Leo Thun informiert Julius Ficker über den Ausgang der Verhandlungen zur Anerkennung von Alphons Hubers Habilitationsgesuch. Zunächst entschuldigt er sich dafür, dass er mit seiner Antwort so lange auf sich warten ließ. Die Ursache dafür lag besonders darin, dass ein Urteil über die Annahme des Habilitationsgesuchs nicht einfach gewesen sei. Thun versichert Ficker jedoch, dass die Entscheidung nicht auf Grund von persönlichen Interessen, sondern nur auf Basis der in den Akten geschilderten Sachlage erfolgt sei. Thun bestätigt die Entscheidung und hält an der Auffassung fest, dass die Österreichische Geschichte als eigenes Fach anzusehen und daher eine eigene Habilitation für das Fach erforderlich sei. Er willigt aber ein, dass ein Professor der Allgemeinen Geschichte auch Kollegien aus Österreichischer Geschichte lesen dürfe. Zuletzt erkundigt sich Thun bei Ficker über angebliche studentische Umtriebe in Innsbruck.
Wien den 31. August 1860
Werther Herr Professor!
Ich fürchte, daß die lange Verzögerung irgendwelcher Antwort auf das umständliche
Schreiben, das Sie im Juni letzten Jahres an mich gerichtet haben in Ihnen
Besorgnisse erregt, und Sie vielleicht zu der Meinung veranlaßt, ich habe
dasselbe nicht beachtet, oder ungünstig beurtheilt. Nichts von dem ist der Fall.
Ich bin Ihnen vielmehr dankbar dafür, Ihre Argumente haben auf mich einen tiefen
Eindruck gemacht und eben die Überzeugung, daß es sich in der Angelegenheit um
Dinge handelt, die objektiv und für Sie persönlich von ernster Bedeutung sind,
ist im Zusammenhange mit den Schwierigkeiten die mir die Zeitverhältnisse in
Beziehung auf eine ruhige Erwägung von einzelnen Fragen solcher Art
entgegenstellen, der Grund weshalb ich so lange mit der Entscheidung gezögert
habe; sie ist auch noch nicht erfloßen.
Was Ihren Verdacht anbelangt, daß
die erste Entscheidung nicht bloß auf Grundlage der Akten gefällt worden sei, so
glaube ich versichern zu können, daß er nicht gegründet ist. Ich kann natürlich
nicht dafür bürgen, ob nicht an subalterne Beamte auch Privatbriefe des
Prof. Glax gelangt seien. Wohl aber
dafür, daß die Entscheidung von höher gestellten Männern ausging, von deren
Unpartheilichkeit ich überzeugt bin. Auch bestätigen die Akten nicht Ihre
Auffassung, daß Prof. Glax der
Habilitation Hubers für österreichische
Geschichte schließlich zugestimmt habe. Jene in den Akten liegende Erklärung
lautete auch nach dem Kolloqium dahin, daß die Befähigung des Kandidaten für österreichische Geschichte
nicht erwiesen sei.
Die wissenschaftlichen Bedenken, die Sie gegen die
schroffe Scheidung von österreichischer und allgemeiner Geschichte erheben,
erkenne ich für sehr beachtenswerth. Andererseits kann ich doch nicht umhin auf
die Bedeutung der Gründe anzuerkennen, welche dafür sprechen österreichische
Geschichte als einen selbstständigen Gegenstand an unseren Universitäten zu
behandeln, und darauf bedacht zu sein, daß das was als obligates Collegium
gehört wird, dazu geeignet sei, den Blick auf die historische Entwicklung der
Gesammtmonarchie zu richten. Das wird im Allgemeinen nicht zu erreichen sein,
wenn Privatdozenten ohne spezielle Habilitazion für dieses Fach diese Kollegien
lesen dürfen. <Ich habe dabei nicht den speziellen Fall Hubers vor Augen, sondern die grundsätzliche
Frage, und darin Anwendung auf unsere verschiedenen Universitäten.>2 Wird aber die spezielle
Habilitazion festgehalten, so kann es doch nicht umgangen werden, daß der
Professor der österreichischen Geschichte als derjenige angesehen werde, dem das
Urtheil über die Befähigung zusteht.
Vielleicht ließen sich beide
Gesichtspunkte in folgende Weise wahren. Wer für allgemeine Geschichte
habilitiert ist, kann auch Spezialkollegien auf dem Gebiethe der
österreichischen Geschichte lesen. Die Berechtigung über die gesammte
österreichische Geschichte, und gültig als das den Juristen vorgeschriebene
Kollegium zu lesen, ist an eine besondere Habilitation für österreichische
Geschichte gebunden. Ich verkenne nicht, das missliche, daß bei solcher
Einrichtung der Professor der österreichischen Geschichte Richter in einer ihn
pekuniär berührenden Sache ist. Das ist aber ein Bedenken das nicht in dieser
speziellen Frage ihren Grund hat, sondern in mehrfacher Beziehung die
unvermeidliche Folge der Kollegiengelder ist, und wogegen hier wie dort nur in
persönlicher Ehrenhaftigkeit Bürgschaft gefunden werden kann. Wo sie fehlt!! –
oder vielmehr, daß sie leider mitunter fehlt, kann doch nicht maßgebend sein für
Dinge, die einer grundsätzlichen Regelung bedürfen. Nicht das Symptom, das Übel
selbst erfordert Heilung, die leider nur allmählich in dem Maaße erfolgen kann
als im allgemeinen die wissenschaftlichen Zustände sich heben.
Wenn Sie
geneigt sind, mir über die eben angedeutete Lösung der Frage Ihre Meinung mit
voller Aufrichtigkeit zu schreiben, so wird es mir erwünscht sein. Erwünschter
freilich wäre es mir den Gegenstand zu besprechen.
Erlauben Sie mir nun noch
einiges anderes zu berühren.
Mir wird von München
geschrieben, man gebe sich dort wieder Mühe Sie zu gewinnen. Ich hoffe zu Gott,
Sie bleiben Österreich treu. Mein Wunsch wäre, Sie, wenn sich
Gelegenheit bieten wird, nach Wien zu
ziehen.
Ich höre von verschiedenen Seiten, daß der Geist unter den
Insprucker Studenten mehr und mehr
ein anderer als der alte Tyroler Geist werde; um sich greifen
burschenschaftlichen Kneipenwesens, Verbreitung der süddeutschen und anderer
schlechter Zeitungen, Entschwinden des religiösen Sinnes etc. Wo liegen die
Ursachen? Kann ihrer Wirkung Einhalt gethan werden, und durch welche Mittel?
Vielleicht sind aber diese Fragen zu weitgreifend, um brieflich besprochen
werden zu können.
Hochachtungsvoll
Ihr
ergebener
Thun
<Das hohe Ministerium hält an seiner früheren Entscheidung fest, weil beide Fächer unvereinbar sind [?] dem bestimmt [?] Bedürfnisse [?] eingehenden[?] Vorlesungen in alter Geschichte im Interesse der Universität dem Fache der allgemeinen Geschichte im gegebenen Falle der Vorzug zu geben ist: auf die mit Rücksicht auf die Behandlung ähnlicher Fälle gestellte Anfrage der Fakultät erklärt das hohe Ministerium, daß die Bedenken gegen das Majoritätsurtheil der Fakultät, insbesondere auch[?] gegen die Auffassung der das Programm betreffe Gesetzesstelle nicht[?] vorliege, und die Bestätigung der Habilitation für österreichische Geschichte hätte erfolgen können, wenn im gegebenen Falle nicht[?] der angeführte Grund für eine andre Entscheidung maßgebend gewesen wäre.>3