Gutachten von Johann Kleemann zu § 4 der Anträge der Erzbischöfe und Bischöfe des Kaiserreichs zur Umsetzung des Konkordats
o. O. [Wien], o. D. [1856]
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Regest

Der Episkopat fordert in Paragraf 4 seiner Anträge, dass die bischöflichen Inspektoren an den Konferenzen der Lehrer teilnehmen dürfen. Damit könne sichergestellt werden, dass keine dem Glauben und der Sittlichkeit widersprechenden Bücher verwendet würden.
Johann Kleemann stellt zunächst klar, dass es nicht die Aufgabe des Lehrkörpers sei, neue Lehrbücher einzuführen. Die Lehrer würden lediglich aus den vom Ministerium approbierten Schulbüchern die für sie passenden auswählen. Die Lehrer hätten aber durchaus die Pflicht, auf Fehler in Schulbüchern oder deren zweifelhafte Eignung hinzuweisen. Aus diesem Grund sieht er die Forderung der Bischöfe als gerechtfertigt an. Der bischöfliche Kommissär sollte auch zu Besprechungen, in denen das sittlich-religiöse Verhalten von Schülern besprochen wird, zugezogen werden. Darüber hinaus sollte es dem bischöflichen Kommissär gestattet sein, den Direktor zur Einberufung von Lehrerkonferenzen zu veranlassen, um über seine Wahrnehmungen hinsichtlich des sittlich-religiösen Zustandes des Gymnasiums zu berichten.

Anmerkungen zum Dokument

Das Gutachten ist mit weiteren 18 Gutachten unter der Signatur A3 XXI D383 abgelegt.1

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DBF2-D

Schlagworte

Edierter Text

IV.
Der Religionsunterricht ist ein Saame, welcher zwischen das Unkraut fällt, wenn bei dem Vortrage der übrigen Lehrfächer ein der katholischen Kirche oder sogar dem Christenthume entfremdeter Geist mittelbar oder unmittelbar hervortritt. Die Gymnasien und anderen mittleren Schulen werden für Kirche und Staat das, was sie sein sollen, dann erst vollkommen sein, wenn an denselben nach Vorschrift des Konkordates der ganze Unterricht nach Maßgabe des Gegenstandes geeignet ist, das Gesetz des christlichen Lebens dem Herzen einzuprägen. Damit dies Ziel erreicht werde, bedarf es vor allem einer entsprechenden Zahl von Lehrern, welche mit den erforderlichen Kenntnissen die rechte Gesinnung verbinden. Immerhin ist aber schon vieles geschehen, wenn die Lehrbücher der Aufgabe, welche ihnen durch die erwähnte Bestimmung des Konkordates gestellt ist, vollkommen entsprechen. Um so mehr muß es unmöglich gemacht werden, daß ganz wider die Absicht der obersten Leitung des Unterrichtes ein Schulbuch gebraucht werde, welches irgend etwas dem Glauben oder der Sittlichkeit Widerstreitendes enthalte. Damit die Bischöfe hierüber und über alles, was die sittliche und religiöse Erziehung betrifft, eine wirksame Aufsicht führen können, möge den Männern, welche sie in den Gymnasien und anderen mittleren Schulen als Inspektoren bestellen, das Recht eingeräumt werden, den Konferenzen der Professoren und Lehrer beizuwohnen, so oft sie es für nothwendig erachten; dem Direktor aber werde aufgetragen, wenn in einer Sitzung über die Anwendung neuer Lehr- oder Hilfsbücher, die Schulzucht oder andere Religion und Sittlichkeit berührende Gegenstände verhandelt werden soll, dem bischöflichen Inspektor hievon rechtzeitig Nachricht zu geben.

c. ad IV. die Wirksamkeit der bischöflichen Commissäre an den Gymnasien:
"Über die Erledigung des vorliegenden Wunsches ist sich gutächtlich zu äußern".

