Justizminister Franz Nádasdy äußert sich neuerlich zur Frage der Sprachenverwendung im Gerichtswesen und zur von Innenminister Agenor Goluchwoski angeordneten Feststellung der jeweiligen Landessprachen in den unterschiedlichen Kronländern. Hierzu verweist er darauf, dass in Siebenbürgen sowie in der Woiwodschaft Serbien und dem Temeser Banat bereits von 1850 bis 1852 eine eingehende Erhebung durchgeführt und darauf aufbauend eine Regelung erlassen worden ist. Diese nun wieder zu verändern, würde einen schlechten Eindruck erwecken. Außerdem gibt er zu bedenken, dass mehrere der dort gesprochenen Sprachen nicht als Amtssprachen verwendet werden könnten, da ein geeigneter Wortschatz fehle. Insgesamt empfiehlt Nádasdy eine Regelung, die besonders den praktischen Bedürfnissen entspreche, was in vielfacher Hinsicht jetzt schon der Fall sei. Auch habe der Kaiser in den Ministerkonferenzen angedeutet, dass bei der Wahl der Sprachen das praktische Bedürfnis entscheidend sei.
Abschrift.
Das Schreiben ist im Nachlass gemeinsam mit sieben weiteren Dokumenten
unter der Rubrik "Zur Sprachenfrage 1859" unter der Signatur A3 XXI D525
abgelegt:
Note von Franz Nádasdy an Agenor Goluchowski. o. O., 5. November
1859.
Note von Franz Nádasdy an Agenor Goluchowski. o. O., 5. November
1859.
Note von Franz Nádasdy an Agenor Goluchowski. Wien, 5. November
1859.
Note von Agenor Goluchowski an Franz Nádasdy. o. O., 21. Dezember
1859.
Note von Franz Nádasdy an Agenor Goluchowski. o. O., 5. Januar
1860.
Note von Franz Nádasdy an Agenor Goluchowski. o. O., 5. Januar
1860.
Notizen von Leo Thun zur Sprachenfrage bei den Gerichtsbehörden
1589.
Abschrift einer Note des Justizministers an den Herrn Minister des Innern, Grafen Goluchowski, dtto. 5. Jänner 1860 Z. 20732
Die mir mit der geehrten Note vom 19. Dezember vorigen Jahres Z. 12472/M.I.
gütigst mitgetheilten Ansichten Eurer Excellenz in Betreff der Regelung der
Geschäftssprache bei den Gerichtsbehörden, namentlich in den östlichen
Kronländern der Monarchie, 1habe ich einer reiflichen Erwägung unterzogen und mich
auch bereits bestimmt gefunden in Betreff Galiziens angemessene Modificationen der dort geltenden
Bestimmungen über die gerichtliche Geschäftssprache bei Seiner k.k. apostolischen Majestät zu
beantragen, wie ich Eurer Excellenz mit der Note zur Justizministeriumszahl
20732/1859 2zu eröffnen die Ehre hatte.
In Betreff der Kronländer
Ungarn, Siebenbürgen, der serbischen Woiwodschaft und des Temescher Banates haben Euer
Excellenz vorläufig noch die Sammlung der nöthigen Daten anzuordnen befunden um
mir in Bezug auf die Feststellung der Landessprachen in diesen Kronländern die
erleuchteten Ansichten mit vollster Beruhigung und möglichster Bestimmtheit
mittheilen zu können. Indem ich mir erlaube, diese von Eurer Excellenz
getroffene Maßregel in Bezug auf Ungarn in einer
abgesonderten Note zu besprechen 3, daß sich Euer Excellenz in Bezug auf Siebenbürgen, die serbische Woiwodschaft und das
Temescher Banat zu einer gleichen Maßregel veranlaßt gefunden
haben.
In diesen beiden Kronländern wurde die Sprachfrage bereits in den
Jahren 1850 bis 1852 von den politischen und gerichtlichen über die Verhältnisse
genau unterrichteten Landesoberbehörden einer sehr eingehenden Erwägung
unterzogen, an deren Resultaten nicht ohne Noth gerüttelt werden sollte, weil
sonst der kaiserlichen Regierung in dieser wichtigen Beziehung neue
Verlegenheiten bereitet, den Anforderungen der den verschiedenen Nationalitäten
angehörigen Bevölkerungen aber schließlich doch nicht vollständig entsprochen
werden könnte.
In diesen beiden Kronländern sind nämlich, mit etwaiger
Ausnahme des ehemaligen Siebenbürger Szeklerlandes, die Bevölkerungen der verschiedenen Nationalitäten
nicht nur in den einzelnen Landestheilen abgegränzt, sondern sie wohnen nicht in
den einzelnen Bezirken, sondern auch in den meisten Orten vermischt neben
einander.
