Filippo Serafini an Leo Thun
Siena, 1. April 1857
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Regest

Der Jurist Filippo Serafini erteilt Leo Thun die erbetenen Auskünfte über das Unterrichtswesen in der Toskana. Zunächst geht Serafini auf die Entwicklung der Elementar- und Sekundarschulen ein und betont, dass diese derzeit etwa auf demselben Niveau seien, wie die Schulen in Österreich in der Ära des Vormärzes gewesen waren. Die Hochschulen des Landes galten in den 1840er Jahren als die besten der ganzen Halbinsel, nach 1848 wanderten jedoch zahlreiche Professoren nach Turin ab. Damit sei Turin zum neuen intellektuellen Zentrum Italiens geworden, das sich mit den Universitäten in Lombardo-Venetien messe. Daher verlangten die Liberalen in Piemont auch vehement die Lehr- und Lernfreiheit für die Universitäten. Er selbst rät dazu, in den österreichischen Gebieten die Lehr- und Lernfreiheit mit Bedacht einzuführen, weil dort die Voraussetzungen durch die Reform der Gymnasien bereits geschaffen seien. Anschließend geht er wieder auf die Situation in der Toskana ein. Ein weiteres Problem sei dort die mit 1848 einsetzende Repression der Wissenschaft, obschon die Professoren am wenigsten an der Revolution beteiligt waren. Außerdem habe man die beiden bestehenden Universitäten aufgespalten und die einzelnen Fakultäten auf verschiedene Städte verteilt. Die Universitäten können aus der Sicht von Serafini daher nicht als wissenschaftliche Anstalten gelten. Schließlich gibt Serafini einen Überblick über die Fächer des Jura-Studiums und deren vorgeschriebene Verteilung auf die einzelnen Jahrgänge. Er selbst findet die Verteilung der Fächer unpassend. Außerdem müsse aus seiner Sicht die Vorbildung für die Universität verbessert werden, wie es in Österreich geschehen sei. Am Ende äußert Serafini den Wunsch, dass man auch an den österreichischen Universitäten dem Studium des Römischen Rechts mehr Raum gebe.

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Schlagworte

Edierter Text

Excellenz!