Votum:
Der Wunsch der Bischöfe in Betreff der Lehrer, daß diese mit den erforderlichen Kenntnissen auch die rechte Gesinnung verbinden, findet seine Beleuchtung unter d. ad § V.
Was die Schulbücher anbelangt, so läßt sich über den Antrag, daß dem bischöflichen Commissär das Recht eingeräumt werde, an den Lehrerkonferenzen, wenn in denselben über die Anwendung neuer Lehrbücher, die Schulzucht oder andere die Religion und Sittlichkeit berührende Gegenstände verhandelt werden soll, theil zu nehmen, folgendes bemerken:
Der Antrag scheint auf der Voraussetzung zu beruhen, als käme es den Lehrkörpern zu, neue Lehrbücher einzuführen. Diese Voraussetzung bedarf folgende Berichtigung:
1. Die Lehrkörper haben zunächst nur über die Wahl der vom Ministerium approbierten Schulbücher sich zu entscheiden. Diese Approbation beruht auf der zweifachen Anerkennung der wissenschaftlichen Richtigkeit und der pädagogischen Zweckmäßigkeit des Buches, welch' letztere auch die sittlich-religiöse Haltung des Buches in sich schließt.
2. Ein Vorwurf in dieser Hinsicht war gegründet in den ersten Jahren der Durchführung des Organisationsentwurfes, als die Noth zwang, einstweilen auch theilweise anstößige Schulbücher als Lückenbüßer zu gebrauchen. Gegenwärtig aber, und zwar in Folge der vorgenommenen Revision und Sichtung der Schulbücher (Akt 4063 54) ist zu einer solchen Besorgnis kein Grund vorhanden.
3. Allerdings mag es sich treffen, daß die Beurtheiler der Schulbücher manches übersehen oder ungerügt lassen, das ein Buch nicht tadelfrei erscheinen läßt. Die Regierung kann aber hierin nicht mehr thun, als was sie bereits gethan hat (Akt 127 55), nämlich den Inspektoren, Direktoren, Lehrern die Pflicht auferlegen, daß sie sich eine sorgfältige Durchsicht der eingeführten Bücher angelegen sein lassen, alle jene Stellen, welche etwa in sittlich-religiöser Beziehung als anstößig erscheinen oder in wissenschaftlicher Beziehung richtiger zu stellen wären, zum Gegenstande der Besprechung machen, damit die Schulbücher sowohl dem Inhalte als der Form nach eine immer größere Vollendung erhalten.
Diese Forderung nun macht es nicht nur statthaft, sondern auch wünschenswerth, daß der bischöfliche Commissär solchen Konferenzen, in denen es sich um die bezeichnete Frage handelt, beigezogen werde. Weiter wäre zu wünschen, daß Bischöfe und die bischöflichen Commissäre sich der Mühe nicht entziehen, die an einem Gymnasium gebrauchten Schulbücher, insbesondere die dem gesammten Sprach-, dann dem geschichtlichen Unterrichte zugewiesenen, durchzusehen und ihre Bemerkungen am gehörigen Orte vorbringen, damit in dieser Beziehung sie selbst so wie das Ministerium volle Beruhigung über die absolute Correktheit der Bücher gewinnen.
4. Die Lehrerkonferenzen haben endlich das Recht, auch nicht approbierte Schulbücher zu dem Ende einer Besprechung zu unterziehen, um die Prüfung eines solchen Buches von Seite des Ministeriums zu veranlassen und allenfalls die Approbation desselben zu erwirken. Auch in diesem Falle kann kein Anstand obwalten, den bischöflichen Commissär der Besprechung beizuziehen.
5. Die gutächtliche Mitwirkung des Commissärs bei Conferenzen mag auch da als berechtigt angenommen werden, wo es sich um die Behandlung eines Schülers, der ein sittlich-religiöses Vergehen begangen hat oder um die Überzeugung von der Unbedenklichkeit der einzelnen Kost- und Quartiergeber handelt.
6. Endlich kann es dem Zwecke entsprechend befunden werden, wenn der bischöfliche Commissär zuweilen den Direktor zur Zusammenberufung der Lehrer veranlaßt, um über die bei seiner Hospitierung gemachten Wahrnehmungen hinsichtlich des sittlich-religiösen Zustandes der Schule zu konferieren und sich darüber und über die damit zu verbindenden Maßnahmen zu verständigen. (Betreffen aber diese Wahrnehmungen die Persönlichkeit einzelner Lehrer, so darf dem Commissär so viel Takt zugetraut werden, daß er in diesem Falle nicht das Mittel der Plenarsitzung, sondern der vertraulichen Rücksprache mit dem Direktor oder mit den betreffenden Lehrern wählen wird.)
Dies wären nach Ansicht des Gefertigten die Grenzen, innerhalb welcher der bischöfliche Commissär als unterstützendes, berathendes Mitglied der Konferenzen zur Förderung des sittlich-religiösen Gedeihens eines Gymnasiums mitzuwirken hätte. Eine andere Beziehung fällt mir nicht ein, in welcher sich noch die Einflußnahme eines Commissärs als ersprießlich oder überhaupt von praktischer Wirkung erweisen könnte.

Kleemann