Der Jurist Filippo Serafini erteilt Leo Thun die erbetenen Auskünfte über das Unterrichtswesen in der Toskana. Zunächst geht Serafini auf die Entwicklung der Elementar- und Sekundarschulen ein und betont, dass diese derzeit etwa auf demselben Niveau seien, wie die Schulen in Österreich in der Ära des Vormärzes gewesen waren. Die Hochschulen des Landes galten in den 1840er Jahren als die besten der ganzen Halbinsel, nach 1848 wanderten jedoch zahlreiche Professoren nach Turin ab. Damit sei Turin zum neuen intellektuellen Zentrum Italiens geworden, das sich mit den Universitäten in Lombardo-Venetien messe. Daher verlangten die Liberalen in Piemont auch vehement die Lehr- und Lernfreiheit für die Universitäten. Er selbst rät dazu, in den österreichischen Gebieten die Lehr- und Lernfreiheit mit Bedacht einzuführen, weil dort die Voraussetzungen durch die Reform der Gymnasien bereits geschaffen seien. Anschließend geht er wieder auf die Situation in der Toskana ein. Ein weiteres Problem sei dort die mit 1848 einsetzende Repression der Wissenschaft, obschon die Professoren am wenigsten an der Revolution beteiligt waren. Außerdem habe man die beiden bestehenden Universitäten aufgespalten und die einzelnen Fakultäten auf verschiedene Städte verteilt. Die Universitäten können aus der Sicht von Serafini daher nicht als wissenschaftliche Anstalten gelten. Schließlich gibt Serafini einen Überblick über die Fächer des Jura-Studiums und deren vorgeschriebene Verteilung auf die einzelnen Jahrgänge. Er selbst findet die Verteilung der Fächer unpassend. Außerdem müsse aus seiner Sicht die Vorbildung für die Universität verbessert werden, wie es in Österreich geschehen sei. Am Ende äußert Serafini den Wunsch, dass man auch an den österreichischen Universitäten dem Studium des Römischen Rechts mehr Raum gebe.
Excellenz!
Bevor ich anfange dem schmeichelhaften Auftrage nachzukommen, Euerer Excellenz
über den Zustand der Rechtsstudien an der Universität zu Siena Bericht zu erstatten, erlaube ich mir den
tiefsten Dank auszusprechen für die gütige Unterstützung, die mir in den letzten
zwei Jahren zu Theil wurde. Liebe zum Studium ging mir nie ab, nachdem ich aber
die hohe Gunst Eurer Excellenz zu genießen das Glück habe, kann ich die
Versicherung geben, daß mir jede Stunde heilig ist. Den Erwartungen des hohen
Ministeriums möglichst zu entsprechen ist mein einziges Streben, und ich sehe
mit Sehnsucht dem Tage entgegen, an welchem mir möglich sein wird, die Ausdrücke
meiner Dankbarkeit mit Thaten zu bekräftigen.
Nun lasse ich die nöthigen
Bemerkungen über die toscanischen Schulen nachfolgen:
I. Was die niederen
und mittleren Schulen betrifft, so ist Alles genug charakterisirt, wenn ich
sage, daß das heutige Toscana gewiß nichts
Besseres aufzuweisen hat als das vormärzliche Österreich, mit dem einzigen Unterschied, daß man hier die
italienische Literatur ziemlich betreibt, während die österreichischen Gymnasien
vor noch nicht langer Zeit lateinische Schulen im wahren Sinne des Wortes
genannt werden konnten.
II. Die toscanischen Hochschulen waren in den 40ger
Jahren allgemein als die besten der Halbinsel anerkannt, und dieser Ruf war
wohlverdient. Daher waren an der Pisaner
Universität alljährlich 7 bis 800 inländische Studenten und gegen
200 Ausländer aus der italienischen Schweiz, aus Corsica, Griechenland und andern
Orten. Das Jahr [18]48, welches in Österreich von so wohltäthigen Folgen begleitet war, übte auf
Toscana den bedauerlichsten Einfluß. Die
tüchtigsten Professoren (die wohl mitunter auch excentrische Ideen gehabt haben
mochten) gingen theils freiwillig, theils gezwungen ins Exil, und die besten
Kräfte Toscana’s lehren an den sardinischen
Universitäten, und ihre Werke erscheinen in Piemont, welches
ihnen weder Geburt noch Erziehung gegeben. Aus der letzterschienen [sic!]
