Joseph Othmar Rauscher an Leo Thun
Graz, 18. August 1850
|

Regest

Fürstbischof Rauscher bittet Leo Thun um Aufklärung über die Aufgaben der neu geschaffenen Landesschulbehörden. Thun hatte Rauscher nämlich versichert, dass die Schaffung der Landesschulbehörden keine Veränderung im Bereich der geistlichen Schulbehörden mit sich bringe. Nun befürchtet Rauscher jedoch, dass der Erlass, mit dem die Landesschulbehörde gegründet wurde, zu Missverständnissen führen könnte: eine Stelle des Erlasses könne nämlich derart ausgelegt werden, dass die Kompetenzen der geistlichen Schulbehörden für aufgehoben angesehen werden könnten. Um einem solchen Missverständnis vorzubeugen, möchte Rauscher eine Erläuterung an die Dechante als Bezirksschulaufseher richten. In dieser will er klarstellen, dass die Landesschulbehörde, als Organ des Staathalters, keine anderen Kompetenzen besitzt, als jene, die das Gubernium bisher schon inne hatte. Schließlich berichtet Rauscher Thun noch von dem günstigen Ausgang der Gemeinde- und Landtagswahlen in der Steiermark. Abschließend macht er Thun noch auf die Notwendigkeit der baldigen Klärung der Ehegesetze aufmerksam.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Gratz, am 18. August 1850

Hochgeborener Graf!

