Der Episkopat fordert in § 9 die Einführung von Halbtagsschulen in
Landgemeinden: Eine solche Maßnahme würde sich nicht nur positiv auf den
Schulbesuch auswirken, sondern sie würde auch denjenigen Eltern von
Nutzen sein, die ihre Kinder für Arbeiten im Haus oder in Hof und Feld
benötigen.
In seinem Gutachten spricht sich Anton Krombholz gegen
die Einführung des halbtägigen Unterrichts aus. Ein solcher würde die
Funktion der Schule als Unterrichts- und Erziehungsanstalt gefährden und
alle bisher vorgebrachten Argumente desavouieren. Das Argument, dass die
Kinder für die Arbeit in Haus und Hof benötigt würden, will er nicht
gelten lassen. Zudem biete auch der ganztägige Unterricht aus seiner
Sicht immer noch genügend Möglichkeiten, damit die Kinder den Eltern bei
häuslichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten helfen können. Krombholz
weist außerdem darauf hin, dass gerade die Bischöfe den generellen
Sittenverfall der Jugend mehrfach beklagten. Einem solchen Sittenverfall
könnte aber durch die Ganztagsschule entgegengewirkt werden. Nicht
zuletzt würde die Landbevölkerung – die Bildung besonders nötig hätte –
durch die Einführung von Halbtagsschulen benachteiligt werden. Kromholz
kommt daher zu dem Schluss, dass der in der Politischen Schulverfassung
bezeichnete ganztägige Unterricht an Volks- und Elementarschulen
beibehalten und nur in Ausnahmefällen abgeschafft werden sollte.
Das Gutachten ist mit weiteren 18 Gutachten unter der Signatur A3 XXI D383 abgelegt.1
Beilage: Abschrift einer leicht abgeänderten Version des Gutachtens.2
IX.
Den Bedürfnissen des Landvolkes genügt in der Regel ein halbtägiger
Unterricht, ja wo nur ein Lehrer ist, muß demselben unbedingt der Vorzug gegeben
werden: denn die Jugend wird größere Fortschritte machen, wenn man die erste und
zweite Klasse absondert und mit Beachtung ihres Bildungsstandes je einen halben
Tag unterrichtet, als wenn Größere und Kleinere mit einander den ganzen Tag in
der Schule zubringen. Auch wird dadurch der Schulbesuch befördert. Die den
Eltern obliegende Pflicht der Erziehung schließt ohne Zweifel die
Verbindlichkeit ein, die Kinder in die Schule zu schicken, in so weit die
Eltern, wie dies bei Landleuten der Fall ist, nicht in der Lage sind, den
Kindern auf andere Weise Unterricht in den unentbehrlichen Kenntnissen zu
verschaffen. Daß der Staat auf die Erfüllung dieser Pflicht hinwirke, muß die
Kirche um so mehr wünschen, da der sonntägliche in der Kirche ertheilte
Religionsunterricht für die Belehrung der Kinder nur dann genügt, wenn, wie in
den Zeiten der Glaubenskraft, das ganze Familienleben von christlichem Geiste
getragen wird. Aber man kann nicht allen Eltern auflegen, ihrer Kinder vom
siebenten bis zu Vollendung des zwölften Jahres den ganzen Tag über zu
entbehren. Oft würden sie dadurch wirklich gehindert, das für das leibliche
Dasein Unentbehrliche zu erwerben. In den meisten Fällen werden die begründeten
gegen den Schulbesuch gerichteten Einwendungen beseitigt, wenn die Kinder
während der vor- oder nachmittägigen Stunden zur Verfügung der Eltern bleiben.
Je genauer eine Forderung dem Maßstabe der Billigkeit angepaßt ist, desto
entschiedener kann dieselbe durchgeführt werden. Die versammelten Bischöfe
halten es also für zweckmäßig, daß in den Landschulen auf die Einführung des
ganztägigen Unterrichtes nicht oder doch nur ausnahmsweise gedrungen werde.