Broschüre des berühmten Grafen Solaro
della Margarita ersieht man, daß allein an der Turiner Universität sieben „fuorusciti“
als Professoren angestellt sind, und die neu eingeführten oder jetzt
einzuführenden Lehrkanzeln sollen ebenfalls exilirten Toscanern zufallen. Dieser
Zufluß von talentvollen Männern stellt Turin in wissenschaftlicher Erziehung an die Seite Mailand’s, und schon streitet man, ob dieses
letztere oder ersteres das italienische Attica sei. Dieser Zweifel kann nicht
lange währen, den Ausschlag muß die neue Studienorganisation geben. Dieß ist der
Grund, aus welchem die Ultraliberalen den Aufschwung der österreichischen
Literatur fürchten, und jedwelche Lehrfreiheit als ein Unding für das
österreichische Italien bezeichnen. Ich kann nicht umhin zu sagen, daß
diejenigen, welche in Padova und
Pavia einen geisttödtenden Zwang
eingeführt wissen möchten, die nämlichen sind, welche in der Rivista
contemporanea, in der Rassegna letteraria und in andern wissenschaftlichen
Zeitschriften die Lehr- und Lernfreiheit an den sardinischen Hochschulen als das
einzige Rettungsmittel begrüßen. So schreibt der berüchtigte sicilianische
Flüchtling La Farina in seiner
critischen Revue: „Das constitutionelle Sardinien sollte sich schämen, dem
absolutistischen Kaiserreiche den Vorrang zu lassen. In Österreich herrscht
Schulzwang für die Dorfschulen, bei uns (Piemont) ist es den Dorfkindern
erlaubt, das Schafhüten der Schule vorzuziehen; in Österreich herrscht einige
Freiheit in den höhern Schulen, während unsere Universitäten dem Zwange und der
Pädanterie erliegen.“ Der radicale La
Farina geht dann zu weit, wenn er meint, daß die Lehr- und
Lernfreiheit absolut sein müsse, d.h. bei ihm unter anderem, daß Jedem ohne
Ausname erlaubt sein müße Dozent zu sein, ja selbst ohne die nöthigen Studien
zurückgelegt zu haben, ohne vom Ministerium oder vom Lehrkörper authorisirt zu
sein, kurz gesagt, ohne alle Garantie für Regierung und Regierte.
Ich bin
selbst der Meinung, daß an den österreichischen Universitäten mit der Zeit eine
größere Freiheit einzuführen räthlich sein wird, muß aber zugeben, daß
gegenwärtig der Sprung zu groß gewesen wäre, und das extrema se tangunt würde
auch hier seinen Platz finden. In Piemont würde der Sprung
gewiß noch größer sein, weil dort die Grundlage fehlt, ich meine nämlich eine
gute Einrichtung der Gymnasien.
Euere Excellenz mögen diese Digression
entschuldigen.
Ich kehre zurück zu den toscanischen Universitäten:
Ein
großes Übel für Toscana war nach Gesagtem die
Übersiedlung der tüchtigsten Meister nach Turin, ein noch
größeres die von Seite der Regierung eingetretene Reaktion. Im Jahre 1840 wurde
Alles aufgeboten, um die Studien zur höchsten Blüthe zu bringen. Zehn Jahre
darauf sah man in denselben den Grund der traurigen 48ger Ereignisse. Eine
Bemerkung kann ich nicht unterdrücken, und die ist folgende: die Revolution trat
da am stärksten auf, wo am wenigsten wissenschaftliche Freiheit herrschte; sie
ging nicht von Toscana aus, sondern sie wurde
importirt und war dort überhaupt nicht so heftig als anderswo. Die Pflege der
Wissenschaft hat also die Revolution nicht hervorgerufen, sondern eher
zurückgehalten; und wenn überhaupt Geschichte beweisen soll, so möge man die
Wienerauftritte ruhigen Auges beobachten und wird darin ganz entgegengesetzte
Motive ersehen. Hier in Toscana ist man leider
anderer Meinung. Ich kann mich ins Einzelne nicht einlassen. Ein Beispiel möge
genügen: Vor dem Jahre 1851 waren in Toscana
zwei vollständige Universitäten zu
Pisa und zu Siena.
Nach dem 18. Oktober 1851 hat man in Toscana gar keine wahre Universität,
sondern zwei Hälften einer höhern Schulanstalt. Ich hielt die Universität für
etwas Untheilbares, in Toscana wurde ich eines
Bessern belehrt.
