Der Priester und Gymnasiallehrer Joseph Steger berichtet Leo Thun über die nationale Agitation eines Lehrers des Gymnasiums in Marburg an der Drau. Dieser Lehrer hatte in der Zeitung „Noviće“ einen Aufsatz mit dem Titel „Das Slovenenthum und die Mittelschulen in Marburg“ veröffentlicht. Darin beschuldige er sowohl die Regierung, eine Germanisierungspolitik zu betreiben, als auch die Lehrer des Gymnasiums, die slowenischen Schüler zu unterdrücken. Da die Zeitschrift auch von Gymnasialschülern gelesen werde, könnte dies negative Folgen sowohl auf die Disziplin als auch auf die Gemüter der Schüler haben. In einer Klasse sei es bereits zu Konfrontationen zwischen deutschen und slowenischen Schülern gekommen. Daher sah sich Steger gezwungen beim Minister zu intervenieren. Auch der Direktor habe das Ministerium über die Angelegenheit informiert. Abschließend erwähnt Steger, dass er und ein Kollege sich um eine Stelle in Salzburg beworben haben, er aber wenig Hoffnung habe, in der jetzigen Situation dort hinbeordert zu werden.
Euer Hochwürden,
lieber Herr Professor!
Meine trübe Ahnung, die ich auch in meinem letzten Brief Ihnen andeutete, hat
sich leider erwahrt, die Befürchtung nämlich, daß die nazionale Agitation von
ein, zwei slovenischen Mitgliedern unseres Lehrkörpers früher oder später auch
offen zu Tage treten werde.
Durch Zufall kam mir zur Kenntnis, daß in der
der slovenischen Zeitschrift „Noviće“, in Laibach
erscheinend, Anklagen der schweresten Art gegen die deutschen Mitglieder des
Lehrkörpers vorkommen, ein Kollege konnte sich die betreffenden Nummern
benannter Zeitschrift (Nr. 28 und 29, des 11. und 28. Juli)2 nebst einer wörtlich genauen Übersetzung
verschaffen. Der Aufsatz ist von einem slovenischen
Mitgliede unseres Lehrkörpers, Weltpriester hiesiger Diözese,
unterzeichnet und enthält nebst allgemein gehaltenen Klagen gegen die Regierung
wegen ihres Germanisirens und Aussendens deutscher „Apostel der Kultur“, nebst
einzelnen Ausfällen gegen die hiesige Gymnasialdirektion noch folgende spezielle
Anschuldigungen: die slovenische Sprache sei von zahlreichen Gegnern lächerlich
gemacht worden, sogar in den Lehrstunden; wenn ein Schüler seinen Namen nach
slovenischer Orthographie geschrieben habe, sei er gerügt und gebüßt worden;
wenn ein Schüler in seiner Muttersprache tüchtiges geleistet, habe man ihn
gerade deshalb in anderen Gegenständen herabgedrückt. Der Aufsatz ist
überschrieben: „Das Slovenenthum und die Mittelschulen in
Marburg“.
Ich berieth mich nun mit dem Kollegen,
was da zu thun sei.
Aus zwei Gründen glaubten wir die Sache nicht mit
Stillschweigen hinnehmen zu dürfen. Erstens sahen wir in dem Aufsatze einen
Angriff auf unsere Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit, die wir treu dem Gewissen
und dem geleisteten Amtseide immer unverletzt geübt zu haben bewußt sind, einen
Angriff, der um so verletzender und gefährlicher ist, da er in einer Sprache
geschrieben ist, die wir nicht verstehen und folglich nur ein Zufall uns die
Gegenwehr jedes Mal möglich macht. Zweitens bestimmten uns pädagogische
Rücksichten. Die „Noviće“ wird auch von Gymnasiasten gehalten, ein und das
andere Exemplar wird sogar gratis zur Lektüre verabreicht; abgesehen nun davon,
daß dieser Aufsatz den nachläßigen und trägen Schülern eine bequeme, ja selbst
plausible Entschuldigung für ihre schlechten Klassen bei ihren Eltern und
Angehörigen, ja am Ende bei ihrem eigenen Gewissen selbst, darbietet – sie haben
den Grund ihrer „Zweier“ schwarz auf weiß von einem ihrer Lehrer selbst erklärt
in der Hand – abgesehen also davon, ist der Artikel nach Form und Inhalt so
recht dazu geschaffen, die Disziplin der Schüler, ihre Achtung gegen die Lehrer
vom Boden aus zu untergraben und in den jungen, bisher harmlos in Friede und
Eintracht untereinander lebenden Gemüthern den Keim zu nationaler Gehäßigkeit,
Zwietracht und Streitigkeit zu legen, wofür gerade das noch urtheillose, aber
leichtempfängliche Gemüth der Studenten bekanntlich der beste Boden ist.
Wir
schwiegen also nicht und zeigten die Sache der Gymnasialdirektion an. Der
Direktor ließ die übrigen slovenischen Mitglieder des Lehrkörpers zuerst zu
Protokoll geben, ob der bezeichnete Aufsatz auch in ihrem Sinne gehalten sei und
ob auch sie etwas von der beschuldigten Unterdrückung slovenischer Schüler durch
deutsche Lehrer wahrgenommen haben. Die beiden ältesten slovenischen Lehrer
erklärten, daß wohl vielleicht in den früheren Jahren zu solchen Bemerkungen ein
Anlaß gewesen sein könnte, in den „letzteren Jahren“ aber ihnen kein Grund
bekannt sei, desgleichen erklärten auch die vier jüngeren, daß seit ihrer
Thätigkeit am hiesigen Gymnasium ihnen nichts dergleichen vorgekommen wäre; nur
bemerkte einer, daß der einzige Fall ihm bekannt sei, daß heuer in einer Klasse
der Lehrer (Prof.) für das Deutsche einem Schüler es verwiesen habe, seinen
Namen auf das deutsche Aufgabenheft nach slovenischer
Orthographie zu schreiben. Der Direktor hat nun beim Ministerium die ganze
Sache anhängig gemacht. So weit die Thatsache; Reflexionen daran zu knüpfen ist
unnöthig und zu peinlich; unser Glück ist es, daß wir am Ende des Schuljahrs
sind, denn bereits ist es in einer Klasse aus Anlaß dieses Artikels zu
Auftritten zwischen deutschen und slovenischen Schülern gekommen.
Ich für
meine Person kann mich nicht des Gedankens erwähren, daß in der ganzen Sache
Methode ist und daß der Verfasser des Artikels sicheren Rücken zu haben glauben
muß. Italien und Ungarn mahnen zu sehr an
das Gebet: Domine, salvum fac imperatorem nostrum! Schon vier Wochen vor dieser
Affaire habe ich und Biehl nach
Salzburg kompetirt, allein bei der jetzigen Sachlage
kann ich mir keine Hoffnung machen wegzukommen.
Mich Ihrer ferneren
Freundschaft und Güte empfohlen bleibe ich
Euer Hochwürden
dankschuldigster Schüler
Joseph Steger
Marburg, 28.7.[18]60
Empfehlungen an Biegeleben und Boul [Buol]