Der Historiker Constantin Höfler teilt Leo Thun mit, dass der Philologe August Schleicher ihn schriftlich darüber informiert habe, dass er während des gesamten Wintersemesters nicht nach Prag kommen werde. Als Grund hierfür habe Schleicher ein Brustleiden angeführt. Höfler glaubt unterdessen eher an Hypochondrie, die durch Schleichers Argwohn und Hass gegen alle, die seine Auffassungen nicht teilten, ausgelöst worden sei. Höfler erwähnt außerdem, dass er Schleicher bereits zweimal schriftlich über die anstehenden Prüfungen und die neuen Vorschriften für die Lehramtsprüfungen informiert habe. Höfler versichert dem Minister, ihn auf amtlichem Wege über die Angelegenheit auf dem Laufenden zu halten. Schließlich teilt Höfler dem Minister mit, dass er sich mit seinen Kollegen auf ein gemeinsames Vorgehen bei Prüfungen im Sinne der neu erlassenen Vorschriften geeinigt habe.
Euer Excellenz!
Hochgeborener Herr Graf!
Hochgebietender Herr
Staatsminister!
Indem ich Euer Excellenz für Ihr huldvolles Schreiben meinen ehrfurchtvollsten
Dank ausdrücke, erlaube ich mir nur unterthänigst zu bemerken, daß ich stets
bereit bin, wo es in meiner untergeordneten Stellung gilt,
Österreich oder die Universität, der ich angehöre, zu vertreten, mit allen Kräften
einzustehen und der Vorschlag einer Remuneration für den obschwebenden Fall ohne
mein Zuthun, ich kann wohl auch sagen gegen meinen Wunsch, in den Senatsantrag
aufgenommen wurde.
Zugleich beeile ich mich Eurer Excellenz anzuzeigen, daß
Professor Dr. Schleicher weder nach
Prag zurückgekehrt ist, noch für das Winterhalbjahr
zurückkehren wird. Ich bin wegen der äußersten Formlosigkeit, womit er sein
Gesuch um Urlaub einbrachte, bisher als Decan nicht im Stande gewesen, der erst
am 4. October zu Sonneberg bei Coburg abgefassten Bitte
amtliche Folge zu geben, habe aber unterdessen dem Professorencollegium die
Mittheilung gemacht, ihm selbst zwei Male geschrieben, die neuen „Vorschriften“
des hohen Ministeriums über die Gymnasiallehramtsprüfung zugesendet, ihm, da er
sich in der Eingabe über einen Erlaß des hohen Ministeriums, daß keine
Prüfungscandidaten für deutsche Sprache und deutsche Literatur angenommen werden
sollten, bezog, auf die möglichste Erweiterung seiner Befugnisse durch die
„Vorschrift“ aufmerksam gemacht so wie daß dadurch jeder Grund und jeder Anlaß
zu den geringfügigen Differenzen gehoben sei, bei welchen mit Ausnahme eines
Einzigen – eines Neulings – die ganze Prüfungscommission seinen Prätentionen
entgegengetreten war; ich schickte ihm ferner die von dem hohen Ministerium ihm
bewilligte Remuneration und erbot mich persönlich seine Angelegenheiten nach
Kräften zu besorgen. Er selbst giebt sein Leiden für ein Brustübel aus. Da er
kein ärztliches Zeugnis beibrachte, wird es vielleicht auch gestattet sein, der
Hypochondrie, die ihn zu quälendem Argwohn verleitete und ihn mit einem blinden
Hasse gegen diejenigen erfüllte, welche nicht seiner Ansicht waren, einen Theil
des Leidens zuzuschreiben. Das Professorencollegium hat den Gedanken einer
temporären Suppletirung nicht aufkommen lassen. Der Direction der
Prüfungscommission habe ich mündlich Anzeige gemacht, daß
Schleicher zu der Prüfung nicht zu kommen gedenke. Die
Vorlage des Gesuches an Eure Excellenz wird auf dem amtlichen Wege erfolgen,
sobald ich die gesetzlichen Belege in Händen habe.
Die von mir angestellte
Besprechung der philologischen, historischen und philosophischen
Prüfungscommission zur Anbahnung eines gleichmäßigen Verfahrens, um die
Lehramtscandidaten im Geiste „der Vorschrift“ zu unterrichten und zu prüfen, hat
zu einem erfreulichem Verständnisse geführt.
Ich bitte nun Eure Excellenz
mich gnädigst entschuldigen zu wollen, Hochdieselben mit diesen Angelegenheiten
belästiget zu haben. Allein die Pflicht schien mir zu gebieten Eurer Excellenz
hievon außeramtlich zu benachrichtigen; wie sie mir zugleich zu fordern schien,
alles aufzubieten, um der Universität einen genialen, in seinem Fache äußerst
tüchtigen Professor zu erhalten und denselben wo möglich mit Verhältnissen zu
versöhnen, deren vermeintliche Ungunst und Schwere vorzugsweise in einer
ungemein gesteigerten, krankhaften Reizbarkeit zu suchen sein dürfte.
Ich
habe die Ehre zu verharren in tiefster Ehrfurcht
Euer Excellenz unterthänigster Diener
Dr. K. A. D. Höfler
d.z. Decan des
philosophischen Professorencollegiums
Prag, 11. Oktober 1856