Die evangelischen Gemeinden des Augsburger Bekenntnisses in Kärnten informieren ihre Glaubensgenossen in Prag über ihre Beratungen in Villach, bei der sie insbesondere die Situation der evangelischen Kirche in Österreich diskutiert hatten. Bei der Konferenz kamen sie zur Überzeugung, dass für eine erfolgreiche Entwicklung der evangelischen Kirche in Österreich, ein gemeinsames Vorgehen aller evangelischer Gemeinden unumgänglich sei. Aus diesem Grund informieren die evangelischen Pfarrer der Kärntner Gemeinden ihre Glaubensgenossen in Prag über die Beschlüsse und bitten diese zu unterstützen: Sie stimmten erstens für die Annahme der vom Ministerium für Kultus und Unterricht für den Gesamtstaat erlassenen evangelischen Kirchenverfassung, auch wenn diese nicht in allen Punkten den Wünschen der evangelischen Kirchen entspreche. Sie plädieren daher dafür, dass auch die evangelischen Kirchen in Ungarn und Siebenbürgen diese annehmen sollten, denn nur durch die Vereinigung aller Kirchen sei eine dauerhafte Stärkung der evangelischen Kirche in Österreich möglich. Um die evangelischen Kirchen in Ungarn und Siebenbürgen für eine Vereinigung zu gewinnen, soll ein Bevollmächtiger für alle deutschsprachigen evangelischen Gemeinden mit den ungarischen Kirchenoberhäuptern verhandeln. Sie schlagen für diese Aufgabe den evangelische Pfarrer Gustav Steinacker aus Triest vor.
Abschrift
An das löbliche evangelische Pfarramt A. C. zu Prag
Wir unterzeichnete Pfarrer der evangelischen Gemeinden A. C. in Kärnten haben es als Pflicht und Bedürfnis erkannt,
bei Gelegenheit einer am 12. dieses Monats zu Villach
abgehaltenen Conferenz neben den besondern Angelegenheiten unserer Gemeinden
auch den gegenwärtigen Zuständen und Bedürfnissen der evangelischen Kirche
Oesterreichs im Allgemeinen unsere
Aufmerksamkeit zuzuwenden und unsere Ansichten über die zweckmäßigsten Mittel
auszutauschen, durch welche die Zukunft und eine gedeihliche Entwickelung der
Kirche gesichert werden könne.
Nach allen Nachrichten, die uns theils durch
öffentliche Blätter, theils durch mündliche und schriftliche Privatmittheilungen
bekannt wurden, stehen besonders die evangelischen Consistorialgemeinden durch
die vom Herrn Cultusminister
vorbereitete Octroyirung einer Synodalverfassung für die gesammte evangelische Kirche Oesterreichs am entscheidenden Wendepunkte ihrer Zukunft. Wir
haben uns in dieser Beziehung nach rechtlicher Berathung über die folgenden
Punkte geeinigt und erachten es bei der Wichtigkeit und Dringlichkeit des
Gegenstandes für höchst nothwendig, unsere geliebten Amtsbrüder davon in
Kenntnis zu setzen, um in Verbindung mit den Gemeinden so viel als möglich gemeinsam und in einer Richtung die
gedeihliche Entwickelung dieser Angelegenheit mit fördern zu helfen.
1. Wir
sind der Ansicht, daß die evangelischen Gemeinden Oesterreichs (resp. Kärntens)
zwar an dem verfassungsmäßig zugesicherten Grundsatze der kirchlichen Autonomie
und Gleichberechtigung festhalten und denselben, als Prinzip, in keiner Weise
Preis geben, daß sie aber, in Berücksichtigung der jetzigen Zeitverhältnisse und
der mannigfachen Schwierigkeiten, welche vielleicht noch lange der
Zusammenberufung und gedeihlichen Wirksamkeit einer constituirenden Synode im
Wege stehen, eine vom Ministerium zu oktroyirende Kirchenverfassung mit Dank annehmen
und selbst manche, etwa minder wünschenswerthe Bestimmungen derselben sich
gefallen lassen sollen, wofern diese Verfassung nur mit den unveräußerlichen
Rechten und Grundsätzen der evangelischen Kirche, und zwar auf Grund des
Presbyterial- und Synodalwesens, nicht im allzu schroffen Gegensatz tritt, dem
nothwendigen und gerechten Anspruche der Kirche auf angemessene Unterstützung
von Seite des Staates billige Berücksichtigung gewährt und einer künftigen
Synode das Recht der Revision, d. h. der gänzlichen oder theilweisen
Umgestaltung der Verfassung nach den Bedürfnissen der Kirche zugesteht.