Zu Pisa sind 3 Fakultäten nämlich:
die medicinische, die philosophische und die mathematische; in
Siena sind 2 andere, d.h. die theologische und die
juridische. In Lucca ist ein 3. Stück: die sogenannte
jurisprudentia minor mit der Pharmaceutik!! In Arezzo und
andern Städtchen gibt es außerdem Liceen, wo die Anfangsgründe des römischen und
canonischen Rechts gelehrt werden, und die Austretenden für das zweite Jahr der
sogenannten jurisprudentia major befähigt werden. Kann man sich etwas
Abgeschmackteres denken? Es gibt nur Eine eigentliche philosophische Facultät
und diese ist in Pisa, wo Medicin studirt wird. In
Siena ist keine. Aber was ist das für eine juridische
Facultät, wo dem Juristen nicht einmal Gelegenheit geboten wird die Vorträge
über Geschichte und vaterländische Literatur zu besuchen? Was ist Jurisprudenz
ohne Geschichte?
Da man in Lucca jurisprudentia
minor betreibt, so möchte man glauben, daß in Siena jurisprudentia major gelehrt
würde. Die Thatsache widerlegt die Erwartung. Was die Professoren betrifft, so
kann ich mich glücklich schätzen, ihre wertheste Bekanntschaft gemacht zu haben.
Diese sind größtentheils ausgezeichnete Lehrer, nur fehlt ihnen der gehörige
Eifer. Einer der gefeiertsten Professoren (Herr Conticini) sagte mir, daß er die glückliche Stunde erwarte, die
ihm Ruhe bringen wird. Ich hatte kaum geglaubt, daß ein Universitätsprofessor so
reden könnte; was macht aber nicht Alles der organisirte Zwang? Der Professor
ist hier eigentlich kein Professor, er ist ein bloßes Werkzeug, er ist so zu
sagen eine organische Maschine.
Ein Fach wird aber vorzugsweise gepflegt,
und da ich selbes zu meinem Hauptgegenstande gewählt habe, so werde ich weiter
unten etwas Näheres darüber sagen, um so mehr, als ich fürchte,
daß dasselbe in Österreich zu wenig
berücksichtigt werde.
Diesen allgemeinen Bemerkungen reihe ich
besondere an:
III. Mit Ausnahme derjenigen, die sich dem Notariate oder den
administrativen Branchen widmen, für welche nämlich ein dreijähriger Cursus
vorgeschrieben ist, muß jeder Jurist fünf volle Jahre an der Universität zu Siena studiren und nach
erlangter Doktorswürde andere fünf volle Jahre in Florenz
praktiziren, um für die Advocatur oder ein höheres Amt befähigt zu sein. Für
jedes Schuljahr sind bestimmte Fächer vorgeschrieben, und es werden auch nur
diese vorgetragen. Am Ende eines jeden Schuljahres müssen Prüfungen über die
besuchten Gegenstände abgelegt werden. Der Jurist studirt hier nicht der
Wissenschaft halber, sondern um die Prüfung zu bestehen; und wer mit möglichst
geringem Studium die beste Prüfung macht, wird als tüchtiger Student acclamirt.
Kein Wunder, daß nur die sogenannten „Sgobboni“ während des Schuljahres etwas
thun. Aber auch diese beschäftigen sich nur mit Abschreiben der Lektionen und
mit Ausarbeitung der sogenannten Temi per gli Esami. (Jeder Professor muß
nämlich im Vorhinein eine bestimmte Anzahl von Fragen – temi – den Schülern
vorlegen, und diese lernen dann die mit Hülfe der Lektionen ausgearbeiteten und
bündig gefaßten Antworten wörtlich auswendig!!) Die übrigen Studenten lassen
sich diese sogenannten Temi von den Abschreibern copiren und studiren nicht
länger als etwa vierzehn Tage vor der Prüfung; die übrige Zeit bringen sie im
Kaffeehause zu. Um die einzelnen Prüfungen abzuhalten, wird die Universität
schon Mitte Juni geschlossen. Da sie erst Mitte November eröffnet wird, so
folgt, daß die Universitätszeit 7 Monate dauert. Rechnet man die Ostern- und
Faschingsfeiern dazu, so ergibt sich, daß die Vacanzzeit die Schulzeit
übersteigt.
