Der Kirchenrechtler Ernst Moy de Sons äußert sich neuerlich zur Frage der
Sprachenverwendung bei den Rigorosen. Zunächst bedankt er sich bei Leo
Thun, dass dieser seine Kritik an der jüngsten Verordnung hierzu mit so
viel Nachsicht aufgenommen habe. Moy räumt ein, dass er in mancher
Hinsicht zu scharf geurteilt habe. Er steht jedoch zu seiner Ansicht,
dass es an der Innsbrucker Universität möglich sein müsse, die
italienischen Studenten in ihrer Muttersprache zu prüfen. Er versteht
allerdings sehr wohl, dass nicht jedes Fach in beiden Sprachen gelehrt
werden könne. Außerdem glaubt er, dass man mit aller Kraft verhindern
müsse, dass die welschtiroler Studenten in Padua oder Pavia studierten,
weil sie dort dem italienischen Nationalismus und zahlreichen
Liederlichkeiten ausgesetzt wären. Daher sollte man sie in ihrem
Heimatland zumindest bei den Prüfungen nicht sprachlich benachteiligen.
Moy erneuert daher seine Bitte, dass die italienischen Studenten bei den
Rigorosen auch auf Italienisch antworten dürfen.
Anschließend
berichtet Moy über seine Lehrtätigkeit: Die Studenten – insbesondere die
Welschtiroler – seien sehr fleißig und würden bei spontanen mündlichen
Kolloquien durchwegs gut abschneiden. Er musste allerdings mehrfach mit
Bedauern feststellen, dass die Studenten an den Fragen des Kirchenrechts
wenig Interesse zeigten. Er ist außerdem entsetzt darüber, dass schon in
den niederen Semestern die christliche Behandlung der Geschichte
kritisiert werde. Aus diesem Grund hat er mit seinem Katholischen Verein
einen Lesezirkel gegründet, in dem die aktuelle katholische Literatur
vollständig vorhanden ist. Damit soll den Studenten verdeutlicht werden,
dass auch Katholiken im Felde der Wissenschaft Großes leisten. Er ist
sich des Spotts, den er dafür erntet, zwar gewiss, doch er erträgt
diesen mit Gleichmut.
Hochgeborener Herr Graf!
Ich bin gerührt und beschämt, daß Euer Exzellenz meinen Brief so einläßlich und
mit so gütiger Nachsicht zu beantworten geruthen. Es ist mir ganz recht
geschehen, daß Euere Exzellenz die Lernfreiheit und die Gleichberechtigung der
Sprachen, auf die ich mich berief, als Schlagwörter des Jahres 1848
zurückwiesen. Ich hätte mich dieser Ausdrücke gar nicht bedienen sollen, zumal
ich doch nur etwas vertheidigen wollte, was Euer Exzellenz als an sich selbst
richtig anerkennen, nämlich daß es im Ganzen nicht darauf ankommen dürfe, wo und
wie ein Candidat die Kenntnisse sich verschafft hat, die er in einer Prüfung
beurkunden soll, und daß in einem Lande, wo die Bevölkerung der Sprache nach in
zwei fast gleiche Hälften getheilt ist, nicht die Sprache des einen Theiles in
der Art bevorzugt werden soll, daß dem anderen Theile daraus ein wesentliches
Hindernis seines Fortkommens erwachse. In dieser letzteren Beziehung erlaube ich
mir nun – und ich hoffe damit nicht die Geduld Euer Exzellenz allzusehr zu
mißbrauchen – die gehorsamste Bemerkung zu machen, daß die Universität Innsbruck bisher, wenn
gleich an derselben nicht auch italienische Vorträge gehalten, doch so weit als
Landesanstalt angesehen und behandelt worden ist, daß den
Candidaten aus Wälschtirol die Möglichkeit gewährt seyn sollte, ihre Prüfungen
daselbst in ihrer eigenen Sprache abzulegen. An und für sich läßt sich auch kein
Grund denken, warum das, was ihnen in Ansehung der Staatsprüfungen gewährt ist,
nicht auch bezüglich der Rigorosen stattfinden sollte. Gestatten auch die Mittel
nicht, die Lehrfächer doppelt, mit Italienern und Deutschen zu besetzen, so
spricht doch die Billigkeit dafür, daß man wenigstens bei den Prüfungen die
Candidaten wälscher Zunge nicht in deteriorem conditionem gegenüber ihren
deutschen Landsleuten versetze, zumal die Kosten der Lehranstalt zum Theil aus
Landesmitteln und Stiftungen bestritten werden. Es gibt viele erhebliche Gründe,
nebst dem des Erlernens der deutschen Sprache, welche es den Wälschtirolern
wünschenswerth machen können, ihre Söhne an der eigenen Landesanstalt studiren
zu lassen, namentlich die zahlreichen Familien- und anderen Verbindungen, welche
es ihnen in der Landeshauptstadt möglich machen, sie hier sicherer und unter
besserer Aufsicht unterzubringen, dann die Absicht, sie vor dem Contagium der
Italianità und der Lüderlichkeit zu bewahren, die notorisch in Padua und Pavia unter den Studierenden herrscht. Es
scheint mir daher, daß ihnen ein schmerzliches und nicht billiges Opfer
auferlegt werde, wenn die Benützung der Landesuniversität von dem Erfolg des