Bevor ich anfange dem schmeichelhaften Auftrage nachzukommen, Euerer Excellenz über den Zustand der Rechtsstudien an der Universität zu Siena Bericht zu erstatten, erlaube ich mir den tiefsten Dank auszusprechen für die gütige Unterstützung, die mir in den letzten zwei Jahren zu Theil wurde. Liebe zum Studium ging mir nie ab, nachdem ich aber die hohe Gunst Eurer Excellenz zu genießen das Glück habe, kann ich die Versicherung geben, daß mir jede Stunde heilig ist. Den Erwartungen des hohen Ministeriums möglichst zu entsprechen ist mein einziges Streben, und ich sehe mit Sehnsucht dem Tage entgegen, an welchem mir möglich sein wird, die Ausdrücke meiner Dankbarkeit mit Thaten zu bekräftigen.
Nun lasse ich die nöthigen Bemerkungen über die toscanischen Schulen nachfolgen:
I. Was die niederen und mittleren Schulen betrifft, so ist Alles genug charakterisirt, wenn ich sage, daß das heutige Toscana gewiß nichts Besseres aufzuweisen hat als das vormärzliche Österreich, mit dem einzigen Unterschied, daß man hier die italienische Literatur ziemlich betreibt, während die österreichischen Gymnasien vor noch nicht langer Zeit lateinische Schulen im wahren Sinne des Wortes genannt werden konnten.
II. Die toscanischen Hochschulen waren in den 40ger Jahren allgemein als die besten der Halbinsel anerkannt, und dieser Ruf war wohlverdient. Daher waren an der Pisaner Universität alljährlich 7 bis 800 inländische Studenten und gegen 200 Ausländer aus der italienischen Schweiz, aus Corsica, Griechenland und andern Orten. Das Jahr [18]48, welches in Österreich von so wohltäthigen Folgen begleitet war, übte auf Toscana den bedauerlichsten Einfluß. Die tüchtigsten Professoren (die wohl mitunter auch excentrische Ideen gehabt haben mochten) gingen theils freiwillig, theils gezwungen ins Exil, und die besten Kräfte Toscana’s lehren an den sardinischen Universitäten, und ihre Werke erscheinen in Piemont, welches ihnen weder Geburt noch Erziehung gegeben. Aus der letzterschienen [sic!] Broschüre des berühmten Grafen Solaro della Margarita ersieht man, daß allein an der Turiner Universität sieben „fuorusciti“ als Professoren angestellt sind, und die neu eingeführten oder jetzt einzuführenden Lehrkanzeln sollen ebenfalls exilirten Toscanern zufallen. Dieser Zufluß von talentvollen Männern stellt Turin in wissenschaftlicher Erziehung an die Seite Mailand’s, und schon streitet man, ob dieses letztere oder ersteres das italienische Attica sei. Dieser Zweifel kann nicht lange währen, den Ausschlag muß die neue Studienorganisation geben. Dieß ist der Grund, aus welchem die Ultraliberalen den Aufschwung der österreichischen Literatur fürchten, und jedwelche Lehrfreiheit als ein Unding für das österreichische Italien bezeichnen. Ich kann nicht umhin zu sagen, daß diejenigen, welche in Padova und Pavia einen geisttödtenden Zwang eingeführt wissen möchten, die nämlichen sind, welche in der Rivista contemporanea, in der Rassegna letteraria und in andern wissenschaftlichen Zeitschriften die Lehr- und Lernfreiheit an den sardinischen Hochschulen als das einzige Rettungsmittel begrüßen. So schreibt der berüchtigte sicilianische Flüchtling La Farina in seiner critischen Revue: „Das constitutionelle Sardinien sollte sich schämen, dem absolutistischen Kaiserreiche den Vorrang zu lassen. In Österreich herrscht Schulzwang für die Dorfschulen, bei uns (Piemont) ist es den Dorfkindern erlaubt, das Schafhüten der Schule vorzuziehen; in Österreich herrscht einige Freiheit in den höhern Schulen, während unsere Universitäten dem Zwange und der Pädanterie erliegen.“ Der radicale La Farina geht dann zu weit, wenn er meint, daß die Lehr- und Lernfreiheit absolut sein müsse, d.h. bei ihm unter anderem, daß Jedem ohne Ausname erlaubt sein müße Dozent zu sein, ja selbst ohne die nöthigen Studien zurückgelegt zu haben, ohne vom Ministerium oder vom Lehrkörper authorisirt zu sein, kurz gesagt, ohne alle Garantie für Regierung und Regierte.
