Fürstbischof Rauscher bittet Leo Thun um Aufklärung über die Aufgaben der neu geschaffenen Landesschulbehörden. Thun hatte Rauscher nämlich versichert, dass die Schaffung der Landesschulbehörden keine Veränderung im Bereich der geistlichen Schulbehörden mit sich bringe. Nun befürchtet Rauscher jedoch, dass der Erlass, mit dem die Landesschulbehörde gegründet wurde, zu Missverständnissen führen könnte: eine Stelle des Erlasses könne nämlich derart ausgelegt werden, dass die Kompetenzen der geistlichen Schulbehörden für aufgehoben angesehen werden könnten. Um einem solchen Missverständnis vorzubeugen, möchte Rauscher eine Erläuterung an die Dechante als Bezirksschulaufseher richten. In dieser will er klarstellen, dass die Landesschulbehörde, als Organ des Staathalters, keine anderen Kompetenzen besitzt, als jene, die das Gubernium bisher schon inne hatte. Schließlich berichtet Rauscher Thun noch von dem günstigen Ausgang der Gemeinde- und Landtagswahlen in der Steiermark. Abschließend macht er Thun noch auf die Notwendigkeit der baldigen Klärung der Ehegesetze aufmerksam.
Gratz, am 18. August 1850
Hochgeborener Graf!
Wiewohl Euer Excellenz ohne Zweifel mit Geschäften überhäuft sind und auch ich
meine Augenblicke zählen muß, so erlaube ich mir doch für eine Frage von
Wichtigkeit Euer Excellenz wohlwollende Beachtung in Anspruch zu nehmen und um
einige Aufklärungen zu bitten. Die nähere Bestimmung des Verhältnisses der
Kirche zur Volksschule wurde einer weiteren Verhandlung vorbehalten; doch ist
bereits die Zusicherung erfolgt, die Regierung Seiner Majestät beabsichtige keineswegs den Einfluß, welchen die
Kirche bisher auf die Volksschule geübt hat, zu beschränken oder zu
beeinträchtigen. Die Amtsreise, von welcher ich vor Kurzem zurückkam,
verschaffte mir Anschauungen, welche mir lebendiger als jemals vor Augen
stellten, wie nothwendig der Einfluß der Kirche auf die Volksbildung für
Befestigung der sittlichen und rechtlichen Zustände sey. Doch ich schweige
darüber, weil ich weiß, wie sehr Euer Excellenz diese meine Überzeugung theilen.
Mittlerweile ist jedoch die Errichtung der Schulbehörde erfolgt, welche in
Steiermark ihre Amtsthätigkeit am 20. August beginnen wird.
Die betreffende Verordnung vom 11. Junius 1ist erst hier zu
meiner Kenntnis gelangt. Euer Excellenz hatten die Güte mir zu versichern, daß
der Bischof mit der Schulbehörde in keine unmittelbare Berührung kommen, sondern
dieselbe ein Organ des Statthalters seyn, auch der Schulrath bei seinen
Bereisungen nicht das Recht haben werde, Anordnungen zu treffen. Ganz damit
übereinstimmend sagt die Verordnung über Einsetzung der provisorischen
Schulbehörde, daß die Landesschulbehörde eine Section der Statthalterei bildet;
daß die Mitglieder derselben als Räthe des Statthalters fungiren; daß der
Schulrath bei Bereisung der Volksschulen nicht berechtigt sey, Anordnungen zu
treffen oder Befehle zu geben. Wenn also ferner gesagt wird, daß die
Landesschulbehörde in Betreff der ihr unterstehenden Schulen denselben
Wirkungskreis habe wie die früheren Gubernien, so kann ich dies nur so
verstehen, daß der Statthalter, welcher ja für die Amtsthätigkeit der Schulräthe
verantwortlich ist, durch die Schulbehörde als sein Organ auf die betreffenden
Schulen denselben Einfluß wie das frühere Gubernium zu nehmen habe. Daraus
ergibt sich ganz folgerichtig, daß durch Einsetzung der neuen Schulbehörde in
der Amtsthätigkeit der geistlichen Schulbehörden, so wie sie unter dem früheren
Gubernium geübt wurde, keine Veränderung vorgeht. Wollte man diesen Standpunct
aufgeben, so würde die Schulbehörde gar keinen Maßstab ihrer Berechtigung haben,
und Verwirrungen und Conflicte wären unvermeidlich. Auch liegt es ohne Zweifel
in der Absicht Euer Excellenz über allfällige Modificationen des Bestehenden mit
dem Comité Rücksprache zu nehmen.
Indessen enthält die Verordnung vom 11.
