Leo Thun bedauert, dass er Erzbischof Joseph Othmar Rauscher noch nicht besuchen konnte, zumal dessen Abreise kurz bevorstehe. Thun möchte, dass der Bischof von Concordia nicht aus Wien abreise, bevor er sich nicht mit diesem gründlich ausgesprochen habe. Der Minister will auch die nötigen Geldmittel für einen längeren Aufenthalt bereitstellen. Außerdem möchte Thun gemeinsam mit Rauscher und den italienischen Bischöfen die Studienfragen erörtern.
Hochwürdigster Herr Fürstbischof!
Ich bedauere außerordentlich, daß allerhand Allotria mich des Vergnügens beraubt
haben, Euere fürstliche Gnaden vor Ihrer Abreise zu sehen. Allerdings war ich
unachtsam genug, nicht daran zu denken, daß des hohen Festes wegen Ihre Abreise
unmittelbar bevorstehe, sonst hätte ich mir die Gelegenheit doch zu verschaffen
gewusst. Wann darf ich hoffen, Sie wieder hier zu sehen? Der Bischof von Concordia hat mir angezeigt,
daß er Mittwoch abzureisen gedenke. Wie ich höre eigentlich des Geldes wegen.
Dafür ist inzwischen Vorsorge getroffen worden, und er wird nun also wohl
willfährig sein, noch zu verweilen. Jedenfalls kann ich ihn nicht heimreisen
lassen, ehe ich von Euerer fürstlichen Gnaden und von Baron Kübeck weiß, daß kein Grund
vorhanden ist, ihn länger aufzuhalten. Nebenbei muß ich wünschen, daß vorher die
Studienfrage auf einen bestimmten Ausdruck gebracht und dieser durch eine
Besprechung Euerer fürstlichen Gnaden mit den italienischen Bischöfen in meiner
Gegenwart allseitige Anerkennung finde; ja auch die Besprechung dieser
Angelegenheit in dem Comité schien mir wünschenswerth, ehe die Herren entlassen
werden. Jedenfalls sehe ich einer gefälligen Mittheilung Euerer fürstlichen
Gnaden entgegen, ehe ich den Bischof von
Concordia heimkehren lasse, und er darf mir daher Mittwoch noch
nicht abreisen.
Mit den Gefühlen der ausgezeichnetsten Hochachtung habe ich
die Ehre zu verharren
Euerer fürstlichen Gnaden
ergebener Diener
Thun
den 16. Mai 1853