Der Slawist Heinrich Suchecki bitte Leo Thun um Verleihung einer
Lehrkanzel für slawische Sprachwissenschaft in Galizien bzw. um eine
Aufbesserung seines derzeitigen Gehalts. Suchecki wurde vor vier Jahren
von Leo Thun eine linguistische Lehrkanzel in Galizien in Aussicht
gestellt. Zuvor sollte er jedoch einige Semester an der Prager
Universität wirken. Da er nunmehr seit drei Jahren in Prag mit
unzureichendem Gehalt tätig ist, erhofft er sich die baldige
Realisierung der von Thun in Aussicht gestellten Versetzung. Suchecki
betont, dass er seit seiner Ankunft in Prag zahlreiche Forschungen
betrieben habe.
In der Beilage legt Suchecki seine Ansichten zu
seiner Stellung dar. Suchecki schreibt zunächst, dass seine Vorlesungen
in polnischer Sprache sehr gut besucht sind. In der Folge schildert er
seine Eindrücke von der stagnierenden Entwicklung der polnischen Sprache
in Galizien und fordert Thun auf, die Sprache stärker zu fördern.
Beilagen: Bemerkungen Heinrich Sucheckis zur polnischen Sprache sowie zu seiner derzeitigen Lebenslage.
Hochgeborner Herr Graf und Excellenz!
Meine Lage zwingt mich zu der Taktlosigkeit, auf die gnädigen Andeutungen Eurer
Excellenz Bezug zu nehmen.
Vor 4 Jahren wurde mir durch die Lemberger Statthalterei die Mittheilung gemacht,
Eure Excellenz wollten mich für Galizien in linguistischer
Richtung gnädigst verwenden, wenn ich zuvörderst auf 1–2 Jahre nach Prag mit 600 fl gehe.
Vom tiefsten
Dankgefühl durchdrungen, folgte ich der huldvollen Ordre, lese schon 3 Jahre Collegien, von denen auf einen [sic!] Semester ein
streng wissenschaftliches im Durchschnitte fallen dürfte, lebe aber bei dem
unausreichenden Gehalte in bedrängter Lage mit Familie in der Aussicht auf
Realisirung der von Eurer Excellenz mir so gnädig zugedachten
Bestimmung.
Ohne zudringlich sein zu wollen, wagte ich im Jahre 1858 Eurer
Excellenz mich persönlich blos in Erinnerung zu bringen.
Seitdem verliefen 15 hoffnungsvolle Monde. Dann legte ich dem Hochgeehrten
Staatssekretär Baron Helfert
auf dessen Geheiß ein Verzeichnis meiner wissenschaftlichen Vorlesungen mit der
Bitte vor, Eurer Excellenz meine Tendenz, Diensteifer, Fortschritte im Fach und
dabei mißliche Lage schildern zu wollen.
Um aber in der Zwischenzeit Eurer
Excellenz einen bescheidenen Beweis für die Tragweite meiner
Kenntnisse zu liefern, las ich im verflossenen Sommerhalbjahr das nach Schleicher unbesetzte Sanscrit
1 mit Beziehungen auf das Kirchenslavische und dann
zunächst Polnische, als Beruf, und Böhmische. Daß in der Betreibung des indoeuropäischen Sprachenkreises die theoretische Routine in
ältern und neuern Slavinen einbegriffen liegt, versteht sich von selbst. Die mir
von Eurer Excellenz gnädigst dargebothene Gelegenheit in Slavicis hier vieles zu
gewinnen, stimmt mich zu einer lebenslänglichen Dankbarkeit.
Um ferner die
Gewogenheit Eurer Excellenz aufmerksam zu machen und darzuthun, daß ich kein
bloßer Kenner und Nachsprecher der bisherigen fremden
Resultate der Sprachwissenschaft bin, sondern im indoeuropäischen und vorzüglich
slavischen Gebiete mit selbstthätiger Forschung arbeite, las
ich in der k.
böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, als Mitglied derselben, eine Abhandlung2
über den im Sanscrit wurzelnden "participialen Ursprung der
slavischen Substantive auf A (E)" (böhmisch z. B. dítĕ, tele, – símĕ,
břímĕ), eine von den originellen Wahrnehmungen und Erschlüssen, die meine Materialien zu einer historisch vergleichenden Grammatik der
slavischen Sprachen aufzuweisen hätten. Im Druck kann die Abhandlung
erst später erscheinen, da ich jetzt an der polnischen Concursgrammatik für
Gymnasien arbeite.
Um in Deutschland
einen Anhaltspunkt für meine Forschungen im Bereiche des Sanscrit
und Zend zu gewinnen, trat ich in Verhältnisse mit der deutschorientalischen Gesellschaft zu Leipzig und
Halle
, unter deren Mitgliedern ich nun
erscheine.3
Auf Grundlage obiger Thatsachen ermuthigt mich nun mein
festes Vertrauen auf den Edelsinn Eurer gräflichen Gnaden, die Bitte hiemit
einzubringen, mich bei dem unzureichenden Gehalte nach Möglichkeit nicht darben
zu lassen, umso weniger als durch eine mißliche Lage, beim Mangel der Mittel,
die angestrebten Fortschritte gehemmt und jede bedeutendere
schriftstellerische Thätigkeit unmöglich gemacht werden.
