Evangelisches Pfarramt A.B. Villach an das Evangelische Pfarramt A.B. Prag
Villach, 12. August 1850
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Regest

Die evangelischen Gemeinden des Augsburger Bekenntnisses in Kärnten informieren ihre Glaubensgenossen in Prag über ihre Beratungen in Villach, bei der sie insbesondere die Situation der evangelischen Kirche in Österreich diskutiert hatten. Bei der Konferenz kamen sie zur Überzeugung, dass für eine erfolgreiche Entwicklung der evangelischen Kirche in Österreich, ein gemeinsames Vorgehen aller evangelischer Gemeinden unumgänglich sei. Aus diesem Grund informieren die evangelischen Pfarrer der Kärntner Gemeinden ihre Glaubensgenossen in Prag über die Beschlüsse und bitten diese zu unterstützen: Sie stimmten erstens für die Annahme der vom Ministerium für Kultus und Unterricht für den Gesamtstaat erlassenen evangelischen Kirchenverfassung, auch wenn diese nicht in allen Punkten den Wünschen der evangelischen Kirchen entspreche. Sie plädieren daher dafür, dass auch die evangelischen Kirchen in Ungarn und Siebenbürgen diese annehmen sollten, denn nur durch die Vereinigung aller Kirchen sei eine dauerhafte Stärkung der evangelischen Kirche in Österreich möglich. Um die evangelischen Kirchen in Ungarn und Siebenbürgen für eine Vereinigung zu gewinnen, soll ein Bevollmächtiger für alle deutschsprachigen evangelischen Gemeinden mit den ungarischen Kirchenoberhäuptern verhandeln. Sie schlagen für diese Aufgabe den evangelische Pfarrer Gustav Steinacker aus Triest vor.