Da kein Eifer für Studium herrscht, so ist der Schulbesuch
nichts weniger als fleißig, und der Professor muß mit dem verhaßten
Namenverlesen die kostbare Zeit verlieren. Das Verlesen der Namen hat zwar zur
Folge, daß die Hörsaale hin und wieder voll sind, aber man erwarte sich durchaus
keine Ruhe, und wenn solche ausnahmsweise herrscht, so ist es durchaus nicht
Folge des Aufmerkens, sondern des Lesens verbotener Bücher. Wenn ich es nicht
mit eigenen Augen gesehen hätte, so könnte ich es selbst kaum glauben. Jedoch
muß ich hinzufügen, daß die Studenten nicht ganz den Studien abgeneigt sind,
denn oft habe ich Theologen im Juristensaale und umgekehrt Juristen bei den
Vorlesungen über Kirchengeschichte gefunden. Auch fand ich die Bibliothek sehr
oft von Studenten besucht; und zwar fand ich sie in Studien beschäftigt, die an
der Toscaner Universität keine Aufnahme finden, ich meine Geschichte und
Literatur. Es war mir nicht schwer den Schluß daraus zu ziehen, daß der Zwang
auch für italienische Naturen nicht paßt. Das gilt auch für die in Toscana vorgeschriebenen Examinatorien. Diese sind
an und für sich ganz empfehlenswerth, und ich selbst würde sie als Dozent in
Anwendung bringen, nur müßten sie seltener und dem freien Ermessen der
Professoren und der Zuhörer überlassen sein, wie es auch in
Preußen ist. Die Ämulation wirkt gewiß viel besser als
der in Toscana herrschende Zwang. Dieser macht
es, daß man im Professor keinen Freund, sondern einen Unterdrücker zu erkennen
glaubt.
IV. Am Ende des Quinquienniums legt Jeder eine Prüfung über die
während des letzten Jahres besuchten Fächer ab und wird auf diese Weise zum
Doctor gestempelt.
Das Doctorat ist von unserm Absolutorium nicht viel
verschieden und ist demnach für Alle erfordert, die ein öffentliches Amt
erlangen wollen. Nach bestandener Praxis heißen die Doctores, gleichviel ob
Beamter oder Sachwalter ausnahmslos Avvocati. Auch die Professoren haben den
Titel Avvocato.
V. Die für die Universitätszeit vorgeschriebenen Gegenstände
sind folgende:
Erster Jahrgang:
1. Rationelle Philosophie
2. Physik
3.
Italienische und lateinische Sprache
Zweiter Jahrgang:
1. Praktische Philosophie
2. Politische Wissenschaften
(Erster Theil)
3. Institutionen des römischen Rechts (Erster Theil)
Dritter Jahrgang:
1. Politische Wissenschaften (Zweiter Theil)
2.
Institutionen des römischen Rechts (Zweiter Theil)
3. Einleitung in das
Studium des canonischen Rechts
4. Strafrecht (allgemeiner Theil)
5.
Geschichte des römischen Rechts (Äußere Geschichte und Prozeß)
Vierter Jahrgang:
1. Strafrecht (besonderer Theil)
2. Pandekten des
römischen Rechts (Erster Theil)
3. Toscanisches Recht nebst Handelsrecht
(Erster Theil)
4. Geschichte des römischen Rechtes (innere
Geschichte)
5. Canonisches Recht (Erster Theil)
Fünfter Jahrgang:
1. Pandekten des römischen Rechts (Zweiter Theil)
2.
Canonisches Recht (Zweiter Theil)
3. Toscanisches- und Handelsrecht (Zweiter
Theil)
Das erste Studienjahr ist, wie man sieht, nichts anders als eine Ergänzung des
Gymnasialunterrichts, obwohl schon früher die sogenannten esami di ammissione
abgelegt werden. Diese sind bestimmt, unsere so heilsame Maturitätsprüfung zu
ersetzen. Das Schlechte dabei ist, daß man sich denselben erst dann unterziehen
kann, wenn man schon ein Probejahr an der Universität zugebracht hat, ohne
Rücksicht, ob Einer ohne dieses Probejahr reif ist oder nicht. (Die aus dem
Institute der Scholopier zu Florenz Austretenden wären
z.B. reif genug, um ohne weiteres in das 2. Studienjahr einzutreten.) Da man nun
absolut ein Probejahr und nach diesem noch ein Vorbereitungsjahr durchmachen
muß, und da die Studienzeit ohnehin zu lange dauert, so denken sehr wenige
Eltern an eine gehörige Vorbildung ihrer Kinder, und die Studenten kommen
meistentheils sehr jung auf die Universität und viele davon mit keinem andern
Zeugnisse als dem des Dorfpfarrers. Kaum glaublich, aber wahr!
