
einen Bericht über den Priester und Professor für deutsche Sprache und
Literatur in Pest, Wilhelm Gärtner. Die Nachforschungen zu Gärtner
wurden deshalb angeregt, weil der Professor ständig in Begleitung einer
jungen Frau anzutreffen sei.
In dem Bericht wird diese Frau als Anna
Stelzer identifiziert. Gärtner werde stets und ohne alle Heimlichkeiten
von ihr begleitet, wobei in der Öffentlichkeit unterschiedliche
Mutmaßungen über das Verhältnis der beiden kolportiert würden. Manche
hielten sie für eine Waise, um die sich Gärtner kümmere, andere für
seine Nichte, allgemein werde sie jedoch als seine Geliebte angesehen.
Der Bericht geht ausführlich auf die Wohn- und Besitzverhältnisse sowohl
Gärtners als auch Anna Stelzers ein. Abschließend wird die Frau als
wenig gläubig und als dem Wein zugeneigt geschildert.
Euere Excellenz!
Wiewohl ich gleich nach Empfang des hochverehrlichen Handschreibens Euerer
Excellenz vom 2/3. dieses Monats Anstalt getroffen, um den Wünschen Euerer
Excellenz so geschwind und sicher als nur möglich nachzukommen, so kann ich doch
erst heute das Resultat mehrseitiger geheimer Nachforschungen, die aber im
ämtlichen Wege sich leicht constatiren ließen, in der Beylage Euerer Excellenz
ergebenst vorlegen.1
Die Meßlicenz und Beichtjurisdiction
für die Zeit seines Aufenthaltes in Kleinpochlarn [Kleinpöchlarn] erhielt Prof. Gärtner auf sein eigenes Ansuchen und mit
Vorwissen seines Ordinarius, des hochverehrten Herrn Bischofes von Leitmeritz, unterm 19. Sept.
1857.
Seit jener Zeit kam bezüglich des genannten Professors nichts zur
Verhandlung.
Genehmigen Euer Excellenz den Ausdruck der ausgezeichnetsten
Hochachtung, Verehrung und Ergebenheit, womit ich zu seyn die Ehre habe
Euerer Excellenz
gehorsamster Diener
Ignaz Feigerle
Bischof
St. Pölten, am 16. April [1]860
Herr Doctor und Professor Wilhelm
Gärtner hat im Jahre 1856, als er zu Großpochlarn [Großpöchlarn] im Stummerschen Gasthause
wegen der dortigen Alterthümer verweilte, das Schiffsmeisterhaus zu
Kleinpochlarn [Kleinpöchlarn]
Haus N. 9 um beyläufig 1200 f CM lizitando erstanden und später noch einen
Obst- und Gemüsegarten um beyläufig 600 f CM hinzugekauft, die an dem
Kleinhause N. 9 aber haftende Schiffmeistergerechtigkeit an den Nachbar Haus
N. 10 verpachtet. Er ist sonach wirklicher Besitzer der obigen Realität,
deren obern Stock er selbst bewohnt. Die Wohnparthey im Erdgeschoße vertritt
die Stelle eines Hausmeisters und hat in Abwesenheit des Professors Aufsicht über das Haus und
den Garten.
Anna Stelzer, dem
Anschein nach 20–24 Jahre alt, angeblich im Jahre 1823 im Viertel Unterm
Mannhartsberge wahrscheinlich in einem Orte bey
Oberhollabrunn geboren, eine Wirthstochter,
ledigen Standes, katholischer Religion, wohnt seit 6 Jahren ununterbrochen
bey dem Prof. Gärtner in
Pesth, Waitznerstraße Levera und
Cafféhaus, und wird von diesem bald für seine Nichte, eine Waise, die er
seit ihrem zehnten Lebensjahre bey sich habe und für die er väterlich zu
sorgen verpflichtet sey, bald für eine Person ausgegeben, die von ihrer
Rente[?] lebe, aber an seinem Tische speise. Sie hat mit ihren 5
Geschwistern den im Jahre 1842 zu Wien verstorbenen
Ziegeldeckermeister und Hausbesitzer Steinfelsner beerbt. Der unter die 6
Geschwister vertheilte Nachlaß belief sich auf circa 36000 fr. Im Jahre 1858
machte jedoch ein anderer Stamm des Erblassers sein Erbrecht auf die Hälfte
des obigen Nachlasses (circa 18000 f) geltend und Anna Stelzer wurde auf Ausfolgung der
zurück zu ersetzenden Hälfte des auf sie gefallenen Nachlaßantheils geklagt.
