Der Historiker Julius Ficker teilt Leo Thun mit, dass er den Ruf nach Bonn nicht annehmen werde. Er entschuldigt sich, dass er mit der Entscheidung so lange gezögert hat, er wollte sich jedoch erst mit seiner Familie beraten. Ficker betont auch, dass bei vielen Bekannten sein Wunsch, in Innsbruck zu bleiben, auf einiges Unverständnis gestoßen sei. Thuns Versicherung, die Innsbrucker Universität zu fördern und zu vervollständigen, war jedoch ein ausschlaggebender Faktor bei der Entscheidung, in Österreich zu bleiben. Ficker betont außerdem, dass er sich dazu verpflichtet fühle, das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Ficker möchte keine Bedingungen an seinen Verbleib knüpfen. Er spricht aber dennoch einige Wünsche aus, die er gern erfüllt sähe: zunächst seine definitive Ernennung und eine finanzielle Besserstellung, bzw. Angleichung an das gebotene Gehalt in Bonn. Außerdem wünscht er beizeiten einen weiteren Urlaub für seine Forschungen in Italien, die Unterstützung seiner Lehrtätigkeit und die Förderung einiger seiner Studenten.
Innsbruck, 1854 Mai 29
Euer Exzellenz,
werden in Berücksichtigung des in meinem Schreiben vom 14. des Monats1
hervorgehobenen Grundes es hoffentlich entschuldigt haben, daß ich so lange mit
einer entscheidenden Beantwortung des gnädigen Schreibens Euer Exzellenz vom 9.
des Monats2 gewartet
habe.
Nach mündlicher Besprechung mit meinen nächsten Anverwandten, der es
freilich nicht gelang, dieselben für meine Anschauungen der Sachlage zu
gewinnen, mir aber doch die Beruhigung gab in dieser für sie, wie für mich so
wichtigen Angelegenheit nicht voreilig und einseitig zu Werke gegangen zu sein,
stehe ich nun nicht an, die Erklärung abzugeben, zu der ich mich nach Empfang
des letzten Schreibens Euer Exzellenz eigentlich schon entschlossen hatte, daß
ich nämlich bereit bin, dem so gnädig geäußerten Wunsche Euer Exzellenz Folge zu
geben und in meiner hiesigen Stellung zu verbleiben.
Daß ich mich nur mit
schwerem Herzen und nach langem Schwanken zu einer solchen Erklärung
entschließen konnte, werden Eure Exzellenz verzeihlich finden. Ich verhehle mir
keinen Augenblick, daß ein solcher Schritt die mannichfachsten
Unannehmlichkeiten für mich zur Folge habe, und manche Missdeutung erfahren
kann. Aber das peinliche Gefühl einen Staat, der mir die größten Vortheile geboten hat, verlassen zu
sollen, ohne bei der kurzen Zeit meines hiesigen Wirkens Gelegenheit gefunden zu
haben, durch eine Thätigkeit, wie sie meine Kräfte erlauben, mich erkenntlich zu
zeigen – die durch das gnädige Schreiben3 Euer
Exzellenz bestärkte Hoffnung, daß es mir gelingen werde, das mir bisher
geschenkte Zutrauen mir auch in Zukunft zu erhalten, und daß Leistungen, wie sie
in meinen Kräften stehen, hier im Süden auch auf die Dauer mehr Anerkennung
finden dürften, als ich sie der ganzen Lage der Sachen nach in Preußen zu erwarten hätte – die auch von Euer
Exzellenz hervorgehobenen besonderen Schwierigkeiten der vereinzelten Stellung
eines katholischen Professors an einer wenn nicht dem Namen, doch dem Wesen nach
protestantischen Universität und
Manches andere, das zu berühren von keinem Nutzen sein könnte, haben mich
demnach nach längerem Schwanken zu jener Erklärung bestimmt.
Vor allem haben
dann freilich auf diesen Entschluß eingewirkt die Eröffnungen, die Euer
Exzellenz mir über deren Absichten in Betreff der mir so lieb gewordenen
Innsbrucker Hochschule zu
machen geruthen, da ich allerdings der Überzeugung bin, daß, wenn die
Verhältnisse es gestatten sollten, dieselbe zu vervollständigen und auch nur in
einem einzelen Fache so zu stellen, daß sie darin mit jeder anderen Hochschule
in die Schranken treten könnte, wohl kein Ort geeigneter sein könnte, als
Innsbruck, um das
eigenthümliche wissenschaftliche Leben und Streben bei Lehrenden wie Lernenden
aufkommen zu lassen, daß (neben nicht zu läugnenden Mängeln) immer als ein
Hauptvorzug deutscher Universitäten angesehen wird und das bis jetzt wohl
überhaupt nur in kleineren Orten erreicht worden ist. Zu diesem Falle würde ich
mir wohl kein ersprießlicheres Feld auch für künftige Thätigkeit zu wünschen
haben; sollten sich solche Aussichten nicht verwirklichen können, so werde ich,
für jetzt durch meinen Wirkungskreis befriedigt, getrost abwarten, was die
Zukunft bringen wird.