§ IX. 1. Bogen. Halbtägiger Unterricht
Der in diesem Paragraphe enthaltene
Antrag der Bischöfe untergräbt das Volksschulwesen in seiner Wurzel und würde,
zum Gesetze erhoben, eine vollständige Verkümmerung desselben herbeiführen und
sonach die Wirksamkeit der Schule als Unterrichts- und Erziehungsanstalt ganz in
Frage stellen. Dieser Antrag würde, wenn er zur Offenkunde gelangt, einen Schrei
des Erstaunens und des Unwillens allenthalben, wo die Bildung der Jugend als ein
nothwendiges Bedürfnis anerkannt wird, hervorrufen. Österreichs aufblühendes Volksschulwesen würde durch die Annahme
und Durchführung eines solchen Antrages einem schnellen und sichern Verfalle
entgegengehen und Österreich, das durch die
vereinte Regsamkeit seiner Kräfte sich so herrlich erhebende Österreich, würde durch solchen Rückschlag sich
selbst erniedrigen und in der Achtung des gebildeten Europas tief herabsinken. Und man weiß nicht, warum und wozu
Österreich sein aufblühendes
Volksschulwesen aufgeben und eine Hauptquelle seines Wohlstandes versiegen
machen und eine der festesten Grundlagen seines Kraftbaues erschüttern soll. Ist
auch nur irgendein haltbarer Grund für einen so unerwarteten Antrag vorhanden?
Wird der Antrag in seinen einzelnen Theilen in eine nähere Betrachtung
gezogen, so zerfällt er in sich von selbst.
Man muß zuerst fragen, was unter
Landvolk verstanden wird. Wird darunter das Volk
verstanden, das auf [dem] Lande wohnt und dort sein Brod
erwirbt, so ist gar viel, was für den halbtägigen Unterricht gesagt wird, nicht
grundhältig. Auf dem Lande wohnen gar viele Gewerbsleute der verschiedensten
Art, die für ihre Kinder keine Beschäftigung haben, die vielmehr wünschen
müssen, daß diese von Seite der Schule recht stark in Anspruch genommen und
recht viel beschäftigt werden.
Versteht man unter dem Landvolke nur jenes
Volk, das vom Landbaue lebt, so bemüht dieses die Kinder (die
größeren) nur zu gewissen Zeiten, die gewöhnlich nicht lang dauern, zu einzelnen
vorübergehenden Beschäftigungen; sind diese vorbei, so wünschen diese Leute,
ihre Kinder wieder fleißig und viel in die Schule zu schicken. Und was wollen
denn diese Leute mit den Kindern während der langen Winterzeit anfangen? Und
wozu sollen sie denn die kleineren Kinder von etwa 6 bis 10 Jahren benützen? Der
Müßiggang wird wahrlich zur Gesittung der Jugend nicht beitragen. Alle
Konsistorien klagen über das Verderben der Jugend, das durch das Einzelnhüten
des Viehes angerichtet wird.
Daß dem halbtägigen Unterrichte in allen jenen
Schulen, die nur einen Lehrer haben, unbedingt der Vorzug gegeben werden müsse,
ist eine arge Selbsttäuschung. Derjenige, der mit der Schule bekannt ist, wird
hierüber anders urtheilen. Gefertigter wird auf diesen Punkt später
zurückkommen.
Wie traurig ist es, wenn Sätze wie der nachstehende
ausgesprochen werden: "Man kann nicht allen Eltern auflegen,
ihrer Kinder vom siebenten bis zur Vollendung des zwölften Jahres den ganzen Tag über zu entbehren."
Also nur nicht allen Eltern kann so etwas aufgelegt werden, aber wie soll jenen
Genüge geleistet werden, denen so etwas zu ihrem Nutzen und nach ihrem eigenen
Willen aufgelegt werden kann? Sodann wird ja nirgends den Eltern bei einem
ganztägigen Unterrichte aufgelegt, ihrer Kinder vom siebenten bis zur Vollendung
des zwölften Jahres den ganzen Tag über zu entbehren. Die
politische Schulverfassung gibt nicht bloß wöchentliche,
sondern auch andere Ferien, insbesondere für Kinder des
Landes während der dringendsten landwirthschaftlichen Arbeiten. Zudem bringen
die Kinder nicht den ganzen Tag in der Schule zu und gewinnen
bei einer guten Schulordnung auch bei einem vor- und nachmittägigen Unterrichte
noch sehr viel Zeit, den Eltern bei häuslichen oder landwirthschaftlichen
Verrichtungen beizuspringen.
