Im § 10 fordern die Bischöfe eine Veränderung der Verordnung für den
Unterricht von Kindern, die in Fabriken arbeiten. Die Verordnung sah
vor, dass für diese Kinder an Sonn- und Feiertagen oder abends ein
Unterricht auf Kosten des Fabrikbesitzers stattzufinden habe. Die
Bischöfe halten das aber für unzureichend und fordern, dass stattdessen
täglich oder mindestens dreimal in der Woche vor Arbeitsbeginn ein
einstündiger Unterricht stattfinden solle. Zudem fordern sie ein Verbot,
Kinder unter zehn Jahren in Fabriken zu beschäftigen.
Anton
Krombholz verweist in seinem Gutachten neuerlich auf die Politische
Schulverfassung, in der sich bereits Vorschriften für diesen Bereich
fänden. Krombholz verteidigt dann die Abendschulen für die arbeitenden
Kinder, da er den Unterricht am Morgen für unausführbar hält. Er
untermauert dies mit seinen persönlichen Erfahrungen, die er als
Seelsorger gemacht habe sowie mit seinen Einsichten in das Funktionieren
von Abendschulen für Fabrikskinder.
Das Gutachten ist mit weiteren 18 Gutachten unter der Signatur A3 XXI D383 abgelegt.1
Beilage: Abschrift einer leicht abgeänderten Version des Gutachtens.2
X.
Durch Verhältnisse, welche mit der ganzen europäischen Entwicklung
zusammenhängen, wächst überall, doch vorzüglich in großen Städten die Zahl der
Familien, welche im bürgerlichen Leben keine gesicherte Stelle haben, ja, welche
mit oder ohne ihre Schuld kaum für den nächsten Tag des Nothdürftigen sicher
sind. Deswegen wächst eben in großen Städten hart neben den Kundgebungen der
feinsten Bildung oder auch Überbildung die Menge von Kindern, welche fast alles
Unterrichtes entbehren und sogar in den Anfangsgründen des Glaubens Fremdlinge
sind. Hiemit stehen die Fabriken im Zusammenhange, welche den Eltern Gelegenheit
verschaffen, die Thätigkeit ihrer Kinder so früh als möglich zu verwerthen. Die
versammelten Bischöfe blicken mit innigem Mitleid auf das Schicksal der Knaben
und Mädchen, welche, so bald ihre Kräfte irgendwie ausreichen, zum Dienste der
Maschine verwendet werden, um an Leib und Seele zu verkrüppeln. Mit Dank
erkennen sie die Absicht, in welcher verordnet wurde, daß an Sonn- und
Feiertagen oder in Abendstunden auf Kosten des Fabriksbesitzers für den
Unterricht der schulpflichtigen, bei ihm arbeitenden Kinder gesorgt werden
müsse. Allein eine sonntägliche Stunde kann nicht genügen und unmittelbar
nachdem sie acht bis zehn Stunden in dumpfen Räumen bei einer einförmigen
Beschäftigung zugebracht haben, muß ihre Empfänglichkeit für den Unterricht fast
gänzlich abgestumpft sein. Die kurze Erholungszeit zwischen der vor- und
nachmittägigen Arbeit darf keine Beschränkung erleiden. Soll also der Zweck
erreicht, so muß des Morgens vor Beginn der Arbeit eine Stunde für den
Unterricht ausgemittelt werden; wenn nicht täglich, so doch dreimal in der
Woche. Doch können nicht einmal die schlimmsten Übelstände gänzlich
ausgeschlossen werden, wofern nicht den Fabriksbesitzern verboten wird, Knaben
oder Mädchen, welche das zehnte Jahr noch nicht vollendet haben, in den Fabriken
zu verwenden. Die Heilsamkeit einer solchen Maßregel liegt am Tage und die
Berufung auf das Gebot der Nothwendigkeit, welche manche ihr entgegenstellen,
scheint auf ausländische Zustände besser als auf die österreichischen zu
passen.
X. Unterricht der Fabrikskinder
Die Theilnahme, welche die Bischöfe den in
den Fabriken verwendeten Kinder zuwenden, verdient alle Beachtung, nur hätten
sie die Anordnungen, welche von Seite der Regierung bezüglich des Unterrichtes
dieser Kinder schon vor mehr als 60 Jahren getroffen und von Zeit zu Zeit wieder
eingeschärft wurden, mehr würdigen sollen; sie würden gefunden haben, daß die
Staatsregierung diesen Kindern eine anerkennungswürdige Sorgfalt zugewendet hat.
