Jan Szlachtowski berichtet Leo Thun über die herrschenden Nationalitätenkonflikte in Galizien. Dabei hebt er besonders die Benachteiligung der Polen hervor, denen von Seiten zahlreicher Beamten offener Hass entgegenschlage; polnische Studenten und Professoren würden zudem an der Universität Lemberg offen angefeindet. Szlachtowski zeigt sich zwar erfreut über die Versuche der Wiener Regierung, die Gemüter zu beruhigen – etwa durch die Gründung halboffizieller Zeitungen in den Sprachen der einzelnen Kronländer –, er ist allerdings davon überzeugt, dass dies nicht ausreichen werde, um die Gleichberechtigung der Nationalitäten zu festigen. Dies zeigt sich aus seiner Sicht darin, dass Anfeindungen und Verdächtigungen seitens der Beamten gegenüber "gebildeten Nationalen" an der Tagesordnung seien. Er hofft, dass Thun, der die Verhältnisse in Lemberg aus eigener Erfahrung kennt und Einfluss in Galizien besitzt, etwas gegen die untragbare Situation unternehmen kann.
Lemberg, den 1. November 1849
Eure Excellenz!
Geruhen mir die Freiheit verzeihen, daß ich es wage, unberufen Eure Excellenz
inmitten der wichtigsten Arbeiten, welche Eure Excellenz in Anspruch nehmen, mit
meinem Schreiben zu belästigen. Doch die Wichtigkeit des selbst höchsten Orts
angeregten Gegenstandes diene mir zur Entschuldigung. Es wurde mir vor einigen
Tagen die Abschrift eines Briefes des Herrn Ministerialrathes von Öttl [Oettl] mitgetheilt, aus welchem ich
entnommen habe, daß das hohe Ministerium, in der Absicht der maßlosen Opposition
der Provinzialpresse durch die Presse selbst entgegenzuwirken, halbofficielle
Blätter in den Sprachen der einzelnen Kronländer gründen will; auch sprach der
Brief die Vermuthung aus, daß da die Regierung nach Beendigung der Kriege die
Gemüther beruhigen wolle, und ihrerseits streng an der Verfassung haltend, die
Entwicklung jeder Nationalität fördern werde, anderseits die Gebildeten jeder
Nation die der Civilisation drohende Gefahr einsehend, dem gemeinschaftlichen
Feinde vereint entgegentreten werden. Da mir das Feld der eigentlichen Politik
fremd ist, indem ich mich als Universitätsprofessor und Kustos einer
wissenschaftlichen Anstalt an das Lehrfach halte, so ist es nicht mein Beruf
über das Unternehmen der zu gründenden Zeitungen in Galizien zu
sprechen, wiewohl dasselbe allerdings von großer Wirkung sein kann. Der bezogene
Brief sprach aber die Hoffnung aus, daß die gebildeten Nationalen durch ihren
Eintritt in die Regierungsbehörden und Lehrämter wesentlich zur Beruhigung der
Gemüther, welche die Regierung redlich anstrebt, beitragen könnten. Die
gebildeten Nationalen sind auch wirklich der Überzeugung, daß das hohe
Ministerium die Gemüther beruhigen will, und das angedeutete Mittel wäre auch
ein wirklich kräftiges, wenn es durchgeführt und nicht vielmehr im Lande selbst
paralysirt würde. An das Lehrfach, dem ich angehöre, mich haltend, finde ich
mich aus Liebe zu meinem Vaterlande und des von der Regierung angestrebten
Zweckes wegen verpflichtet, Eurer Excellenz im Interesse dieses Zweckes selbst
einige Vorstellungen zu unterbreiten. Eure Excellenz haben während Ihres
Aufenthaltes in Galizien gewiß die Bemerkung gemacht, daß es in
unserem Lande viele Beamte giebt, welche ihren Haß gegen die Nationalen gar
nicht verbergen, und im Jahre 1846, besonders jetzt aber, denselben thätig
äußern, vorzüglich aber den Weg der Verdächtigung der Nationalen ergreifen und
auf diese Art nicht nur ungestraft ihre Leidenschaft befriedigen, sondern sich
auch dadurch einen Verdienst und Anspruch auf Beförderung zu verschaffen