2.
Wir sind ferner der Ansicht, daß hiebei die organische Verbindung der bisherigen
Consistorialgemeinden mit der evangelischen Kirche
Ungarns
und
Siebenbürgens
zu einem großen Ganzen, bei
möglichst freier Entwickelung seiner einzelnen Theile, für Alle, besonders aber
für unsere Gemeinden als Lebensfrage zu betrachten und mit
dem Aufgebote vereinter Kräfte auf geeignetem Wege anzustreben sei, weil nur
durch diese Vereinigung die Kraft und das Ansehen der evangelischen Kirche
Oesterreichs dauernd befestigt werden
kann. In Erwägung des zur Zeit herrschenden Mißtrauens und der mannigfachen, zum
Theile ganz ungegründeten Besorgnisse, welche durch die Stimmführer der beiden
evangelischen Confessionen in Ungarn und Siebenbürgen gegen eine derartige organische
Verbindung laut geworden, bei der bedeutenden Schwierigkeit, auf schriftlichem
Wege eine Verständigung hierüber herbeizuführen und in Erwägung des ungarischen
Nationalcharakters, der durch ein vertrauensvolles, herzliches Entgegenkommen am
leichtesten zu gewinnen ist, halten wir es
3. für höchst wünschenswerth, daß
ein dazu befähigter und durch die Verhältnisse geeigneter Mann aus der Mitte der
Konsistorialgemeinden mit Vollmachten, wo möglich von sämmtlichen oder doch der
Mehrzahl der deutscherbländischen evangelischen Diözesen versehen und mit der
Mission betraut werde, sich, so weit als möglich, persönlich
mit den Hauptstimmführern der evangelischen Kirche Ungarn und
Siebenbürgens über diese hochwichtige
Angelegenheit zu besprechen, um dieselben im beiderseitigen Interesse für die
gewünschte Vereinigung zu gewinnen. Wir halten zu diesem Geschäfte niemanden für
geeigneter als Herrn Pfarrer Steinacker zu Triest, theils weil
derselbe in Ungarn aufgewachsen, mit den einflußreichsten
Stimmführern beider Confessionen, den örtlichen Verhältnissen und der
Landessprache vertraut ist, theils weil er sich bereits seit längerer Zeit
vorzugsweise mit den kirchlichen Verfassungsfragen der Gegenwart beschäftigt und
an den hierauf bezüglichen Versammlungen thätigen Antheil genommen hat. Demnach
erscheint es uns
4. höchst wünschenswerth, daß unsere verehrten Amtsbrüder
und deren resp. Gemeindevorstände sich so bald als möglich,
längstens bis 1. Oktober dieses Jahres, entweder direkt oder durch
Vermittelung ihrer betreffenden Seniorate oder Superialtendenten mit uns
vereinigen, um sowohl an den löblichen Vorstand der evangelischen Gemeinde A. C.
zu Triest als an Herrn Pfarrer Steinacker selbst ein derartiges Ansuchen
zu stellen und im Interesse der gegenwärtig mehrfach bedrohten Gesammtkirche
Oesterreichs deren Mitwirkung zu diesem
Vorhaben in Anspruch zu nehmen. Die bei der Wichtigkeit des Gegenstandes und der
Vereinigung Aller oder Vieler verhältnismäßig jedenfalls nur geringen Kosten
dieser Mission dürften gewiß durch gemeinsame Betheiligung daran leicht
aufgebracht werden.
Wir erwarten daher bis zu dem bezeichneten Termine auf
ämtlichem Wege eine geneigte Antwort unter der Adresse: „An das evangelische
Pfarramt zu St. Ruprecht bei Villach“ und empfehlen
unsere Vorschläge der ernstlichen Prüfung unserer für die Zukunft der
evangelischen Kirche Oesterreichs gewiß
nicht minder besorgten Amtsbrüder.
Der Friede unseres Herrn und Heilandes
Jesu Christi sei mit Euch und mit uns! Amen.
Villach, am 12. August 1850
Friedrich Bauer in Treßdorf
Joh. Ludw. Tschurl zu Feld
J. Schatzmayer in
Zlan
G. W. Steinel in St. Ruprecht
Andreas Bathelt in
Fresach
Heinrich Medicus in Arriach
Ch. Wieser zu
Weißbriach
Christian Raschke zu Trebesing
A. Waßertheurer zu
Feffarnitz
Ed. Ag. Schmidág in Bleiberg
Joh. Geyer in Watschig
C.
Wack in Dornbach
Carl Babirath zu Gnesau
evangel. Pfarrer