Leo Thun an Justin Linde
Wien, 11. September 1855
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Regest

Leo Thun informiert Justin Linde in einigen Personalfragen. Zunächst entschuldigt sich der Minister jedoch, dass er den Brief von Justin Linde so lange unbeantwortet gelassen habe. Er rechtfertigt dies mit der enormen Arbeitsbelastung im Ministerium. Er teilt Linde auch mit, dass er in der Sache des Mediziners Carl Ludwig nichts tun könne, da dieser in einem Militärspital angestellt sei und somit nicht in Thuns Kompetenzbereich falle. Schließlich bittet er neuerlich um die Vermittlung von Philologen und Philosophen. Außerdem erbittet er sich Auskunft über den Gymnasiallehrer Nikolaus Schell, der ihm von Bernhard Jülg empfohlen worden ist. Thun würde ihm, sollte auch Linde eine Empfehlung für ihn aussprechen, sofort eine Stelle am Gymnasium in Pressburg verleihen.

Anmerkungen zum Dokument

Verweis auf A3 XXI D350 und A3 XXI D365.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DA05-A

Schlagworte

Edierter Text

Wien den 11. September 1855

Werther Herr Staatsrath!

Sie wissen wohl aus eigener Erfahrung wie schwer sich das Briefschreiben mit der Bewältigung der Papiermassen, die Welle auf Welle den Vorstand einer modernen Behörde überfluthen, vereinen läßt, und ich hoffe Sie verargen es mir deshalb nicht, daß ich so lange nicht an Sie geschrieben habe.
An Ihr letztes geehrtes Schreiben1 anknüpfend bemerke ich, daß der Physiolog Ludwig an eine militärische Anstalt berufen worden ist, auf welche ich durchaus keinen Einfluß habe, so daß ich diese Berufung erst post factum aus der Wiener Zeitung erfuhr. Ich habe keinen Grund zu erwarten, daß ich in der Lage sein werde, mich nach einem ausländischen Dozenten dieses Faches umzusehen. Für einen tüchtigen, bewährten katholischen Philosophen, Philologen (in linguistischer Richtung allein vorherrschend für die classischen Sprachen) oder Vertreter des deutschen Rechtes und seiner Geschichte hätte ich aber immer noch Gelegenheit. In letzterer Beziehung leistet Prag sehr erwünschte Aushilfe für dessen Empfehlung ich Ihnen überhaupt zu aufrichtigem Dank verpflichtet bin. Ich bin in diesem Augenblick auch genöthiget einige tüchtige junge Leute als Lehrer der klassischen Sprachen an Gymnasien aus Deutschland zu requirieren. Als solcher ist mir unter anderen Nikolaus Schell, derzeit Lehrer am Gymnasium in Hanau empfohlen worden. Durch Vermittlung des Prof. Jülg 2 sind mir auch Abschriften seiner Prüfungszeugnisse bereits zugekommen. Es würde mir zu großer Beruhigung dienen, wenn ich Ihre Bürgschaft dafür hätte, daß er eine wünscheswerthe Aquisizion, ein durchaus verlässlicher Mann sei. In solchem Falle würde ich Sie bitten, ihn anzueifern, daß er mir schleunigst ein Gesuch um Anstellung in Österreich einsende, und könnte ihm dann eine Stelle in Preßburg mit 800 fl., vielleicht selbst 1000 fl. in nächste Aussicht stellen, vorausgesetzt daß er sogleich dieselbe antreten könnte, das ist gleich nach seiner Ernennung zu deren Erwirkung ich beiläufig 3 Wochen Zeit brauchen würde.
Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir hierüber schleunigst Nachricht zu ertheilen die Güte hätten. In der Hoffnung, daß Sie diese meine neuerliche Zudringlichkeit mit gewohnter Güte aufnehmen werden, verharre ich werther Herr Staatsrath mit der ausgezeichnetsten Hochachtung

Ihr
ergebener
Graf Leo Thun