Daß der Schulbesuch durch den halbtägigen
Unterricht befördert werde, wird durch die Erfahrung nicht bestätigt. Der halbtägige Unterricht wird eben so häufig unterbrochen
als der ganztägige. Es gibt Kronländer, wo der ganztägige Unterricht weit
seltener unterbrochen wird als der halbtägige in der Wiener Erzdiözese, wo er durch verschiedene Umstände sich
einheimisch gemacht hat. Und dies ist ganz natürlich; Kinder, welche einen
vollen, zweimaligen Unterricht genießen, gewöhnen sich mehr an den Lehrer und die
Schule; die Schulgeschäfte werden ihnen lieb, das Besuchen der Schule so wie das
Geschäft des Lernens wird ihnen zur Gewohnheit, sie gehen allmählich aus Neigung
zur Schule, bitten selbst die Eltern, sie nicht zurückzubehalten und greifen,
wenn sie nach der Schule zu häuslichen Geschäften gebraucht werden, um so
eifriger an; wogegen die Kinder, die nur auf eine kurze Zeit in die Schule
kommen und die überwiegend meiste Zeit zu Hause im Müßiggange und in Tändelei
oder bei häuslichen und landwirthschaftlichen Verrichtungen zubringen, mit der
Schule und dem Lernen nie recht vertraut werden und jede Gelegenheit ergreifen,
sich dieser zu entziehen.
Soll die Volksschule als Unterrichts- und
Erziehungsanstalt ihre Aufgabe erfüllen und dem kirchlichen Leben sowie den
bürgerlichen Geschäften eine wohlgeartete und gutvorbereitete Jugend zuführen,
so muß ihr hiezu die nöthige Zeit gewährt werden, damit sie im Stande sei, einen
nachhaltigen Einfluß auf die ihr anvertraute Jugend auszuüben. Man denke nur
nach, was die Volksschule als Unterrichts- sowie als Erziehungsanstalt zu leisten
hat und man wird sich in die Lage gesetzt haben, die vorliegende Frage sicher zu
entscheiden. Der halbtägige Unterricht ist ganz unzulänglich, es mag
A. die
Volksschule als solche, oder
B. als Unterrichtsanstalt oder
C. als
Erziehungsanstalt betrachtet oder es mag
D. auf die besonderen Verhältnisse
des Landes oder
E. auf andere hier nicht zu übergehende Umstände Rücksicht
genommen werden.
A. Die Volksschule ist
a. die erste
Schule; sie nimmt die Kinder in einem Alter auf, wo sie noch wenig zu fassen
vermögen, wo sie noch sehr zerstreut sind und ihre Aufmerksamkeit nur eine kurze
Zeit auf einen Gegenstand richten können; sie brauchen viele Geduld und
Nachsicht, aber auch viele Zeit und Mühe, wenn sie etwas
lernen sollen.
Die Volksschule muß
b. alle Kinder
eines bestimmten Alters aufnehmen, wie fähig und unfähig, wie gut und schlimm
sie auch sein mögen; sie darf ihre Schüler nicht wählen, sie muß nehmen, was man
ihr bringt; sie soll alle, so gut es geht, herausbilden, für alle etwas thun –
sie soll die talentvollen Kinder nicht verwahrlosen, aber auch die
schwachtalentirten, die halb blöden nicht verabsäumen; sie soll schlechtgeartete
und verwöhnte bessern und sittlich bilden, sie soll aber auch die frommen und
wohlgezogenen in allen guten Eigenschaften stärken und befestigen – dazu wird
Zeit und Mühe gefordert.
Die Volksschule steht
c. mit ihren Schülern unter dem beständigen Einfluße des Hauses – sie soll
aber dem Hause nicht unterliegen; sie soll des Hauses gute Sitten in den Kindern
fördern; aber auch des Hauses nachtheiligen Einwirkungen mit Erfolg
entgegenarbeiten; sie soll das Gute pflegen, das im Hause angebaut wurde, aber
auch das Unkraut aller Unarten und bösen Neigungen ausrotten, das die Kinder an
sich wahrnehmen lassen: dazu wird Zeit und Mühe gefordert –
halbtägiger Unterricht thut's nicht.
B. Die Volksschule ist Unterrichtanstalt – auch das einfachste Dorf auf dem Lande macht gerechte Ansprüche an die Schule,
denn sie kostet ihm viel. Die Kinder eines einfachen Dorfes verabsäumen
lassen, weil sie einem einfachen Dorfe angehören, ist eine Ungerechtigkeit.