Junius eine Stelle, von welcher ich besorge, daß sie zu einem Mißverständnisse
Anlaß geben könnte. Es wird nämlich ganz allgemein ausgesprochen: alle von den
Volks- und Mittelschulen oder von Personen und Körperschaften ausgehenden
Anträge, Gesuche, Berichte, Beschwerden usw. in Angelegenheiten dieser Schulen
seyen an die Landesschulbehörde zu richten, 2und das
Amtsblatt der Grazer Zeitung vom 17. enthält eine in diesem Sinne abgefaßte
Kundmachung. Wofern diese Stelle aus dem Zusammenhange gerissen und buchstäblich
ausgelegt würde, so wäre dadurch allerdings die Wirksamkeit der geistlichen
Schulbehörden so gut als aufgehoben. Ich habe schon Gelegenheit gehabt
wahrzunehmen, daß meine Geistlichkeit eine solche Auslegung besorgt, und sobald
die Sache allgemeiner bekannt wird, werden viele Anfragen und Klagen an mich
gelangen. Wie die Landesbehörden das Verhältnis auffassen werden, weiß ich
nicht, wiewohl ich von der Einsicht des Herrn
Statthalters das Beste hoffe. Um Schwierigkeiten und Irrungen
zuvorzukommen, halte ich es für nothwendig an die Dechante als
Schulbezirksaufseher eine Belehrung zu erlassen; doch will ich es nicht ohne
Euer Excellenz Vorwissen und Billigung thun. Ich denke die geistlichen
Schulbehörden darauf aufmerksam zu machen, daß die Landesschulbehörde als Organ
des Statthalters, welcher für die Amtsthätigkeit derselben verantwortlich ist,
in keinem Falle einen weiteren Wirkungskreis in Schulsachen hat, als das frühere
Gubernium. Insoweit man also bisher sich in Schulsachen an das Consistorium
wandte, hat dies auch fernerhin zu geschehen (wenigstens solange bis in Folge
der zu pflegenden Verhandlungen eine Veränderung eintritt). Ich meinerseits
werde mich, wo eine Zustimmung oder Entscheidung von Seite der Staatsgewalt
nothwendig ist, an den Statthalter wenden: denn der Statthalter hat nun jene
Vollmacht und Verantwortlichkeit, welche früher dem Rathscollegium des
Guberniums verliehen und auferlegt war. Dadurch sind solche Betheiligte, welche
nach dem früheren Geschäftsgange sich unmittelbar an das Gubernium wandten,
natürlich nicht gehindert, sich nun an die Landesschulbehörde zu wenden. Auch
werde ich die Geistlichkeit anweisen, dem die Volksschulen bereisenden
Schulrathe alle gewünschten Aufschlüsse bereitwillig zu ertheilen. Dies scheint
mir der kürzeste und zweckmäßigste Weg, um die Sache im Einklange mit den
Grundsätzen, welche in der Verordnung vom 11. Junius ausgedrückt sind,
provisorisch zu ordnen.
Seit ich Wien verließ, habe
ich gar mancherlei zu thun gehabt. Nachdem ich wenige Tage hier zugebracht und
trotz einer Unpäßlichkeit, welche mich zur ungelegensten Zeit befiel, die
heiligen Weihen ertheilt hatte, firmte ich vom 1. bis 13. August zu
Marburg, Pettau,
Friedau, Luttenberg,
Radkersburg, Straden,
Riegersburg 24.300 Menschen. Ich sprach auf dieser
ziemlich weiten Reise eine große Anzahl von Geistlichen und viele Staatsbeamte
und Gemeindevorsteher, und überall lobten Beamte und Geistliche einander
wechselseitig und rühmten die Unterstützung, welche sie voneinander empfingen.
Ich werde Alles, was in meinem Bereiche liegt, aufbieten, um dies Zusammenwirken
zu vervollständigen und zu befestigen. Die Gemeindewahlen sind in diesen
Bezirken durchaus gut ausgefallen; eine einzige, kleine Gemeinde machte eine
alberne Wahl, welche jedoch für ungiltig erklärt wurde. Die neue Ordnung der
Dinge findet man freilich im Durchschnitte noch sehr unbequem. Am 20. früh
morgens reise ich nach Obersteiermark, wo ich bis zum 30. zu
bleiben gedenke. Ich hoffe auch dort Erfreuliches zu hören und zu sehen.
Übrigens hatten die Wahlen in fast ganz Steiermark ein
erwünschtes Ergebnis; doch zeigten die Rongeaner wieder, was eine sehr kleine
Minderzahl durch Zusammenhalten, Thätigkeit und Keckheit vermag. Zu Gratz
[Graz] hätten sie beinahe einen ihrer Anführer, den
berüchtigten Horstig,
durchgesetzt und brachten wirklich ein paar Radicale in den Gemeinderath. Zu
Eisbach, welches nahe bei Horstigs Landgute Plankenwarth liegt,
wurden fast durchgängig Leute von der schlechtesten Gesinnung gewählt.
Die
Katzenmusiken zu Wien gefallen mir nicht; ich besorge,
daß sie dem Ansehen der gesetzmäßigen Gewalt eine tiefe Wunde geschlagen haben.
Wenn der Pöbel während des Belagerungszustandes stundenlang ungestraft toben
darf, so muß das Selbstvertrauen der Wähler sich steigern.
Entschuldigen
Euere Excellenz, daß ich auch in der Abwesenheit Ihre Zeit in Anspruch nehme;
ich war dabei nur von dem Bestreben geleitet, jedem Mißverständnisse vorzubeugen
und Alles, was den Einklang stören könnte, ferne zu halten. Sobald ich nöthig
bin, werde ich mich wieder zu Wien einstellen. Es wäre allerdings
wünschenswerth, daß die Ehefrage bald so weit gebracht würde, daß die
Verhandlungen mit Rom eingeleitet werden
könnten.
Übrigens erneuere ich den Ausdruck der vollkommensten Verehrung und
Ergebenheit, womit ich verharre,
Euer Excellenz
gehorsamster Diener
Joseph v. Rauscher
Ich erlaube mir, um Beschleunigung der gütigen Antwort zu bitten. Ich besorge nämlich, daß die Verordnung vom 11. Junius häufig in einem Sinne wird aufgefaßt werden, welcher Klagen von Seite der Bischöfe hervorrufen muß, und glaube manchem Unangenehmen zuvorkommen zu können, wenn ich die an meine Geistlichkeit zu richtende Erläuterung den Bischöfen so schnell als möglich mittheile. Natürlich würde ich über den mit Euer Excellenz gepflogenen Briefwechsel nicht die leiseste Andeutung machen. Alles würde nur als meine Auffassung der Sache erscheinen.