Ohne
Anmaßung, den Absichten Eurer Excellenz vorzugreifen oder die Tendenz und Lage
des Staates ergründen zu wollen, inwiefern es Eurer Excellenz möglich wäre, den
Antrag auf Creirung einer Kanzel der indoeuropäischen oder
wenigstens slavischen Sprachwissenschaft für
Galizien
zu stellen, zumal da sogar das Polnische
daselbst schwächer, in Krakau aber fast gar
nicht vertreten ist, – wage ich vorderhand, falls möglich, um eine Aufbesserung meiner gegenwärtigen Stellung und um eine
gnädige bestimmtere Andeutung über die Zulässigkeit meiner
Hoffnungen zu bitten.
Ohne einen Wink erhalten zu haben, welcher Art
Thätigkeit mich meiner von Euer Excellenz mir gnädig angedeuteten Bestimmung
näher rücken soll, that ich nach dem Obigen, bei meinen jetzigen bedrängten
Umständen, mein Möglichstes; ohne mich eines Fehltritts
bewußt zu werden, wodurch ich die edlen Rücksichten Eurer Excellenz eingebüßt
hätte, harre ich in zuversichtlich geduldiger Erwartung der
Lösung meines Schicksals, um nach dem Wunsche Eurer Excellenz für das Kronland
Galizien oder sonst ersprießlicher wirken zu können.
In
unwandelbarer Hoffnung auf Gott und Eurer gräflichen Gnaden zeichne ich mich in
tiefster Ehrfurcht
Eurer Excellenz
gehorsamster und dankbarster Diener
Heinrich von Suchecki
a.o. Prof. d.
pol. Spr. u. Lit.
Prag, am 10. Jänner 1860
Specielles
Im laufenden Semester zähle ich für die polnische Sprache, die ich vergleichend vorzutragen
pflege, 33 ordentliche Zuhörer und einige außerordentliche im vorgerückten
Alter, eine Zahl, die für die böhmische Sprachwissenschaft seit meinem
Hiersein meines Wissens kein Mal erschwungen wurde, und 6 Zuhörer für die
polnische Literatur, eine Kleinzahl, deren Grund
darin zu liegen scheint, daß die meist nicht wohlhabenden Studierenden das
Collegiengeld für dergleichen Gegenstände ungern verschmerzen, theils darin,
daß der Sinn und Geschmack der hiesigen Jugend, durch geeignete Collegien
wohl für Sprachwissenschaft, aber für die Literatur im Allgemeinen, fast
durch keine, geschweige denn ästhetische Vorlesungen über die einheimische Literatur geweckt und gebildet wird.
In
Galizien findet das umgekehrte
Verhältnis statt.
Geruhen daher Euer Excellenz bei der
huldvollen Erwägung des Bedürfnisses eines wirksameren
Sprachlehrstuhles in Krakau
noch doppeltes zu berücksichtigen, einerseits den erfreulichen Umstand, daß
nach der neuesten Verordnung des Herrn
Ministers des Innern die galizischen Beamten mit dem Volke
in der Landessprache mündlich und schriftlich zu
verkehren haben, andererseits aber die traurige Thatsache, daß im polnischen
Schriftthum an der Sprache selbst wegen Haftung an den
alten und Unkenntnis der bessern neuern Theorien nicht blos eine Stagnation, sondern sogar ein fortschreitendes Verderbnis allzu sichtbar ist.
Das Schicksal der
polnischen Sprache, welche namhafte literarische und sprachliche Schätze im
Slaventhum aufweiset, liegt nun lediglich in der Hand Eurer Excellenz, da
bekanntlich außerhalb Oesterreichs nur
auf ihre Vernichtung abgezielt wird.
Die heutige wie jede spätere
Generation der polnischen Zunge wird den Namen Eurer Excellenz zu verewigen
haben in ihrer Culturgeschichte.
Privatumstände
Als Familienvater habe ich einen Sohn, welcher an der
böhmischen Oberrealschule studirt und eine jüngere Tochter.
Wegen
bedrängter Umstände muß meine Frau in der Lage sein, für sich und die
Erziehung der Tochter selbst zu sorgen.
Ich hatte daher blos folgende
Bedürfnisse mit möglichster Einschränkung zu bestreiten:
1. Nahrung für
mich und Sohn à 55 k ÖW täglich pro Person 400 fl
2. Erziehung des
Sohnes 150
3. Unterstützung meines im Greisenalter erblindeten Vaters in
Galizien 180
4. Wohnung von 2 Zimmern in dem billigsten Stadttheile auf
der Kleinseite, 3. Stock, Zinsgroschen u. 470
5. Licht, Heizmaterial
50
6. Bekleidung, Wäsche, literarische Bedürfnisse 100
7. Bedienung,
Einkommensteuer, Almosen u. u. 180
zusammen 1.230 fl ÖW
Leider nimmt
jetzt mein Sohn wegen einer Haemorrhagia pulmonum, die er sich durch weite
Kurse in die Schule und eine Anstrengung im Studiren zugezogen hat, noch außerordentliche Auslagen in Anspruch; dazu ist die
Theuerung in Prag im Zunehmen.
Nach dem Obigen
war ich also bemüßigt, mir neben dem Gehalte von 630 fl mindestens ein
Alterumtantum jährlich durch anderweitige, zwar literarische, aber möglichst
einträgliche, daher meistens nicht wissenschaftliche
Arbeiten zu erwerben suchen. Letzthin mußten selbst dringende
Beleuchtungen [sic!] einer Recension verschoben werden.
Das Mißlichste
dergleicher Nahrungssorgen ist daher Vergeudung der Zeit und
Kräfte auf Kosten des wissenschaftlichen Strebens, Störung und Hemmung einer edleren Thätigkeit.