Sollen auch nur die vorgeschriebenen Lehrgegenstände, d. i. außer der
Religionslehre und der biblischen Geschichte, das Lesen, Schreiben und Rechnen
gehörig gelehrt, eingeübt und auf die mancherlei Fälle des Lebens angewendet
werden, so wird bei einer großen Anzahl Schüler Zeit und Mühe erfordert, so
reicht der halbtägige Unterricht nicht hin. Dies beweist nicht bloß die
Betrachtung der Sache selbst, sondern auch die in den Schulen gemachte
Wahrnehmung. Selbst der ganztägige Unterricht läßt bei einer großen Schülerzahl
gewöhnlich noch viel zu wünschen übrig. Man theile nur die wenigen wöchentlichen
Unterrichtsstunden bei einem halbtägigen Schulgehen ein – rechne die
unvermeidlichen Versäumnisse und Störungen, die sicher bei keiner Landschule
ganz unterbleiben, ab und sehe dann hin, wie viele Stunden auf einen
Lehrgegenstand wöchentlich entfallen und stelle dann die Frage, ob bei solch
einem Unterrichte ein fürs Leben brauchbarer Erfolg erzielt werden könne. Man
muß dabei wohl bedenken, daß das Haus der Halbheit der Schule in keiner Weise
nachhilft.
Die Folge dieser jämmerlichen Halbheit ist, daß die bessern
Familien in solchen Schulgemeinden genöthigt sind, einen häuslichen Unterricht
neben der Schule zu bezahlen, während die Kinder der ärmeren oder der gegen den
Unterricht gleichgiltigeren Familien in Rohheit und Unwissenheit aufwachsen. Und
was jene Kinder, die einen theuer bezahlten Nebenunterricht genossen haben, bei
den Prüfungen leisten, schreibt die Kurzsichtigkeit dem halbtägigen Unterrichte
zu.
Bei dem halbtätigen Schulbesuche bleibt gewöhnlich der
Religionsunterricht sehr zurück. Eine Abtheilung der Schüler, die untere, welche
gewöhnlich die Nachmittagsschule besucht, wird nur selten von dem Katecheten
selbst unterrichtet; derselbe verwendet sich gewöhnlich nur der obern Abtheilung
zu, welche vormittags in der Schule erscheint. Nun befinden sich aber in der
untern Abtheilung nicht allein die jüngeren Kinder, sondern gemeiniglich alle
jene, welche verschiedener Ursachen wegen einen schlechten Fortgang machen. Man
kann sonach ermessen, wie es mit der Religionskenntnis in den Halbtagsschulen
beschaffen ist.
Es kann zur Beurtheilung des halbtägigen Unterrichtes nicht
unbemerkt bleiben, daß in vielen Orten die heilige Messe, welcher die
Vormittagsabtheilung der Schüler beiwohnt, in die Schulzeit fällt oder daß der
Lehrer als Meßner und Kantor zu kirchlichen Funktionen abgerufen wird. Durch
derlei Vorkommnisse wird der Vormittagsunterricht nicht selten bald abgekürzt,
bald <unterbrochen>3.
Wie wenig zuträglich für die Bildung der Jugend es sein
kann, eine zahlreiche Schülerabtheilung auf die Nachmittagsstunden zu bestellen,
liegt am Tage. Wenn die Kinder während des Vormittags sich entweder im müßigen
Treiben oder in zerstreuenden Geschäften halb ermüdet haben, sollen sie in
einigen Nachmittagsstunden zum Unterricht erscheinen, wozu sie oft sehr wenig
aufgelegt sein werden. Diese geringe Aufgelegtheit wird sich um so sicherer
einstellen, je mehr die Kinder durch einen weiten Weg zur Schule ermattet
werden. Man denke an die heißen Sommertage.
Doch die Volksschule soll
C. auch Erziehungsanstalt sein.
Die Kinder sollen in der Schule fürs häusliche, fürs kirchliche und bürgerliche
Leben erzogen werden. Hat man auch nur auf einen Augenblick erwogen, was zur
Erziehung erfordert wird, als man dem halbtägigen Unterrichte das Wort redete?
Zur Erziehung wird nicht bloß Unterricht, sondern auch vielfältige Übung und
Gewöhnung, ein anhaltender Einfluß auf das Gemüth der Kinder erfordert. Die
Kinder, welche durch die Schule erzogen werden sollen, müssen an den Lehrer und
die Schule sich gewöhnen, in ihr gleichsam leben, auch dann mit ihren Gedanken
in der Schule sein, wenn sie sich auch nicht körperlich in derselben befinden.
