Johann Kleemann, Sektionsrat im Ministerium für Kultus und Unterricht, sendet Leo Thun einen Bericht über die Stimmung in Böhmen und an den böhmischen Gymnasien. Kleemann erklärt, dass in Böhmen durchwegs schlecht über Thun und seine Politik geurteilt werde: Ihm werde vorgeworfen, das Schulwesen zu Grunde zu richten, den Bischöfen zu großen Einfluss in den Schulen zu gewähren und – was am schlimmsten sei – dass Thun allzu sehr die radikalen, tschechischen Lehrer und die tschechische Sprache fördere und damit das deutsche Element in Böhmen vollkommen vertreibe. Kleemann betont zwar, dass er überall versucht habe, Aufklärungsarbeit zu betreiben, er glaube jedoch, dass noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sei.
Euere Excellenz!
Euer Excellenz wollen mir gestatten, im Nachhange zu meinem officiellen Berichte,
den ich soeben abgehen ließ, hier noch einiges aufzunehmen, was ein Gegenstand
jenes Berichtes nicht sein konnte.
Ohne diejenigen Herren zu erwähnen, mit
denen ich gelegenheitlich und gesprächsweise mich über die herrschende Stimmung
überhaupt und insbesondere rücksichtlich der Schulzustände unterhielt, mache ich
nur die Quellen namhaft, aus denen ich mehr unter officieller Firma als mit
privatlichem Charakter schöpfte. Sie sind die Herren: Statthalter,
Polizeidirektor, Polizeirath Weber, Beer, Zeidler, von
Helly, Dr. Faber, Janda, Dr. Jaksch, Dr. Helminger,
die Schulräthe Klingler, Zeithammer, Effenberger, Nadherny, die Direktoren Czikanek, Kratochwile und Klicpera, endlich einzelne
Gymnasiallehrer.
Die Sachen stehen gegenwärtig nicht so schlimm, als sie die
Fama dazu macht, und daß sie, wenn sogleich vorgebeugt wird, nicht gründliche
Reparatur finden sollten. Allein, man faßt die unausbleiblichen Consequenzen der
jetzigen cechischen Schulzustände in ihrer Verbindung mit den parteigängerischen
Tendenzen ins Auge, und insofern sind die herrschenden Urtheile, die bei Vornehm
und Gering, bei Hoch und Nieder durchgängig übereinstimmen, ganz richtig, bis
auf den traurigen, ja empörenden Wahn, in welchem man die faktischen
verderblichen Richtungen, Übergriffe, Unlauterkeiten usw. der absichtlichen Urheberschaft Euer Excellenz zuschreibt, und man schien
vielseitig wenig geneigt, diesen Wahn sich nehmen zu lassen.
In diesen
Beziehungen stehen wirklich die Sachen schlimm, die Stimmung
ist arg, sehr arg und ist auch schon Gegenstand vielfacher geheimämtlicher
Berichte, in welche mir durch besonderes Vertrauen Einsicht gewährt wurde,
geworden. Ich mußte z. B. von Amtsauthoritäten und redlichen Männern Urtheile
anhören, wie es folgende sind: der Minister richtet uns alle zu Grunde; nicht
nur hat er den Bischöfen Rechte gegeben, daß sie ungescheut die administrativen
Gewalten zu schwächen, zu paralysiren suchen, sondern er hat der
separatistisch-römischen und regierungsfeindlichen Parthei auch die Schulen,
damit die einheimische Propaganda umso wirksamer sich ausbreite, überliefert. –
„Die Revolution ist in ihrer politischen Macht für jetzt gebrochen; dafür aber
bemächtigt sie sich der Lehrstühle, und das haben wir dem Grafen Thun zu
verdanken.“ – „Graf Thun findet seine Lobredner jetzt nur an den böhmischen
Parteiführern, wie unlängst in deren Comitésitzung ihm eine solche Lobrede
gehalten wurde.“ – „Graf Thun wird von den fanatischen Wlastencen als der
einzige Hort angesehen, auf den sie ihre Zukunft setzen. So sehr er von dieser
Partei in den Junitagen gehaßt und verdammt wurde, so sehr wird er jetzt von
derselben verehrt und gepriesen.“
Als bei einer Gelegenheit Unwille geäußert
wurde über das exklusive Cechisiren und Entgermanisiren, das sich einige Lehrer
notorisch zur Schuld kommen lassen, äußerte man ungescheut: „Es kann nicht
anders kommen, der Minister will es ja so haben.“ – Als mir ein Charakter
(Wenzig) als ein gefährlicher verkappter Ceche verdächtigt wurde, bemerkte man dabei, „das
ist kein Wunder, da sein Minister eben so ist“ und dgl. Ich habe bei meiner
Prager Commission eine große Probe von
Mäßigung und Selbstüberwindung bestanden, um solchen wahnwitzigen Urtheilen
gegenüber nicht das empörte, heftige Gefühl, sondern die ruhige Beweisführung
für das Entgegengesetzte walten zu lassen, wobei als das sicherste Beweismittel
wohl anzuerkennen sei, daß auf einen bloß leichthin in einem ämtlichen Berichte
ausgesprochenen Verdacht, die Sachen stehen nicht so, wie sie stehen sollen, der
Minister sogleich mich zur Erforschung der Sachlage abordnete. Und dazu sei ich
eben da, um Wahrheit zu berichten, über Zustände und Übelstände, von denen der
Herr Minister keine Ahnung habe; der Minister wisse von keiner anderen Devise
als: die Jugend soll böhmisch lernen, insoweit als der deutschen Sprache und der
deutschen Bildung dadurch nicht der geringste Abbruch widerfährt. Dafür liegen
in den Ministerialakten und in den Gymnasialeinrichtungen der übrigen Kronländer
hundertfältige Beweise vor.
Doch ich will Euer Excellenz mit weiteren
Urtheilsabsurditäten nicht weiter behelligen; nur, weil diese wirklich sogar in
höheren ämtlichen Kreisen wurzeln und diese Stimmung eine herrschende ist (denn
ich habe zum großen Theile mehr als Polizeicommissär, denn als Schulkommissär
hier geforscht), weil ich ferner grundsätzlich Euer Excellenz nie etwas
vorenthalte, sei es auch betrübend oder unsinnig, gebe ich diesen Mittheilungen
hier Raum. Pflichtgefühl und die unbegrenzte Verehrung für Euer Excellenz
drängen mich dazu. Euer Excellenz wollen mir gnädigst diesen konfidentiellen
Erguß zu Gute halten.
Morgen, den 18. Reise ich nach Pisek ab.
In tiefer
Verehrung
Euer Excellenz
gehorsamster Diener
Kleemann
Prag, den 17. April 1853
Über das angeblich vorwaltende Cechisiren des Jicjner Gymnasiums sind auch bereits behördliche Untersuchungen im Gange.