Leo Thun an Julius Ficker
Wien, 9. Mai 1854
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Regest

Leo Thun bedauert, dass der Historiker Julius Ficker nicht abgeneigt scheint, den Ruf an die Universität Bonn anzunehmen. Thun kann zwar verstehen, dass Ficker gern in der Nähe seiner Familie sein möchte, er gibt Ficker aber auch zu bedenken, dass er es als katholischer Professor an der Universität Bonn nicht leicht haben werde. Sein Verbleib in Österreich wäre daher angenehmer und zudem könnte er im katholischen Österreich zur Entwicklung einer katholischen Geschichtswissenschaft beitragen. Gleichzeitig versichert er Ficker, dass er ihn und die Innsbrucker Universität Innsbruck noch besser fördern werde, so dass sich auch in Innsbruck ein anregendes wissenschaftliches Klima entwickeln werde. Thun würde ein Scheiden Fickers nicht zuletzt deshalb bedauern, da er selbst durch die Berufung Joseph Aschbachs nach Wien die jetzige Situation erst geschaffen hatte. Letztlich will er Ficker aber keine Steine in den Weg legen und bittet um eine baldige Entscheidung.

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Edierter Text

Wien, den 9. Mai 1854

Werther Herr Professor!

Mit aufrichtigem Bedauern habe ich aus Ihren beiden Briefen vom 28. vorigen1 und 1. des Monats2 ersehen, daß der Gedanke, den Ruf der preußischen Regierung nach Bonn anzunehmen, Ihnen nicht fremd ist. Sie führen als Gründe dafür zunächst den Wunsch ihrer Mutter, sodann die Gelegenheit sich wieder mit der Spezialgeschichte Ihrer Heimat zu befassen, endlich die Besorgnis Ihrer Freunde an, daß im Falle Ihres Ablehnens der Lehrstuhl in einer unerwünschten Weise besetzt werden könnte.
Die beiden ersten Gründe sind so subjektiver Art hat, daß Niemand sich erlauben kann, ihr Gewicht beurtheilen zu wollen. Der letztere scheint die Gefahr anzudeuten, daß als katholischer Professor der Geschichte ein Mann angestellt werden dürfte, von dem die katholische Kirche und die historische Wahrheit sich keine Dienste versprechen kann. Ist nun dies der Fall, das ist liegt es in der Tendenz der preußischen Regierung auch den katholischen Theil der Jugend in unkatholischem Geiste erziehen zu lassen, so will es mir wohl scheinen, daß die Stellung eines einzelnen aufrichtig katholischen Professors eben keine beneidenswerthe zu werden verspricht. Ich sollte demnach meinen, daß insofern die Rücksicht auf der Förderung katholischer Überzeugungen ein entscheidendes Moment sein kann, Ihre Mitwirkung zur Hebung der historischen Studien in Österreich weit erfolgreicher zu werden verspricht als ihre Wirksamkeit an der Bonner Universität es zu sein vermöchte. Leider muss ich allerdings zugeben, daß ihr jetziger Wirkungskreis in Inspruck [Innsbruck] noch ein beschränkter im Vergleiche zu jenem in Bonn ist. Die Besorgnis daß – wenn Sie den Ruf dahin nicht annehmen würden – Sie der Hoffnung auf einen ausgedehnteren Wirkungskreis entsagen müssten, kann ich aber nicht für gegründet halten. Vielmehr hoffe ich zuversichtlich, daß bald die Zeit kommen wird, wo es möglich sein wird, die Insprucker Universität zu vervollständigen, und in jeder Weise so zu heben, daß sie den Vergleich mit Bonn nicht zu scheuen braucht, und sollte selbst meine Hoffnung in dieser Beziehung vereitelt werden, so würde es dann auch an anderen Mitteln nicht fehlen, Ihnen einen größeren Wirkungskreis in Österreich zu eröffnen. Ich müsste daher Ihr Scheiden um so mehr bedauern, als es eine Folge der Berufung des Professors Aschbach nach Wien wäre, da ich doch diese nicht eher Seiner Majestät in Antrag brachte, als bis Sie mein Ihnen früher gegebenes Wort, daß ich solches nicht beabsichtige, gelöst hatten. Darin konnte und wollte ich nun zwar keine Beschränkung der Freiheit Ihrer künftigen Entschlüsse sehen, wohl aber glaubte ich mich, dagegen sicher gestellt zu haben, daß die Verwaisung der katholischen Geschichtsprofessur in Bonn Ihnen eine moralische Pflicht auferlegen könne, dahin zurückzukehren; ich hätte sonst wohl anders gehandelt. Nun erübrigt mir allerdings nichts, als Sie zu ersuchen, mir bald Ihren definitiven Entschluss oder die Bedingungen, die er etwa voraussetzen sollte, mittheilen und falls er gegen meinen Wunsch ausfiele, ein an den Kaiser, der ihnen die Professur in Inspruck verliehen hat, gerichtetes Gesuch um Entlassung, Ihnen nicht versagt werden kann – einsenden zu wollen. Vermag ich nicht zu hindern, daß das Band, durch welches Sie bleibend an Österreich geknüpft zu haben meinte, bald wieder gelöst werde, so wird es mir doch immer einigen Troste gereichen, wenn dadurch wenigstens das Bewusstsein gemeinsamer Interessen gestärkt oder Anlaß zu einigen dauernden Verbindungen gegeben worden ist.

Hochachtungsvoll
Ihr
ergebener
Thun