Joseph Steger an einen unbekannten Adressaten1
Marburg, 25. Juli 1860
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Regest

Der Priester und Gymnasiallehrer Joseph Steger berichtet Leo Thun über die nationale Agitation eines Lehrers des Gymnasiums in Marburg an der Drau. Dieser Lehrer hatte in der Zeitung „Noviće“ einen Aufsatz mit dem Titel „Das Slovenenthum und die Mittelschulen in Marburg“ veröffentlicht. Darin beschuldige er sowohl die Regierung, eine Germanisierungspolitik zu betreiben, als auch die Lehrer des Gymnasiums, die slowenischen Schüler zu unterdrücken. Da die Zeitschrift auch von Gymnasialschülern gelesen werde, könnte dies negative Folgen sowohl auf die Disziplin als auch auf die Gemüter der Schüler haben. In einer Klasse sei es bereits zu Konfrontationen zwischen deutschen und slowenischen Schülern gekommen. Daher sah sich Steger gezwungen beim Minister zu intervenieren. Auch der Direktor habe das Ministerium über die Angelegenheit informiert. Abschließend erwähnt Steger, dass er und ein Kollege sich um eine Stelle in Salzburg beworben haben, er aber wenig Hoffnung habe, in der jetzigen Situation dort hinbeordert zu werden.

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Edierter Text

Euer Hochwürden,
lieber Herr Professor!

Meine trübe Ahnung, die ich auch in meinem letzten Brief Ihnen andeutete, hat sich leider erwahrt, die Befürchtung nämlich, daß die nazionale Agitation von ein, zwei slovenischen Mitgliedern unseres Lehrkörpers früher oder später auch offen zu Tage treten werde.
Durch Zufall kam mir zur Kenntnis, daß in der der slovenischen Zeitschrift „Noviće“, in Laibach erscheinend, Anklagen der schweresten Art gegen die deutschen Mitglieder des Lehrkörpers vorkommen, ein Kollege konnte sich die betreffenden Nummern benannter Zeitschrift (Nr. 28 und 29, des 11. und 28. Juli)2 nebst einer wörtlich genauen Übersetzung verschaffen. Der Aufsatz ist von einem slovenischen Mitgliede unseres Lehrkörpers, Weltpriester hiesiger Diözese, unterzeichnet und enthält nebst allgemein gehaltenen Klagen gegen die Regierung wegen ihres Germanisirens und Aussendens deutscher „Apostel der Kultur“, nebst einzelnen Ausfällen gegen die hiesige Gymnasialdirektion noch folgende spezielle Anschuldigungen: die slovenische Sprache sei von zahlreichen Gegnern lächerlich gemacht worden, sogar in den Lehrstunden; wenn ein Schüler seinen Namen nach slovenischer Orthographie geschrieben habe, sei er gerügt und gebüßt worden; wenn ein Schüler in seiner Muttersprache tüchtiges geleistet, habe man ihn gerade deshalb in anderen Gegenständen herabgedrückt. Der Aufsatz ist überschrieben: „Das Slovenenthum und die Mittelschulen in Marburg“.
Ich berieth mich nun mit dem Kollegen, was da zu thun sei.
Aus zwei Gründen glaubten wir die Sache nicht mit Stillschweigen hinnehmen zu dürfen. Erstens sahen wir in dem Aufsatze einen Angriff auf unsere Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit, die wir treu dem Gewissen und dem geleisteten Amtseide immer unverletzt geübt zu haben bewußt sind, einen Angriff, der um so verletzender und gefährlicher ist, da er in einer Sprache geschrieben ist, die wir nicht verstehen und folglich nur ein Zufall uns die Gegenwehr jedes Mal möglich macht. Zweitens bestimmten uns pädagogische Rücksichten. Die „Noviće“ wird auch von Gymnasiasten gehalten, ein und das andere Exemplar wird sogar gratis zur Lektüre verabreicht; abgesehen nun davon, daß dieser Aufsatz den nachläßigen und trägen Schülern eine bequeme, ja selbst plausible Entschuldigung für ihre schlechten Klassen bei ihren Eltern und Angehörigen, ja am Ende bei ihrem eigenen Gewissen selbst, darbietet – sie haben den Grund ihrer „Zweier“ schwarz auf weiß von einem ihrer Lehrer selbst erklärt in der Hand – abgesehen also davon, ist der Artikel nach Form und Inhalt so recht dazu geschaffen, die Disziplin der Schüler, ihre Achtung gegen die Lehrer vom Boden aus zu untergraben und in den jungen, bisher harmlos in Friede und Eintracht untereinander lebenden Gemüthern den Keim zu nationaler Gehäßigkeit, Zwietracht und Streitigkeit zu legen, wofür gerade das noch urtheillose, aber leichtempfängliche Gemüth der Studenten bekanntlich der beste Boden ist.
Wir schwiegen also nicht und zeigten die Sache der Gymnasialdirektion an. Der Direktor ließ die übrigen slovenischen Mitglieder des Lehrkörpers zuerst zu Protokoll geben, ob der bezeichnete Aufsatz auch in ihrem Sinne gehalten sei und ob auch sie etwas von der beschuldigten Unterdrückung slovenischer Schüler durch deutsche Lehrer wahrgenommen haben. Die beiden ältesten slovenischen Lehrer erklärten, daß wohl vielleicht in den früheren Jahren zu solchen Bemerkungen ein Anlaß gewesen sein könnte, in den „letzteren Jahren“ aber ihnen kein Grund bekannt sei, desgleichen erklärten auch die vier jüngeren, daß seit ihrer Thätigkeit am hiesigen Gymnasium ihnen nichts dergleichen vorgekommen wäre; nur bemerkte einer, daß der einzige Fall ihm bekannt sei, daß heuer in einer Klasse der Lehrer (Prof.) für das Deutsche einem Schüler es verwiesen habe, seinen Namen auf das deutsche Aufgabenheft nach slovenischer Orthographie zu schreiben. Der Direktor hat nun beim Ministerium die ganze Sache anhängig gemacht. So weit die Thatsache; Reflexionen daran zu knüpfen ist unnöthig und zu peinlich; unser Glück ist es, daß wir am Ende des Schuljahrs sind, denn bereits ist es in einer Klasse aus Anlaß dieses Artikels zu Auftritten zwischen deutschen und slovenischen Schülern gekommen.
Ich für meine Person kann mich nicht des Gedankens erwähren, daß in der ganzen Sache Methode ist und daß der Verfasser des Artikels sicheren Rücken zu haben glauben muß. Italien und Ungarn mahnen zu sehr an das Gebet: Domine, salvum fac imperatorem nostrum! Schon vier Wochen vor dieser Affaire habe ich und Biehl nach Salzburg kompetirt, allein bei der jetzigen Sachlage kann ich mir keine Hoffnung machen wegzukommen.
Mich Ihrer ferneren Freundschaft und Güte empfohlen bleibe ich

Euer Hochwürden

dankschuldigster Schüler
Joseph Steger

Marburg, 28.7.[18]60

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