Der Ausgang der Klage ist nicht bekannt. Sie ist wirklich Besitzerin der
sogenannten Hausmühle (ehedem Stiftsmühle) zu Pielach
bei Melk, welche Prof. G[ärtner] am 7. April 1858 für sie im
Licitationswege um 6000 f CM (baar ausgezahlt) angekauft hat und worauf
jetzt ein von der St. Pöltner
Sparcasse genommenes Darlehen gr 1200 f CM lastet. Die Hausmühle ist an den
Bruder des besagten Prof. G[ärtner] (Müllermeister in Wien)
verpachtet, welcher daselbst wieder einen Afterpächter (Vielkind, dann
Pichler) hat. Im Jahre 1859 bekam Prof. G[ärtner] die obrigkeitliche Bewilligung, in dieser
Hausmühle, die im ersten Stocke nur ein Zimmer hat, aus dem Vorhause 2
Zimmer noch herzustellen. Diese sind bisher ohne Fußboden und Thüren, also
nicht vollendet.
Prof. G[ärtner] kam nach Kleinpochlarn mit Anfang der Herbstferien im Jahre 1857 und
wohnte daselbst in seinem Hause fortwährend – mit Ausnahme einiger Reisen
(nach Wien, Mariazell etc.) –
bis zum Ende der Herbstferien im Jahre 1858 in Gemäßheit des zuerst für den
ersten, dann auch zweyten Semester des Schuljahrs 1858 erhaltenen
Urlaubs.
Eben so brachte er die Oster- und Herbstferien des Jahres 1859
großentheils dort zu und kam heuer in der Carwoche hin und blieb bis
Ostersonntag Nachmittags.
Anna
Stelzer kam jedesmal mit Prof. G[ärtner] zugleich in Kleinpochlarn an und kehrte mit ihm
wieder zurück. Sie war während seines Aufenthalts in Kleinpochlarn allezeit bey ihm und
begleitete ihn auch öfter auf den Reisen. Sie wohnen beyde miteinander, sie
fahren miteinander ohne Schau im offenem Wagen, sie speisen miteinander;
daher das Gerücht: Anna St[elzer]
sey die Schöne des Professors.
In dem bezeichneten Hause des Prof.
G[ärtner] zu Kleinpochlarn sind 4 jetzt gemalte
Zimmer. Von dem ersten derselben sagte der Professor, es sey für die Anna
Stelzer bestimmt.
In der Hausmühle zu
Pielach, wo Prof. G[ärtner] mit Anna St[elzer] auch heuer vor Ostern war,
befindet sich nur Ein Zimmer im ersten Stock und in diesem steht Ein
Bettgestell und Ein Sofa; daher wohnen und schlafen beyde in Einem Zimmer,
welches zur Nachtzeit verschlossen ist.
Ob zwischen diesen zwey Personen
ein unsittliches Verhältnis stattfinde, ist nicht bekannt; wohl aber der
unchristliche Wandel der Anna
Stelzer, die zum großen Ärgernis für die dortige
Pfarrgemeinde den öffentlichen Gottesdienst an Sonn- und Feyertagen, ja
selbst an den höchsten Festen vernachläßiget, kein Fasten hält und keine
Abstinenz beobachtet. Der Prof. G[ärtner], welcher nach seinen Reden ein Mann von strengen
Grundsätzen zu seyn scheint, duldet, entschuldiget und vertheidigt dies ihr
Benehmen damit, daß sie gar oft kränklich sey und den Kirchendunst nicht
vertrage. Die Leute aber sagen (die Einen seufzend, die Andern laut
auflachend): Ja, ihr Weindurst kann sich freylich mit dem
Kirchendurst nicht vertragen; 3 Halbe des Tages
erträgt sie ganz standhaft; wenn es aber weiter und noch weiter darüber
geht, dann kommen die Kränklichkeiten auf.