Joseph Othmar Rauscher an Leo Thun
Rom, 9. November 1854
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Regest

Der Erzbischof von Wien, Joseph Othmar Rauscher, berichtet von den Verhandlungen über das Konkordat in Rom. Rauscher bedauert, dass die Verhandlungen bisher nicht sehr weit fortgeschritten sind. Ein Grund für das langsame Verhandlungstempo seien die Vorurteile gegenüber Österreich, ein weiterer Grund die zahlreichen Beratungen und Feierlichkeiten im Zuge der Dogmatisierung der Immaculata Conceptio. Außerdem kritisiert Rauscher das Verhalten des Primas' von Ungarn, Scitovský, sowie des österreichischen Gesandten Moritz Esterházy. Rauscher betont jedoch, dass er weiterhin mit aller Kraft auf den Abschluss des Konkordats hinarbeiten werde. Er will dabei auch nicht akzeptieren, dass das Konkordat nur für einen Teil des Kaisertums abgeschlossen werde.

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Edierter Text

Rom, am 9. November 1854

Hochgeborner Graf!

Ich habe die Sachen zu Rom ungefähr so gefunden, wie ich sie mir vorgestellt; nur sind die Vorurtheile wider Österreich wo möglich noch größer als ich besorgte. Sogar Preußen findet mehr Anklang und Vertrauen als Österreich. Unter diesen Umständen war es für den Kardinal Szitovsky nicht schwer mit seinen Einwendungen wider das Concordat Eindruck zu machen. Die Verhandlungen, welche ich fast beim Aussteigen aus dem Reisewagen begonnen habe, sind in’s Stocken gerathen. Eine Reihe von capelle Pontificie und die Frage über die unbefleckte Empfängnis (welche, wenn am 8. December ein Decret ergehen soll, allerdings sehr dringend ist) gibt einen anständigen Vorwand; aber der eigentliche Grund ist, daß man wirklich den Gedanken gefaßt hat, das Concordat auf einen Theil des Kaiserthumes zu beschränken. Ich bleibe natürlich dabei, daß Seine Majestät entweder gar kein Concordat oder ein Concordat für das ganze Kaiserthum schließen werde. Unter diesen Umständen ist natürlich doppelte Vorsicht nothwendig und ich bitte daher Euer Excellenz mir mitzutheilen, was Sie hinsichtlich der vom Papste dem Grafen Esterhazy mitgetheilten Beschwerdepuncte zu thun gedenken? Über mehreres darin Enthaltenes ist mir schon gesprochen worden. Übrigens war es eine ganz unbegreifliche Nachlässigkeit, daß Esterhazy dieß Actenstück so lange in der Tasche behielt. Es ist ganz geeignet auf den Stand der Dinge ein helles Licht zu werfen.
Zugleich erneuere ich den Ausdruck der vollkommensten Verehrung, womit ich verharre,

Euer Excellenz gehorsamster Diener
Jos. v. Rauscher

Wiewol der Brief erst nach dem 15. ankommen wird, so bitte ich doch meine innigsten Wünsche zum Feste des St. Leopoldtages zu empfangen.