Bei den esami
di ammissione wird vorzüglich auf die Kenntnis der italienischen und
lateinischen Sprache gesehen. Von einer Weltgeschichte keine Erwähnung, ja nicht
einmal von einer Geschichte Italiens oder
wenigstens Toscana’s!! Einziger Werth wird auf
die Rosminianische Philosophie gelegt, die kaum vom zehnten Theile der Studenten
verstanden werden soll. So sagte mir wenigstens der Professor, der eben diesen
Gegenstand vorträgt. Die Gegenstände des 2. Jahrganges sind zum Theile gut
gewählt. Aber wie sich die politischen Wissenschaften an die Anfangsgründe des
römischen und canonischen Rechtes reihen können, ist mir wahrhaft
unverständlich. Auch kann ich nicht begreifen, wie die Regierung es nicht
einsieht, daß die Vorträge über politische Wissenschaften für ein ganz unreifes
Publicum mehr Schaden als Nutzen bringen müssen. Der tüchtige Professor
Corbani, welcher sich
vergeblich bemüht, seinen Zuhörern das Wichtigste von diesem so wichtigen
Gegenstande beizubringen, sagte mir unlängst: „Come volete che coltivino con
profitto le scienze di stato senza la minima cognizione delle scienze legali,
senza il corredo della storia e delle scienze affini?"
Die Moralphilosophie
wird von den Professoren Pendola und
Micheli (Piaristen)
vorgetragen. Es sind beide sehr geschickt, und der Letztere versteht es
vorzugsweise durch außerordentliche Klarheit den Mangel an Auffassung der noch
unreifen Zuhörer zu ersetzen. Die Fächer des 3. Jahrganges sind auch nur zum
Theile gut gestellt; denn erstens findet sich auch hier wiederum die economia
sociale und zweitens ist auch das Strafrecht nicht am gehörigen Platze. Die
Institutionen des römischen Rechts werden vom Professor Doveri sehr gut tradirt, nicht so die
Anfangsgründe des canonischen und des Strafrechts.
Auch die Stellung der
Fächer des 4. Jahrganges ist tadelnswerth. Unter Anderem weiß ich wahrlich
nicht, warum man erst im 3. und 4. Jahre die Geschichte des römischen Rechts
vorträgt? Auch weiß ich nicht, wie man das toscanische Recht vor das
Pandektenrecht und gleichzeitig mit der römischen Rechtsgeschichte setzt?
Beiläufig bemerke ich, daß der sonst talentvolle Professor der Rechtsgeschichte
(G[iovani] Giorgini) für
alles andere passen mag, nur nicht für diesen Gegenstand. Der Professor
Mazzuoli, welcher toscanisches
Recht gibt, ein sehr geistreicher und fleißiger Mann, nur ist er mir ein zu
großer Verehrer der josephinischen Gesetzgebung.
Im 5. Jahrgange, welcher
eigentlich den politischen Wissenschaften und der einheimischen Gesetzgebung und
vorzüglich dem Prozeßrechte gewidmet sein sollte, finden sich Pandekten- und
Kirchenrecht wieder. Der Professor des canonischen Rechtes ist mittelmäßig,
desto besser ist der Pandektenlehrer Conticini. Es war gewiß ein Unglück für Padua, daß Conticini den für ihn so vortheilhaften
Antrag ausschlug, obwohl auch er mit einem Arndts, Phillips oder
Unger nicht zu vergleichen
ist.
VI. Ich erlaube mir noch einige Worte über das römische Recht. Dasselbe
ist in Toscana ganz richtig in 3 große
Haupttheile getheilt: Institutionen, Geschichte und Pandekten. Zugegeben, daß zwei volle
Jahre für Institutionen, zwei Jahre für Geschichte und zwei Jahre für Pandekten
zu viel sind, so wäre es andererseits sehr wünschenswerth, daß man in Österreich das Ganze nicht mit einem Jahre abfertige. Da ich über diesen Punkt sehr ausführlich dem
Herrn Ministerialrathe von Tomaschek
geschrieben, so halte ich es für überflüßig, noch ein Mal die Geduld des hohen
Ministeriums
in Anspruch zu nehmen. Nur wiederhohle ich den schon ausgesprochenen Gedanken,
daß es gewiß nützlich wäre, wenn man im ersten Jahre Institutionen und
Geschichte und im zweiten Jahre Pandekten vortragen würde. Gott gebe es, daß
dieser Wunsch in Erfüllung gehen möge. Der Erfolg kann meiner Meinung nach nur
ein guter sein. Ich sehe ein, daß ich in meinem Berichte zu weitläufig und zu
kühn war. Euere Excellenz mögen gütigst entschuldigen. Jedenfalls kann ich die
Versicherung geben, ohne Nebenzwecke die Wahrheit geschrieben zu haben. Ich
bitte innständigst um Verzeihung für meine allzugroße Freiheit, und indem ich
meinen tiefgefühlten Dank wiederhohle, bin ich so glücklich mit aller Ehrfurcht
zu sein
Euerer Excellenz ergebenster Diener
Filippo Serafini
Siena, am 1. April 1857