glauben, in jedem Falle aber physisch und moralisch die Nationalen zu Grunde
richten trachten. Ich nenne keine Nahmen, da ich nicht Personen, sondern die
Sache vor den Augen habe, aber so gewiß als es gute, ehrenvolle Männer unter den
Beamten giebt, so gewiß ist auch das Verfahren derjenigen unter ihnen und
namentlich im Lehrstande nicht nur strafwürdig im Allgemeinen, sondern auch dem
von der Regierung vorgestecktem Ziele schädlich, derjenigen nämlich, die das
Verdächtigen eines jeden Nationalen, dem die Regierung auf irgendeine Art
Vertrauen schenkt oder schenken dürfte, systematisch betreiben. Ich bin nicht
eingeweiht in die Winkelzüge, welche dabei gemacht werden, aber in Bezug auf das
Lehrfach habe ich mich überzeugt, daß so ein Treiben stattfindet. So wurde ein
gewißer Dr. Urbański, nachdem er
von den Lehrkörpern von Czerniowitz [Czernowitz],
Tarnow und Przemyśl zum
Professor der Physik vorgeschlagen ward, gleich beim hohen Ministerium
verdächtiget; neulich ist dasselbe dem zum Gymnasialinspector ernannten
Professor Lipiński widerfahren;
selbst in die häuslichen Verhältnisse dringt dieses Treiben ein, da einem Vater
unter Androhung, daß seine Söhne es büßen würden, die Placirung dieser Zöglinge
bei Dr. Pilat unter dem Vorwande eines
politischen Verdachtes fast förmlich untersagt wurde. Daß durch die Presse viel
Gutes geleistet werden kann, ist unzweifelhaft, aber nie wird es der Presse
gelingen, solchen allgemein bekannten Thatsachen gegenüber selbst die
redlichsten Absichten der Regierung wirksam zu vertheidigen, Thatsachen, welche
Wasser auf die Mühle der eigentlichen Wühler sein müssen und gewiß ausgebeutet
werden zum großen Nachtheile der Regierung. Solche Thatsachen, herbeigeführt
durch einzelne, welche alle Nationalen verdächtigen und die Regierung gegen
dieselben mißtrauisch zu machen suchen, können unmöglich in der Absicht der die
Beruhigung der Gemüther bezweckenden Regierung liegen. Ich selbst, bis jetzt wie
ich glaube unangefochten und ruhig meinen Pflichten nachgehend, ich weiß es sehr
wohl, welcher Gefahr ich mich aussetze, indem ich dieses Schreiben an Eure
Excellenz richte. In Wien sowohl als in
Lemberg würden sich gleich solche finden, welche mir
was vorzuwerfen hätten, etwa z. B., daß ich bei der akademischen Legion war,
worüber neulich ein Lehramtscandidat befragt wurde, ohne daß ihn übrigens ein
Vorwurf treffen konnte, obwohl ich auch in Wien Zeugen
hätte, daß ich nach Wien eigens zum Studium der
Numismatik kam und in dieser Beziehung mit den Herrn des Hofkabinetts Bergmann und Eitl in Correspondenz blieb. Doch habe
ich auch auf die Gefahr hin, auch das Ziel von Verdächtigungen zu werden, das
unternommen, was ich meinem Vaterlande, was ich dem ernstlichen Bestreben, der
die Beruhigung des Landes anstrebenden Regierung, schuldig zu sein glaubte, und
habe im vollen Bewußtsein der mir drohenden Gefahr dieses Schreiben an Eure
Excellenz gerichtet.
Ich hatte nur einige Mahl das Glück Eure Excellenz bei
Ihrer Anwesenheit in Lemberg zu sprechen, kann daher
keinen Anspruch auf Vertrauen machen, und nur das Bewußtsein recht und ehrlich
gehandelt, und die Beruhigung, ohne Leidenschaft das Eurer Excellenz vorgestellt
zu haben, was zur Förderung des Wohles meines Vaterlandes beitragen kann, und
angeregt durch den bezogenen Brief, der sich auch über das Lehramt aussprach,
diese Umstände hoffe ich werden Verzeihung erwirken für
Eurer Excellenz
unterthänigster
Johan Szlachtowski
Professor der poln. Sprache und Literatur und Kustos des
Ossolinskischen Institutes