deutschen Sprachstudiums in der Art abhängig gemacht wird, daß ihre Söhne auch
bei den Prüfungen in deutscher Sprache zu antworten im Stande seyen, ohne sich
durch den Gebrauch dieser ihnen fremden Sprache bedeutend gehindert und im
Vergleiche mit den deutschen Candidaten benachtheiligt zu fühlen. Für die
examinirenden Professoren hingegen erwächst daraus doch keine wesentliche
Schwierigkeit; denn unter den höher Gebildeten, namentlich in Deutschland, gibt
es wenige, denen die italienische Sprache gänzlich fremd wäre, und bei einigem
guten Willen ist es mit Hilfe des Lateinischen wahrlich nicht schwer, es in
Kurzem wenigstens bis zum Verstehen des Italienischen zu bringen. Vermag aber
selbst das Interesse, an allen Prüfungen Antheil nehmen zu können, bei dem einen
oder anderen Professor nicht, ihn zur Überwindung dieser kleinen Schwierigkeit
zu bewegen, so kann doch leicht dafür gesorgt werden, daß nichts desto weniger
bei den Prüfungen der Italiener sämmtliche Fächer von des Italienischen kundigen
Examinatoren vertreten seyen, und dann ist der Ausschluß – die Dispensation –
einzelner Professoren von diesen Prüfungen keine allzuaufallende und etwa nicht
zu duldende Abnormität, da ja auch an den Universitäten in
Deutschland nur die Facultätsmitglieder bei den Rigorosen
prüfen, bei weitem aber nicht überall alle Professoren auch Facultätsmitglieder
sind.
Aus diesen Gründen möchte ich, trotz des überzeugenden Gewichtes der
von Euer Exzellenz mit so großer Güte auseinandergesetzten Beweggründen, doch es
immerhin befürworten, daß es bei der jetzt eingeführten Ordnung, daß nämlich bei
den Prüfungen der italienischen Zöglinge unserer Universität die Examinatoren
deutsch zu fragen haben, dem Candidaten jedoch auf italienisch zu antworten
vergönnt ist, sein Bewenden habe.
Sollten übrigens Euer Exzellenz finden,
daß ich mich der italienischen Studenten allzueifrig annehme, so will ich nicht
läugnen, daß ich für dieselben eine gewiße Vorliebe habe, weil sie bei weitem
die talentvollsten und bei mir sehr fleißig sind, auch in der Regel, namentlich
aus dem Kirchenrecht sehr gute Prüfungen machen. Ich muß übrigens der Mehrzahl
der Studierenden nachrühmen, daß sie meine Vorträge mit großem Eifer und sehr
befriedigendem Erfolg besuchen.
Die Colloquien, die ich von Zeit, stets
unangekündigt und unverhofft mit ihnen halte, gewähren mir in dieser Hinsicht
eine tröstliche Beruhigung. Doch darf ich eine traurige Wahrnehmung dabei nicht
unterdrücken. Ich halte beide Vorträge, über Kirchenrecht und Rechtsgeschichte,
mit gleichem Eifer und Fleiß, stets ohne Heft, ganz frei und möglichst lebendig.
Wenn ich aber aus dem Kirchenrecht collegisire, bekomme ich oft nur sehr
unbefriedigende Antworten, während die Antworten aus der Rechtsgeschichte
durchweg von treuer und lebendiger Auffassung des Gegenstandes Zeugnis geben.
Das läßt sich wohl nur aus der geringeren Neigung erklären, welche für
kirchliche Gegenstände bei den jungen Leuten zu finden ist. Auch ist mir schon
zu Ohren gekommen, daß manche an meiner christlichen Auffassung in Behandlung
der Geschichte Anstoß nehmen – junge Leute, die eben erst aus dem Gymnasium
kommen! Sie haben schon Vorurtheile! Um diese Vorurtheile zu bekämpfen, habe ich
jetzt als Vorstand des katholischen Vereines einen Lesecirkel eröffnet, wo die
katholische periodische Literatur möglichst vollständig zu finden ist und die
Leute sich überzeugen können, wie ungegründet die Meinung ist, als ob die
Katholiken an wissenschaftlicher Thätigkeit und Tüchtigkeit hinter ihren Gegnern
zurückstünden. Dieser Lesecirkel ist durch die Spenden einiger Wohlgesinnten
besonders ärmeren Studenten zugänglich gemacht worden.
Mögen immerhin über
meine „mystischen Tendenzen“ manche die Achseln zucken; sie tragen ihren Lohn in
sich selbst und finden da und dort eine Anerkennung, die reichlich entschädigt
für den Spott der Weltweisen.
Daß Euer Exzellenz nicht Muße finden würden,
mein Buch zu lesen, darauf war ich leider gefasst. Euer Exzellenz brauchen es
aber auch nicht; die Gesinnung, die es zu nähren und zu befestigen bestimmt ist,
die ist ja in Ihnen durch und durch lebendig. Darum freue ich mich, unter Euer
Exzellenz Leitung zu stehen und lege aus der Fülle des Herzens hier die
Versicherung der tiefen Verehrung nieder, womit ich verharre
Euer Exzellenz
unterthänigster Diener
Frh. v. Moy de Sons
Professor
Innsbruck den 6. Jänner 1855