So ein günstiges Verhältnis kann aber nicht bei Kindern eintreten, die nur auf
kurze Zeit die Schule besuchen und kaum einige Fortschritte in den
Lehrgegenständen machen; sie werden entweder bei den Sitten des Hauses bleiben
oder mehr weniger nach jenen sich richten, mit denen sie den größten Theil des
Tages zubringen.
Unter dem halbtägigen Unterrichte wird insbesondere wieder
die religiöse Erziehung leiden. Die Schülerabtheilung, welche nur nachmittags
zur Schule kommt, kann an dem Gottesdienste in der Kirche nicht theilnehmen, an
den Besuch der Kirche sich nicht gewöhnen, im Gebet und Gesange nicht üben.
Grade bei Landschulen muß, so wie es die Umstände gestatten, mit allem
Nachdrucke auf die Aufrechthaltung und Einführung des ganztägigen Unterrichtes
gedrungen werden. Denn grade bei diesen Schulen ist
D. der ganztägige Unterricht ein im besondern Grade hervortretendes Bedürfnis:
denn
1. unterliegt der <Schulbesuch>4 auf dem Lande gar vielen unvermeidlichen Hindernissen; man
denke an die weiten in gewissen Jahreszeiten ungangbaren Wege, an die strenge
Kälte des Winters, an die Schneeverwehungen, die oft nicht den Kindern des
Schulortes den Zugang zur Schule gestatten oder an die Tage des Thauwetters usw.
Bei solchen Hindernissen muß der Besuch des halbtägigen Unterrichtes so gut wie
jener des ganztägigen unterbleiben. Man denke ferner an die Tage dringender
Arbeiten, an die Tage der Getreideernte, der Weinlese u. a. Hier bleiben die
Kinder, sie mögen einen halbtägigen und ganztägigen Unterricht besuchen, von der
Schule zurück. Der ganztägige Unterricht wird hinterher einigen Ersatz leisten,
aber nicht in gleichem Maße der halbtägige.
2. Der Landmann weiß, daß er
seine Kinder zu Zeiten bei einzelnen Wirthschaftsgeschäften verwenden oder als
Hüter der kleineren Geschwister, wenn die Erwachsenen des Hauses zu dringenden
Arbeiten in Anspruch genommen sind, gebrauchen kann. In diesen Tagen schickt er
sie nur gezwungen in die Schule und es ist ihm lieb, wenn sie ihm zu seiner
Verwendung überlassen werden. Allein sind diese Tage vorüber, so überläßt er sie
gern wieder der Schule und es ist ihm ganz recht, wenn sie daselbst tüchtig
beschäftiget werden; denn er sieht bei seinem schlichten Verstande sehr wohl
ein, daß mit einem halben oder abgekürzten Unterrichte wenig geleistet werden
könne.
3. Auf dem Lande sind die kleineren Kinder, die Anfänger, nur dann
zum fleißigen Schulbesuche bereitwillig, wenn sie sich an die größeren
anschließen können. Dies ist besonders bei jenen Schulen der Fall, denen mehr
oder weniger entfernte Ortschaften zugewiesen sind. Mit den größeren gehen die
kleineren Schüler willig fort. Daher geschieht es auch, daß bei Schulen mit
halbtägigem Unterrichte die kleineren Schüler gleichzeitig mit den größeren
ankommen, obgleich sie, bis die Unterrichtsstunde für sie schlägt, keine
Bedachtnahme finden und daß die größeren Schüler bei vollem Nichtsthun auf die
kleineren warten, bis diese aus der Schule entlassen werden. Der halbtägige
Unterricht ist für Landschulen offenbar nicht geeignet.
E. Gegen die Einführung des halbtägigen Unterrichtes sprechen mehrere Umstände,
die nicht außer Acht zu lassen sind:
1. Man klagt allgemein und namentlich
von Seite der Geistlichkeit, daß die häusliche Erziehung in tiefem Verfalle
liege und daß eben deshalb der Schule eine vermehrte Aufgabe gestellt sei. Mit
dieser Klage steht die Einführung des halbtägigen Unterrichtes im graden
Widerspruche. Wie vermag die Schule, die Schüler kirchlich und sittlich
heranzubilden, wenn man sie ihr bis auf eine sehr kurze Zeit ganz entzieht und
dem Hause, wo die Zucht ganz verfallen sein soll, überweist. Je mehr die Schule
leisten soll, desto mehr Zeit muß ihr zugedacht werden.