Die in diesen Kronländern üblichen verschiedenen Sprachen sind
nicht sämmtlich derart ausgebildet, daß sie durchgehends schon jetzt zu
Geschäftssprachen erhoben werden könnten und endlich würde es kaum nach einer
Reihe von Jahren dahingebracht werden können, daß die Beamten, Advokaten und
Notare, sie mögen der einheimischen oder einer fremden Bevölkerung angehören,
sämmtliche in diesen Kronländern üblichen Sprachen nur geläufig sprechen,
sondern auch schreiben. Wohl aber ist in diesen Kronländern allenthalben die
deutsche Sprache verbreitet. Es unterliegt deshalb keinem Zweifel, daß, wenn in
diesen Kronländern durchgehends den Wünschen der verschiedenen Nationalitäten
entsprochen werden wollte, bei jedem Amte der Gebrauch sämmtlicher
Landessprachen gestattet und auch den höheren Behörden und auch dem Obersten
Gerichtshofe die Anwendung aller dieser Sprachen verordnet werden müßte. Daß
eine solche Anordnung wenigstens vorläufig noch durch eine lange Reihe von
Jahren nicht durchführbar ist, liegt am Tage und es erübrigte deshalb wohl
nicht, als für diese zwei Kronländer die Sprachfrage auf eine Weise zu lösen,
die eines praktischen Erfolges gewiß ist. Ich glaube Euere Excellenz versichern
zu können, daß durch die unterm 5. November vorigen Jahres Z. 17678
mitgetheilten, die gerichtliche Geschäftssprache regelnden Verordnungen 4diese Lösung nicht nur auf praktische Weise, sondern auch
zur Befriedigung des größten Theils der Bevölkerung dieser beiden Kronländer
erfolgt ist.
Ich bin selbst mit den Verhältnissen in diesen beiden
Kronländern sehr genau bekannt, habe insbesondere in Siebenbürgen durch mehrere Jahre Ämter bekleidet und war in der
Lage den Eindruck wahrzunehmen, den die die Sprachfrage regelnden Bestimmungen
in diesen Ländern bei der Bevölkerung hervorriefen.
Nach den von mir
gemachten Wahrnehmungen wurde allenwärts in wichtiger Würdigung der Verhältnisse
eingesehen, daß es unmöglich sey, die Sprachfrage in den benannten Kronländern
entsprechend auf andere als die bereits erfolgte Weise zu lösen und weder
während meiner Dienstleistung in Siebenbürgen noch auch in meiner jetzigen Stellung sind mir
Beschwerden über den Vorgang der Gerichte in sprachlicher Beziehung vorgekommen,
obwohl ich diesfalls bei wiederholten Gelegenheiten und bei Personen der
verschiedensten Nationalitäten und Volksklassen die eindringlichsten
Erkundigungen einholte.
Ich habe im Gegentheile die Überzeugung gewonnen,
daß die geregelte und entsprechende Geschäftsführung in diesen beiden
Kronländern zum großen Theile dem Umstande zuzuschreiben ist, daß die Regelung
der Sprachfrage daselbst in praktisch, ja befriedigender Weise gelöst worden
ist, weshalb ich auch überzeugt bin, daß bei einer etwaigen Änderung der jetzt
in Bezug auf die Geschäftssprache bestehenden Bestimmungen der geregelten und
gesetzmäßigen Geschäftsführung der größte Nachtheil erwachsen, allen Wünschen
der Bevölkerung aber, wenn nicht bei jedem Amte der Gebrauch sämmtlicher
Landessprachen gestattet würde, doch nicht entsprochen werden wird.
Doch
abgesehen von meiner eben ausgesprochenen eigenen Überzeugung, daß eine
Anordnung den jetzt für die beiden Kronländer bestehenden Bestimmungen über die
Geschäftssprache nur Nachtheil bringen würde, kann ich meinerseits zu einer
solchen Anordnung deshalb nicht die Hand biethen, weil, wie Eurer Excellenz
bekannt ist, Seine k.k. apostolische
Majestät in den Ministerconferenzen vom 30. und 31. Oktober, dann
vom 3. November vorigen Jahres allergnädigst darauf hinzudeuten sich bestimmt
gefunden haben, daß bei der Wahl der Sprachen das praktische Bedürfnis zu
entscheiden habe und man dort, wo die deutsche Sprache sich gewissermaßen schon
eingebürgert hat, an diesem Verhältnisse nicht rütteln solle, übrigens
hervortretenden Übelständen wohl abgeholfen, diesfällige Weisungen aber nicht
als Entscheidungen über ein Prinzip, sondern blos als von Fall zu Fall erlassene
Verordnungen hinausgegeben werden sollen. Wenn ich nun auch voraussetze, daß die
von Euer Excellenz an die Statthaltereien in Hermannstadt
und Temesvar wegen Vorlegung der die
Sprachfrage betreffenden Daten erlassenen Weisungen nicht allgemein bekannt und
somit hiedurch keine wie immer geartete Aufregung bei den verschiedenen
Nationalitäten dieser Länder veranlaßt werden wird, so glaube ich doch meine
unmaßgebliche Meinung dahin aussprechen zu müssen, daß es angemessener sein
dürfte, weitere Erhebungen in dieser Angelegenheit besonders durch
untergeordnete Behörden zu unterlassen, zumal es nach den oben angegebenen
Weisungen Seiner k.k. apostolischen
Majestät füglich keinem Zweifel unterliegen kann, daß an den in
Siebenbürgen, der serbischen Woiwodschaft und dem
Temescher Banate gegenwärtig geltenden Bestimmungen über die
Geschäftssprache keine wesentliche Änderung vorgenommen werden soll.