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Abschrift

An das löbliche evangelische Pfarramt A. C. zu Prag

Wir unterzeichnete Pfarrer der evangelischen Gemeinden A. C. in Kärnten haben es als Pflicht und Bedürfnis erkannt, bei Gelegenheit einer am 12. dieses Monats zu Villach abgehaltenen Conferenz neben den besondern Angelegenheiten unserer Gemeinden auch den gegenwärtigen Zuständen und Bedürfnissen der evangelischen Kirche Oesterreichs im Allgemeinen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden und unsere Ansichten über die zweckmäßigsten Mittel auszutauschen, durch welche die Zukunft und eine gedeihliche Entwickelung der Kirche gesichert werden könne.
Nach allen Nachrichten, die uns theils durch öffentliche Blätter, theils durch mündliche und schriftliche Privatmittheilungen bekannt wurden, stehen besonders die evangelischen Consistorialgemeinden durch die vom Herrn Cultusminister vorbereitete Octroyirung einer Synodalverfassung für die gesammte evangelische Kirche Oesterreichs am entscheidenden Wendepunkte ihrer Zukunft. Wir haben uns in dieser Beziehung nach rechtlicher Berathung über die folgenden Punkte geeinigt und erachten es bei der Wichtigkeit und Dringlichkeit des Gegenstandes für höchst nothwendig, unsere geliebten Amtsbrüder davon in Kenntnis zu setzen, um in Verbindung mit den Gemeinden so viel als möglich gemeinsam und in einer Richtung die gedeihliche Entwickelung dieser Angelegenheit mit fördern zu helfen.
1. Wir sind der Ansicht, daß die evangelischen Gemeinden Oesterreichs (resp. Kärntens) zwar an dem verfassungsmäßig zugesicherten Grundsatze der kirchlichen Autonomie und Gleichberechtigung festhalten und denselben, als Prinzip, in keiner Weise Preis geben, daß sie aber, in Berücksichtigung der jetzigen Zeitverhältnisse und der mannigfachen Schwierigkeiten, welche vielleicht noch lange der Zusammenberufung und gedeihlichen Wirksamkeit einer constituirenden Synode im Wege stehen, eine vom Ministerium zu oktroyirende Kirchenverfassung mit Dank annehmen und selbst manche, etwa minder wünschenswerthe Bestimmungen derselben sich gefallen lassen sollen, wofern diese Verfassung nur mit den unveräußerlichen Rechten und Grundsätzen der evangelischen Kirche, und zwar auf Grund des Presbyterial- und Synodalwesens, nicht im allzu schroffen Gegensatz tritt, dem nothwendigen und gerechten Anspruche der Kirche auf angemessene Unterstützung von Seite des Staates billige Berücksichtigung gewährt und einer künftigen Synode das Recht der Revision, d. h. der gänzlichen oder theilweisen Umgestaltung der Verfassung nach den Bedürfnissen der Kirche zugesteht.
2. Wir sind ferner der Ansicht, daß hiebei die organische Verbindung der bisherigen Consistorialgemeinden mit der evangelischen Kirche Ungarns und Siebenbürgens zu einem großen Ganzen, bei möglichst freier Entwickelung seiner einzelnen Theile, für Alle, besonders aber für unsere Gemeinden als Lebensfrage zu betrachten und mit dem Aufgebote vereinter Kräfte auf geeignetem Wege anzustreben sei, weil nur durch diese Vereinigung die Kraft und das Ansehen der evangelischen Kirche Oesterreichs dauernd befestigt werden kann. In Erwägung des zur Zeit herrschenden Mißtrauens und der mannigfachen, zum Theile ganz ungegründeten Besorgnisse, welche durch die Stimmführer der beiden evangelischen Confessionen in Ungarn und Siebenbürgen gegen eine derartige organische Verbindung laut geworden, bei der bedeutenden Schwierigkeit, auf schriftlichem Wege eine Verständigung hierüber herbeizuführen und in Erwägung des ungarischen Nationalcharakters, der durch ein vertrauensvolles, herzliches Entgegenkommen am leichtesten zu gewinnen ist, halten wir es
3. für höchst wünschenswerth, daß ein dazu befähigter und durch die Verhältnisse geeigneter Mann aus der Mitte der Konsistorialgemeinden mit Vollmachten, wo möglich von sämmtlichen oder doch der Mehrzahl der deutscherbländischen evangelischen Diözesen versehen und mit der Mission betraut werde, sich, so weit als möglich, persönlich mit den Hauptstimmführern der evangelischen Kirche Ungarn und Siebenbürgens über diese hochwichtige Angelegenheit zu besprechen, um dieselben im beiderseitigen Interesse für die gewünschte Vereinigung zu gewinnen. Wir halten zu diesem Geschäfte niemanden für geeigneter als Herrn Pfarrer Steinacker zu Triest, theils weil derselbe in Ungarn aufgewachsen, mit den einflußreichsten Stimmführern beider Confessionen, den örtlichen Verhältnissen und der Landessprache vertraut ist, theils weil er sich bereits seit längerer Zeit vorzugsweise mit den kirchlichen Verfassungsfragen der Gegenwart beschäftigt und an den hierauf bezüglichen Versammlungen thätigen Antheil genommen hat. Demnach erscheint es uns
4. höchst wünschenswerth, daß unsere verehrten Amtsbrüder und deren resp. Gemeindevorstände sich so bald als möglich, längstens bis 1. Oktober dieses Jahres, entweder direkt oder durch Vermittelung ihrer betreffenden Seniorate oder Superialtendenten mit uns vereinigen, um sowohl an den löblichen Vorstand der evangelischen Gemeinde A. C. zu Triest als an Herrn Pfarrer Steinacker selbst ein derartiges Ansuchen zu stellen und im Interesse der gegenwärtig mehrfach bedrohten Gesammtkirche Oesterreichs deren Mitwirkung zu diesem Vorhaben in Anspruch zu nehmen. Die bei der Wichtigkeit des Gegenstandes und der Vereinigung Aller oder Vieler verhältnismäßig jedenfalls nur geringen Kosten dieser Mission dürften gewiß durch gemeinsame Betheiligung daran leicht aufgebracht werden.
Wir erwarten daher bis zu dem bezeichneten Termine auf ämtlichem Wege eine geneigte Antwort unter der Adresse: „An das evangelische Pfarramt zu St. Ruprecht bei Villach“ und empfehlen unsere Vorschläge der ernstlichen Prüfung unserer für die Zukunft der evangelischen Kirche Oesterreichs gewiß nicht minder besorgten Amtsbrüder.
Der Friede unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi sei mit Euch und mit uns! Amen.

Villach, am 12. August 1850

Friedrich Bauer in Treßdorf
Joh. Ludw. Tschurl zu Feld
J. Schatzmayer in Zlan
G. W. Steinel in St. Ruprecht
Andreas Bathelt in Fresach
Heinrich Medicus in Arriach
Ch. Wieser zu Weißbriach
Christian Raschke zu Trebesing
A. Waßertheurer zu Feffarnitz
Ed. Ag. Schmidág in Bleiberg
Joh. Geyer in Watschig
C. Wack in Dornbach
Carl Babirath zu Gnesau
evangel. Pfarrer