2. Ist durchaus keine Ursache vorhanden, die zu dem Antrage, daß der
halbtägige Unterricht in den Landschulen eingeführt werde, Veranlassung gibt. In
allen Kronländern – mit Ausnahme von Niederösterreich
– bestehen der
bei weitem überwiegenden Mehrzahl nach sowohl in den Städten als in den
Dorfschaften Schulen mit ganztägigem Unterrichte. Nirgends haben sich Kenner,
die einer Beachtung werth wären, gegen diese ursprüngliche und segensreich
fortgeführte Einrichtung erhoben; allenthalben ist man damit einverstanden und
zugleich bemüht, den halbtägigen Unterricht, wo er eines Nothfalles wegen
zeitweilig eingeführt werden mußte, wieder abzustellen. Seit einer Reihe von
Jahren wurde auch wirklich durch die zu Stande gebrachte Erweiterung der
Schulgebäude der halbtägige Unterricht bei vielen Schulen – auch in Niederösterreich – mit allseitiger sehr bereitwilliger Zustimmung abgestellt.
Gefertigter erledigt seit acht Jahren die aus den deutschslavischen
Kronländern eingehenden Schulberichte; allein weder in den Berichten der
Konsistorien noch in jenen der Landesbehörden wird dem halbtägigen Unterrichte
das Wort gesprochen; so oft in einzelnen Berichten die Rede auf den halbtägigen
Unterricht kam, wurde derselbe als ein Nothbehelf mit Hinweisung auf die
unzureichenden Schullokalitäten oder auf den Mangel an tauglichen Schulgehilfen
dargestellt. In mehrern aus Böhmen fürs Jahr 1853
eingegangenen Schulberichten wird der halbtägige Unterricht "als ein
nothwendiger Übelstand bezeichnet, welcher nur zeitweilig dort geduldet werden
soll, wo entweder die unzulänglichen Räumlichkeiten der Lehrzimmer oder die
Gewerbsverhältnisse, vermög welcher die Eltern nothgedrungen sind, ihre Kinder
zu den Hilfsarbeiten der Gewerbetreiberei[?] zu gebrauchen, die Einführung des
ganztägigen Unterrichts nicht zulässig machen." (siehe Schulbote 1855 S. 174)
(Leitmeritzer und Budweiser Konsistorialberichte)
3. Seit
mehreren Jahren ist man in mehreren Kronländern (Galizien,
Ungarn, Kroatien, Slavonien, in der Woiwodschaft und im Banate, in Krain und im
Küstenlande) über Andringen des Unterrichtsministeriums bemüht, einerseits die bestehenden
Schulen zweckmäßig zu regeln, andererseits neue Schulen in Ortschaften, wo sie
nothwendig erscheinen, zu errichten. Bei diesen Bestrebungen, die bisher den
günstigsten Erfolg hatten, ist es weder den Gemeinden noch den kirchlichen und
bürgerlichen Behörden in den Sinn gekommen, einen halbtägigen Unterricht
einzuführen. Von einem richtigen Gefühle geleitet haben die Behörden
allenthalben ohne vorausgegangene Erinnerung den ganztägigen Unterricht entweder
beibehalten oder eingeführt.
Vor Kurzem besuchte der Rektor des
erzbischöflichen Alumnats in Agram den Gefertigten und
brachte die Bitte vor, das Unterrichtsministerium möchte das kroatische Volksschulwesen
möglichst fördern, damit eine zureichende Anzahl von Jünglingen für den
geistlichen Stand herangebildet würde, denn das erzbischöfliche Alumnat habe
einen großen Mangel an tauglichen Kandidaten des Priesterstandes. Dieser würdige
Mann hatte gar keinen Begriff von Schulen mit halbtägigem Unterrichte.
4.
Mit der Vermehrung der Schulen mit dem unzulänglichen halbtägigen Unterrichte
muß auch die Bildung der Jugend auf dem Lande abnehmen. Eine nothwendige Folge
davon wird sein, daß in den Landgemeinden sich wenig Knaben für die Präparandien
und für die Gymnasien herausbilden. Da der geistliche Stand sowie jener der
Schullehrer ihre tüchtigsten Mitglieder aus den Landgemeinden gewinnen, so kann
leicht eingesehen werden, welche nachtheiliche [sic!] Folgen die fürs Landvolk
beantragten Halbtagsschulen für zwei der wichtigsten Stände haben müssen.