Ich bin selbst der Meinung, daß an den österreichischen Universitäten mit der Zeit eine größere Freiheit einzuführen räthlich sein wird, muß aber zugeben, daß gegenwärtig der Sprung zu groß gewesen wäre, und das extrema se tangunt würde auch hier seinen Platz finden. In Piemont würde der Sprung gewiß noch größer sein, weil dort die Grundlage fehlt, ich meine nämlich eine gute Einrichtung der Gymnasien.
Euere Excellenz mögen diese Digression entschuldigen.
Ich kehre zurück zu den toscanischen Universitäten:
Ein großes Übel für Toscana war nach Gesagtem die Übersiedlung der tüchtigsten Meister nach Turin, ein noch größeres die von Seite der Regierung eingetretene Reaktion. Im Jahre 1840 wurde Alles aufgeboten, um die Studien zur höchsten Blüthe zu bringen. Zehn Jahre darauf sah man in denselben den Grund der traurigen 48ger Ereignisse. Eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken, und die ist folgende: die Revolution trat da am stärksten auf, wo am wenigsten wissenschaftliche Freiheit herrschte; sie ging nicht von Toscana aus, sondern sie wurde importirt und war dort überhaupt nicht so heftig als anderswo. Die Pflege der Wissenschaft hat also die Revolution nicht hervorgerufen, sondern eher zurückgehalten; und wenn überhaupt Geschichte beweisen soll, so möge man die Wienerauftritte ruhigen Auges beobachten und wird darin ganz entgegengesetzte Motive ersehen. Hier in Toscana ist man leider anderer Meinung. Ich kann mich ins Einzelne nicht einlassen. Ein Beispiel möge genügen: Vor dem Jahre 1851 waren in Toscana zwei vollständige Universitäten zu Pisa und zu Siena. Nach dem 18. Oktober 1851 hat man in Toscana gar keine wahre Universität, sondern zwei Hälften einer höhern Schulanstalt. Ich hielt die Universität für etwas Untheilbares, in Toscana wurde ich eines Bessern belehrt.
Zu Pisa sind 3 Fakultäten nämlich: die medicinische, die philosophische und die mathematische; in Siena sind 2 andere, d.h. die theologische und die juridische. In Lucca ist ein 3. Stück: die sogenannte jurisprudentia minor mit der Pharmaceutik!! In Arezzo und andern Städtchen gibt es außerdem Liceen, wo die Anfangsgründe des römischen und canonischen Rechts gelehrt werden, und die Austretenden für das zweite Jahr der sogenannten jurisprudentia major befähigt werden. Kann man sich etwas Abgeschmackteres denken? Es gibt nur Eine eigentliche philosophische Facultät und diese ist in Pisa, wo Medicin studirt wird. In Siena ist keine. Aber was ist das für eine juridische Facultät, wo dem Juristen nicht einmal Gelegenheit geboten wird die Vorträge über Geschichte und vaterländische Literatur zu besuchen? Was ist Jurisprudenz ohne Geschichte?
Da man in Lucca jurisprudentia minor betreibt, so möchte man glauben, daß in Siena jurisprudentia major gelehrt würde. Die Thatsache widerlegt die Erwartung. Was die Professoren betrifft, so kann ich mich glücklich schätzen, ihre wertheste Bekanntschaft gemacht zu haben. Diese sind größtentheils ausgezeichnete Lehrer, nur fehlt ihnen der gehörige Eifer. Einer der gefeiertsten Professoren (Herr Conticini) sagte mir, daß er die glückliche Stunde erwarte, die ihm Ruhe bringen wird. Ich hatte kaum geglaubt, daß ein Universitätsprofessor so reden könnte; was macht aber nicht Alles der organisirte Zwang? Der Professor ist hier eigentlich kein Professor, er ist ein bloßes Werkzeug, er ist so zu sagen eine organische Maschine.
Ein Fach wird aber vorzugsweise gepflegt, und da ich selbes zu meinem Hauptgegenstande gewählt habe, so werde ich weiter unten etwas Näheres darüber sagen, um so mehr, als ich fürchte, daß dasselbe in Österreich zu wenig berücksichtigt werde.
