Ignaz Feigerle an Leo Thun
St. Pölten, 16. April 1860
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Regest

Auf Anfrage Leo Thuns sendet der Bischof von St. Pölten, Ignaz Feigerle, einen Bericht über den Priester und Professor für deutsche Sprache und Literatur in Pest, Wilhelm Gärtner. Die Nachforschungen zu Gärtner wurden deshalb angeregt, weil der Professor ständig in Begleitung einer jungen Frau anzutreffen sei.
In dem Bericht wird diese Frau als Anna Stelzer identifiziert. Gärtner werde stets und ohne alle Heimlichkeiten von ihr begleitet, wobei in der Öffentlichkeit unterschiedliche Mutmaßungen über das Verhältnis der beiden kolportiert würden. Manche hielten sie für eine Waise, um die sich Gärtner kümmere, andere für seine Nichte, allgemein werde sie jedoch als seine Geliebte angesehen. Der Bericht geht ausführlich auf die Wohn- und Besitzverhältnisse sowohl Gärtners als auch Anna Stelzers ein. Abschließend wird die Frau als wenig gläubig und als dem Wein zugeneigt geschildert.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Euere Excellenz!

Wiewohl ich gleich nach Empfang des hochverehrlichen Handschreibens Euerer Excellenz vom 2/3. dieses Monats Anstalt getroffen, um den Wünschen Euerer Excellenz so geschwind und sicher als nur möglich nachzukommen, so kann ich doch erst heute das Resultat mehrseitiger geheimer Nachforschungen, die aber im ämtlichen Wege sich leicht constatiren ließen, in der Beylage Euerer Excellenz ergebenst vorlegen.1
Die Meßlicenz und Beichtjurisdiction für die Zeit seines Aufenthaltes in Kleinpochlarn [Kleinpöchlarn] erhielt Prof. Gärtner auf sein eigenes Ansuchen und mit Vorwissen seines Ordinarius, des hochverehrten Herrn Bischofes von Leitmeritz, unterm 19. Sept. 1857.
Seit jener Zeit kam bezüglich des genannten Professors nichts zur Verhandlung.
Genehmigen Euer Excellenz den Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung, Verehrung und Ergebenheit, womit ich zu seyn die Ehre habe