5. Wird die Einführung des halbtägigen Unterrichtes für das Landvolk als
Regel proklamirt, so wird einerseits der Fahrlässigkeit,
andererseits dem Eigennutze und der Habsucht der freieste
Spielraum gegeben. Viele Lehrer werden gleich bereit sein, den
ganztägigen Unterricht aufzugeben und den halbtägigen unter allerlei Vorwänden
einzuführen, wie sie es in der
Wiener Erzdiözese gethan haben. Der träge fahrlässige
Lehrer findet in dem halbtägigen Unterrichte eine sichere Ruhebank; er überläßt
den ganzen Unterricht auch bei 100 bis 200 Kindern dem Gehilfen. Der
eigennützige Lehrer hat bei dem halbtägigen Unterrichte einen sichern Gewinn; er
überläßt entweder die Schule dem Gehilfen und geht andern Geschäften nach,
bewirthschaftet Grundstücke und treibt Spekulation in verschiedener Weise oder
er schickt den Gehilfen fort, den er bei dem halbtägigen Unterrichte entbehren
kann und zieht alle Schuleinkünfte an sich. So wird in der hochwichtigen Sache
der Jugendbildung vorgegangen. Wie sehr sind die Gemeinden zu beklagen, die bei
den namhaften Leistungen, die zur Erhaltung der Schule erforderlich sind, einen
äußerst mangelhaften Unterricht haben. (Das von Jos[ef] Kaiser im Jahre 1852
herausgegebene Lehrerschema von Niederösterreich liefert hierüber viele und
höchst traurige Beweise.)5
6. In einem Aufsatze des Schulbotens Jahrgang 1856 Nr. 4
wurden alle Einwendungen gegen den ganztägigen Unterricht in Landschulen
gründlich widerlegt. Wenn man meint, daß Kinder verschiedenen Alters und
verschiedener Bildung nicht gleichzeitig nützlich beschäftigt werden können, so
befindet man sich in einer argen Täuschung. Hier kann jedoch nur derjenige ein
richtiges Urtheil fällen, der mit offenen Augen und mit kinderfreundlichem
Herzen sich viel in Schulen umgesehen und in einzelnen selbst mit Erfolg
unterrichtet hat. Abgesehen davon, daß ein fähiger Lehrer jeder
Schülerabtheilung eine angemessene Beschäftigung zu geben weiß, während er sich
einer andern besonders zuwendet, ist es oft eine überraschende Erscheinung, wie
viel die Kleinen in manchen Unterrichtsstunden mit den Größeren lernen; wie sie
diese oft durch Aufmerksamkeit und fertige Antworten übertreffen und dadurch für
die Größeren eine Aufmunterung werden, sich nicht übertreffen zu lassen. Dies
ist besonders bei der biblischen Geschichte, bei einzelnen Theilen des
Katechismus, beim Aufsagen moralischer Sprüche und Erzählungen so wie bei den
leichteren sprachlichen Übungen und bei allem Unterrichte, der auf Anschauung
sich gründe, der Fall.
Dagegen dient wieder die Unterweisung der Kleinen in
mehreren Unterrichtszweigen den Größeren zur nützlichen Wiederholung,
insbesondere, wenn es der Lehrer versteht, diese durch geeignete Fragen in
Anspruch zu nehmen.
Anlangend die sittliche Haltung der Schule, so richten
sich die kleineren Schüler sehr bald nach dem Beispiele der größeren: Hat der
Lehrer diese zu einem sittlichen Benehmen und anständigen Verhalten zweckmäßig
herangebildet, so kostet es ihm sehr wenig Mühe, auch die Kleinen an sittliche
Zucht und Ordnung zu gewöhnen. 6
7. Wie wenig die Gemeinden mit dem
Halbtagsunterrichte sich zufriedenstellen, darüber lieferte ein Priester der
Diözese Fünfkirchen, der im Auftrage
seines Bischofs zur Erlernung der Schulpädagogik in Wien
sich aufhält, einen unbestreitbaren Beweis. Derselbe besuchte auch einige
Schulen außer den Linien Wiens
, unter diesen auch einige mit halbtägigem
Unterrichte. Er fand beim Nachmittagsunterrichte die Abtheilung der kleineren
Schüler, neben diesen aber auch mehrere der größeren. Auf seine Frage, "wie
diese in die Schule kommen?", antwortete der Lehrer, "die Eltern hätten ihn
ersucht, ihre Kinder, welche der Abtheilung der größeren Schüler angehören, auch
nachmittags in die Schule kommen zu lassen und in den Lehrgegenständen
fortzuüben".