An bestimmte Bedingungen, zu deren Mittheilung Euer
Exzellenz mich aufforderte, möchte ich mein Verbleiben in Innsbruck um so weniger knüpfen, als meine
Ernennung von vornherein unter verhältnismäßig günstigen Bedingungen erfolgt
ist; ich erlaube mir nur einige Wünsche vorzulegen, es dem geneigten Ermessen
Euer Exzellenz anheimzustellen, in wie weit dieselben jetzt oder später erfüllt
werden können, oder nicht.
Zunächst würde meine Ernennung in Preußen eine nach dortigen Gebahren definitive
sein, während, wie mir hier wenigstens mitgetheilt wurde, jede Ernennung in
Österreich nach dreijähriger Amtsdauer der Bestätigung
bedarf. Ich glaube allerdings annehmen zu dürfen, daß der in den Briefen Euer
Exzellenz ausgedrückte Wunsch, daß ich in meiner Stellung verbleiben möge, mir
die materielle Bürgschaft gibt, daß mir die Bestätigung nicht verweigert werden
würde; doch wäre es mir lieb, hierüber, falls solches überhaupt nöthig ist, auch
eine formelle Bürgschaft zu haben.
Der mir in Preußen gebotene Gehalt, der, wenn ich es zur Bedingung hätte
machen wollen, nach mir gewordenen Mittheilungen wohl noch erhöht worden wäre,
überstieg, auch abgesehen vom Unterschiede des Silbers und der Papierwährung,
meinen hiesigen Gehalt um hundert Thaler. Inwiefern etwa Euer Exzellenz geneigt
und in der Lage sein sollten, hier eine Ausgleichung eintreten zu lassen,
überlasse ich ganz Deren Ermessen. Zur Bedingung möchte ich eine solche
Ausgleichung nicht machen, obwohl ich einsehe, daß ich Verwandten und Freunden
gegenüber die Ablehnung der Bonner
Professur noch schwerer würde rechtfertigen können, wenn ich gestehen müsste,
ein Verbleiben in Innsbruck sogar auf ungünstigere
Bedingungen jenem Rufe vorgezogen zu haben.
Zur Fortsetzung meiner in
Italien begonnenen Studien werde ich mich vielleicht
veranlasst sehen, später nochmals um einen wenn auch vielleicht nicht so
ausgedehnten Urlaub einzukommen. Für diesen Fall glaube ich wohl hoffen zu
dürfen, daß meine desfallsigen Wünsche bei Euer Exzellenz die Berücksichtigung,
die die Verhältnisse der Universität gestatten könnten, finden würden, wie eine solche
Berücksichtigung mir ja im vergangenen Jahre so reichlich zu Theile
wurde.
Schließlich möchte ich noch einen weiteren Wunsch äußern, dessen
bestimmtere Formulierung freilich auch erst der Zukunft angehören könnte. Ich
habe in gegenwärtigem Semester eine Anleitung zur quellenmäßigen Bearbeitung der
Geschichte für die Studierenden begonnen, die sich vorzugsweise mit diesem Fache
beschäftigen. Es ist zunächst freilich nur ein erster Versuch, über dessen
Erfolg ich mir wohl erst in den folgenden Semestern ein Urtheil werde bilden
können. Sollte dieser meinen Erwartungen entsprechen, so wäre es meine Absicht,
einem hohen Ministerium den von mir verfolgten Plan und die ersten Erfolge
vorzulegen und damit ein Gesuch um Bewilligung kleiner Gratificationen für ein
oder anderen der theilnehmenden Studierenden, von dem gelungene Arbeiten
vorlägen und dessen sonstige Verhältnisse eine solche Unterstützung
wünschenswerth machten, zu verbinden, da solches wie ich nach früher zu Bonn gemachten Erfahrungen glaube
schließen zu dürfen, dem Erfolge eines Unternehmens, das mir gerade jetzt sehr
am Herzen liegt, sehr förderlich sein könnte. Sollte sich für den gleichen Zweck
die Anschaffung einzelner historischer Werke als nöthig erweisen, so darf ich
wohl hoffen, daß meine desfallsigen Wünsche eine gleiche Berücksichtigung finden
würden, wie sie ähnlich meinem Kollegen, Herrn Prof. Glax, bereitwilligst zu Theil wurden. Bestimmtere Wünsche
habe ich in dieser Beziehung für jetzt noch nicht, da das Ganze erst im
Entstehen ist und ich die ersten Erfolge abwarten möchte; doch möchte ich diese
Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um wenigstens vorläufig auf das hinzuweisen,
was mir in dieser Beziehung künftig wünschenswerth sein möchte.
Indem ich
nun schließlich nochmals um Entschuldigung bitte, daß ich die Entscheidung
dieser Angelegenheit so lange hinausgeschoben habe, verbinde ich damit meinen
aufrichtigsten Dank für so manche gnädige Beweise des Wohlwollens, die mir
bisher von Euer Exzellenz zu Theil wurden, und das Versprechen, zu thuen, was in
meinen Kräften steht, um den Forderungen der mir anvertrauten Stelle zu
entsprechen. Der Entschluss, diese Stelle zu übernehmen, war wohl weniger
entscheidend für mich, als der, ihr nun auch treu zu bleiben. Aber wie ich jenen
Entschluss bis jetzt nie zu bedauern hatte, so hoffe ich zuversichtlich, daß ich
auch den jetzigen niemals zu bereuen haben werde.
Mit aller etc.