Wiewohl Euer Excellenz ohne Zweifel mit Geschäften überhäuft sind und auch ich meine Augenblicke zählen muß, so erlaube ich mir doch für eine Frage von Wichtigkeit Euer Excellenz wohlwollende Beachtung in Anspruch zu nehmen und um einige Aufklärungen zu bitten. Die nähere Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zur Volksschule wurde einer weiteren Verhandlung vorbehalten; doch ist bereits die Zusicherung erfolgt, die Regierung Seiner Majestät beabsichtige keineswegs den Einfluß, welchen die Kirche bisher auf die Volksschule geübt hat, zu beschränken oder zu beeinträchtigen. Die Amtsreise, von welcher ich vor Kurzem zurückkam, verschaffte mir Anschauungen, welche mir lebendiger als jemals vor Augen stellten, wie nothwendig der Einfluß der Kirche auf die Volksbildung für Befestigung der sittlichen und rechtlichen Zustände sey. Doch ich schweige darüber, weil ich weiß, wie sehr Euer Excellenz diese meine Überzeugung theilen. Mittlerweile ist jedoch die Errichtung der Schulbehörde erfolgt, welche in Steiermark ihre Amtsthätigkeit am 20. August beginnen wird. Die betreffende Verordnung vom 11. Junius 1ist erst hier zu meiner Kenntnis gelangt. Euer Excellenz hatten die Güte mir zu versichern, daß der Bischof mit der Schulbehörde in keine unmittelbare Berührung kommen, sondern dieselbe ein Organ des Statthalters seyn, auch der Schulrath bei seinen Bereisungen nicht das Recht haben werde, Anordnungen zu treffen. Ganz damit übereinstimmend sagt die Verordnung über Einsetzung der provisorischen Schulbehörde, daß die Landesschulbehörde eine Section der Statthalterei bildet; daß die Mitglieder derselben als Räthe des Statthalters fungiren; daß der Schulrath bei Bereisung der Volksschulen nicht berechtigt sey, Anordnungen zu treffen oder Befehle zu geben. Wenn also ferner gesagt wird, daß die Landesschulbehörde in Betreff der ihr unterstehenden Schulen denselben Wirkungskreis habe wie die früheren Gubernien, so kann ich dies nur so verstehen, daß der Statthalter, welcher ja für die Amtsthätigkeit der Schulräthe verantwortlich ist, durch die Schulbehörde als sein Organ auf die betreffenden Schulen denselben Einfluß wie das frühere Gubernium zu nehmen habe. Daraus ergibt sich ganz folgerichtig, daß durch Einsetzung der neuen Schulbehörde in der Amtsthätigkeit der geistlichen Schulbehörden, so wie sie unter dem früheren Gubernium geübt wurde, keine Veränderung vorgeht. Wollte man diesen Standpunct aufgeben, so würde die Schulbehörde gar keinen Maßstab ihrer Berechtigung haben, und Verwirrungen und Conflicte wären unvermeidlich. Auch liegt es ohne Zweifel in der Absicht Euer Excellenz über allfällige Modificationen des Bestehenden mit dem Comité Rücksprache zu nehmen.
Indessen enthält die Verordnung vom 11. Junius eine Stelle, von welcher ich besorge, daß sie zu einem Mißverständnisse Anlaß geben könnte. Es wird nämlich ganz allgemein ausgesprochen: alle von den Volks- und Mittelschulen oder von Personen und Körperschaften ausgehenden Anträge, Gesuche, Berichte, Beschwerden usw. in Angelegenheiten dieser Schulen seyen an die Landesschulbehörde zu richten, 2und das Amtsblatt der Grazer Zeitung vom 17. enthält eine in diesem Sinne abgefaßte Kundmachung. Wofern diese Stelle aus dem Zusammenhange gerissen und buchstäblich ausgelegt würde, so wäre dadurch allerdings die Wirksamkeit der geistlichen Schulbehörden so gut als aufgehoben. Ich habe schon Gelegenheit gehabt wahrzunehmen, daß meine Geistlichkeit eine solche Auslegung besorgt, und sobald die Sache allgemeiner bekannt wird, werden viele Anfragen und Klagen an mich gelangen. Wie die Landesbehörden das Verhältnis auffassen werden, weiß ich nicht, wiewohl ich von der Einsicht des Herrn Statthalters das Beste hoffe. Um Schwierigkeiten und Irrungen zuvorzukommen, halte ich es für nothwendig an die Dechante als Schulbezirksaufseher eine Belehrung zu erlassen; doch will ich es nicht ohne Euer Excellenz Vorwissen und Billigung thun. Ich denke die geistlichen Schulbehörden darauf aufmerksam zu machen, daß die Landesschulbehörde als Organ des Statthalters, welcher für die Amtsthätigkeit derselben verantwortlich ist, in keinem Falle einen weiteren Wirkungskreis in Schulsachen hat, als das frühere Gubernium. Insoweit man also bisher sich in Schulsachen an das Consistorium wandte, hat dies auch fernerhin zu geschehen (wenigstens solange bis in Folge der zu pflegenden Verhandlungen eine Veränderung eintritt). Ich meinerseits werde mich, wo eine Zustimmung oder Entscheidung von Seite der Staatsgewalt nothwendig ist, an den Statthalter wenden: denn der Statthalter hat nun jene Vollmacht und Verantwortlichkeit, welche früher dem Rathscollegium des Guberniums verliehen und auferlegt war. Dadurch sind solche Betheiligte, welche nach dem früheren Geschäftsgange sich unmittelbar an das Gubernium wandten, natürlich nicht gehindert, sich nun an die Landesschulbehörde zu wenden. Auch werde ich die Geistlichkeit anweisen, dem die Volksschulen bereisenden Schulrathe alle gewünschten Aufschlüsse bereitwillig zu ertheilen. Dies scheint mir der kürzeste und zweckmäßigste Weg, um die Sache im Einklange mit den Grundsätzen, welche in der Verordnung vom 11. Junius ausgedrückt sind, provisorisch zu ordnen.
Seit ich Wien verließ, habe ich gar mancherlei zu thun gehabt. Nachdem ich wenige Tage hier zugebracht und trotz einer Unpäßlichkeit, welche mich zur ungelegensten Zeit befiel, die heiligen Weihen ertheilt hatte, firmte ich vom 1. bis 13. August zu Marburg, Pettau, Friedau, Luttenberg, Radkersburg, Straden, Riegersburg 24.300 Menschen. Ich sprach auf dieser ziemlich weiten Reise eine große Anzahl von Geistlichen und viele Staatsbeamte und Gemeindevorsteher, und überall lobten Beamte und Geistliche einander wechselseitig und rühmten die Unterstützung, welche sie voneinander empfingen. Ich werde Alles, was in meinem Bereiche liegt, aufbieten, um dies Zusammenwirken zu vervollständigen und zu befestigen. Die Gemeindewahlen sind in diesen Bezirken durchaus gut ausgefallen; eine einzige, kleine Gemeinde machte eine alberne Wahl, welche jedoch für ungiltig erklärt wurde. Die neue Ordnung der Dinge findet man freilich im Durchschnitte noch sehr unbequem. Am 20. früh morgens reise ich nach Obersteiermark, wo ich bis zum 30. zu bleiben gedenke. Ich hoffe auch dort Erfreuliches zu hören und zu sehen. Übrigens hatten die Wahlen in fast ganz Steiermark ein erwünschtes Ergebnis; doch zeigten die Rongeaner wieder, was eine sehr kleine Minderzahl durch Zusammenhalten, Thätigkeit und Keckheit vermag. Zu Gratz [Graz] hätten sie beinahe einen ihrer Anführer, den berüchtigten Horstig, durchgesetzt und brachten wirklich ein paar Radicale in den Gemeinderath. Zu Eisbach, welches nahe bei Horstigs Landgute Plankenwarth liegt, wurden fast durchgängig Leute von der schlechtesten Gesinnung gewählt.
Die Katzenmusiken zu Wien gefallen mir nicht; ich besorge, daß sie dem Ansehen der gesetzmäßigen Gewalt eine tiefe Wunde geschlagen haben. Wenn der Pöbel während des Belagerungszustandes stundenlang ungestraft toben darf, so muß das Selbstvertrauen der Wähler sich steigern.
Entschuldigen Euere Excellenz, daß ich auch in der Abwesenheit Ihre Zeit in Anspruch nehme; ich war dabei nur von dem Bestreben geleitet, jedem Mißverständnisse vorzubeugen und Alles, was den Einklang stören könnte, ferne zu halten. Sobald ich nöthig bin, werde ich mich wieder zu Wien einstellen. Es wäre allerdings wünschenswerth, daß die Ehefrage bald so weit gebracht würde, daß die Verhandlungen mit Rom eingeleitet werden könnten.
Übrigens erneuere ich den Ausdruck der vollkommensten Verehrung und Ergebenheit, womit ich verharre,

Euer Excellenz

gehorsamster Diener

Joseph v. Rauscher

Ich erlaube mir, um Beschleunigung der gütigen Antwort zu bitten. Ich besorge nämlich, daß die Verordnung vom 11. Junius häufig in einem Sinne wird aufgefaßt werden, welcher Klagen von Seite der Bischöfe hervorrufen muß, und glaube manchem Unangenehmen zuvorkommen zu können, wenn ich die an meine Geistlichkeit zu richtende Erläuterung den Bischöfen so schnell als möglich mittheile. Natürlich würde ich über den mit Euer Excellenz gepflogenen Briefwechsel nicht die leiseste Andeutung machen. Alles würde nur als meine Auffassung der Sache erscheinen.