Nach den Vorschriften der politischen Schulverfassung § 310 sollen
a.
keine Kinder vor Antritt des 9. Jahres zur Fabriksarbeit aufgenommen; sollen
b. solche Kinder vom 6. bis zum bezeichneten Jahre, wo sie Aufnahme in den
Fabriken finden können, sehr fleißig zum Besuch der Schule angehalten werden;
sollen dieselben
c. theils in einer Abendschule, theils an Sonn- und
Feiertagen von dem Ortsseelsorger und Schullehrer den weitern unentbehrlichen
Unterricht gegen Bezahlung des Fabriksinhabers und der Eltern erhalten.
Hiemit wird unstreitig mehr angeordnet, 3 als die versammelten Bischöfe beantragen: man begnügt
sich hier nicht mit einer sonntägigen Stunde, es wird nebst dem Unterrichte an
Sonn- und Feiertagen auch die Abhaltung einer Abendschule,
die sich nicht mit einer Stunde zufriedenstellt, auf Kosten des Fabriksinhabers
und der Eltern vorgeschrieben. Diese Anordnung ist reiflich überlegt und gründet
sich auf genau erhobene Verhältnisse. Auch ist die Abendschule nicht bloß dreimal
in der Woche, sondern an allen Tagen, mit Ausnahme eines einzigen Ferialtages,
abzuhalten.
Die Anträge der Bischöfe, a. die Knaben und Mädchen nicht vor vollendetem zehnten Jahre in den Fabriken zu
verwenden und die Schule für die Fabrikskinder des Morgens vor Beginn der Arbeit abzuhalten, sind nicht nur
zweckwidrig, sondern auch unausführbar.
Die Verwendung der Kinder in
gewissen großen Gewerbsunternehmungen, namentlich in Druckereien und Spinnereien
hängt mit dem Bestande derselben und mit dem Lose der Fabriksarbeiter innig
zusammen. Die Inhaber der Fabriken ziehen eine große Anzahl von Hilfsarbeitern
herbei, denen sie, um Konkurrenz zu halten, nur einen mäßigen Lohn verabreichen
können. Dieser Lohn reicht wohl zu, um für einen einzelnen Arbeiter in den Stand
zu setzen, die nöthigen Lebensbedürfnisse zu bestreiten; allein zur Erhaltung
einer ganzen Familie ist derselbe unzulänglich. Die Fabriksarbeiter haben häufig
zahlreiche Familien; bei den meisten tritt trotz aller Sparsamkeit bald Noth
ein, besonders aber dann, wenn Mangel an Arbeit ist und zuzeiten wochenlang
gefeiert werden muß. Was bleibt unter dem drückenden Nothstande dem
Familienvater übrig, als seine heranwachsenden Kinder sobald als möglich ins
Verdienen zu bringen. Er nimmt sie also in die Fabrik, wohin sie auch willig
gehen, da ihnen die Noth des Hauses nur zu oft fühlbar geworden ist. Wer möchte
hier auch entgegentreten können? Dies thun fast allgemein die Kattundrucker und
sie müssen es thun. Dies thun sodann fast alle andern Hilfsarbeiter und
Taglöhner, mit einem Worte, alle jene, die im geringen Lohne stehen; ferner alle
ärmeren Familien in der Nähe von Fabriken, welche viele Kinder haben, usw.
Solche Kinder erst nach vollendetem zehnten Jahre in die Fabriken zuzulassen,
ist rein unmöglich; es wird genug sein, die gedachten armen Familien dahin zu
bewegen, daß sie ihre Kinder nicht vor dem Antritte des 9. Jahres in den
Fabriken unterbringen und sie früher wenigstens durch 2 Jahre fleißig zur Schule
schicken.
Gefertigter war duch 27 Jahre Seelsorger in einer Fabriksstadt, in
welcher mehr als 300 Kinder in den Kattunfabriken als Streicher verwendet
wurden. Er kennt den Nothstand der Fabriksarbeiter und die Unzuläßigkeit, von
ihnen zu fordern, daß sie ihre Kinder erst nach vollendetem 10. Jahre in den
Fabriken zum Verdienen bringen.