Diesen allgemeinen Bemerkungen reihe ich besondere an:
III. Mit Ausnahme derjenigen, die sich dem Notariate oder den administrativen Branchen widmen, für welche nämlich ein dreijähriger Cursus vorgeschrieben ist, muß jeder Jurist fünf volle Jahre an der Universität zu Siena studiren und nach erlangter Doktorswürde andere fünf volle Jahre in Florenz praktiziren, um für die Advocatur oder ein höheres Amt befähigt zu sein. Für jedes Schuljahr sind bestimmte Fächer vorgeschrieben, und es werden auch nur diese vorgetragen. Am Ende eines jeden Schuljahres müssen Prüfungen über die besuchten Gegenstände abgelegt werden. Der Jurist studirt hier nicht der Wissenschaft halber, sondern um die Prüfung zu bestehen; und wer mit möglichst geringem Studium die beste Prüfung macht, wird als tüchtiger Student acclamirt. Kein Wunder, daß nur die sogenannten „Sgobboni“ während des Schuljahres etwas thun. Aber auch diese beschäftigen sich nur mit Abschreiben der Lektionen und mit Ausarbeitung der sogenannten Temi per gli Esami. (Jeder Professor muß nämlich im Vorhinein eine bestimmte Anzahl von Fragen – temi – den Schülern vorlegen, und diese lernen dann die mit Hülfe der Lektionen ausgearbeiteten und bündig gefaßten Antworten wörtlich auswendig!!) Die übrigen Studenten lassen sich diese sogenannten Temi von den Abschreibern copiren und studiren nicht länger als etwa vierzehn Tage vor der Prüfung; die übrige Zeit bringen sie im Kaffeehause zu. Um die einzelnen Prüfungen abzuhalten, wird die Universität schon Mitte Juni geschlossen. Da sie erst Mitte November eröffnet wird, so folgt, daß die Universitätszeit 7 Monate dauert. Rechnet man die Ostern- und Faschingsfeiern dazu, so ergibt sich, daß die Vacanzzeit die Schulzeit übersteigt.
Da kein Eifer für Studium herrscht, so ist der Schulbesuch nichts weniger als fleißig, und der Professor muß mit dem verhaßten Namenverlesen die kostbare Zeit verlieren. Das Verlesen der Namen hat zwar zur Folge, daß die Hörsaale hin und wieder voll sind, aber man erwarte sich durchaus keine Ruhe, und wenn solche ausnahmsweise herrscht, so ist es durchaus nicht Folge des Aufmerkens, sondern des Lesens verbotener Bücher. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, so könnte ich es selbst kaum glauben. Jedoch muß ich hinzufügen, daß die Studenten nicht ganz den Studien abgeneigt sind, denn oft habe ich Theologen im Juristensaale und umgekehrt Juristen bei den Vorlesungen über Kirchengeschichte gefunden. Auch fand ich die Bibliothek sehr oft von Studenten besucht; und zwar fand ich sie in Studien beschäftigt, die an der Toscaner Universität keine Aufnahme finden, ich meine Geschichte und Literatur. Es war mir nicht schwer den Schluß daraus zu ziehen, daß der Zwang auch für italienische Naturen nicht paßt. Das gilt auch für die in Toscana vorgeschriebenen Examinatorien. Diese sind an und für sich ganz empfehlenswerth, und ich selbst würde sie als Dozent in Anwendung bringen, nur müßten sie seltener und dem freien Ermessen der Professoren und der Zuhörer überlassen sein, wie es auch in Preußen ist. Die Ämulation wirkt gewiß viel besser als der in Toscana herrschende Zwang. Dieser macht es, daß man im Professor keinen Freund, sondern einen Unterdrücker zu erkennen glaubt.
IV. Am Ende des Quinquienniums legt Jeder eine Prüfung über die während des letzten Jahres besuchten Fächer ab und wird auf diese Weise zum Doctor gestempelt.
Das Doctorat ist von unserm Absolutorium nicht viel verschieden und ist demnach für Alle erfordert, die ein öffentliches Amt erlangen wollen. Nach bestandener Praxis heißen die Doctores, gleichviel ob Beamter oder Sachwalter ausnahmslos Avvocati. Auch die Professoren haben den Titel Avvocato.
V. Die für die Universitätszeit vorgeschriebenen Gegenstände sind folgende:

