Schulrat Andreas Wilhelm berichtet Leo Thun, dass die in einem anonymen Schreiben dargestellte Situation am Teschener Gymnasium großteils der Realität entspreche. Viele der angeprangerten Taten seien zudem Stadtgespräch und blieben daher auch den Schülern nicht verborgen, so dass der moralische Einfluss der Lehrer auf die Schüler ein zweifelhafter sein müsse. Der verstorbene Fürstbischof Diepenbrock hatte zudem einige der Vergehen untersuchen lassen, ohne dass jedoch die Missstände behoben werden konnten. Ausführlicher geht Wilhelm auf die Affären des geistlichen Schuldirektors Philipp Gabriel und die schlechten Eigenschaften des bischöflichen Kommissärs Joseph Paduch ein. Wilhelm empfiehlt, den Direktor der Schule ehest möglich zu versetzen. Er will die Lage an der Schule weiter beobachten und Thun darüber informieren.
Der Brief ist gemeinsam mit weiteren Briefen, die dieselbe Thematik
betreffen, abgelegt:
Heinrich Förster an Leo Thun. Schloss Johannesberg, 10. September
1855.
Andreas Wilhelm an Rudolph Kink. Krakau, 15. September 1855
.
Heinrich Förster an Leo Thun. Schloss Johannesberg, 11. Oktober
1855.
Heinrich Förster an Leo Thun. Breslau, 4. November 1855.
Eure Excellenz!
Dem durch den Herrn Ministerialsecretär Rudolf
Kink erhaltenen hohen Auftrage entsprechend habe ich über das die
sittlichen Verhältnisse in Teschen betreffende anonyme Schreiben1, das ich gleichzeitig an den Herrn Ministerialsecretär
zurückstelle, nachstehendes in Gehorsam zu berichten.
Alle Angaben in dem
Schreiben sind mir teils als wahr teils als Stadtgerede bekannt.
Was über
Janota angeführt wird, ist
richtig. In Krakau ist mir über ihn bisher nichts
nachteiliges bekannt geworden.
Das Gerede über Danel scheint auf einen geringen Kreis beschränkt geblieben zu
sein; nach seiner Aufnahme in das philologische Seminar und seit seiner Rückkehr
war nichts mehr zu hören.
Daß der Vorfall mit Bitta sich zugetragen habe, wurde vor ungefähr 2 ½ Jahren nicht
nur in Teschen offen und mit allgemeiner Entrüstung,
sondern selbst in Troppau erzählt. Es hieß auch, der
selige Cardinal habe eine
Untersuchung deswegen angeordnet; aber man habe die Sache zu begleichen gewußt.
Seitdem verlautete nichts über Bitta;
aber vergessen ist das Geschehene noch nicht; denn die Erinnerung daran, so wie
an ähnliche Vorfälle oder Beschuldigungen in betreff anderer Personen, die sich
nicht rein zu erhalten wußten, wird bei gewissen Anläßen wieder wach gerufen.
Solche Anläße ergaben sich im Schuljahre 1855, da der bischöfliche Commissär
Josef Paduch, so viel mir zu Gehör
kam, zweimal in die Lage versetzt wurde, in der von dem Schreiben bezeichneten
Richtung drohende Klagen durch Geld beschwichtigen zu müssen.
Gabriel hatte der Person, von der man in
Teschen so spricht, wie das Schreiben andeutet,
anfangs ihre Wohnung neben der seinigen im ersten Stocke angewiesen. Man
erzählte mir, er habe in ihrer Begleitung in den besseren Häusern Besuche
gemacht und sich dann übel darüber geäußert, daß ihm die Besuche nur von den
Männern, nicht auch von den Frauen derselben erwidert wurden. Auch habe sie sich
an einigen Orten Frau Directorin titulieren lassen. Seit ungefähr 3 Jahren wohnt
sie im Erdgeschoße; man sagt, Gabriel habe ihr dort ihre Wohnung deswegen
angewiesen, weil ihm zu Gehör gekommen sei, daß die Bürger von Teschen über sein
nahes Verhältnis mit ihr misliebige Äußerungen hätten laut werden lassen. Vor
mir erwähnte er nur einmal so viel, daß er eine weibliche Person zur Führung der
Hauswirtschaft nicht entbehren könne, so gern er jeden Schein vermeiden möchte,
der Misdeutung zulasse.
Daß das Gerede über alle genannten Personen seinen
Grund habe, davon bin ich bei mir selbst überzeugt; beweisen aber könnte ich es
nicht.
Der Jugend können die offenkundigen Erscheinungen natürlich nicht
verborgen bleiben; ja sie kennt die Verhältnisse viel genauer als das Gerede
dieselben bezeichnet, und man darf sicher sein, daß moralische Gebrechen ihrer
Lehrer, wenn auch geheim gehalten, ihr selten entgehen. Man will einige Male die
Namen Gabriel und Sniehota neben einander an den Wänden im
Schulgebäude geschrieben gefunden haben.
In dem äußeren Verhalten der Jugend
ist nichts tadelnswertes wahrzunehmen; ob aber echt religiöser Sinn unter
solchen Verhältnissen sich rein und unverdorben erhalten könne, und dem äußeren
Verhalten überall das Innere entspricht, möchte wol zu bezweifeln sein.
Von
dem Dechant Paduch ist es gewiß, daß
sein Ruf ihn für das ihm in Bezug auf das Gymnasium übertragene Amt nicht
geeignet erscheinen läßt. Auch heißt es, er komme in das Gymnasium nur, um zu
schlafen; wie er denn auch einmal in der Mädchenschule neben mir auf seinem
Stuhle eingeschlafen war.
An dem bisherigen Einfluße der Geistlichkeit auf
das katholische Gymnasium in Teschen ist überhaupt so viel bekannt: daß sie sich
auf denselben viel zu gute thut, ihre Thätigkeit bei dem Herrn Bischofe
möglichst in das beste Licht setzt und dabei nicht versäumt, auch die
Notwendigkeit der Besetzung des ganzen Gymnasiums mit geistlichen Lehrern aus
religiösen Rücksichten hinzuweisen; daß aber ihre Thätigkeit meist auf äußeren
Schein abzielt.
Wenn ich nun auch in Betreff der nächsten Zukunft des
Gymnasiums meine Ansicht aussprechen darf, so wäre es diese: daß ich meine,
Gabriel wäre bei Gelegenheit an
ein anderes Gymnasium zu versetzen, auch deswegen, weil er unter den
Verhältnissen in Teschen kaum je der Versuchung wird
widerstehen können, für seine persönlichen Zwecke bei dem Herrn Bischofe und dessen Generalvicar in einer Weise thätig zu sein,
welche für das Gymnasium nicht heilsam ist. Im Laufe des Schuljahres 1856 würde
sich vielleicht, zugleich mit Rücksicht auf die Oberleitung des Chelesta’schen
Convictes, ein Nachfolger für ihn finden lassen.
Ob auch Bitta zu versetzen wäre, wage ich nicht zu
sagen. Sein Ruf hat jedenfalls gelitten; ich werde mir bei der nächsten
Visitation vorsichtige Nachforschung angelegen sein lassen, und Eurer Excellenz
das Resultat zu berichten nicht verabsäumen; so wie ich bei meiner nächsten
Anwesenheit in Troppau dem Herrn Landespräsidenten den
Wunsch Eurer Excellenz in Betreff von seiner Seite zu machender Mitteilungen
kund zu thun nicht unterlassen werde.
Ich geharre mit dem Ausdrucke der
tiefsten Verehrung
Eurer Excellenz unterthänigster Diener
Andreas Wilhelm
Krakau 15. September 1855