8. Der Antrag, den halbtägigen Unterricht in den Landschulen
als Regel einzuführen, greift nicht nur in die seit 80 Jahren bestehende
Schulordnung zerstörend ein, sondern tritt auch mit der Einrichtung des
Volksschulwesens in allen Ländern, die demselben die ihm gebührende
Aufmerksamkeit zugewendet haben, in Widerspruch.
Kinder von 6–12 Jahren
können nicht länger als durch 2 volle Stunden mit gutem Erfolge ununterbrochen unterrichtet werden. Nach dieser Zeit ermüdet ihre
Aufmerksamkeit, auch treten Bedürfnisse ein, die auf den Unterricht störend
einwirken, selbst der Lehrer fühlt sich nach einem 2-stündigen mit Anstrengung
ertheiltem Unterrichte mehr oder weniger abgespannt. Es hat nun ein längerer
Zwischenraum einzutreten, während dessen die Schüler nach Beschaffenheit der
Umstände sich häuslichen Beschäftigungen zuwenden oder mit der Wiederholung des
in der Schule Gelernten befassen, sich körperlich erholen oder auch in
Nebenlehrgegenständen, z. B. in der Musik, sich üben. Sobald es zulässig ist,
ruft sie die Schule wieder zu einem 2-stündigen Unterrichte. Nur auf diese Art,
d. i. durch einen an mehreren Tagen der Woche täglich zweimal eintretenden
Unterricht, können die Zwecke der Schule erreicht werden.
Das neue
preußische Regulativ über die Einrichtung des Elementarunterrichtes, welches
diesen fast auf das mindeste Maß beschränkt, spricht sich dahin aus, "daß keine
Veranlassung vorliege, in der äußern Einrichtung der Elementarschule wesentliche
und prinzipielle Veränderungen eintreten zu lassen", und setzt demgemäß
ausdrücklich fest, "daß bei Neubauten von Schullokalien das Raumbedürfnis nicht
nach Maßgabe getrennter Abtheilungen, sondern nach der ganzen Schülerzahl zu
bemessen sei". Ferner stellt dasselbe im Allgemeinen den Grundsatz auf, "daß die
Schule auch in ihrer äußern Einrichtung sich, soweit es ihr Hauptzweck
gestattet, dem Leben und seinen Bedürfnissen sich anschließe".
Aus dieser
ausführlichen Erörterung ergeben sich nachstehende Bestimmungen:
I. Der
ganztägige, d. i. zweimalige Unterricht, wie ihn die politische Schulverfassung
§ 80 aufstellt, ist für die Volks- oder Elementarschulen, sie mögen sich auf dem
Lande oder in größeren Städten befinden, Regel;
II. Ausnahmen von dieser
Regel sind auf eine kürzere und längere Zeit oder für fortdauernd auf Grund
örtlicher Bedürfnisse und Verhältnisse zu gestatten, und zwar:
a. wenn die
vorhandene Schullokalität die schnell herangewachsene Schülerzahl nicht
aufzunehmen vermag und ein Erweiterungs- oder Neubau nicht gleich zur Ausführung
gelangen kann;
b. wenn ein vorübergehender Mangel an tauglichen Unterlehrern
eintritt. Die Ausnahmen, die auf diese beiden Vorkommnisse sich gründen, können
jedoch nur bei einfachen Landschulen stattfinden. Sodann
c. wenn schulfähige
Kinder gegen Lohn in Fabriken, Spinnereien usw. beschäftiget werden.
F. Gewiße örtliche Verhältnisse begründen zwar keinen halbtägigen Unterricht, jedoch eine bald kürzere, bald längere Unterbrechung des Unterrichtes. So wird in einigen Gegenden Tirols, wo die Bevölkerung während der Sommermonate mit ihrem Viehstande auf die Gebirgsweiden abzieht, der Schulunterricht durch mehrere Monate ausgesetzt. Es bestehen in den betreffenden Gemeinden eigentlich bloße Winterschulen, jedoch mit ganztägigem Unterrichte. Dis ist auch in einigen Gegenden Kärntens der Fall.
Wien, den 17. August 1856
Kr[ombholz]