Erster Jahrgang:
1. Rationelle Philosophie
2. Physik
3. Italienische und lateinische Sprache

Zweiter Jahrgang:
1. Praktische Philosophie
2. Politische Wissenschaften (Erster Theil)
3. Institutionen des römischen Rechts (Erster Theil)

Dritter Jahrgang:
1. Politische Wissenschaften (Zweiter Theil)
2. Institutionen des römischen Rechts (Zweiter Theil)
3. Einleitung in das Studium des canonischen Rechts
4. Strafrecht (allgemeiner Theil)
5. Geschichte des römischen Rechts (Äußere Geschichte und Prozeß)

Vierter Jahrgang:
1. Strafrecht (besonderer Theil)
2. Pandekten des römischen Rechts (Erster Theil)
3. Toscanisches Recht nebst Handelsrecht (Erster Theil)
4. Geschichte des römischen Rechtes (innere Geschichte)
5. Canonisches Recht (Erster Theil)

Fünfter Jahrgang:
1. Pandekten des römischen Rechts (Zweiter Theil)
2. Canonisches Recht (Zweiter Theil)
3. Toscanisches- und Handelsrecht (Zweiter Theil)

Das erste Studienjahr ist, wie man sieht, nichts anders als eine Ergänzung des Gymnasialunterrichts, obwohl schon früher die sogenannten esami di ammissione abgelegt werden. Diese sind bestimmt, unsere so heilsame Maturitätsprüfung zu ersetzen. Das Schlechte dabei ist, daß man sich denselben erst dann unterziehen kann, wenn man schon ein Probejahr an der Universität zugebracht hat, ohne Rücksicht, ob Einer ohne dieses Probejahr reif ist oder nicht. (Die aus dem Institute der Scholopier zu Florenz Austretenden wären z.B. reif genug, um ohne weiteres in das 2. Studienjahr einzutreten.) Da man nun absolut ein Probejahr und nach diesem noch ein Vorbereitungsjahr durchmachen muß, und da die Studienzeit ohnehin zu lange dauert, so denken sehr wenige Eltern an eine gehörige Vorbildung ihrer Kinder, und die Studenten kommen meistentheils sehr jung auf die Universität und viele davon mit keinem andern Zeugnisse als dem des Dorfpfarrers. Kaum glaublich, aber wahr!
Bei den esami di ammissione wird vorzüglich auf die Kenntnis der italienischen und lateinischen Sprache gesehen. Von einer Weltgeschichte keine Erwähnung, ja nicht einmal von einer Geschichte Italiens oder wenigstens Toscana’s!! Einziger Werth wird auf die Rosminianische Philosophie gelegt, die kaum vom zehnten Theile der Studenten verstanden werden soll. So sagte mir wenigstens der Professor, der eben diesen Gegenstand vorträgt. Die Gegenstände des 2. Jahrganges sind zum Theile gut gewählt. Aber wie sich die politischen Wissenschaften an die Anfangsgründe des römischen und canonischen Rechtes reihen können, ist mir wahrhaft unverständlich. Auch kann ich nicht begreifen, wie die Regierung es nicht einsieht, daß die Vorträge über politische Wissenschaften für ein ganz unreifes Publicum mehr Schaden als Nutzen bringen müssen. Der tüchtige Professor Corbani, welcher sich vergeblich bemüht, seinen Zuhörern das Wichtigste von diesem so wichtigen Gegenstande beizubringen, sagte mir unlängst: „Come volete che coltivino con profitto le scienze di stato senza la minima cognizione delle scienze legali, senza il corredo della storia e delle scienze affini?"
Die Moralphilosophie wird von den Professoren Pendola und Micheli (Piaristen) vorgetragen. Es sind beide sehr geschickt, und der Letztere versteht es vorzugsweise durch außerordentliche Klarheit den Mangel an Auffassung der noch unreifen Zuhörer zu ersetzen. Die Fächer des 3. Jahrganges sind auch nur zum Theile gut gestellt; denn erstens findet sich auch hier wiederum die economia sociale und zweitens ist auch das Strafrecht nicht am gehörigen Platze. Die Institutionen des römischen Rechts werden vom Professor Doveri sehr gut tradirt, nicht so die Anfangsgründe des canonischen und des Strafrechts.
Auch die Stellung der Fächer des 4. Jahrganges ist tadelnswerth. Unter Anderem weiß ich wahrlich nicht, warum man erst im 3. und 4. Jahre die Geschichte des römischen Rechts vorträgt? Auch weiß ich nicht, wie man das toscanische Recht vor das Pandektenrecht und gleichzeitig mit der römischen Rechtsgeschichte setzt? Beiläufig bemerke ich, daß der sonst talentvolle Professor der Rechtsgeschichte (G[iovani] Giorgini) für alles andere passen mag, nur nicht für diesen Gegenstand. Der Professor Mazzuoli, welcher toscanisches Recht gibt, ein sehr geistreicher und fleißiger Mann, nur ist er mir ein zu großer Verehrer der josephinischen Gesetzgebung.
Im 5. Jahrgange, welcher eigentlich den politischen Wissenschaften und der einheimischen Gesetzgebung und vorzüglich dem Prozeßrechte gewidmet sein sollte, finden sich Pandekten- und Kirchenrecht wieder. Der Professor des canonischen Rechtes ist mittelmäßig, desto besser ist der Pandektenlehrer Conticini. Es war gewiß ein Unglück für Padua, daß Conticini den für ihn so vortheilhaften Antrag ausschlug, obwohl auch er mit einem Arndts, Phillips oder Unger nicht zu vergleichen ist.
VI. Ich erlaube mir noch einige Worte über das römische Recht. Dasselbe ist in Toscana ganz richtig in 3 große Haupttheile getheilt: Institutionen, Geschichte und Pandekten. Zugegeben, daß zwei volle Jahre für Institutionen, zwei Jahre für Geschichte und zwei Jahre für Pandekten zu viel sind, so wäre es andererseits sehr wünschenswerth, daß man in Österreich das Ganze nicht mit einem Jahre abfertige. Da ich über diesen Punkt sehr ausführlich dem Herrn Ministerialrathe von Tomaschek geschrieben, so halte ich es für überflüßig, noch ein Mal die Geduld des hohen Ministeriums in Anspruch zu nehmen. Nur wiederhohle ich den schon ausgesprochenen Gedanken, daß es gewiß nützlich wäre, wenn man im ersten Jahre Institutionen und Geschichte und im zweiten Jahre Pandekten vortragen würde. Gott gebe es, daß dieser Wunsch in Erfüllung gehen möge. Der Erfolg kann meiner Meinung nach nur ein guter sein. Ich sehe ein, daß ich in meinem Berichte zu weitläufig und zu kühn war. Euere Excellenz mögen gütigst entschuldigen. Jedenfalls kann ich die Versicherung geben, ohne Nebenzwecke die Wahrheit geschrieben zu haben. Ich bitte innständigst um Verzeihung für meine allzugroße Freiheit, und indem ich meinen tiefgefühlten Dank wiederhohle, bin ich so glücklich mit aller Ehrfurcht zu sein

Euerer Excellenz ergebenster Diener
Filippo Serafini

Siena, am 1. April 1857