Euerer Excellenz

gehorsamster Diener
Ignaz Feigerle
Bischof

St. Pölten, am 16. April [1]860

Herr Doctor und Professor Wilhelm Gärtner hat im Jahre 1856, als er zu Großpochlarn [Großpöchlarn] im Stummerschen Gasthause wegen der dortigen Alterthümer verweilte, das Schiffsmeisterhaus zu Kleinpochlarn [Kleinpöchlarn] Haus N. 9 um beyläufig 1200 f CM lizitando erstanden und später noch einen Obst- und Gemüsegarten um beyläufig 600 f CM hinzugekauft, die an dem Kleinhause N. 9 aber haftende Schiffmeistergerechtigkeit an den Nachbar Haus N. 10 verpachtet. Er ist sonach wirklicher Besitzer der obigen Realität, deren obern Stock er selbst bewohnt. Die Wohnparthey im Erdgeschoße vertritt die Stelle eines Hausmeisters und hat in Abwesenheit des Professors Aufsicht über das Haus und den Garten.
Anna Stelzer, dem Anschein nach 20–24 Jahre alt, angeblich im Jahre 1823 im Viertel Unterm Mannhartsberge wahrscheinlich in einem Orte bey Oberhollabrunn geboren, eine Wirthstochter, ledigen Standes, katholischer Religion, wohnt seit 6 Jahren ununterbrochen bey dem Prof. Gärtner in Pesth, Waitznerstraße Levera und Cafféhaus, und wird von diesem bald für seine Nichte, eine Waise, die er seit ihrem zehnten Lebensjahre bey sich habe und für die er väterlich zu sorgen verpflichtet sey, bald für eine Person ausgegeben, die von ihrer Rente[?] lebe, aber an seinem Tische speise. Sie hat mit ihren 5 Geschwistern den im Jahre 1842 zu Wien verstorbenen Ziegeldeckermeister und Hausbesitzer Steinfelsner beerbt. Der unter die 6 Geschwister vertheilte Nachlaß belief sich auf circa 36000 fr. Im Jahre 1858 machte jedoch ein anderer Stamm des Erblassers sein Erbrecht auf die Hälfte des obigen Nachlasses (circa 18000 f) geltend und Anna Stelzer wurde auf Ausfolgung der zurück zu ersetzenden Hälfte des auf sie gefallenen Nachlaßantheils geklagt. Der Ausgang der Klage ist nicht bekannt. Sie ist wirklich Besitzerin der sogenannten Hausmühle (ehedem Stiftsmühle) zu Pielach bei Melk, welche Prof. G[ärtner] am 7. April 1858 für sie im Licitationswege um 6000 f CM (baar ausgezahlt) angekauft hat und worauf jetzt ein von der St. Pöltner Sparcasse genommenes Darlehen gr 1200 f CM lastet. Die Hausmühle ist an den Bruder des besagten Prof. G[ärtner] (Müllermeister in Wien) verpachtet, welcher daselbst wieder einen Afterpächter (Vielkind, dann Pichler) hat. Im Jahre 1859 bekam Prof. G[ärtner] die obrigkeitliche Bewilligung, in dieser Hausmühle, die im ersten Stocke nur ein Zimmer hat, aus dem Vorhause 2 Zimmer noch herzustellen. Diese sind bisher ohne Fußboden und Thüren, also nicht vollendet.
Prof. G[ärtner] kam nach Kleinpochlarn mit Anfang der Herbstferien im Jahre 1857 und wohnte daselbst in seinem Hause fortwährend – mit Ausnahme einiger Reisen (nach Wien, Mariazell etc.) – bis zum Ende der Herbstferien im Jahre 1858 in Gemäßheit des zuerst für den ersten, dann auch zweyten Semester des Schuljahrs 1858 erhaltenen Urlaubs.
Eben so brachte er die Oster- und Herbstferien des Jahres 1859 großentheils dort zu und kam heuer in der Carwoche hin und blieb bis Ostersonntag Nachmittags.
Anna Stelzer kam jedesmal mit Prof. G[ärtner] zugleich in Kleinpochlarn an und kehrte mit ihm wieder zurück. Sie war während seines Aufenthalts in Kleinpochlarn allezeit bey ihm und begleitete ihn auch öfter auf den Reisen. Sie wohnen beyde miteinander, sie fahren miteinander ohne Schau im offenem Wagen, sie speisen miteinander; daher das Gerücht: Anna St[elzer] sey die Schöne des Professors.
In dem bezeichneten Hause des Prof. G[ärtner] zu Kleinpochlarn sind 4 jetzt gemalte Zimmer. Von dem ersten derselben sagte der Professor, es sey für die Anna Stelzer bestimmt.
In der Hausmühle zu Pielach, wo Prof. G[ärtner] mit Anna St[elzer] auch heuer vor Ostern war, befindet sich nur Ein Zimmer im ersten Stock und in diesem steht Ein Bettgestell und Ein Sofa; daher wohnen und schlafen beyde in Einem Zimmer, welches zur Nachtzeit verschlossen ist.
Ob zwischen diesen zwey Personen ein unsittliches Verhältnis stattfinde, ist nicht bekannt; wohl aber der unchristliche Wandel der Anna Stelzer, die zum großen Ärgernis für die dortige Pfarrgemeinde den öffentlichen Gottesdienst an Sonn- und Feyertagen, ja selbst an den höchsten Festen vernachläßiget, kein Fasten hält und keine Abstinenz beobachtet. Der Prof. G[ärtner], welcher nach seinen Reden ein Mann von strengen Grundsätzen zu seyn scheint, duldet, entschuldiget und vertheidigt dies ihr Benehmen damit, daß sie gar oft kränklich sey und den Kirchendunst nicht vertrage. Die Leute aber sagen (die Einen seufzend, die Andern laut auflachend): Ja, ihr Weindurst kann sich freylich mit dem Kirchendurst nicht vertragen; 3 Halbe des Tages erträgt sie ganz standhaft; wenn es aber weiter und noch weiter darüber geht, dann kommen die Kränklichkeiten auf.