Johann Kleemann an Leo Thun
Prag, 17. April 1853
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Regest

Johann Kleemann, Sektionsrat im Ministerium für Kultus und Unterricht, sendet Leo Thun einen Bericht über die Stimmung in Böhmen und an den böhmischen Gymnasien. Kleemann erklärt, dass in Böhmen durchwegs schlecht über Thun und seine Politik geurteilt werde: Ihm werde vorgeworfen, das Schulwesen zu Grunde zu richten, den Bischöfen zu großen Einfluss in den Schulen zu gewähren und – was am schlimmsten sei – dass Thun allzu sehr die radikalen, tschechischen Lehrer und die tschechische Sprache fördere und damit das deutsche Element in Böhmen vollkommen vertreibe. Kleemann betont zwar, dass er überall versucht habe, Aufklärungsarbeit zu betreiben, er glaube jedoch, dass noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sei.

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Schlagworte

Edierter Text

Euere Excellenz!

Euer Excellenz wollen mir gestatten, im Nachhange zu meinem officiellen Berichte, den ich soeben abgehen ließ, hier noch einiges aufzunehmen, was ein Gegenstand jenes Berichtes nicht sein konnte.
Ohne diejenigen Herren zu erwähnen, mit denen ich gelegenheitlich und gesprächsweise mich über die herrschende Stimmung überhaupt und insbesondere rücksichtlich der Schulzustände unterhielt, mache ich nur die Quellen namhaft, aus denen ich mehr unter officieller Firma als mit privatlichem Charakter schöpfte. Sie sind die Herren: Statthalter, Polizeidirektor, Polizeirath Weber, Beer, Zeidler, von Helly, Dr. Faber, Janda, Dr. Jaksch, Dr. Helminger, die Schulräthe Klingler, Zeithammer, Effenberger, Nadherny, die Direktoren Czikanek, Kratochwile und Klicpera, endlich einzelne Gymnasiallehrer.
Die Sachen stehen gegenwärtig nicht so schlimm, als sie die Fama dazu macht, und daß sie, wenn sogleich vorgebeugt wird, nicht gründliche Reparatur finden sollten. Allein, man faßt die unausbleiblichen Consequenzen der jetzigen cechischen Schulzustände in ihrer Verbindung mit den parteigängerischen Tendenzen ins Auge, und insofern sind die herrschenden Urtheile, die bei Vornehm und Gering, bei Hoch und Nieder durchgängig übereinstimmen, ganz richtig, bis auf den traurigen, ja empörenden Wahn, in welchem man die faktischen verderblichen Richtungen, Übergriffe, Unlauterkeiten usw. der absichtlichen Urheberschaft Euer Excellenz zuschreibt, und man schien vielseitig wenig geneigt, diesen Wahn sich nehmen zu lassen.
In diesen Beziehungen stehen wirklich die Sachen schlimm, die Stimmung ist arg, sehr arg und ist auch schon Gegenstand vielfacher geheimämtlicher Berichte, in welche mir durch besonderes Vertrauen Einsicht gewährt wurde, geworden. Ich mußte z. B. von Amtsauthoritäten und redlichen Männern Urtheile anhören, wie es folgende sind: der Minister richtet uns alle zu Grunde; nicht nur hat er den Bischöfen Rechte gegeben, daß sie ungescheut die administrativen Gewalten zu schwächen, zu paralysiren suchen, sondern er hat der separatistisch-römischen und regierungsfeindlichen Parthei auch die Schulen, damit die einheimische Propaganda umso wirksamer sich ausbreite, überliefert. – „Die Revolution ist in ihrer politischen Macht für jetzt gebrochen; dafür aber bemächtigt sie sich der Lehrstühle, und das haben wir dem Grafen Thun zu verdanken.“ – „Graf Thun findet seine Lobredner jetzt nur an den böhmischen Parteiführern, wie unlängst in deren Comitésitzung ihm eine solche Lobrede gehalten wurde.“ – „Graf Thun wird von den fanatischen Wlastencen als der einzige Hort angesehen, auf den sie ihre Zukunft setzen. So sehr er von dieser Partei in den Junitagen gehaßt und verdammt wurde, so sehr wird er jetzt von derselben verehrt und gepriesen.“
Als bei einer Gelegenheit Unwille geäußert wurde über das exklusive Cechisiren und Entgermanisiren, das sich einige Lehrer notorisch zur Schuld kommen lassen, äußerte man ungescheut: „Es kann nicht anders kommen, der Minister will es ja so haben.“ – Als mir ein Charakter (Wenzig) als ein gefährlicher verkappter Ceche verdächtigt wurde, bemerkte man dabei, „das ist kein Wunder, da sein Minister eben so ist“ und dgl. Ich habe bei meiner Prager Commission eine große Probe von Mäßigung und Selbstüberwindung bestanden, um solchen wahnwitzigen Urtheilen gegenüber nicht das empörte, heftige Gefühl, sondern die ruhige Beweisführung für das Entgegengesetzte walten zu lassen, wobei als das sicherste Beweismittel wohl anzuerkennen sei, daß auf einen bloß leichthin in einem ämtlichen Berichte ausgesprochenen Verdacht, die Sachen stehen nicht so, wie sie stehen sollen, der Minister sogleich mich zur Erforschung der Sachlage abordnete. Und dazu sei ich eben da, um Wahrheit zu berichten, über Zustände und Übelstände, von denen der Herr Minister keine Ahnung habe; der Minister wisse von keiner anderen Devise als: die Jugend soll böhmisch lernen, insoweit als der deutschen Sprache und der deutschen Bildung dadurch nicht der geringste Abbruch widerfährt. Dafür liegen in den Ministerialakten und in den Gymnasialeinrichtungen der übrigen Kronländer hundertfältige Beweise vor.
Doch ich will Euer Excellenz mit weiteren Urtheilsabsurditäten nicht weiter behelligen; nur, weil diese wirklich sogar in höheren ämtlichen Kreisen wurzeln und diese Stimmung eine herrschende ist (denn ich habe zum großen Theile mehr als Polizeicommissär, denn als Schulkommissär hier geforscht), weil ich ferner grundsätzlich Euer Excellenz nie etwas vorenthalte, sei es auch betrübend oder unsinnig, gebe ich diesen Mittheilungen hier Raum. Pflichtgefühl und die unbegrenzte Verehrung für Euer Excellenz drängen mich dazu. Euer Excellenz wollen mir gnädigst diesen konfidentiellen Erguß zu Gute halten.
Morgen, den 18. Reise ich nach Pisek ab.
In tiefer Verehrung

Euer Excellenz

gehorsamster Diener
Kleemann

Prag, den 17. April 1853

Über das angeblich vorwaltende Cechisiren des Jicjner Gymnasiums sind auch bereits behördliche Untersuchungen im Gange.