Was sodann die Schule betrifft, so ist
streng zwischen Fabriken, die eigene Schulen und Lehrer haben, wo auf ein
gegebenes Zeichen der Unterricht beginnt und endet und der Fabriksinhaber selbst
darüber die Aufsicht führt, und zwischen jenen, deren Kinder an die nächste
Ortsschule gewiesen sind, zu unterscheiden.
Den ersteren muß überlassen
bleiben, die Unterrichtszeit selbst zu bestimmen; jede in dieser Hinsicht
ungeeignete Einmischung würde die Auflassung der Schule nach sich ziehen.
Übrigens darf vorausgesetzt werden, daß Fabrikanten, welche die Kosten einer
eigenen Schule edelmüthig tragen, auch darauf sehen werden, daß in derselben
etwas geleistet werde.
Für die Kinder jener Fabriken, die eine eigene Schule
nicht haben, eignet sich in der Regel nur eine Abendschule.
Sie des Morgens vor Beginn der Arbeit in der Schule zu versammeln und eine
Stunde lang zu unterrichten, ist ganz unzulässig; denn in den Fabriken wird die
Arbeit zeitlich früh, im Sinne gewöhnlich um 6 Uhr, späterhin bei kurzen Tagen,
so wie es licht geworden, begonnen. Der Fabriksarbeiter, dessen Wochenlohn
gewöhnlich nicht bestimmt ist, sondern nach dem Maße der fertiggemachten Waare
berechnet wird, muß zeitlich bei der Arbeit stehen und wird am wenigsten bereit
sein, eine Morgenstunde aufzugeben. Und wie könnte man auch erwarten, daß Kinder
so früh im Sommer etwa um 5 Uhr und im Winter um 6 Uhr die Schule besuchen
werden. Der größte Theil würde sie täglich verschlafen und von einem
ordentlichen Schulbesuche und einem fruchtbringenden Unterrichte könnte keine
Rede sein.
Man erwidert vielleicht, daß die Kinder ja pünktlich zur rechten
Zeit in den Fabriken eintreffen. Hier walten ganz eigene <Antriebe>4 ob, die der Schule nicht zu
Nutzen kommen. Ein guter Theil der Kinder geht mit den Eltern zugleich in die
Fabriken; die andern werden durch den Gedanken fortgetrieben, ihren Platz und
mit ihm ihren Wochenlohn nicht zu verlieren. Nebenbei wirken auch die
Fabriksarbeiter, denen die Kinder beigegeben sind oder von denen sie den Lohn
unmittelbar empfangen, gar nachhaltig auf sie ein.
Die gemeinte Morgenschule
würde dazu noch gewöhnlich zum Verzehren des Morgenbrodes benützt werden, vom
Lernen könnte auch schon darum keine Rede sein, weil die Kinder täglich in der
Angst schweben würden, von den Fabriksarbeitern, zu deren Hilfe sie verwendet
werden, wegen des Spätkommens hart angelassen zu werden. Die Abendschule ist für
Fabrikskinder in der Regel die einzig geeignete. Mögen auch die Kinder etwas
ermüdet sein, so sind sie doch ruhigen Gemüthes; ist der Unterricht nur
ansprechend, so wird keine Ermüdung wahrgenommen, die Fabrikskinder sind dann
eben so heiter und zum Lernen aufgelegt als die Tagsschüler. Der Gefertigte hat
durch 27 Jahre Abendschulen besucht und selbst am Unterrichte theilgenommen; er
kann von der Lernlust der Fabrikskinder und von ihrem zutraulichen Benehmen,
wenn sie freundlich und zweckmäßíg behandelt werden, nur Gutes sagen.
Die
mit den Ministerialerlaße vom Jahre ... an die Statthalterei von Niederösterreich bekanntgegebenen
Grundlinien zur Einrichtung des Unterrichtes für die in Fabriken und
Gewerbsstätten verwendeten schulpflichtigen Kinder werden für die meisten Fälle
zur Richtschnur genommen werden können. (siehe österreichischer Schulbote
Jahrgang 1856 Nr. 26, S. 223)
Wien, den 18. Aug. 1856
Kr[ombholz]